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feiner staub und smog und diesel und die holzofenkokelei und die damit verbrannten müll-rückstände mit schwermetall-resten


alle rembrandts

Alle Rembrandts
Amsterdamer Reichsmuseum zeigt den kompletten Bestand


RADLER VOR EINER DURCHFAHRT IM MÄCHTIGEN BAU DES AMSTERDAMER REICHSMUSEUM, AN DEM EIN PLAKAT FÜR DIE AUSSTELLUNG WIRBT.


Von Annette Birschel

Amsterdam (dpa). Es ist Rembrandtjahr, und das Amsterdamer Rijksmuseum packt groß aus. Es zeigt erstmals in seiner Geschichte »Alle Rembrandts« seiner Sammlung.

Ein Himmelbett, die Vorhänge sind zurückgezogen, eine junge Frau lehnt in den Kissen. Es ist Saskia, die Frau von Rembrandt van Rijn. Mit nur wenigen kräftigen Strichen skizzierte der Maler diese sehr intime Szene. Das war 1635, und so etwas hatte es in der Kunst noch nie gegeben.

Die kleine Zeichnung, kaum 20 Zentimenter groß, ist nun im Amsterdamer Reichsmuseum zu sehen. Nur wenige Meter entfernt hängen die berühmten imposanten Porträts von »Marten und Oopjen« – mehrere Quadratmeter groß. Groß und klein, berühmt und unbekannt hängen nebeneinander – und das ergibt eine verblüffende Harmonie. Gerade die Skizzen und Zeichnungen erlauben einen frischen Blick auf den Maler und sein Werk.

Vor 350 Jahren starb der große holländische Meister (1606-1669), und das Reichsmuseum packt ganz groß aus [click]. Es zeigt von morgen an (bis 10. Juni) »Alle Rembrandts« seiner Sammlung – und das ist die größte der Welt. 22 Gemälde, 60 Zeichnungen, 300 Drucke. »Von Rembrandt kann man eben nie genug bekommen«, findet der Direktor für Malerei des Museums, Gregor Weber. Der deutsche Kunsthistoriker hat ja recht. Und das liegt eben am Künstler selbst. »Er berührt uns, er erzählt menschliche Geschichten, er ist einer von uns.«

Zugegeben es sind sehr viele Werke, die alle ein sehr genaues Hingucken verdienten. Doch sie werden in einem intimen Rahmen präsentiert. Die kleinen Zeichnungen, flüchtigen Skizzen und detaillierten Drucke hängen in wundervoll ausgeleuchteten dunklen Räumen. Und dazwischen – sehr sparsam platziert – die großen, berühmten Gemälde.

Besucher schauen auf Rembrandts "Die Nachtwache". Das Amsterdamer Rijksmuseum zeigt bis Juni "alle Werke" aus der eigenen Sammlung. Die Ausstellung ist eine Hommage an den Maler, der vor 350 Jahren in Amsterdam starb. Fotos: Peter Dejong/AP/dpa - WB


Die Ausstellung zeigt, wie sehr das persönliche Leben des Malers mit seiner Kunst verknüpft ist. »Rembrandt war Beobachter und Geschichtenerzähler«, sagt Konservator Erik Hinterding. Zunächst beobachtete er vor allem sich selbst. Wir sehen 1628 einen leicht pausbäckigen jungen Mann mit wirrem Haar, die wachen Augen liegen im Schatten. Am Ende seines Lebens hängen diese Augen über dicken Tränensäcken in einem leicht aufgedunsenen Gesicht. Rembrandt als melancholischer Apostel Paulus (1661). Dazwischen entstanden fast unendlich »viele Selfies«, wie der Konservator witzelt. Mal streng, mal lachend – Rembrandt übte.

Auch seine Eltern standen Modell. Aber der Maler ging auch auf die Straße, zeichnete Bettler, Gaukler, Kaufleute. Er sei auch ein Chronist seiner Zeit gewesen, sagt Hinterding. »Schnappschüsse wie heute auf Instagram.«

Das große Geld und der Ruhm kamen durch die Aufträge der Reichen und Mächtigen. Rembrandt porträtierte sie meisterhaft. Selbst bei Gruppen wie »Die Nachtwache« stellte er jeden einzelnen als Individuum dar. Zusätzlich schuf er Dramatik mit Licht und Schatten und Vorder- und Hintergrund.

Schönheit interessierte den Maler nicht, sondern die Wirklichkeit. Gerade das Unvollkommene faszinierte ihn, Spuren in Gesichtern und auf Körpern. »Er suchte die Schönheit im Hässlichen«, sagt Taco Dibbits, Direktor des Reichsmuseums.

Auch mit seiner Technik ist Rembrandt revolutionär. Er hält sich an keine Regel. Erst setzt er noch feine Pinselstriche. Später greift er zum breiten Palettmesser und bringt damit die Farbe direkt auf die Leinwand, grob und expressiv. Er kratzt noch mit der Rückseite des Pinsels in die Farbe. Ausgerechnet bei dem so intimen Porträt der »Jüdischen Braut« sind die Farbbrocken so dick, dass man meint, sie könnten abbrechen.

»Rembrandt ist ein Rebell«, sagt Direktor Dibbits. Dafür zahlte er einen hohen Preis. Er starb völlig mittellos, und seine Kunst war längst aus der Mode: Zu dunkel, zu realistisch, zu hässlich. Kurz: Nicht sehr erhebend. Doch Kompromisse hätte er nie gemacht.

aus: WESTFALEN-BLATT, Nr. 38, Donnerstag 14.02.2019, Seite 21 - Kultur/Fernsehen




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manchmal kann auch ein an sich trauriger anlass zu einem super-event werden: vor 350 jahren starb rembrandt harmenszoon van rijn (* 15. juli 1606 in leiden; † 4. oktober 1669 in amsterdam) - bekannt unter seinem vornamen rembrandt. und da es eben im veranstaltungskalender nur so zu deichseln war, ist diese große schau am tatsächlichen todestag, dem 4. oktober schon wieder im magazin verschwunden - oder sie wird "wegen des überragenden erfolgs" einfach bis in den oktober verlängert - wer weiß ...

ansonsten werden vor der "nachtwache" die besucher dichtgedrängt in 5- bis 6-fach-reihen hintereinander stehen und nach dem obligatorischen handy- oder sogar selfie-foto weitergeschoben zum nächsten highlight - immerhin sind ja um die 22 gemälde, 60 zeichnungen und 300 drucke zu absolvieren: »von rembrandt kann man eben nie genug bekommen« ...

das ganze ist aber auch eingebunden in den internationalen harten wettbewerb der museen untereinander um besucher. denn 2019 wird gerangelt mit "100 jahre bauhaus" in deutschland, mit dem "jungen picasso - blaue und rosa periode" in der fondation beyeler in riehen/schweiz, mit "tizian und die renaissance" im städel-museum frankfurt, mit dem "dunklen nolde in der nazizeit" in berlin, mit großen "van-gogh-ausstellungen" in london und frankfurt , mit "edvard munch" ab herbst in düsseldorf und "van dycks schönen frauen", um nur einiges zu nennen (click insgesamt dazu z.b. auch hier - und hier) ... - hinzu kommen ja die jährlich wiederkehrenden kunstevents der "biennale ..." und die verschiedensten "art's ..." usw.

um auch nur einen hauch davon mitzubekommen müsste man sich irgendein ganzjähriges "euro-ticket" erstehen, und viel zeit - und viel geld ... - und hoffentlich ist dann so eine art-sightseeing-tour auch so nachhaltig, dass man sie hinterher für sich und für seine lieben noch reproduzieren kann und die tausenden von smartphone-knips noch einigermaßen einzuordnen vermag.

ich meine, und das ist ja die frage, ob man zu jedem infragekommenden "runden" gedenktag eines künstlers ein top-event deshalb kuratieren muss - und ob die immer gleich als "jahrhundert-ausstellungen" inszeniert werden müssen.

der alte kaufmanns-spruch heißt ja: "angebot und nachfrage bestimmen den preis" - aber ein überangebot oder eine kunst-inflation verführt zur oberflächlichkeit ... - von "kunstgenuss" bleibt dann kaum noch etwas übrig - nur der preis wird stimmen ... - aber kommen dann noch die erwarteten besucherzahlen ... ???

und nix für ungut - und chuat choan

foto: rijksmuseum 

bienenbegehren

S!|graphic nach Gregory Kurpiel/EyeEm/Getty Images






Volksbegehren in Bayern

Die Bienenrevolte

Bayern hat eine neue Ökobewegung: Plötzlich setzen sich SUV-Fahrer für die Bienen ein. Auf der anderen Seite fühlen sich Landwirte alleingelassen. Was ist da los?

Von Elisabeth Kagermeier, Stöttwang - zeit-online

"Ich hab bald keinen Bock mehr!", ruft Manuel Kreuzer, 24, der Kopf hochrot, die Ärmel von Pulli und Hemd hochgekrempelt. Kreuzer steht im Gastraum eines Wirtshauses im bayerischen Stöttwang, etwa 140 Leute quetschen sich um die hellen Holztische. Einige müssen stehen, weil selbst die Stühle aus den Nebenräumen nicht gereicht haben. Die Bedienung reicht Wurstsalat und Brezen durchs Fenster herein, weil drinnen kein Durchkommen mehr ist.

Die Stimmung ist so aufgeheizt wie die Raumtemperatur. Wer kann, zieht den Pullover aus oder krempelt die Ärmel hoch. Aber auch das hilft nicht gegen die Wut. Er fühle sich angefeindet durch das Volksbegehren, ruft Kreuzer. Er wisse nicht, wie lange er noch so weitermachen könne.

Ein Zweiter steht auf, sagt, seine Tochter werde in der Schule gemobbt, weil ihre Familie in der Landwirtschaft sei. "Ihr seid Umweltsünder", sagen die anderen Kinder angeblich. "Das Volksbegehren ist schuld, dass die Leute gespalten werden!", ruft er aufgebracht.

Eigentlich sollte es an diesem Abend darum gehen, über das aktuelle Volksbegehren mit dem Titel "Rettet die Bienen!" zu informieren. Doch das will hier offensichtlich kaum eine. Von Beginn des Abends an sind die beiden Lager im Raum sichtbar – unentschlossen ist kaum noch jemand.

Es ist hip, sich für den Feldhamster einzusetzen

Das Volksbegehren Artenvielfalt, so der offizielle Name, dürfte eine der erfolgreichsten bayerischen Umweltkampagnen aller Zeiten sein. Noch vor Ablauf der Frist am morgigen Mittwoch hat das Bündnis seine wichtigste Hürde genommen. Mehr als zehn Prozent der Wahlberechtigten, also über eine Million Bayern, haben in den Rathäusern unterschrieben.

Ziel des Begehrens sind weniger Pestizide, mehr Blühwiesen, mehr öko und bio, mehr Biotopverbünde sowie eine nachhaltigere Ausbildung der Landwirte, um so Bienen und andere bedrohte Tierarten wie Feldhamster, Grashüpfer oder Frösche zu retten. Darüber wird es nun, wo das Zehn-Prozent-Quorum erreicht ist, zu einem Volksentscheid kommen.

Das ist der vorläufige Höhepunkt einer Kampagne, die Befürworter und Gegner wahrscheinlich mehr emotionalisiert als die bayerische Landtagswahl im vergangenen Oktober. Es war in den letzten Wochen unmöglich, dem Thema in Bayern aus dem Weg zu gehen. Lifestyleblogs, auf denen man sonst hauptsächlich Guides zu den besten In-Locations findet, wurden plötzlich politisch, riefen zum Abstimmen auf und posteten Instagramstorys aus der Schlange vor dem Münchner Rathaus. An den vergangenen Samstagen war sie so lang, dass sie sich in Serpentinen mehrmals über den Marienplatz wand. Natürlich ist die Landeshauptstadt das Epizentrum des Volksbegehrens. Hier holten die Grünen bei der Landtagswahl fünf von ihren sechs Direktmandaten.

Das Volksbegehren kommt zu einem günstigen Zeitpunkt. Ob Greta Thunberg und die Schülerproteste, Feinstaubbelastung und Fahrverbote oder Glyphosat: Umweltthemen wühlen immer mehr Menschen auf. Auch in Bayern.

Das Volksbegehren wächst über seine eigene Bedeutung hinaus

Das Klima ist dort früher ins Bewusstsein gerückt als in manch anderen Bundesländern, Naturschützer gab es hier schon vor dem Ersten Weltkrieg. Auch die CSU profiliert sich in unregelmäßigen Abständen mit Umweltthemen, und seit 2009 hat das Land mit der Bayern Arche eine Samenbank für gefährdete Wildpflanzen und Tiere als Genreserve. Trotzdem hat die CSU bei der Landtagswahl nicht nur Stimmen an den rechten Rand verloren, sondern genauso viele auch an die Grünen.

Das Volksbegehren ist nun ein weiteres Zeichen dafür, dass es einem beachtlichen Teil der Wählerinnen zu langsam vorangeht mit dem Umweltschutz. Wenn man die Leute in den Schlangen vor den Rathäusern in Holzkirchen oder München fragt, haben viele Zahlen parat: 73 Prozent aller Tagfalter seien verschwunden und 75 Prozent aller Fluginsekten, in Bayern leben nur noch halb so viele Vögel wie vor 30 Jahren.

Das Volksbegehren wächst damit über seine eigene Bedeutung hinaus. Es ist nicht nur ein regionales Thema, das der Landesregierung noch viel Ärger machen könnte, sondern der neueste Ausläufer einer ökologisch-politischen Revolte, die auch an vielen anderen Orten stattfindet.

Etwas tun, ohne sich einzuschränken

Initiiert wurde das Volksbegehren von der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP), die es auch 2018 wieder nicht in den Landtag geschafft hat, Grüne und SPD haben sich angeschlossen. Die Regierungskoalition aus CSU und Freien Wählern stellt sich bisher gegen das Volksbegehren, ebenso AfD und FDP. Und dennoch sind die Befürworter nicht nur ökologisch-orientierte Gutverdiener und Menschen, die "Hambi bleibt"-Sticker auf ihrem Lastenrad kleben haben. Es ist eine breit gefächerte Masse.

Wahlaufrufe werden auch in WhatsApp-Gruppen geteilt, die "Stammtisch" heißen und deren Mitglieder weder links noch grün wählen. Beim Mittagessen in einer Kantine geschah es, dass der eher rechtskonservative Chef seine Mitarbeiter plötzlich fragte: "Und, habt ihr euch schon eingetragen?" Und dann den überraschten Gesichtern vor sich verkündete: Das sei schon wichtig mit der Artenvielfalt und dem Umweltschutz. Auch dass diese Schulkinder jetzt für die Umwelt streikten, das fände er ja super, das müsse man unterstützen.

Hinter den Rathäusern auf dem Land, zum Beispiel in Holzkirchen oder Freising, kann man Menschen dabei beobachten, wie sie erst ihre SUVs parken und sich dann in die Schlange stellen. Es ist wohl ein bisschen wie mit dem grün Wählen: Das Volksbegehren zu unterschreiben, zeigt den Wunsch, dass sich etwas ändert – auch oder gerade, weil man sich ohne den Zwang von Gesetzen selbst nicht aufraffen kann, umweltfreundlicher zu leben. Es ist eine Wahl gegen den eigenen Schweinehund.

Da ist zum Beispiel Walter Rueß, 75, der sich am vergangenen Samstag hinter Vätern mit Kindern, jungen Frauen mit Einkaufskörben und anderen Rentnern im Rathaus Holzkirchen einreiht. Er fährt Diesel, kauft kein Bio und sagt: "Mit Grün hab ich meine Probleme." Unterschrieben hat er, weil er die Regierung aufrütteln will und auf einen eigenen Vorschlag von CSU und Freien Wählern hofft. Er freut sich, dass Ministerpräsident Markus Söder einen runden Tisch einberufen will. Man müsse sich aber auch an der eigenen Nase packen, sagt Rueß. Er wolle im Frühling einen Streifen mit Wildblumen für die Insekten in seinem Garten pflanzen.

"Wir Bauern sind für alles die Sündenböcke"

Oder Detlef Hecker. Seit Wochen bittet seine Tochter ihn, dass er unterschreibt, und hat ihm sogar die Wochenendöffnungszeiten im Bürgerbüro herausgesucht. "Meine Generation war die Nachkriegsgeneration, wir haben immer nur nach hinten geschaut", sagt er. "Jetzt müssen wir nach vorne schauen."

Das Volksbegehren löst aber nicht nur Euphorie aus. Es gibt auch Widerstand, und der ist nicht weniger emotional. Es sind vor allem junge Landwirte, die argumentieren, dass sie erst mal ihr eigenes Überleben sichern müssen. So denkt auch Manuel Kreuzer, der 24-Jährige, der bei der Podiumsdiskussion in Stöttwang seinem Ärger Luft macht. Er hat drei kleine Kinder, 300 Milchkühe im Stall und spätestens seit dem Milchstreik das Gefühl, irgendwie machtlos zu sein. Drei Wochen lang hat er wie alle anderen Milchbauern in der Gemeinde im Ostallgäu seine Erzeugnisse weggeschüttet, aus Protest gegen niedrige Preise. "Gebracht hat es nichts", sagt er. Seine Frau Michaela, 21, sagt, sie pflanze schon extra Blumen in großen Kübeln für die Bienen. Da sollten lieber mal Gewerbe und Industrie aussäen, auf deren Flächen höchstens Wiese und einzelne Bäume stehen.

Wenn man bei den Bauern nachhakt, die an diesem Abend in Stöttwang sind, merkt man: Das Problem ist nicht nur das Volksbegehren. Natürlich machen sich die Bauern Sorgen, was geschieht, wenn sie fünf Meter Abstand zu Gewässern oder bestimmte Mähzeiten einhalten müssten.

Aber vor allem ein Satz fällt immer wieder: "Wir Bauern sind für alles die Sündenböcke." Feinstaubbelastung, Glyphosatverbrauch, jetzt das Aussterben von Tierarten – für alles, beschweren sich Landwirte, werde ihnen die Schuld zugeschoben. Dazu kommen neue Regelungen wie Anbindehaltung, Düngeverordnung, in Zukunft auch Vorschriften zur Ferkelkastration. Es gehe ihm gegen den Strich, dass ihnen überhaupt Verbote gemacht würden, sagt ein Biobauer. Josef Nadler vom Bauernverband sagt: Der Staat solle sich aus der Landwirtschaft raushalten.

Wer steht auf der Seite der Bauern?

Im Gasthaus herrscht zahlenmäßig vielleicht ein Gleichgewicht zwischen den beiden Lagern, aber die Landwirte sind lauter. Es spricht vor allem Kränkung aus ihren Aussagen. Die Landwirtschaft hat hier einen größeren Stellenwert als in anderen Bundesländern, sie gehört zur Identität. Früher aber haben alle Parteien die bayerischen Bauern hofiert. Und heute?

Die Leute wüssten gar nicht, was sie unterschreiben, sagen die Bauern in Stöttwang. Vor allem die Städter, die vom Leben als Landwirt nichts verstehen würden. Bäuerin Sandra Unsin, 45, wohnt gegenüber vom Gemeindehaus in Stöttwang. "Es erschreckt und überrascht mich, wie viele dort reinlaufen und unterschreiben", sagt sie. Während der Podiumsdiskussion schnaubt sie immer wieder wütend, schüttelt den Kopf, sitzt wie viele hier mit verschränkten Armen da. Als eine Frau mehr Selbstkritik von den Landwirten fordert, applaudiert kaum jemand. Michaela Kreuzer sagt, sie seien das letzte Mal vor vier Jahren im Urlaub gewesen. Ihre Cousine fliege viermal im Jahr weg. Ob der Umweltschutz nicht eher da anfangen sollte als bei ihr.

Man sollte die Wut der bayerischen Bauern nicht unterschätzen. Am Münchner Marienplatz sollen laut Rathauslotsen vom Volksbegehren etwa 15 Jungbauern aggressiv Menschen bedrängt haben, die zum Unterschreiben anstanden. In der Gemeinde Finning zog der Bürgermeister die Genehmigung, für das Volksbegehren zu plakatieren, auf Druck des Gemeinderats zurück. Und in Garmisch-Partenkirchen sollen Bauern Bürgern mit öffentlicher Ächtung gedroht haben, falls sie sich für das Volksbegehren eintrügen.

In Stöttwang ist die Euphorie der Befürworter des Volksbegehrens an diesem Abend gedämpft. Mit den großen Emotionen der Gegner haben die wenigsten von ihnen gerechnet. Das Volksbegehren sei falsch rübergekommen, sagt ein Mitinitiator dieses. Es sollte kein Angriff auf die Landwirte sein. Es kritisiere doch nicht nur das Aussterben von Arten, sondern auch von kleinen Bauernhöfen.

Am Ende des Abends meldet sich eine Frau zu Wort und sagt mit leichter Verzweiflung in der Stimme: "Das ganze Gegeneinander tut mir in der Seele weh, wir müssen doch zusammenstehen!" Und zum ersten Mal applaudieren alle.


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mit der biene hat "das volk" diese politik wieder aus den einsamen höhen in die tiefe gezogen und auf die füße - ähhh bienenflügelchen - gestellt. nach den letzten wahlergebnissen in bayern meinte man ja, die afd sei an allem schuld - und natürlich frau merkels "flüchtlinge" ... - 

nee. aber das unbehagen geht tiefer - das sieht man am "hype" der "grünen": die politik kann nicht immer irgendwelchen von der statistik ausgemachten irgendwie minderbemittelten bevölkerungsgruppen einfach geld rüberschieben - und " do san mia wieda guad" - und sich ansonsten ihren "tages-geschäften" hingeben und "durch-regieren" und "dabei gewinn machn" - auch persönlich...

nee - es geht um die zufriedenheit der bürger, es geht um umwelt, es geht um lebens-wertigkeit - und das ist nun mal mehr als ein süffisantes lächeln im fernsehen ...: das ist ärmel aufkrempeln, anpacken, aufbauen ... - das ist maloche, herr söder ... - und das ist auch mal tacheles reden mit den bauernverbänden: denn was man da an wählern und freunden und einladungen zur nächsten jagd verliert, holt man "aus der mitte der gesellschaft" an zustimmung wieder zurück ...

joa - aber was juckt denn die politik schon die gemeine honigbiene ??? ... - es gibt ja auch keine zahlungskräftige insekten-lobby - außer den honig"bauern", den imkern - ansonsten kann man da nämlich nix mit verdienen ... und beim glyphosat, da rudert man hin und her, wohl weil die chemische industrie da ordentlich einsackt und der landmann kein "unkraut" "jäten" muss ... - und da wird auch immer von der "krebsgefahr" bei glyphosat geschrieben und den dazu fehlenden "langzeitstudien" - anstatt mal "in ruhe" richtig hinzuschauen: schon vor jahren sagten die kenner, glyphosat töte nicht nur das unkraut ab, sondern sorge auch für eine "sterile" keim-, maden-, regenwurm- und engerlingfreie krume - also ohne jedes boden-minileben - und das alles bedeutet eben einen immensen eingriff in das ökosystem ... - 

die auch "chemische" keule, die unsere bienen und insekten dahingerafft hat, ist ein ganzes konglomerat aus urbaner bodenversiegelung, monokulturanbau, glyphosat-spritzerei, überdüngung und den vielen tödlichen insekten-sprays in haushalt, garten und handel usw. - und mit vereinten kräften müssten wir das alles ja wohl endlich mal wieder abschaffen - "wir schaffen das", herr söder... 

und sonst: der olle einstein war ja wahrlich kein dummer - der hat schon gesagt: "wenn die biene von der erde verschwindet, dann hat der mensch nur noch vier jahre zu leben“... - da geht es eben an die bretter, herr söder - und dann können sie sich ihr mitleidig halbherzig lächelndes halbgrinsen bei ihren stellungnahmen zu solch einen schmarrn wie die bienen erspar(r)n.


und wenn sie ein paar $ollar oder uro von ihren letzten spekulationsgewinnen, die sie anderweitig irgendwo erzielt haben, übrig haben, sollten sie das kapital anlegen, um ein paar quadratkilometer, morgen oder hektar geschundene böden und äcker aufzukaufen - um sie - pekuniär zwar renditelos aber dafür mit einem umwerfenden super-tollen und moralischen herzensgewinn - ... einfach unbebaut und ungedünkt und unbearbeitet und unbesprüht - einfach so liegenlassen, damit sich die natur diese diesmal echten "liegenschaften" zurückerobern und einverleiben kann.

und bei der nächsten cocktail-party mit ihresgleichen animieren sie gleich ihre golf-, tennis-, reiter- und parteifreunde zu eben solch einem tun - und sie alle werden sehen: flora und fauna erholen sich rascher als uns lieb ist, denn im nächsten- oder übernächsten herbst summen die wespen wieder, wenn sie auf der golf-clubhaus-veranda ihren bourbon-vanilleeis-sekt schlürfen wollen ... - wohl bekomm's: trotzdem und gerade deshalb ... -  danke - und manch einer der edlen käufer wird für den verdienstorden vorschlagen werden - und bei den nächsten wahlen sprudeln die kreuze auf die wahlzettel - ganz in echt jetzt ... -
taz-Kommentar Volksbegehren in Bayern

So etwas Ähnliches wie Demokratie

Mit der erfolgreichen Unterschriftensammlung „Rettet die Bienen“ haben die Bayer*innen es geschafft, Fortschritt zu erzwingen. Bayern braucht so etwas.

Von LUKAS WALLRAFF - taz.eins- und Seite-1-Redakteur

Glückwunsch an die eine Million Bayer*innen, die für die Rettung der Bienen unterschrieben haben! Mit dem erfolgreichen Volksbegehren haben sie es wieder einmal geschafft, die CSU aus dem alten Trott zu reißen und ein bisschen Fortschritt zu erzwingen. Selbst wenn am Ende nicht alle Forderungen erfüllt werden und die Regierung noch einen Kompromissvorschlag durchbringt: Irgendetwas muss sie jetzt für den Naturschutz tun. Allemal besser als nix!

Und ist es nicht wunderschön, zu sehen, wie sich Markus Söder windet und an einen runden Tisch zu retten versucht, wo der Ministerpräsident dann als größter Opportunist unter der Sonne so tun wird, als sei er „nadürlich scho immer“ für den Schutz der Bienen gewesen? Ohne Volksbegehren käme er um diese Peinlichkeit herum.

Bayern braucht so etwas. Da ein Regierungswechsel laut ungeschriebenem bayerischem Grundgesetz verboten ist, sind Volksbegehren der einzige Weg, das Land ökologisch und kulturell halbwegs auf den Stand des 21. Jahrhunderts zu bringen – oder sogar weiter, wie beim rigorosesten Rauchverbot aller deutschen Wirtschaftsräume.

Robert Habeck mag das überraschen, aber in Bayern gibt es also auch ohne grüne Regierungsbeteiligung schon so etwas Ähnliches wie Demokratie. Ein Volksbegehren kann hier mehr bewegen als noch so viele Grüne im Landtag, und, ja, da darf man ruhig euphorisch werden wie die Initiator*innen des Bienenschutzbegehrens und hoffen, dass so viel eifrige Bürgerbeteiligung Schule macht. Also her mit Volksbegehren auch auf Bundesebene?


So reizvoll das klingt: Hier ist das Risiko dann doch ein wenig höher als in Bayern, wo Korrekturen der CSU-Politik fast automatisch Verbesserungen darstellen und der Wirkungsraum begrenzt ist. Was aber, wenn das deutsche Volk mit 51 Prozent die Grenzschließung oder den EU-Austritt begehrt? Wie schwer so radikale Volksentscheidungen wieder zu korrigieren sind, sieht man am Brexit. Bundesweite Referenden einzuführen sollte man sich also bei aller Euphorie gut überlegen. Sie dienen nicht immer nur den Bienen.

friedenspreis für das "napalm-girl"

bildmontage: nw
... damit die Welt ein besserer Platz zum Leben ist

Dresdener Friedenspreis für das "Napalm-Girl"

Die als „Napalm-Girl“ auf einem Kriegsfoto von 1972 bekannt gewordene Vietnamesin Kim Phuc Phan Thi hat ihrem Schicksal vergeben. Sie nutzt das preisgekrönte Bild, das sie als Neunjährige nackt und schreiend nach einem Napalm-Angriff auf ihr Dorf zeigt, um für den Frieden zu werben.

„Mein Traum ist zu helfen, dass die Welt ein besserer Platz zum Leben ist“, sagte sie gestern, bevor ihr am Abend in der Semperoper der Dresdner Friedenspreises verliehen wurde. Seit Jahren reist die 55-Jährige als UN-Botschafterin um die Welt, erzählt ihre Geschichte und vom eigenen Umdenken.

„Kaum jemand kennt ihren Namen, aber nahezu jeder ihr Bild. Ein kleines, von Napalm verbranntes Mädchen, das nackt und schreiend über eine vietnamesische Straße läuft,“ heißt es in der Mitteilung von Friends of Dresden Deutschland. Die Organisation vergibt jährlich zum Jahrestag des Beginns der Zerstörung Dresdens im Jahr 1945 den Dresdner Friedenspreis. An diesem Montag Abend bekommt den mit 10.000 Euro dotierten Preis die 55-jährige Kim Phuc Phan Thi in der Semperoper überreicht. (taz)

„Ich wollte sterben“, sagt Kim Phuc Phan Thi. Die zierliche Vietnamesin mit schwarzem Pagenkopf und großen dunklen Augen schluckt, als sie sich erinnert.

Am 8. Juni 1972 war in ihrem Dorf Trang Bàng Feuer vom Himmel gefallen. Ein Kriegsreporter fotografierte, wie die Neunjährige nach dem Napalm-Angriff nackt und schreiend vor Schmerzen über eine Straße läuft, im Hintergrund dicker Qualm. Das später mit dem Pulitzer-Preis gekrönte Bild ging um die Welt als Symbol des Vietnamkriegs – und trug zum Umdenken in der US-Bevölkerung bei.

„Wenn ich allein bin, meide ich das Bild“, sagt die 55-Jährige. „Aber ich kann damit für den Frieden arbeiten, das ist meine Vision.“

Seit vielen Jahren engagiert sie sich für Versöhnung und kümmert sich mit einer eigenen Stiftung um Kinder aus Kriegsgebieten. Dafür bekommt sie den mit 10.000 Euro dotierten Dresdner Friedenspreis. „Mein Traum ist zu helfen, dass die Welt ein besserer Platz zum Leben ist.“ Sie reist als UN-Botschafterin um die Erde, obwohl ihre Narben manchmal wie Feuer brennen, erzählt ihre
Geschichte Kindern, „die keine Stimme haben“. Ihre Stiftung baut seit 2002 Schulen, Waisenhäuser und medizinische Einrichtungen auf der ganzen Welt. Das jüngste Projekt: eine Bibliothek für Kinder in dem Dorf, wo sie zum „Napalm-Girl“ wurde.

„Bildung ist so wichtig, jedes Kind muss die Chance haben zu lernen.“ Nach dem verhängnisvollen Tag, an dem sie der Fotograf noch mit Wasser übergossen und in ein Krankenhaus gebracht hatte, schien ihr eigenes Leben zu Ende. „Im Grunde wollte ich sterben, einfach aufgeben, ich hatte keine Hoffnung auf Leben und eine Zukunft, nur Leiden.“

Setzt sich für Frieden ein: 
Kim Phuc Phan Thi. 
Foto: dpa
Zehn Jahre war ihr Herz voller Hass und Verbitterung, bis sie in der Saigoner Bibliothek auf der Suche nach Antworten auf ihr Schicksal den christlichen Glauben entdeckte. „Ich bin sehr dankbar, dass ich noch lebe, dass ich aus dem Erlebten lernen, einen Weg finden konnte, anders mit Verletzungen, Schmerzen und der Quälerei umzugehen“, sagt sie. Und sie beschloss, kein Kriegsopfer mehr zu sein. „Ich bin eine Mutter, Großmutter und Überlebende, die sich für den Frieden einsetzt.“ Ihr eigenes Leben sei bestimmt von Hoffnung, Liebe und Vergebung.

 „Meine Vision ist, zu helfen, damit die Welt ein besserer Platz zum Leben ist.“ Jeder könne für den Frieden arbeiten und zu einer besseren Gesellschaft beitragen. „Durch Menschen, die verbittert sind, eine negative Einstellung zu allem haben, entstehen Gewalt und Hass und das führt zu Krieg.“ Phuc glaubt daran, dass ihre Geschichte zum Umdenken bewegt.

(dpa) taz | NEUE WESTFÄLISCHE, Dienstag 12.02.2019, S. 1 u. 3

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Nick Út mit einem Journalisten vor dem LBJ Library & Museum, April 2016





Nick Út  
eigentlich Huynh Cong Út (* 29. März 1951 in Long An) ist ein vietnamesisch-amerikanischer Fotograf. Er machte 1972 als Kriegsreporter in Vietnam ein Foto (The Terror of War), das vor einem irrtümlichen südvietnamesischen Napalmangriff fliehende vietnamesische Kinder zeigt. Dieses Foto gilt als Medienikone und machte den Fotografen weltbekannt. Nick Út lebt heute in Los Angeles; er ist als Fotoreporter für die Agentur Associated Press tätig.
Weltberühmt: das Bild der neunjährigen Fliehenden Kim Phuc Phan Thi, 1972, Vietnam Foto: Nick Ut/ap/dpa -
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diese photo-ikone ist auch für mich unvergessen, seit ich sie zum ersten mal wahrgenommen habe. das war damals noch im ersten "zarten" widerstand zum vietnam-krieg, den wir auf allen möglichen 68-er-demos lauthals dann auch zum ausdruck brachten. und dieses photo spornte uns in der "friedensbewegung" mit an, weil es so authentisch den wahnsinn des krieges zeigt ...

aber - bei mir wenigstens - löste es noch etwas anderes tiefgreifenderes in meinem koordinatensystem zur einteilung der welt in gut und böse aus ... 

zuvor waren die usa etwas, was mich anspornte: so wie in den usa, so wollten wir auch werden: die kultur, die musik, die wolkenkratzer, die autos usw.: in meinen kinder- und jugendjahren wuchsen die usa zu einem regelrechten "hype" - dort war für mich der mittelpunkt der welt: und wenn heute donald trump rufen muss: "america first!" - so teilte man damals ganz allgemein diese ansicht - auch um sich von "dem großen bruder" ganz fest an die hand genommen zu fühlen - gegenüber dem "bösen" osten, den "bösen" russen, den "armen brüdern und schwestern in der ostzone" ...

über zehn jahre stand damals schon die mauer in berlin - und da hatte john f. kennedy das bekenntnis abgegeben: "ick bin ein börlinör!" und schon bei seiner ermordung 1963 bekam dieses glanzbild amerika seine erste falte aufgestempelt - und erst recht mit der ermordung martin luther kings - und mit dem vietnam-krieg in der allgemeinen protesthaltung in den "68-ern" kamen noch mehr falten hinzu und zerknüllten das glänzende bild der usa in meinem kopf zur unkenntlichkeit ...

jimmy, das gummipferd
aus dem "sternchen" ...
aber der eigentliche innere bruch - die ablehnung und das zusammenfallen dieses ganzen popanz "usa", der ja nach dem krieg mit den besten mitteln der propaganda und der public-relations aufgebaut worden war und von den regierungen in westdeutschland - in der brd - massiv mit
freundschaftsbekundungen unterstützt wurde: "... fest in treue eingebettet im westlichen bündnis ...", und man sprach von der "schutzmacht usa" usw. - dieser innere bruch fiel just mit dieser bildikone vom "napalm-girl" in sich zusammen: als wenn man "jimmy, dem gummipferd" aus dem "sternchen" damals den luftstöpsel hinten am stummelschwanz herausgezogen hätte: pfffft ...  (erinnerst du dich: kinder haben "sternchen" gern - "sternchen" ist das kind vom "stern" - die extra-kinderbeilage im "stern" ...)

die usa - amerika - bekamen im nu ein ganz neues image in mir - es stand plötzlich eher für "schurkenstaat", der mit chemischenkampfmitteln und mit dschungel-entlaubungsmitteln in vietnam unzählig viele unschuldige embryos noch im mutterleib schädigte und krebsauslösend war: eine menge von kleineren und größeren abscheulichsten kriegverbrechen offenbarten sich - von diesem großen bruderstaat und "beschützer", dem garant für freiheit und demokratie in christlichem bekenntnis ...

okay - das war auch sicherlich eine entlastung des eigenen von den groß-eltern und eltern mitbeeinflussten schlechten gewissens im hinblick auf die "shoah" und die hundertausendfachen "euthanasie"-morde und den weiteren nazi-verbrechen mit dem deutschen tätervolk ..., dem wir eben bis heute uns zugehörig fühlen - und mit dem wissen: "die haben doch auch da in vietnam ..." - gelang uns durchschnitt-deutschen wahrscheinlich wieder ein besseres durchatmen ...

und doch: ich darf nicht unrecht gegen unrecht aufrechnen - schon gar nicht als "christen"mensch im "christlichen abendland": völkermord auf der einen seite ist zu ächten - ebenso wie völkermord auf der anderen seite - wie völkermord überall ... und mit den werten des christentums ist das nicht zu vereinbaren - nirgendwo - auf keiner seite - nie und nimmer!!!

international wird deutschland ja gelobt für seine nationale erinnerungs- und gedenkkultur - und z.b. dem kniefall willy brandts und dem händedruck vor den gräberfeldern in frankreich: aber hat man schon irgendwo ähnliche gesten der "entschuldigung" und der minutiösen aufarbeitung der amerikanischen kriegsgräuel wahrgenommen - z.b. eben in vietnam - aber auch anderswo ???

bei mir wenigstens - in meinem inneren koordinatensystem - ist "america" schon seit diesem "napalm-girl"-bild nicht mehr "first" - und ich war auch "noch niemals in new york" - und will da auch nicht mehr hin - aber ich lese mit großem interesse die beste zeitung der welt: die "new york times" in der deutschen google-übersetzung ...



zum tod von tomi ungerer: es muss geheimnisse geben ...


tomi ungerer - S!|graphic

ZUM TOD VON TOMI UNGERER :

Der Mann mit Herz, der Mann mit Schmerz



VON ANDREAS PLATTHAUS | F.A.Z.


Mehr als fünfzig Jahre lang hat er die schönsten Kinderbücher gezeichnet, die sich denken lassen. Seine Plakate gegen Vietnamkrieg und Rassenhass zählen zum Drastischsten und Besten der modernen Graphik. Zum Tod von Tomi Ungerer.

Das letzte Mal traf ich ihn in Frankfurt, zwei oder drei Jahre wird es her sein. Tomi Ungerer saß im Foyer seines Hotels, und wir redeten über das, was die letzten Monate ihm gebracht hatten. Nach den schweren Krankheiten, die er in seinem achten Lebensjahrzehnt überlebt hatte, war jeder Monat ein gewonnener, und Ungerer nutzte seine Zeit in einem Maße, wie es einem Mann seines Alters nur möglich war: für die in Irland lebende Familie, aber auch für seine Heimatstadt Straßburg, wo es seit 2007 das Tomi-Ungerer-Museum gibt, für den benachbarten Schwarzwald, eine große Liebe seiner letzten Jahre, für Reisen nach Paris und endlich auch wieder nach New York, aus dem er in den siebziger Jahren vor der Bigotterie der Amerikaner geflohen war, für zahllose Ausstellungen, natürlich weiterhin für seine Kunst, die keinen Stillstand duldete – große Collagebilder waren seine letzte Entdeckung –, und für Gespräche. Deshalb war auch jede Begegnung mit ihm von einer seltenen Intensität.


Wer sich die gewagten Sozialkommentare der sechziger bis achtziger Jahre ansieht, von dem bis heute maßstabsetzenden und gerade bei seinem Stammverlag Diogenes wiederaufgelegten Cartoonband „The Party“ zur Dekadenz in der amerikanischen Gesellschaft bis zu der illustrierten Herbertstraßen-Reportage „Schutzengel der Hölle“ über Prostitution in Hamburg, der konnte in diesem Zeichner, der die eigenen Abgründe ebenso furchtlos ausleuchtete wie die anderer, nur einen selbstbewussten Mann vermuten. Aber Ungerers Selbst-Bewusstsein war das Wissen um eine eigene tiefe Verletzbarkeit, die ihre Wurzel in den traumatischen Kindheitserlebnissen hatte.

Der Vater war 1935 gestorben, als Tomi noch keine vier Jahre alt war, und in der Zeit der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg wurde der Familie ihre französische Sprache verboten – sowie nach Kriegsende dann durch die Franzosen nicht nur die deutsche, sondern auch die eigentliche Sprache der Heimat, das Elsässische. Ungerer hat darüber später immer nur in größter Bitternis gesprochen; er nannte die jeweiligen Sprachverbote „Kulturverbrechen“, und sein lebenslanges Bemühen um die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland rührte aus dieser Erfahrung.

Typische Ambivalenz: „Warum bin ich nicht du?“ – Abbildung aus dem gleichnamigen Band, in dem Tomi Ungerer „Antworten auf philosophische Fragen von Kindern“ gab. : Bild: Diogenes Verlag, Zürich 2016


Aber Erfolg fand er erst in einem ganz anderen Land, den Vereinigten Staaten, wohin er 1956 als Vierundzwanzigjähriger auswanderte. Vor allem mit Werbeillustrationen und Kinderbüchern reüssiert er dort, während seine Bemühungen, im wichtigsten aller Foren für Cartoons, der Zeitschrift „The New Yorker“, publiziert zu werden, scheiterten. Mit „The Party“ von 1966 verscherzte er sich dann die Sympathien in seinem Gastland, und die erotische Phantasie-Suite „Fornicon“ sorgte 1969 dafür, dass er als Kinderbuchautor und -zeichner in Amerika unmöglich wurde. Für fünf Jahre siedelte er mit seiner Familie ins kanadische Nova Scotia um, ehe er 1976 in Irland seine neue Heimat fand – wie auch ein europäisches Publikum, vor allem seit dem „Großen Liederbuch“ von 1975, in dem Ungerer die romantische Illustrationstradition aufgenommen und in sein chamäleonisches Stilrepertoire überführt hatte.

 „Die Hölle 
ist das Paradies 
des Teufels“

Trotz dieses unglaublichen Ausdrucksreichtums erkennt man ein Buch, eine Zeichnung von Tomi Ungerer sofort: am Geistreichtum. Mit den „Drei Räubern“, „Emil“, den Abenteuern der Schweinefamilie Mellops, „Papa Schnapp“, „Kein Kuss für Mutter“, „Flix“ oder noch 2012 „Der Nebelmann“ hat er mehr als fünfzig Jahre lang die schönsten Kinderbücher gezeichnet, die sich denken lassen. Sein politisches Engagement brachte Plakate gegen den Vietnamkrieg oder den Rassenhass hervor, die zum Drastischsten und Besten der modernen Graphik zählen. Und die 1983 veröffentlichten Memoiren „Heute hier, morgen fort“ sowie die Aphorismensammlungen der letzten Lebensjahre sind auf ihren Feldern große literarische Leistungen. Im Titel eines der Aphorismenbände, „Die Hölle ist das Paradies des Teufels“, steckt die ganze ambivalente, aber stets anderen zugewandte Lebensphilosophie von Tomi Ungerer, der in der Nacht auf diesen Samstag im Alter von 87 Jahren gestorben ist, im Haus seiner Tochter im irischen Cork.

aus der F.A.Z.


ich weiß gar nicht recht, was mich gehindert hat, mich zu seinen lebzeiten näher mit tomi ungerer zu beschäftigen. immer wenn ich mal eine arbeit von ihm zu gesicht bekam, war ich hellauf begeistert, aber ich bin dem eigentlich nie weiter nachgegangen - und unsere "begegnungen" waren meist rein zufälliger natur. 

aber so ist das ja mit der prominenz oft, erst wenn sie gestorben ist, weiß man sie so richtig zu schätzen.

so lange tomi ungerer zeichnete und malte und unter uns war - und ab und zu mal bei arte oder 3sat auftauchte - habe ich mir jeweils vorgenommen, mich eines tages mal näher mit ihm auseinanderzusetzen: immerhin nannte man ihn ja den "picasso der karikatur" ... - obwohl es die bezeichnung "karikatur" ja meines erachtens auch nicht richtig abbildet: es sind eher comics und cartoons, die es in sich haben und oft philosophischer natur sind - und viele seiner werke sind ja nach aufgeschnappten oder von ihm ersonnen aphorismen entstanden.

ich muss bei guten "unpolitischen"  - jedoch frechen, bösen, ironischen und erotischen cartoons mit viel nachhaltigkeit immer nachschauen, sind die nun von art spiegelman aus new york oder von tomi ungerer - von aussage und anlage ähneln sie sich für mich. 

tomi ungerer ist im elsass geboren worden - in strasbourg.  das elsass gehörte in den letzten jahrhunderten im wechsel mal zu frankreich, mal zu deutschland, so dass ungerer reklamierte: 
  • "das wort vaterland ist mir total unheimlich. (...) für ein vaterland muss man schon ein patriot sein. aber ich kann nicht patriot sein für die franzosen und die deutschen".
und diese haltung kann ich gut nachvollziehen: meine vorfahren kamen ebenfalls aus dem elsass oder aus lothringen, und sie gingen dann im 17./18. jahrhundert nach ungarn - und mein opa galt lange als "staatenlos" und mein vater wurde erst in den 30er jahren eingebürgert "nach preußen" - ja welcher nation "sohn" bin ich nun mit diesem migrationshintergrund ???

also ungerer und auch ich - wir fühlen weniger nationalistisch sondern wir sind wohl eher echte europäer - echte "vaterlandslose gesellen" - und ungerer engagierte sich immer in diesem sinne bei veranstaltungen, aufrufen und demos - für hergelaufene und für die richtige seite ...

und er konnte lachen - über sich und über andere - und oft war es ein tiefgründiger humor ...

irgendwo stand jetzt ein bonmot von ihm: " bei meiner beerdigung will ich dabei sein - nämlich mit stirnrunzeln im sarg" ... - 

und in einem interview mit der "zeit" vor 12 jahren führte ungerer zum tod folgendes aus: 
ZEIT: Als Sie jünger waren, haben Sie den Tod einmal als Quelle einer großen Kraft bezeichnet. Sehen Sie das im Alter noch genauso? 
Ungerer: Unbedingt. Für mich ist der Tod eine Inspiration. Ich war in meinem Leben schon dreimal tot, es war wunderbar. Dieses Licht, dieser Friede, diese Serenität – das haben wir hier auf Erden nicht. Ich habe fast eine Sehnsucht nach dem Tod. 
ZEIT: Der Tod sei immer gotisch, heißt es in einem Ihrer Bücher: »Er ist bestimmt nicht art déco.«  
Ungerer: Immer diese Sprüche, das ist bei mir fast eine Krankheit. Aber mit dem Tod habe ich wirklich keine Probleme, und mir ist egal, was danach geschieht. Weshalb sollten wir daran einen Gedanken verschwenden? Es gibt Dinge, die einfach nicht zu erklären sind. Eine Raupe verschwindet in einem mit Mayonnaise gefüllten Kokon und kommt als Schmetterling wieder heraus: Wieso soll ich das erklären? Das will ich gar nicht, sonst gäbe es bald keine Poesie mehr. Es muss Geheimnisse geben.

warum in die ferne schweifen? sieh, das gute liegt so nah




Kunst aus den Elbewerkstätten - ARD|Nordtour

Die Galerie der Villa in Hamburg-Eimsbüttel zeigt die Arbeiten von Menschen mit Behinderung aus den Elbewerkstätten: Skulpturen, Kunstbriefe, Zeichnungen.
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bei youtube fand ich einen neuen beitrag zur "outsider-art-fair" diesmal schon von 2019 - die "oaf" ist eine große kunstmesse in new york und dann auch in paris, wo in vielen galerie-kojen die hervorragenden arbeiten von nicht akademisch ausgebildeten künstlern angeboten und gezeigt werden.


🔳die outsider art fair wurde 1993 gegründet und ist die ursprünglichste kunstmesse, die sich speziell auf autodidaktische kunst konzentriert.

🔳ihr außenseitergeist wurde bald anerkannt und spielt eine entscheidende rolle bei der entwicklung einer leidenschaftlichen sammlergemeinschaft und einer breiten anerkennung für außenseiterkunst in der zeitgenössischen kunstszene.

🔳aufgrund steigender besucherzahlen jahr für jahr wurde die messe im oktober 2013 zum ersten mal auch nach paris vergeben - und half dabei, die lange tradition dieser stadt auf dem gebiet der "art brut" - übersetzt: die rohe, überschäumende unverbildete kunst - wieder aufleben zu lassen - prominenter name dazu: jean dubuffet.

🔳in dieses genre gehören auch die arbeiten sicherlich der "elbewerkstätten" oben im video - allerdings fristen hier in deutschland diese arbeiten immer noch ein nischendasein - und gehen oft "für'n appel & ei" über den tresen - und werden oft aufgrund manchmal der einschränkungen, behinderungen und störungen von einigen der künstler oft aus "mitleid" und als anerkennende "spende" verkauft ...

🔳es werden also oft nicht die werke in ihrer eigen-'art' und oft peniblen ausführung als solche bewertet und bewundert, sondern der habitus der künstlerin/des künstlers, die/der die werke geschaffen hat und dahintersteht ...

🔳auch besteht hier auch noch immer eine gewisse "scheu" der top-galerien, solche speziellen werke mit ins repertoire aufzunehmen und auf aktionen mit anzubieten.

🔳da ist man auf messen wie der "outsider-art-fair" schon viele schritte insgesamt weiter - aber was (noch) nicht ist - kann ja bekanntlich noch werden...

nix für ungut - und viel vergnügen bei den kunstbetrachtungen - und chuat choan ...

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abgesoffen

S!NEDi|cartoonmontage

... da tauchte ich glucksend - nach luft schnappend - aus den traumfluten auf - ich spürte das an der gänsehaut am ganzen körper: mal wieder einer dieser schrecklichsten alpträume: ich wischte mir das salzwasser aus den augen, die etwas brannten und blinzelte ins helle:

ich schwamm da im wasser - und vor mir direkt erkannte ich die freiheitsstatue - oder besser gesagt, die letzte obere spitze der freiheitsstatue, die nur noch knapp aus den fluten ragte -  ich musste also irgendwo vor "liberty island" im new yorker hafen im wasser schwimmend unterwegs sein ...

"amerika ist abgesoffen", durchfuhr es mich - "gluck gluck, weg ist es gleich ..." - wie konnte denn so etwas geschehen ... ???

und doch: von oben kam erst ein donner, der sich herniedersenkte, eine art böllerschuss mit echo und hall - und dann schnarrte eine stimme aus den hohen höhen der himmel: 

"jesus sirach spricht im 3. kapitel, vers 26/27: 'wer sich in gefahr begibt, kommt darin um'" ... - und wer den mund zu voll nimmt, verschluckt sich dran, vollendete ich für mich diese botschaft, die uns alle hier hinnieden wie der blitz traf ... 

und drehte mich schwimmend auf den rücken, um in den himmel zu blicken, ob man irgendeinen ursprung des getöses entdecken könne: aber da schien die sonne wie eh und je - vielleicht eine spur fahler als sonst - es war windstill jetzt - schwül-heiß wohl wegen der erderwärmung - und die wasser plätscherten leise ...

dorothea buck, fast 102, kämpferin


Lebt heute in Hamburg: Dorothea Buck (fast 102), Überlebende der Nazi-Euthanasie -
S!|graphic nach einem Foto von Andrea Döring | NW



Kämpferin mit fast 102 Jahren

Porträt: Dorothea Buck wurde in Bethel zwangssterilisiert. Die Bundesverdienstkreuzträgerin stärkt
Patienten und entwickelt neue Psychiatriekonzepte

Von Andrea Döring

Bielefeld/Hamburg. Dorothea Buck, fast 102, Überlebende der Nazi-Psychiatrie, freut sich. Hellwach verfolgt sie das Tagesgeschehen. Die Tageszeitung liegt aufgeschlagen auf der Decke ihres Bettes in einem Hamburger Pflegeheim, das sie nur noch selten verlassen kann. Sie kann aber immer noch mitreden.

Beispielsweise über die Erste-Hilfe-Kurse für die Seele, die das Mannheimer Zentralinstitut für seelische Gesundheit (ZI) in Zukunft anbieten will. Wie die Erste-Hilfe-Kurse für den Körper, die fast jeder mindestens einmal im Leben absolviert, soll das Angebot bewirken, dass Menschen ihren Angehörigen, Freunden oder Kollegen mit seelischen Problemen nicht mehr hilflos gegenüberstehen.

Die neue Idee findet Buck gut. „Wichtig ist es aber, in diesen Kursen auf die Psychose-Seminare hinzuweisen“, meint sie. In Psychose-Seminaren können drei Gruppen von Menschen in sogenannten trialogischen Gesprächen auf Augenhöhe voneinander lernen, die Erkrankten, Angehörigen von Kranken sowie Fachkräfte aus der Psychiatrie oder aus anderen sozialen Berufen.

Zusammen mit dem Hamburger Psychologie-Professor Thomas Bock hat Buck den Trialog und die Psychose-Seminare erfunden, die mittlerweile in ganz Deutschland verbreitet sind.

Die aktuellen Behandlungskonzepte sind weit von dem entfernt, was Buck in verschiedenen geschlossenen Anstalten zur Zeit des Nationalsozialismus erlebte. Mit Dauerbädern, nassen Packungen, Fesselungen und Insulinspritzen versuchte man damals die Symptome zu kurieren, die man als rein körperlich verstand, berichtet Buck. Bei der großen Wäsche überfiel sie eine Eingebung: „Ein ungeheuerlicher Krieg wird kommen, ich bin die Braut Christi und ich werde einmal etwas zu sagen haben, die Worte kommen ganzvon selbst“, schildert sie das Geschehen, das sie in die Psychiatrie bringt.

Mit der Diagnose Schizophrenie, die als unheilbar galt, kam sie 1936 in die von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel in Bielefeld.
„Niemand sagte uns, wozu wir hier waren, und warum man uns gefangen hielt. Wir waren zur Untätigkeit gezwungen und ins Bett verbannt, obwohl wir körperlich gesund waren. Das löste die wildesten Ängste und Fantasien in mir aus“, schildert sie die Zeit in Bethel.



„Menschen, mit denen man nicht spricht, lernt man auch nicht kennen, nimmt man nicht als Menschen wahr. Die kann man töten“, analysiert sie scharfsinnig die Psychiatrie der Nazi-Zeit. Der Euthanasie entkommt sie, nicht jedoch der Zwangssterilisation. Nach dem Krieg arbeitet sie als Bildhauerin und Lehrerin für Kunst und Werken. Doch die Erfahrungen in der Psychiatrie, die auch später nur langsam überwunden werden, lässt sie nicht los, erzählt Bock in ihrem Arbeitszimmer voller Bücher.

An der Wand hängt ein Bild von einer Pusteblume. Auf ihrem Nachttisch steht ein Wasserglas mit zwei Löwenzahn-Blüten. Sie sind Buck wichtig. „Ist es nicht unglaublich? Hier im Glas entwickelt sich eine Pusteblume“, staunt sie über die Kraft der kleinen Pflanze, sich auszusäen. Ein gutes Bild auch dafür, wie Bucks Wirken die Psychiatrie verändert hat: „Das Wichtigste ist, dass man freundlich
miteinander redet, gerade mit den Menschen am Rande der Gesellschaft, den Psychose-Erfahrenen“, sagt Buck. „Man muss sie verstehen wollen. Sie haben etwas erfahren, was andere Menschen sich nicht einmal ausmalen können.“

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Bethels dunkle Geschichte
  • Die damals 19-jährige Dorothea Buck kam 1936 in eine geschlossene Abteilung Bethels. Sie wurde dort zwangssterilisiert.
  • So erging es auch mehr als 1.000 andere Patienten zwischen 1934 und 1945, die alle Opfer des Euthanasieprogramms der Nazizeit wurden.
  • Heute lebt Buck in Hamburg. Sie ist Ehrenvorsitzende des Bundesverbandes Psychiatrieerfahrener, einer deutschen Selbsthilfeorganisation.
  • 1997 erhielt sie für ihr Engagement für psychiatrieerfahrene Menschen das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

aus: NEUE WESTFÄLISCHE, Freitag 8.02.2019, Zwischen Weser und Rhein, S.5

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„Was nicht erinnert wird, kann jederzeit wieder geschehen, wenn die äußeren Lebensumstände sich entscheidend verschlechtern.“

am 27. januar 2017 wurde im bundestag an die opfer von „euthanasie“ und zwangssterilisation im ns-staat erinnert. in ihrer rede dazu sprach die autorin und "euthanasie"-forscherin sigrid falkenstein von dorothea buck und wiederholte das o.a. zitat.

dorothea buck ist mir in meiner erinnerungs-forschungsarbeit zum opferporträt meiner tante erna kronshage immer weiter anstoß und anschub, hat sie doch, sogar 5 jahre älter als erna, zwar nicht gleichzeitig aber nacheinander die gleichen schicksalsstationen durchlaufen, aber eben wie durch ein wunder die "euthanasie"-phasen überlebt mit selbstdisziplin, kreativität und power - und "glück" ...

dorothea bucks psychotische störungen äußerten sich in verschieden intensiven "schüben" - wo sie zwischendurch auch dank der obacht und aufsicht der sich kümmernden eltern (dorothea buck war das 4. von 5 kindern einer pfarrersfamilie) immer wieder entlassen werden konnte, eben weil sich ihr zustand jeweils wieder vollständig aufgeklart hatte.

aber so lernte sie 1946 bei einer erneuten psychose sogar die in ganz europa bekannte vielgerühmte von direktor dr. hermann simon entwickelte "arbeitstherapie" in der heilanstalt gütersloh kennen, in der ja auch erna von herbst 1942 bis herbst 1943 mit gartenarbeit und kartoffelschälen "betreut" wurde, und ehe sie von dort dann in den deportationszug ende 1943 - in den tod 100 tage später - aussortiert wurde...

frau buck fühlte sich in der arbeitstherapie wohler, weil der tag verging durch leichte aufgabenstellungen im haus oder in feld und flur. die in bethel hauptsächlich verordnete bettruhe und die behandlung als "kranke" behagte ihr überhaupt nicht - ihr kreativer geist suchte betätigung und anregung.

dorothea buck kam dank ihrer schubweisen psychotischen zustände an diesen auswahlverfahren zur deportation in den unweigerlichen gewaltsamen tod in einer der speziell ausgestatteten tötungsanstalten vorbei - doch nach ihrer vollständigen genesung engagiert sie sich nach dem krieg lebenslang für all die "euthanasie"-opfer, und beteiligt sich an der aufklärung dieser ca. 300.000-fachen massenmorde als authentische zeitzeugin der heute zweifelhaften behandlungsmethoden in der damaligen ns-psychiatrie.

diese lebensleistung bis heute insgesamt sowie ihre detaillierten einblicke als insiderin in die abläufe und oft abfälligen und unmenschlichen behandlungsmethoden in den psychiatrien jener zeit sind für die erforschung von einzelschicksalen von unschätzbarem wert.

was dorothea buck an von insulin-injektionen ausgelösten epileptischen schockanfällen als "therapie" der schizophrenie durchmachen musste, und was sie dazu erinnert, ist ja zeitgleich vom "therapeutischen nutzen" her übertragbar auf die damals schon etwas "moderneren" von "cardiazol"-injektionen [einem synthetisch hergestelltenen kampfer-medikament] ausgelösten krampfanfalls-serien, die an erna kronshage "zur beruhigung" angewandt wurden.

dorothea buck konnte darauf hinweisen, dass hier zumeist keine wissenschaftlichen erkenntnisse eine solche schockbehandlung anzeigten - man nahm ja "wissenschaftlich" nur an, dass ein "innerer spannungsabbau", als reaktion auf die schocks, sich gut und entlastend auf die akuten "schizophrenie-'zustände'" auswirkten - sondern dass es sich meist dabei ganz simpel um disziplinarische, oft von genervten stationsschwestern dem arzt vorgeschlagene maßnahmen handelte, um so auch den letzten individuell persönlichen selbstbehauptungs- und widerstandskern vollends zu brechen ...

während der epileptischen krämpfe erlebten die "behandelten", zumeist gegen ihren willen angeschnallt auf ihrer anfallsliege, unvorstellbare todesängste und traumatische erlebnisse und lichtblitze und andere nervliche "sensationen", die so gravierend waren, dass man sich rasch einer solchen "folter" entziehen wollte - oder unbedingt zu meiden suchte ...

ein damaliger sationsarzt brachte das auf den punkt: "wenn sie [die patienten] bockten, mussten wir schocken" ...

all diese erkenntnisse verdanken wir dorothea buck, die das alles ja mit wachem geist durchlebt und durchlitten hat und heute noch zum glück als betroffene mit fast 102 jahren erinnern und reproduzieren - und auch zu protokoll geben kann !!! - so tiefgreifend waren diese lebenseinschnitte ...

ich möchte dafür ganz schlicht "danke" sagen ...