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Z[W]EITZEUGEN

Z[W]EITzeugin - gegen das Vergessen




Katharina Müller-Spirawski ist eine „Zweitzeugin“. Als solche engagiert sie sich dafür, dass die Geschichten von Holocaust-Überlebenden erzählt werden. Das soll rechtem Gedankengut den Boden entziehen.


Sie war 16 Jahre alt, als sie 1943 nach Auschwitz deportiert wurde. Eigentlich hätte sie gar nicht in das Konzentrationslager gemusst. Denn nur die Mutter von Erna de Vries war jüdischen Glaubens. Ihr Vater war katholisch. Als sie aber hörte, dass ihre Mutter deportiert werden sollte, ist die angehende Krankenschwester freiwillig mitgegangen. Sie wollte bei ihr bleiben. Wenige Monate später wurde Erna de Vries nach Ravensbrück verlegt. Kurz darauf wurde ihre Mutter in Auschwitz umgebracht. De Vries hat überlebt, weil ihr Todesmarsch 1945 von alliierten Soldaten befreit wurde.

Wenn Katharina Müller-Spirawski die Geschichte von Erna de Vries erzählt, bewegt sie sich viel, während sie auf dem heimischen Sofa sitzt. Sie hebt die Arme, trinkt aus dem Wasserglas oder greift nach einem Keks. Müller-Spirawski ist eine sogenannte Zweitzeugin. Die 31-Jährige aus Bünde hat de Vries schon 2011 kennengelernt. Da entwickelte sich das Projekt „Heimatsucher“ gerade erst. Die Idee entstand im Jahr zuvor als Studienprojekt. Zwei Bekannte von Müller-Spirawski hatten für ein Foto-Projekt Holocaust-Überlebende in Israel fotografiert. Die Bünderin war von der Idee begeistert und überlegte sich ein didaktisches Konzept. Sie wollte die Biografien und die Geschichten Kindern vermitteln. „Wir haben damals in der Mensa gesessen und herumgesponnen. Keiner von uns hätte gedacht, dass es mal so groß wird“, sagt sie heute.

Seit 2014 sind sie ein Verein. 120 Ehrenamtliche arbeiten in ganz Deutschland mit an dem Projekt und stellen die Biografien von 35 Überlebenden des Holocaust vor. Zweitzeugen nennen sie sich, weil sie die Geschichten von Zeitzeugen erzählen. „Die Überlebenden sind über 90 Jahre alt. Sie können oder wollen nicht mehr alle so viel raus und ihre Geschichten erzählen“, sagt Müller-Spirawski. „Sie erzählen in unseren Gesprächen mehr von denen, die sie verloren haben, als von sich selbst, und haben Angst, dass die Erinnerungen mit ihrem Tod verloren gehen.“ Damit das nicht passiert, erzählen die Zweitzeugen in Workshops, Ausstellungen und an Schulen die Geschichten weiter.

Weil sie insbesondere im Ruhrgebiet oft eingeladen werden, haben die Heimatsucher ihren Hauptsitz inzwischen in Essen. „Nicht nur die Schulen, auch Fußballklubs arbeiten in der Gegend verstärkt gegen Rassismus.“ Manche Kinder hätten Vorstellungen von Hitler als König Deutschlands oder würden Parolen der AfD aufschnappen. Um die Zeit greifbarer zu machen, würden Lehrer dann die Zweitzeugen zu sich in den Unterricht einladen. „Das ist doch voll blöd“, höre sie oft, gerade von jüngeren Kindern, wenn sie denen erzähle, wie Erna de Vries behandelt worden ist. Ein Lehrer hätte sie auch einmal eingeladen, weil zwei Jugendliche aus seiner Klasse ein Video mit rechten Parolen ins Internet gestellt hätten. Während ihres Vortrags hätten die beiden geschwiegen. „Es geht mir darum, die anderen Kinder zu sensibilisieren“, sagt Müller-Spirawski. „Ich weiß, dass ich Überzeugungstäter nicht umdrehen kann.“ Seit es die AfD gebe, würden die Zeitzeugen lauter, sich mehr an die Öffentlichkeit wenden, meint die 31-Jährige. Und damit auch die Zweitzeugen. Für ihr Engagement sind sie in diesem Jahr für den Engagementpreis des Landes NRW nominiert.

Erna de Vries ist heute 97 Jahre alt. Sie hat drei Kinder und mehrere Enkelkinder. Katharina Müller-Spirawski besucht sie ein Mal im Jahr. „Es gibt Kaffee und Kuchen und wir gucken uns auf dem Tablet Fotos von den Enkeln an. Das ist immer, als würde ich meine eigene Oma besuchen“, sagt sie. „Sie hat überlebt. Nach schlimmen 13 Jahren ging ihr Leben schön weiter. Das will ich mit meiner Arbeit zeigen.“

eine tolle aktion und notwendige idee. es wird ja in letzter zeit so oft spekuliert, wie ein würdiges und authentisches gedenken an die gräueltaten der ns-tötungsmaschinerie erhalten bleiben kann, wenn die zeitzeugen allmählich nicht mehr da sind - oder tatsächlich alt und gebrechlich, weil sie oft schon weit in die 90er inzwischen alt sind - und wenn inzwischen wieder (neu)rechte parteien den holocaust leugnen, die gedenkstätte als "mahnmal der schande" oder die gesamte epoche als "vogelschiss" bezeichnen...

und da kommt diese aktion des vereins "heimatsucher" mit sitz in essen gerade recht, um den menschen von heute die notwendigen informationen zum holocaust und den sonstigen schandtaten weiterzugeben: die erlebnisse der zeitzeugen wird von z-w-eitzeugen weitergeführt, die mit den entsprechenden infos aus "erster hand" versorgt und ausgestattet worden sind - und  mit zeitgemäßen übermittlungsmedien dazu - quasi als aktivpaten der immer älter werdenden tatsächlichen zeitzeugen, die "nicht mehr können" oder wollen, oder bereits verstorben sind.

ich habe hier im anschluss zwei adressen dazu verlinkt, mit denen man bei bedarf kontakt aufnehmen kann und aktiv werden kann - oder auch die notwendigen infos, wie man zur "zweitzeugen"-schule werden kann... - click here or here ...

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Zeche Zollverein: Fotoausstellung „Survivors – Faces of Life after the Holocaust“



Zeche Zollverein

Fotoausstellung "Survivors" zeigt Porträts von Holocaust-Überlebenden

Zum 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau hat der Künstler Martin Schoeller 75 Überlebende der Shoa für ein Erinnerungsprojekt fotografiert. Technisch ist er sich treu geblieben.

Von Florian Pfitzner | NEUE WESTFÄLISCHE

Einige Worte in der deutschen Sprache, wie zum Beispiel "Achtung!", ließen ihm nach wie vor "Schauer über den Rücken laufen", sagte einmal der frühere Vorsitzende der Gedenkstätte Yad Vashem, Schewach Weiss, ein Überlebender des Holocaust. Das Deutsche war lange verpönt in Israel. Es sollte gemieden werden, zumindest solange die Zeitzeugen lebten.

Zum 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau hat der Künstler Martin Schoeller nun 75 "Survivors" für ein Erinnerungsprojekt fotografiert. Wie würden sie auf ihn reagieren, den Deutschen? Vor einer gewissen Voreingenommenheit habe er zu Beginn "natürlich Angst gehabt", sagt Schoeller beim Pressegespräch zur Eröffnung der Fotoausstellung "Survivors. Faces of Life after the Holocaust" auf dem Gelände der früheren Steinkohlezeche Zollverein in Essen. Doch nur eine der Porträtierten sei "leicht schockiert gewesen", als sie von seiner Herkunft erfahren hat.


© Kostas Mitsalis / Radio Essen;
"Niemals vergessen!"

Zu den "Gesichtern des Lebens nach dem Holocaust" gehört Eliezer Lev-Zion, ein deutscher Jude, einstig in der französischen Résistance. "Ich war ein jüdisches Kind, das in eine schöne Welt geboren wurde", erzählt er den Autoren des Farbkatalogs. Dann wurden jüdische Gemeinden in Europa zerstört, sechs Millionen Menschen jüdischen Glaubens verfolgt und ermordet. "We must never forget!", sagt Lev-Zion. "Niemals vergessen!"

Schoellers großformatige Nahaufnahmen hängen an den rauen Waschbetonwänden der stillgelegten Kokerei. Eigentlich ist der Künstler weiße Hintergründe gewohnt. Mittlerweile aber findet er, dass es noch nie eine Ausstellung von ihm gegeben habe, "in der sich Fotos und Räumlichkeiten so perfekt ergänzen".

Erinnerungskultur werde "ganz offen angegriffen"

Als einer der gefragtesten Porträtfotografen der Welt lichtete der gebürtige Münchner Schoeller, der
© Kostas Mitsalis / Radio Essen;
seit 1993 in den USA lebt, Politiker wie Barack Obama und Angela Merkel ab, Schauspieler wie Robert De Niro und Popstars wie Taylor Swift. Zu seinen Auftraggebern zählen der "New Yorker", die "Vogue" und "National Geographic". Nie habe ihn ein Projekt so aufgewühlt wie die Kunstaktion "Survivors" in Jerusalem, erzählt der 51-Jährige. Es seien mitunter "sehr traurige Tage" gewesen.


Yad Vashem vermittelte die Zeitzeugen. Zu Beginn waren lediglich zwei oder drei Interviews vorgesehen. Es wurden dann doch "viele, viele mehr als ursprünglich geplant", sagt der Vorsitzende des Freundeskreises von Yad Vashem in Deutschland, Kai Diekmann. Erinnerungskultur werde heute "ganz offen angegriffen", warnt der frühere "Bild"-Chefredakteur – gerade in einer Zeit, da die letzten Zeugen dieses Zivilisationsbruchs einer industriell organisierten Vernichtungsmaschinerie nach und nach sterben.


© Kostas Mitsalis / Radio Essen;
Gebot der Gleichheit

In seiner Vorgehensweise ist Schoeller seinem Stil treu geblieben. Er griff für seine aufwendigen Close-ups zur gewohnten Technik: dem strengen Formalismus, bei dem er die Augenhöhe des Gegenübers misst und die Kameralinse auf exakt die gleiche Höhe fährt. Die Pupillen der Fotografierten reflektieren das Licht der Lampen.

Der Fotograf konzentriert sich ausschließlich auf die Geschichten eines Gesichts. Grübchen, Falten, Mundwinkel – nichts soll davon ablenken. Er verfolge das Gebot der Gleichheit, erklärt er, einen "demokratischen Anspruch". Ob er nun Meryl Streep fotografiere oder einen Obdachlosen in Los Angeles.


"Liebe geben, Liebe empfangen"


Dov Landau schaut so eindringlich wie ernst in die Kamera. 1928 in Polen geboren, wurde er von den Nazis zur Zwangsarbeit nach Auschwitz verschleppt. "It is important to be a Mensch", mahnt er. Schwer genug nach seiner Geschichte.

Er hat es geschafft, genau wie Silvia Aharon, 1936 in Rumänien geboren und als Kind in die Höllenregion Transnistriens getrieben. Man solle in der Lage bleiben, "Liebe zu geben", sagt sie, "und Liebe zu empfangen".

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CLICK HERE ZU EINEM ZDF-MITTAGSMAGAZIN-FEATURE ZUR AUSSTELLUNGs-ERÖFFNUNG

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Information


    Survivors 
    Ausstellung:  Die Fotoausstellung „Survivors – Faces of Life after the Holocaust“ (Überlebende – Gesichter des Lebens nach dem Holocaust) wird am Dienstag (21. Januar 2020) von Bundeskanzlerin Angela Merkel eröffnet. Sie ist bis zum 26. April täglich von 11 bis 17 Uhr geöffnet. 
    Ort: Gezeigt werden die Porträts im Unesco-Welterbe Zeche Zollverein, Areal C (Mischanlage Kokerei), Arendahls Wiese in Essen (Eintritt nach eigenem Ermessen). 
    Buch: Das gleichnamige Fotobuch zur Ausstellung ist im Steidl-Verlag erschienen und kostet 28 Euro.

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    das ist sicherlich eine hervorragende und eindrückliche ausstellung, wo sich in jedem antlitz des überlebens die oft um die 90-jährige individuelle leidens- und lebensgeschichte dennoch widerspiegelt und spuren gezeichnet und gegraben und hinterlassen hat.

    hierzu einen top-fotografen anzuheuern, der jedes dieser porträts mit der gleichen akribie abgelichtet hat, wie wenn es um den präsidenten oder der kanzlerin oder dem filmstar ginge, ist eine angemessene und spannende aktion zum gedenktag "75 jahre befreiung des kz auschwitz", dem gedenktag für alle mordopfer der ns-gewaltherrschaft.

    hervorzuheben ist dabei auch die gute kooperation zwischen der gedenkstätte yad vashem in jerusalem und dem künstler, denn die fotositzungen entstanden immer in gemeinsamer absprache.

    aber schade empfinde ich es, dass es jetzt zu diesem besonderen dreiviertel-jahrhundert-gedenktag so viele hervorragende veranstaltungen gibt - man hier und da und allerorten auf hoher politischer ebene aber auch "draußen im lande" besondere events dazu durchführt - sogar eine gedenkwoche ausruft - und sich auch die medien punktgenau mit themen dazu überschlagen - ja, wo man sich sicherlich auch finanziell geradezu "verausgabt" - doch dann wieder das "gedenken" seinen gewohnten gang der verdrängung nehmen wird: aus den augen - aus dem sinn... - nach dem motto: "und jetzt könnte es aber auch mal gutt sein"... - und herr gauland von der afd hat das ganz ja sowieso als "vogelschiss" schon abgehakt ...

    besser wäre es meines erachtens, wenn man jetzt nicht in so ein rudel-gedenkhype ausbrechen würde, sondern wenn man es an einen zentralen gedenktag am 27. januar beließe, um dann solche ausstellungen und andere sehens- und nachdenkenswerte aktivitäten dezidiert verteilt mit in den alltag auch danach wie selbstverständlich aber sinnvoll integrieren könnte.

    auschwitz ist immer und überall - und die auseinandersetzung mit holocaust und ns-"euthanasie" ist nicht an daten gebunden und hat keine "hochsaison" - sondern sie sollte aufklärend  und angemessen die schulen, ausbildungen, universitäten, die medien und die verlage, das internet und die archive und museen und gedenkstätten immer wieder neu dezidiert durchziehen. 

    und alltäglich auch im übertragenen sinn "stolpersteine" legen, damit man "anstößt", "drüber stolpert" "anstoß" nimmt und "anstoß" bekommt, diese zeit in seiner persönlichen wahrnehmung mit zu inegrieren und auch im persönlichen "kosmos", in der familie, im umfeld und in der region dem thema nachzuspüren und es zu etablieren: nicht als eintagsfliege, sondern als (er-)lebensfaktum.

    eine nachahmenswerte punktuelle gedenk- und erinnerungs-aktion wäre es meines erachtens, auch hier wie in israel am  jom ha|scho’a (yom hashoah) (hebräisch יום הזיכרון לשואה ולגבורה, am „tag des gedenkens an holocaust und heldentum“) im gesamten land um 10 uhr für zwei minuten die sirenen aufheulen zu lassen - als zeichen dafür, den öffentlichen nahverkehr und normalerweise auch alle anderen fahrzeuge anzuhalten und als passant schweigend stehenzubleiben und zu verharren - wie bei den schweigeminuten in einem stadion zu ehren eines verdienten verstorbenen sportlers. 

    und ein ähnliches ritual haben sich ja auch die schüler einfallen lassen bei ihren permanent-schulstreiks für "friday for future" zum klimaschutz. da sollten 2 minuten im jahr für alle holocaust-opfer doch unisono auch möglich sein.


              "neger-häuptling"

              Denis Scheck - nach einer sinedi.@art-Bearbeitung eines ARD-Video-Stills

              Denis Scheck stört Political Correctness

              (dpa). Political Correctness kann nach Ansicht des Kritikers Denis Scheck (55) in der Literatur „barbarisch“ sein. Es störe ihn, wenn Begriffe wie „Neger“ oder „Zigeuner“ aus Kinderbuch-Klassikern von Astrid Lindgren oder Otfried Preußler verbannt werden. „Das läuft auf das Gleiche hinaus, wie wenn man mit einem Farbeimer ins Museum stiefelt und Genitalien übermalt. Das ist barbarisch“, sagte er im Interview der „Augsburger Allgemeinen“.

              Die kritisierten Wörter seien Bezeichnungen, „die nur Tölpel heute noch verwenden, die keinerlei sprachliche Sensitivität besitzen“ – aber eben auch Begriffe, „die in vergangenen Zeiten alltäglich waren“. „Da es sich bei den Werken Lindgrens und Preußlers um Kunstwerke handelt, dürfen wir nicht einfach Wörter schwärzen oder durch weniger anstößige ersetzen.“

              Scheck war schon 2013 in die Kritik geraten, weil er aus Protest gegen die Streichung des Wortes „Neger“ in Kinderbuchklassikern wie „Pippi Langstrumpf“ und „Die kleine Hexe“ mit schwarz geschminktem Gesicht in seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“ aufgetreten war.

              Er halte auch nichts davon, Autoren nach ihrer politischen Einstellung zu bewerten, sagte Scheck nun in dem Zeitungsinterview. Er forderte: „Dass wir aufhören, in Schwarz und Weiß zu denken, dass wir die Graustufen wahrnehmen. Dass wir realisieren, dass man ein glühender Nazi und ein guter Künstler sein kann. Dass man Antisemit sein kann wie der späte Theodor Fontane und gleichzeitig mit dem „Stechlin“ Weltliteratur schreiben kann.“

              In der politischen Debatte müssten demokratische Ideale hochgehalten werden, betonte Scheck. „Nur möchte ich davor warnen, die politische Konsequenz auf den Raum der Ästhetik zu übertragen. Die Arbeit an meinem Kanon hat mich gelehrt, dass die Literaturgeschichte eine Ansammlung von Gaunern, Verbrechern, Psychopathen, Hurenböcken und Schwindlern ist“, sagte er über sein Buch über „die 100 wichtigsten Werke der Weltliteratur“.

              aus: WESTFALEN-BLATT, 20. Januar 2020, S.21 Kultur

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              auch mich stört dieser übertriebene "political-correctness"-wahn. als wenn damit sich das wissen um die welt ändern würde...

              ich will mir hier das bild der "judensau" ersparen, das da an der stadtkirche zu wittenberg prangt - und das in die schlagzeilen geriet: ein rentner klagt nun - wenn es sein muss bis an europäischen gerichtshof - damit dieses "schandbild" von der kirche entfernt werde. (click: SPIEGEL).

              aber genau auch dieses beispiel fällt für mich in die argumentation von denis scheck, der sich wehrt gegen die übertünchung bzw. schwärzung oder neuformulierung der bezeichnungen "neger" oder "zigeuner" usw. in der älteren kinderbuch-literatur, da er zu recht die beanstandeten werke z.b. von astrid lindgren oder von otfried preußler für authentische kunstwerke hält, die so wie sie sind unverfälscht und echt der heutigen zeit und dem heutigen völlig überzogenen "political correctness"-denken überkommen und aufgegeben sind - und damit auch angemessen aufgebürdet: und eine sinnveränderung geht nicht einfach mit bildersturm - mit "aus den augen - aus dem sinn" - mit "instant" statt original - einher...

              bildersturm und kunstvernichtung und umdeutungen: das war die sprache des nationalsozialismus beim abbrennen von jüdischen synagogen, bei bücherverbrennungen, bei der brandmarkung von kunstwerken als "entartete kunst" - und keine gruppe hat im nu so aus ihrer sicht rigorose "political correctness" betrieben wie die nationalsozialisten mit dem propagandaminister goebbels an erster stelle. da wurde sogar der sprachgebrauch auch in lehrbüchern und schulen und universitäten angepasst an die falsche und angeblich wissenschaftlich untermauerte völkerverbindliche "erblehre".

              man darf - ja man muss - überkommene kulturgüter heutzutage kommentieren und mit angemessenen erklärungen versehen. aber ein "neger-häuptling" ist nicht plötzlich ein "südsee-häuptling" geworden.

              und so darf nach meinem dafürhalten auch das relieff der "judensau" aus dem 13. jahrhundert an der stadtkirche zu wittenberg hängenbleiben, denn man hat es inzwischen mit einer messingplatten-inschrift darunter am boden kommentiert und korrigiert, ohne das gesamtkunstwerk kirche, so wie sie gewachsen ist bis heute, "künstlich" zu verballhornen.

              was da abläuft ist zwar im bemühen verständlich, aber in der praxis ein unding: da wird gefordert, dass das nazi-jargon-wort „euthanasie“ in veröffentlichungen eben dazu nicht mehr verwandt werden soll, obwohl ja heute mit diesem stichwort auch schüler schon wissen sollten, was gemeint ist - und auch wissen sollten, dass es sich ursprünglich in diesem zusammenhang um eine "nazi-bezeichnung" handelt.

              und nach der logik der nazis sollte die ermordung von unheilbar kranken und wirtschaftlich nicht brauchbaren menschen ja der öffentlichkeit als "gnadentod" (wortlaut hitler) propagandistisch verkauft werden - als "schöner tod", wie die wörtliche übersetzung lautet - und was erst heutzutage eindeutig als "ein ärztlich begleiteter suizid" auf wunsch eines schwerkranken gilt - und in einigen ländern europas offiziell gestattet ist. übrigens: in den usa kennt man zwar die todesstrafe für gewalttäter - aber bei der verabreichung von ärztlicher sterbehilfe bei schwerkranken tut man sich auch moralisch sehr schwer - und passiert ungleich weniger als eine exekution.

              statt des begriffs (ns-)"'euthanasie'-opfer" wird gefordert, den "zutreffenden" (poltical-correctness)-bandwurm-titel zu formulieren, nämlich: „opfer des systematischen medizinischen massenmordes" ...

              doch wir sind noch lange keine "rechten", wenn wir mit "tüddelchen" gekennzeichnete "un-worte" aus der braunen zeit weiter oder wieder verwenden und erklären, auch um die schmach und diese intellektuelle "no-go-area" zu tilgen, den die nationalsozialistischen jahre in deutschland über worte, begriffe, sprache und sogar druckschriften und damit der gesamtkultur gebracht haben.

              denn auch die fraktur-druckschrift ist kunst und ein überkommenes kulturgut, dass nur kurzzeitig von der nsdap und den zeitungsverlagen unisono verwandt wurde. 1942 wurde die fraktur-schrift sogar auf anweisung hitlers aus allen offiziellen drucksachen wieder verbannt (im von der wehrmacht okkupierten ausland konnte man die aushänge und anschläge am schwarzen brett in frakturschrift gar nicht lesen ...), wobei hitler sie sogar als "judenhaken" bezeichnet haben soll, denn die fraktur geht in ihrer ersten entwicklung auf mesopotamische schriftursprünge zurück.

              und natürlich hat auch der in letzter zeit in verruf geratene emil nolde als glühender nationalsozialist und trotzdem "entarteter künstler" fast durchweg hervorragende werke des deutschen expressionismus geschaffen. die büßen nicht plötzlich an qualität ein, weil inzwischen herausgekommen ist, wie vehement sich nolde an goebbels gewandt und um anerkennung gebettelt hat. nolde lebte von seiner kunst - und hatte sicherlich keine rentenversichtung - und musste auch in den jahren von 1933-1945 möglichst bilder verkaufen, wenn er nicht der "verarmte künstler" werden wollte.

              wir können heutzutage nicht mehr (quasi)"justiziabel" durch verbannung und verbot und ausgrenzung per dekret die dinge wieder richten. wir können aber als chronisten sammeln und aufklären und lehren und vortragen und veröffentlichen - und "richtigstellen" - immer und immer wieder neu ...

              tianxia - und morgen die ganze welt

              MODERNE POLITISCHE PHILOSOPHIE IN CHINA
              WAS DIE NEUE „TIANXIA“ FÜR EUROPA BEDEUTEN KÖNNTE


              Himmel und Erde

              Patentrezept für Frieden oder Feigenblatt des autoritären China? Der einflussreiche Denker  entwickelt eine Theorie, die zu beidem taugt. Jetzt erscheint sie auf Deutsch.

              Von Gregor Dotzauer


              Zhao Tingyang
              Der Philosoph Zhao Tingyang, 1961 in der südchinesischen Provinz Guangdong geboren, dürfte heute der international einflussreichste Intellektuelle der Volksrepublik sein. Mit seiner Tianxia-Theorie einer friedlichen neuen Weltordnung, die ein rund tausend Jahre altes Konzept aus der Zhou-Dynastie wiederbelebt, entwirft Zhao eine Alternative zum liberal geprägten Universalismus des Westens. Sie enthält für Zhao die Einladung an eine übernationale Weltgemeinschaft, wechselseitige Beziehungen zu schaffen, deren geteilter Nutzen den Nutzen der einzelnen Teile übertrifft.

              Zhao ist Professor am Philosophischen Institut der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, die dem Staatsrat der Volksrepublik untersteht. Sie ist die bedeutendste Denkfabrik des Landes mit rund 3200 akademischen Mitgliedern.


              Was getrennt ist, kann auch verbunden werden. Die Jadebandbrücke im Garten des Neuen Sommerpalasts in Peking.
              Foto: Vincent Song/Getty


              Was geht uns das eigentlich an?

              Gegenfrage: Wie könnte es uns nichts angehen, wenn zwei Jahrhunderte nach Immanuel Kants moralphilosophischer Schrift „Zum ewigen Frieden“ (1795), auf deren Grundideen die Charta der Vereinten Nationen beruht, aus Peking ein zeitgenössisches Gegenkonzept kommt? Nach wie vor wissen die Deutschen wenig über die chinesische Denkweise, während Intellektuelle wie Zhao mit allen Wassern westlicher Theorie gewaschen sind. Mit Thomas Hobbes und Carl Schmitt, Jürgen Habermas und Samuel Huntington knüpft er an die kanonischen Texte seiner Kultur an.

              Zhaos Theorie des „Alles unter dem Himmel“, wie man Tianxia (sprich: Tiänchia) gewöhnlich übersetzt, taugt sicher nicht zur philosophischen Bibel des neuen China. Aber Zhao zu lesen hilft zu verstehen, wie anders man Demokratie und Menschenrechte begreifen kann, Selbstgewissheiten infrage zu stellen und Chinas diktatorische Anwandlungen fundiert zu kritisieren.

              Worum geht es?

              Zhao geht von dem Gedanken aus, dass Nationalstaaten im Zeitalter globaler Probleme ausgedient haben (siehe Auszug - im Anschluss). Er will deshalb das Konzept des Tianxia wiederbeleben: Die Welt wird zur (politischen) Einheit. Darin sieht Zhao ein Mittel gegen den „Imperialismus“ und ein hohes Maß an kultureller Toleranz. Den von der westlichen Philosophie entwickelten Vorrang des Individuums vor der Gemeinschaft lehnt er letztlich ab. Aus seiner Sicht geht die Gemeinschaft dem Einzelnen voraus.

              Handelt es sich bei Zhao Tingyangs
              Tianxia-Konzept nicht um reine Ideologie?

              So einfach darf man es sich nicht machen. Zhao selbst ist ein ernsthafter Denker, dem man keine eilfertige Dienstbarkeit unterstellen sollte. Zugleich hätte er ohne den Segen des Regimes nie seine heutige Prominenz erlangt, wobei er seine Theorie zuerst schon 2005, während der Amtszeit von Hu Jintao vorstellte. Damals gab es noch Hoffnung auf einen zivilgesellschaftlichen Aufbruch. Zwei Dinge sind also auseinanderzuhalten, die man auf einer anderen Ebene nicht trennen kann. Das eine sind die internen Fragwürdigkeiten einer Theorie, die sich nicht durchgängig in westlichen Begriffen rekonstruieren lässt. Darüber lässt Zhao mit sich reden.

              Das andere ist die Frage, wie sich die schöne Vision einer weltumspannenden Kooperation zur autoritären Praxis des Chinesischen Traums verhält, den Xi seinem Volk verordnet hat. Da weicht Zhao gerne mit dem Hinweis aus, dass es sich beim Tianxia um eine Utopie handelt, die man nicht am heutigen China messen dürfe. Oder er erklärt, er sei mit aktueller Politik nicht ausreichend vertraut. Zhaos Idee, nationalstaatliche Grenzen zu überwinden, steht in krassem Gegensatz zu Xis Nationalismus. Hierin steckt sowohl enormes kritisches Potenzial als auch ein mögliches Feigenblatt der Regierung - oder die Begleitmusik zur Belt and Road Initiative, dem weltumspannenden Handelsnetz der Neuen Seidenstraße.

              Wo ist der Haken?

              Rückt die Welt zusammen, so Zhaos Theorie, erledigt sich das Schema von Freund und Feind, Geben und Nehmen, Gewinnen und Verlieren, das heute internationale Konflikte antreibt. Allerdings ist eine globale Win-Win-Welt spieltheoretisch unwahrscheinlich. Auch stehen der Befriedigung aller Interessen fundamentale kulturelle Differenzen im Weg. Die griechische Polis als Ursprung europäischer Politik und das seit jeher aufs Weltpolitische angelegte Konzept des Tianxia mag man noch zusammendenken können. Bei den politischen Theologien, die Zhao, wie auch immer heruntersäkularisiert (im Westen) oder nichttranszendent (im Osten), gegeneinander in Anschlag bringt, wird es deutlich komplizierter.


              Tianxia - zei Zeichen, die von jeher "die ganze Welt" bedeuten
              Abb. R/D
              Monotheistisch aufgeladene Begriffe wie das Individuum kollidieren hier mit metaphysischen, wenngleich nicht als religiös zu verstehenden chinesischen Größen wie dem Himmel, mit einer bestimmten Vorstellung von Natur wie auch von Familie. Zhao Tingyang verweist etwa darauf, dass im antiken China das „Dao der Natur“ den Stellenwert einer göttlichen Instanz besaß: Einssein mit der Natur hieß, so schreibt Zhao, in Übereinstimmung mit dem Himmel zu sein. Die Ordnung von Himmel und Erde wurde außerdem im ,Haus', das heißt in der Familie, gespiegelt. Die Ordnung von Tianxia, Staat und Familie bildete einen Kreislauf von Abbildern, der politisch-theologische Bedeutung gewann. Will der Einzelne seine Situation verbessern, kann er das nicht aus sich heraus, sondern indem er die Gemeinschaft, das Himmelsabbild, verbessert beziehungsweise dessen Ordnung wiederherstellt.

              Steckt darin nicht ein logisches Problem?

              Es ist ein Zirkelschluss, und zwar einer, der Chinas hierarchischem Denken von Alters her zugrunde liegt. Zhao formuliert nicht ohne Grund seine Skepsis gegenüber einem Gleichheitsbegriff, wie ihn der liberale Gerechtigkeitstheoretiker John Rawls entfaltet hat. Mit dem Daoisten Laozi plädiert er lieber für den Grundsatz eines sogenannten ontologischen Gleichgewichts. Er versteht darunter nicht „Fürsorge für die Schwachen“ im europäischen Sinn, sondern „Aufrechterhaltung der Lebensfähigkeit aller Menschen und des wechselseitigen Nutzens“. Dieses Prinzip lässt sich auch repressiv auslegen - im Sinne jener in China fortwährend gepredigten gesellschaftlichen Harmonie, die jedem einen Platz im Gefüge zuweist, den er gefälligst nicht zu verlassen hat.

              Welche praktischen Konsequenzen hätte das für eine künftige Weltgemeinschaft?

              Über westliche Selbstverständlichkeiten wie die Idee der Menschenrechte müsste völlig neu verhandelt werden. „Theoretisch“, so Zhao, „gehören Menschenrechte in der Tat zu den universellen Prinzipien, die das Nationalstaatensystem außer Kraft setzen. Aber sie werden dazu benutzt, die spezifischen Interessen der USA zu schützen. Dazu gehört die hegemoniale Kunstfertigkeit, 'etwas Allgemeines in etwas Besonderes umzuwandeln', d.h. die USA besitzen die privilegierte Deutungsmacht in Bezug auf universelle Werte.“ Das lässt sich nicht ganz von der Hand weisen, funktioniert aber auch als Einwand gegen das Tianxia-System. An anderer Stelle hat sich Zhao, der kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es darum geht, den „Imperialismus“ der USA zu geißeln, denn auch gegen natürliche Menschenrechte ausgesprochen. Sie sollten nur im Rahmen eines Kreditmodus zur Verfügung stehen.

              Zhao hegt auch Vorbehalte gegen die westliche Demokratie. Er sieht sie zur „Publikratie“ verkommen. Diese lässt zwar dem Volk seine Wählerstimme, bringt aber nur wechselnde Meinungsmehrheiten von hoher Manipulationsanfälligkeit hervor. Um der „Volksseele“ gerecht zu werden, schwebt ihm die zusätzliche Herrschaft von Experten vor, die aufgrund ihres Spezialwissens die richtigen Empfehlungen geben. Seltsamerweise verbindet sich diese Kritik an der Publikratie mit einer Philippika gegen hochtechnologische Steuerungssysteme, die Meinungen global kontrollieren. „Der moderne Mensch“, schreibt er, „stürzte durch die Entwicklung des Marktes und der Demokratie die Diktaturen, doch produzieren die voll entfalteten Märkte und Demokratien eine Diktatur neuen Stils.“ Es wäre absurd, diesen Satz nicht auch auf das Land mit dem größten Intranet der Welt anzuwenden.


              aus: DER TAGESSPIEGEL - 19.01.2020 - S. 6 Meinung

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              tja - nach einem ersten überblick erinnert mich das, was ich da von zhao tingyang und seiner theorie des "tianxia" lese, sympathisch. 

              ich war vielleicht 13 oder 14 jahre alt, als mich mein damaliger lehrer in der schule in einen "spin" verwickelte: "stell dir mal eine gute friedliche welt vor - wie würde die aussehen?" und dann habe ich losfantasiert - und was ich erinnere von damals - aber auch mein lebenlang schon mit mir rumschleppe - erinnert mich stark an das, was ich da zu "tianxia" lese.

              mir ging es auch schon um die eine welt unter einem himmel, ohne nationale grenzen, nur in regionen sortiert, wo alle menschen egal welcher haut- oder haarfarbe oder sexueller orientierung oder körpergröße überall miteinander zusammen leben können. 

              und mir geht es auch damals wie heute um eine universelle religion, die sehr viel hat von einem bezugspunkt der "abrahamitischen religionen" - also judentum, islam und christen = gemeinsam - mit den "achtsamkeits"- und innerlichkeits-prämissen aus hinduismus und buddhismus... - und dem allmählichen ausblenden eines "persönlichen gottes", hin zu einem universelleren gottesbegriff, was ich hier auch wahrnehme in den zeilen von "tianxia"...

              weil ich glaube, dass letztlich die 

              • nationalen grenzen, 
              • macht- und besitzansprüche, 
              • die konkurrenz um die rohstoffe zum leben - allerdings noch in einer welt, die der mensch ohne ressourcenaufbau unwiederbringlich ausbeutet - 
              • und die religiösen überzeugungen und prägungen von kleinauf 

              die menschen aufeinander loshetzen - und genau darum kriege geführt werden - und vielleicht noch schlichtweg aus langeweile ...

              aber davon schreibt tingyang ja wohl weniger: ihm geht es um diese subjetive eine welt: ein satz sei hier angesprochen, der mir besonders ins auge fiel, wohl wegen meiner beruflichen profession bis neulich: 
              "Mit dem Daoisten Laozi plädiert er lieber für den Grundsatz eines sogenannten ontologischen Gleichgewichts. Er versteht darunter nicht „Fürsorge für die Schwachen“ im europäischen Sinn, sondern „Aufrechterhaltung der Lebensfähigkeit aller Menschen und des wechselseitigen Nutzens“. 
              auf den ersten blick erscheint mir auch darin eine "moderne" weltauffassung zu stecken: die "fürsorge für die schwachen" summiert sich ja unter dem schlussstrich im extremen auf "exklusion" und versorgung in heimen außerhalb der gemeinschaft und arbeit und beschäftigung in einem "geschützten" unterbezahlten klima - wogegen die "aufrechterhaltung der lebensfähigkeit aller menschen und des wechselseitigen nutzens" für mich nach "inklusion" und teilhabe aller mit allen - ein jeglicher mit seinen gaben - schmeckt. 

              und auch was er zur universellen deutungsmacht der usa schreibt, erleben wir ja jeden tag zur zeit mit mr. trump und seinem "america first" - "etwas allgemeines in etwas besonderes umzuwandeln": 
               „Theoretisch gehören Menschenrechte in der Tat zu den universellen Prinzipien, die das Nationalstaatensystem außer Kraft setzen. Aber sie werden dazu benutzt, die spezifischen Interessen der USA zu schützen. Dazu gehört die hegemoniale Kunstfertigkeit, 'etwas Allgemeines in etwas Besonderes umzuwandeln', d.h. die USA besitzen die privilegierte Deutungsmacht in Bezug auf universelle Werte.“ 
              erdgas ist für mr. trump ja nicht gleich erdgas - sondern nur amerikanisches erdgas, an dem amerika geld verdient, ist erdgas an sich ... -

              und auch jetzt, wie mit den chinesischen produkt-marken wie "huawei" und "tiktok" in den usa und im westen umgegangen wird - und was man da mir nichts dir nichts ohne jeden beweis unterstellt, ist nur eine psychologische übertragung der westlichen bösartigkeiten  und machbarkeiten, die bei nsa und google und facebook/twitter - und jetzt jüngst bei der gesichtserkennungs-software "clearview ai" u.a. seit jahren oder immer wieder in neuen varianten getrieben werden, anstatt huawei und tiktok vielleicht als "partner" und mitbewerber auf dem markt willkommen zu heißen ..."

              ich jedenfalls bin gespannt, wie es mit der philosophie des "tianxia" weitergeht - und "tianxia" hat jedenfalls weitaus mehr inhaltliche substanz als "hygge", was ja derzeit in aller munde ist ... (oder schon war ???) - aber da muss man ja auch nicht weiter nachdenken und kann den kopf ausschalten - und "die seele baumeln lassen"...


              auszug aus dem buch von zhao tingyang - lies weiter mit "weiterlesen">>:

              all die verdrängten ...

              Wie verschwand Adolf Haas?

              Im Jahr 1950 wurde der Kommandant von Bergen-Belsen für tot erklärt. Dabei wollen ihn mehrere Zeugen danach noch gesehen haben. Vor Gericht stand er nie - jetzt rollt ein Historiker den Fall neu auf.

              Von Frank Bachner | Tagesspiegel

              Der offene Jeep rollte langsam durch die Straßen, vorbei an den meterhohen Trümmern zusammengefallener Häuser, Spuren eines Luftangriffs kurz vor Kriegsende. Die Bomben, die amerikanische Boeing B 17 sechs Wochen zuvor, am 15. März 1945, ausgeklinkt hatten, trafen nicht nur V 2-Raketen der deutschen Wehrmacht, sie explodierten auch in dem nahe gelegenen Städtchen Hachenburg im Westerwald.

              Ein britischer Soldat steuerte den Jeep, in seinem Rücken hockten vier ausgemergelte Gestalten in identischen gestreiften Klamotten, die sie kurz zuvor noch als KZ-Häftlinge hatten tragen müssen. Die vier hatten ein Transparent dabei, breit wie eine Tür und vollgeschrieben mit einer brutalen Botschaft: „Haas, Haas, wir suchen dich! Haas, Haas, wir finden dich! Haas, Haas, wir schneiden dich in Riemen.“ So schildert es der Historiker Jakob Saß in seinem Buch „Gewalt, Gier und Gnade“.

              Sechs Wochen früher hätten sie Adolf Haas noch in Hachenburg, seiner Heimatstadt, angetroffen. Da erklärte er in SS-Uniform vor den rauchenden Trümmern, unter denen noch einige der 18 Opfer des Luftangriffs verschüttet lagen: „Das wird alles von uns nach dem Endsieg wiederaufgebaut.“

              Doch jetzt war der 51-Jährige verschwunden, natürlich. Zwei Wochen nach seinem großspurigen Auftritt waren US-Truppen kampflos in die Stadt eingerückt. Der Sturmbannführer Haas, Kommandant der Konzentrationslager Niederhagen/Wewelsburg und Bergen-Belsen, verantwortlich für mindestens 3026 Tote, wusste, was ihn erwarten würde, wenn man ihn erwischte.


              Vom Kleinbürger zum Kriegsverbrecher.
              Der Holocaust wurde nicht nur von ein paar
              verrückten Einzeltätern geplant, sondern
              auch von Durchschnittsdeutschen wie
              Adolf Haas, sagt der Historiker Jakob Saß.
              Foto: Kreismuseum Wewelsburg
              Doch Adolf Haas, Bäcker und Massenmörder, stand nie vor einem Gericht.

              Warum? Das ist der mysteriöse Teil der Geschichte des Mannes mit den groben Gesichtszügen und dem Hitlerbärtchen. Der Fall Haas ist ein Rätsel mit vielen offenen Fragen. Wurde er in den letzten Kriegstagen doch noch getötet? Tauchte er mit falschen Papieren unter? Besuchte er, Jahre nach dem Krieg, heimlich seine Heimatstadt?

              Offiziell starb Adolf Haas, geboren 1893 in Siegen, am 31. März 1945. So hat es das Amtsgericht Hachenburg 1950 festgelegt, auf Antrag seiner Ehefrau Lina. Doch an diesem Tag, das steht fest, war er noch am Leben.

              Die Geschichte von Adolf Haas ist auch ein Beispiel für die vielen Naziverbrecher, die plötzlich vom Schirm der Polizei, der Staatsanwaltschaft und der Alliierten verschwanden. Sie verschwanden wegen Ermittlungspannen oder weil man sie bewusst nicht verfolgen wollte. Bei Adolf Haas traf wohl beides zu. Und er profitierte davon, dass er im Schatten der bekannten SS-Massenmörder stand: von Rudolf Höß, dem Kommandanten von Auschwitz, Josef Mengele, dem Lagerarzt von Auschwitz, Heinrich Himmler, dem SS-Chef, oder Adolf Eichmann, dem Organisator der Judentransporte. Adolf Haas? Kein großer Begriff.

              Aber einer der vielen Kleinbürger, die im Nazireich zu Mördern wurden. „Der Bäcker Adolf Haas war ein ganz normaler Mann, aber auch einer der normalen Täter, sowohl im Sinne seiner Sozialisation als auch seiner Karriere. Er war schlichtweg Durchschnitt, so sahen es auch seine Vorgesetzten“, sagt der Historiker Jakob Saß vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Er hat den Fall Haas in seinem Buch „Gewalt, Gier und Gnade“ bis ins Detail analysiert.

              Saß ist ein schmaler Mann mit einem Seitenscheitel, der fast an seinem linken Ohr beginnt, gerade mal 29 Jahre alt, aber schon ein beeindruckender Experte. Er wühlte sich durch diverse Archive, studierte unzählige Dokumente, kontaktierte Zeitzeugen. Saß will stellvertretend mit der Biografie des SS-Sturmbannführers Adolf Haas eine Lücke schließen. „Die Geschichte über die weltweit bekannten Täter der NS-Zeit vermittelt das falsche Bild, dass der Holocaust von wenigen verrückten Einzeltätern geplant wurde“, sagt Saß. „Man bekommt den Eindruck, dass der Rest lediglich Mittäter waren mit wenig Handlungsbefugnissen.“

              Im Fall von Adolf Haas warf Josef Kramer diesen enorm großen Schatten. Kramer war der letzte Kommandant von Bergen-Belsen, er übergab das Lager kampflos den Engländern. Die starrten entsetzt auf mehr als 13 000 Leichen und 60 000 abgemagerte Überlebende, die ihren Befreiern aus tiefen Augenhöhlen entgegenblickten. „Kein Bericht und keine Fotografie kann den grauenhaften Anblick des Lagergeländes hinreichend wiedergeben“, meldete der britische Militärarzt Glyn Hughes. KZ-Kommandant Kramer erhielt in den Medien die Bezeichnung „Das Monster von Belsen“. Doch niemand, sagt Saß, habe darüber nachgedacht, „dass jemand für Kramer die Voraussetzungen geschaffen hatte“.

              Dieser Jemand war Adolf Haas.

              Haas war einer jener früheren Soldaten, die 1919 nach Krieg und Gefangenschaft orientierungslos ins soziale Elend des besiegten Deutschlands strömten und jeden Job annahmen, den sie bekommen konnten. Erst 1929 konnte Haas, der gelernte Konditor, zumindest wieder als Bäcker arbeiten. Jahrelang sympathisierte er mit dem Kommunismus, 1930 aber wollte Adolf Haas endlich zu den Siegern gehören. Hitlers Partei feierte erstmals einen großen Wahlerfolg, Adolf Haas begeisterte sich von nun an für die NSDAP.

              Der Bäcker trat in die Allgemeine SS ein, verprügelte 1933 bei einer Razzia Mitglieder der Kommunistischen Partei Deutschlands, überwachte 1934 beim reichsweiten „Aprilboykott“, dass an diesem Tag in Hachenburg niemand in jüdischen Geschäften einkaufte, und zertrümmerte in der Reichspogromnacht die Inneneinrichtungen mehrerer Synagogen.

              Haas, grobschlächtig, mäßig intelligent, unsportlich, von Vorgesetzten wegen mangelnder Ausdrucksfähigkeiten verspottet, war fast schon eine Karikatur jener Elite, als die sich die SS sah. Trotzdem kommandierte ihn das SS-Personalamt 1940 zur Ausbildung zum Zweiten Schutzhaftlager-Führer ins KZ Sachsenhausen. Es herrschte schlicht Personalmangel. Wenige Monate später übernahm Haas das Kommando im KZ Niederhagen/Wewelsburg.

              SS-Führer Heinrich Himmler ließ das Renaissanceschloss Wewelsburg bei Paderborn zum zentralen Versammlungsort der SS-Spitze ausbauen. Die extrem anstrengende Arbeit erledigten KZ-Häftlinge. Ihre Baracken lagen 800 Meter vom Schloss entfernt.

              Das Prügeln und Töten überließ Haas seinen SS-Leuten oder den Kapos. Und die wüteten, von Haas toleriert und angefeuert, grausam. SS-Männer spritzten im Winter so lange kaltes Wasser auf die Brustkörbe von Häftlingen, bis die tot zusammenbrachen. Hunger, Kälte, Krankheiten, Gewalt, das waren die Konstanten im KZ Niederhagen/Wewelsburg. Der Kommandant Haas war hier für mindestens 1281 Tote verantwortlich. Talentierte Häftlinge, die für ihn Ölgemälde, Kommoden oder ein kunstvoll verziertes Kästchen herstellten, ließ er am Leben.

              1943 übernahm Haas das Kommando des neu aufgebauten Konzentrationslagers Bergen-Belsen bei Lüneburg. Auch dort erlebten Häftlinge den Alltag als Hölle auf Erden. Ein Lagerschreiber notierte 177 bis 188 Tote im Monat. Ein Häftling beobachtete, „wie Kapos jede Nacht Häftlinge mit Brettern aus den Pritschen erschlugen“. Gleichzeitig stand Haas Modell für Ölporträts, die ein jüdischer Häftling malen musste.

              Im Dezember 1944 wurde Haas abgelöst, warum, ist nicht ganz klar. Er sollte mit einer SS-Panzergrenadier-Division die sogenannte Festung Breslau verteidigen. Doch dort war er nie. Stattdessen verkündete er in Hachenburg Durchhalteparolen und tauchte am 14. April 1945 im KZ Neuengamme auf, abkommandiert als Beisitzer in einem Prozess gegen drei SS-Männer wegen „Wehrkraftzersetzung“. Das Gericht sprach Todesurteile.

              Es ist das letzte nachgewiesene Auftauchen von Adolf Haas.

              Ein überlebender Häftling aus Bergen-Belsen hatte zwei Tage nach der Befreiung des Lagers durch die Briten seine Erfahrungen detailliert aufgeschrieben. Natürlich kam auch der Name Haas vor, deshalb fuhr der Jeep mit den Häftlingen durch Hachenburg. Auf einer Fahndungsliste von Nazi-Kriegsverbrechern stand Haas als Nummer 139 791, allerdings mit dürftigen Angaben. Die US-Army hatte das KZ Niederhagen/Wewelsburg befreit, Haas wurde nun wegen der Folter von Häftlingen in diesem KZ gesucht. Aber nicht wegen Mordes. Warum, ist unklar.

              Auch ein deutscher Oberstaatsanwalt in Koblenz suchte bald nach Kriegsende nach Adolf Haas. Allerdings nur wegen der Zerstörung einer Synagoge, nicht wegen Mordes. Am 20. Juni 1948 tippte ein Wachtmeister in Hachenburg in seinen Ermittlungsbericht: „Haas soll seit 1945 Hachenburg verlassen haben. Sein derzeitiger Aufenthaltsort ist unbekannt.“ Erst 1949 erließ der Koblenzer Oberstaatsanwalt einen Haftbefehl wegen „Verbrechens gegen die Menschlichkeit“. Nur zwei Monate später stellte er die Ermittlungen wieder ein, vorläufig. Haas war nicht aufzufinden.

              Im Januar 1950 beantragte Lina Haas beim Amtsgericht Hachenburg, ihren Mann für tot zu erklären, sie habe ihn letztmals im März 1945 lebend gesehen. Der Name Adolf Haas kam auf eine Verschollenenliste. Jeder, der etwas über ihn wusste, sollte sich bis 1. August 1950 melden. Niemand meldete sich.

              Die erste große Panne bei der Suche nach Haas.

              Hamburger Staatsanwälte und Polizisten wussten ganz genau, dass Haas noch im April 1945 lebte. Sie ermittelten wegen des Todesurteils im KZ Neuengamme, an dem der SS-Sturmbannführer beteiligt war. Doch von dem Aufruf des Amtsgerichts erfuhren sie nichts. Beim „Zentral-Justizamt bei der britischen Zone“, das die Verschollenenliste herausgab, hatte es ein Informationsdefizit gegeben.

              Deshalb erklärte das Amtsgericht Hachenburg im August 1950 den Massenmörder Adolf Haas für tot. Offizieller Zeitpunkt des Versterbens: 31. März 1945. Erst 16 Jahre später erfuhren die Hamburger Staatsanwälte von diesem Datum. Ein Fehler, teilten sie den Verantwortlichen sofort mit. Es nützte nichts. Aus juristischen Gründen war eine Änderung der Eintragung nicht möglich. Adolf Haas ist bis zum heutigen Tag offiziell tot.

              Einen Toten aber muss man nicht suchen. Deshalb sahen auch mehrere Staatsanwaltschaften und Ermittler keinen Grund mehr, nach Haas zu fahnden. Eine bequeme Lösung, sie passte ins damalige gesellschaftliche Bild. Der kalte Krieg begann, das Jagdfieber in der Justiz konzentrierte sich nun auf Kommunisten und andere „Verfassungsfeinde“. Die Bedeutung von NS-Verbrechen verblasste, wenig verwunderlich bei der personellen Situation von Ermittlern und Staatsanwälten. Noch 1958 waren 33 von 47 leitenden Beamten des Bundeskriminalamts ehemalige SS-Angehörige. 1949 hatte die Zahl der jährlichen Verfahren gegen NS-Verbrechen bei 3000 gelegen. 1954 schrumpfte die Zahl auf 162.

              Lebte Haas da auch noch?

              Jens Mayer ist heute 79 Jahre alt, seinen richtigen Namen will er nicht nennen, aber am Telefon erzählt er von seinen damaligen Erlebnissen, als hätten sie erst gestern stattgefunden. Als ein naher Verwandter seiner Familie 1953 atemlos und aufgewühlt in der Wohnung seiner Mutter in Hachenburg auftauchte, war Mayer 13. Der Jugendliche starrte ebenso verblüfft wie seine Mutter zu dem aufgeregten Gast, dann lauschte er folgendem Dialog:

              „Was glaubst du, wen ich gerade im Bus gesehen habe? Den Adolf Haas.“

              „Bist du dir sicher?“

              „Also hör mal, ich kenne doch den Adolf Haas.“

              „Habt ihr miteinander gesprochen?“

              „Nein, der wollte nicht erkannt werden.“

              So erzählt es Mayer heute. Aber war sich der Verwandte wirklich sicher? Ja, sagt Mayer 66 Jahre später, „sie waren beide bei der SS, sie haben sich gut gekannt“. Der Verwandte lebte in einem Dorf in der Nähe von Hachenburg, „dort war der Haas eine Größe“.

              Eine verhasste Größe. Es gab genügend Menschen, die nicht vergessen hatten, wie er Kommunisten verprügelt und Juden drangsaliert hatte. Wenn er wirklich in Hachenburg gewesen wäre, hätte er viele Gründe gehabt, nur anonym aufzutreten. Lina Haas behauptete bis zu ihrem Tod, sie habe ihren Mann seit März 1945 nie mehr gesehen.

              Möglich ist es, aber im November 2019 traf der Historiker Saß bei einer Lesung in Hachenburg einen Mann. Seine Mutter, erzählte er Saß, habe wiederholt erklärt, sie habe Haas mehrfach nach dem Krieg in Hachenburg gesehen.
              „Was glaubst du, wen ich gerade im Bus gesehen habe? Den Adolf Haas.“„Bist du dir sicher?“„Also hör mal, ich kenne doch den Adolf Haas.“„Habt ihr miteinander gesprochen?“„Nein, der wollte nicht erkannt werden.“

              Andererseits gibt es Volker Schmidt, geboren 1947. Schmidt hatte einen Großteil seiner Kindheit im Hause Haas verbracht, wo Lina und ihre Schwester Emmy zusammenwohnten. Schmidts Vater war eng mit Emmy Haas befreundet. „Emmy“, sagt Schmidt am Telefon, „hat mir mal erzählt, dass Adolf Haas von befreiten Häftlingen erschlagen worden sei. Ein ehemaliger Kamerad von Haas habe es aus seinem Versteck beobachtet und ihr so berichtet.“ Eine gezielt gestreute Lüge, um den lebenden Haas zu schützen? Aber Schmidt war damals fast noch ein Kind, instrumentalisiert man einen Zehnjährigen bei so einem Thema? „Ich hatte nie den Eindruck, dass Emmy bewusst gelogen hatte“, sagt Schmidt.

              1956 dann übernahm der legendäre Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer mit seinen Mitarbeitern die Fahndung nach dem KZ-Kommandanten Haas. Das offizielle Todesdatum ignorierte der Jurist, der durch seine Hartnäckigkeit die Auschwitzprozesse ermöglicht hatte. Teil der intensiven Ermittlungen war die Kontrolle von Lina Haas Post. Auch sie selbst wurde überwacht. Doch von Adolf Haas, gesucht wegen Mordes, keine Spur.

              Nur zwei Monate später stellte der Frankfurter Staatsanwalt, der Lina Haas hatte überwachen lassen, die Ermittlungen abrupt ein. Seine Begründung: Haas sei tot.

              Ebenso abrupt nahm Monate später ein anderer Frankfurter Staatsanwalt die Suche nach Adolf Haas wieder auf. Diesmal wurden die Töchter von Adolf Haas überwacht, allerdings so dilettantisch, dass nichts dabei herauskam. Als 1962 auch noch die Staatsanwaltschaft Köln Ermittlungen gegen Haas aufnahm, hofften die Juristen, dass Historiker wichtige Erkenntnisse liefern würden. Vergeblich, die deutschen Geschichtsforscher interessierten sich zu dieser Zeit kaum für NS-Täter. Zudem gingen auch hier Kriminalbeamte so amateurhaft vor, dass nichts Verwertbares herauskam.

              Adolf Haas blieb verschwunden.

              aus: DER TAGESSPIEGEL v. 19.01.2020 - SONNTAG - S. S5

              _______________________________________________


              ..."wie oft hat man sie schon totgesagt - doch
              hier im innern des landes da leben sie noch"...

              diese zeilen sang "väterchen franz", der liedermacher franz-josef degenhardt, ende der 60er jahre, als man adolf haas vielleicht noch hätte habhaft werden können.

              ich schrieb ja neulich schon in einem beitrag hier "zu spät - zu spät" , weil jetzt 80 jahre danach auch plötzlich wohl die "kleinen" und tatsächlich auch die "frauen", wie hier z.b. die sekretärin von eichmann in den fokus von forschungen rückt, die man in der nachkriegszeit zwar verhört hat, aber immer nur halbherzig und "am rande".

              und mit dieser "unlust" wurde allgemein in den 50-/60-/70er jahren die "deutsche vergangenheit" in ns-deutschland nur sehr bedingt und marginal "aufgeklärt".

              man drückte sich - wohl auch "politisch" - diesen komplex tatsächlich anzugehen - und gab sich eigentlich mit den anklagen der alliierten bei den kriegstribunalen in nürnberg und anderswo  zufrieden: auch nach der devise: "eine krähe hackt der anderen ..."

              die allerschlimmsten nazitäter waren abgeurteilt worden - und nun ging es ans endgültige vergessen und abspalten, denn die "kleinen" und "kleineren" lebten ja zum teil noch mitten unter uns und genossen ihren lebensabend mit voller rente, oder waren wieder zu rang und (neuen) namen gekommen, waren in die "richtigen" parteien eingetreten oder z.b. aber in den örtlichen schützen- oder karnevalsverein, bauten sich ihr klein-häuschen und hätschelten ihre familien oder zogen ihre kinder mit "starker hand" groß - je nachdem ...

              in diesen jahren hat man die historische chance vertan, als nachkriegs-gesellschaft auch innerhalb der familien und ortschaften und regionen mal "reinen tisch" zu machen, stattdessen schwieg man sich aus, ließ die akribisch geführten akten in den archiven, soweit noch vorhanden, einfach vergammeln und z.t. verschimmeln, wie z.b. die rund 30.000 krankenakten von in der ersten, sogenannten "t4"-phase ermordeten opfer des systematischen medizinischen massenmordes (ns-euthanasie), die 1990 im ehemaligen “ns-archiv” in einem unfrequentierten nebenraum des ministeriums für staatssicherheit der ddr gefunden wurden, wo sie wohl für anstehende denunziations- und erpressungszwecke abgelegt wurden.

              und auch diese akten wurden dann nach ihrem auffinden 1990 nicht etwa unverzüglich der öffentlichkeit zu nachforschungen vielleicht auch noch zu den jeweils verantwortlichen und tätern zugänglich gemacht. nein - ausgerechnet eine israelische organisation iaapa stellte 2003 zunächst die klarnamen zu diesen 30.000 opfern nach rechtsprechung der bundesrepublik "illegal" ins internet, denn man monierte in falscher deutscher gründlichkeit datenschutz- und archivrechte. und erst seit august 2018 (also 28 jahre nach dem auffinden) kann man diese namen "offiziell" auch beim bundesarchiv online recherchieren, nachdem wohl auch noch die letzten damit im zusammenhang stehenden mitwisser und helfershelfer, also z.b. ärzte, nsv-schwestern, deportationsverantwortliche, verwaltungsbeamte usw. endlich verstorben sind.

              nur eben ein paar damals 16-/17-jährige wachsoldaten von lagern und kz's wird ja jetzt noch zum guten schluss als greise, weit in die 90er lebensjahre, der prozess gemacht: vor allen dingen aus "moralischen gründen" und staatsräson einiger junger staatsanwälte, die die untätigkeit ihrer altvorderen kollegen in den staatsanwaltschaften nun mit solcher völlig unsinnigen pseudo-aktivität überdecken wollen oder sollen ...

              der oben geschilderte fall des adolf haas reiht sich also nur ein in eine unübersehbare vielzahl von verdrehungen und schonzeiten und vergessen und desinteresse an diesem gesamten komplex, wie er sich nach kurzem aufflackern ab ende der 80er jahre nun wieder zurück bewegt ins abspalten und verschweigen...

              durch ein paar  recherchierende investigativ-journalisten und junge historiker, die oft aus den generationen der "68-er" hervorgingen, und die dieses eiserne (ver)schweigen auch zuhause im elternhaus und in den seminaren und archiven versucht haben zu durchbrechen, fing damals die forschung und recherche an mit den ersten veröffentlichungen - aber nun: die obligatorischen "gedenkstätten" und "-ecken" sind erbaut und eingerichtet - die täter sind gestorben - und nun lehnt man sich wieder selbstzufrieden zurück - un chutt is...

              aber niemand recherchiert mehr, wie es in der eigenen familie war, was (ur- ur-)opa und -oma von 1925-1945 gemacht haben, wo sie eingebunden waren.

              es geht ja gar nicht mehr um eine justiziable aufarbeitung der zeit, sondern um eine gesellschaftspädagogisch-/psychologische aufarbeitung, des "volkes"...

              mit den ns-krankenmorden umfasst der holocaust, die massenvernichtung insgesamt, ca. 6,5 bis 7 millionen opfer - und in dieser kleinteilig industriell organisierten tötungsmaschinerie rechnet man pro opfer ca. 30 mitwisser und täter: trotz aller überschneidungen in diesem schrecklichen tun bleiben da für die "dritte und vierte generation" noch genug spannende aufarbeitungsthemen in den familien, den schulen, den universitäten, für nachbarschafts-und vereinschroniken, den historischen seminaren und lokalredaktionen und den filmemachern.

              und auch wenn herr gauland von der afd meint, das ganze sei lediglich ein "vogelschiss" in der geschichte gewesen: auch nach dem wegsterben der beteiligten tätergenerationen bleibt noch immer genug an wichtiger aufbereitung, damit abgespaltene und verdrängte und transgenerational weitergegebene fakten von damals uns nicht eines tages auch in unserer gesundheit und mentalität irgendwie und irgendwo einholen, die dann etwa in einer analyse auf der couch mühsam und heilend aufgedeckt und aufgearbeitet werden müssen ... es bleibt noch viel zu tun, packen wir's an ...