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Projekt STALAG 326


Projekt STALAG 326 wird konkreter

Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe kann jetzt in Berlin den Förderantrag für das Großvorhaben stellen. Die Gedenkstätte soll Ziel für 200.000 Besucher pro Jahr werden.

Von Lothar Schmalen | NEUE WESTFÄLISCHE v. Freitag, 26.06.2020 - S.8 Kultur/Medien

Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) bereitet einen Antrag auf Fördermittel bei der Bundesregierung für den Ausbau der Dokumentationsstätte Stalag 326 in Schloß Holte-Stukenbrock zu einer Gedenkstätte von gesamtstaatlicher Bedeutung vor. Der Landschaftsausschuss, das ist nach der Landschaftsversammlung das höchste politische Gremium des Landschaftsverbands, soll die LWL-Verwaltung in seiner Sitzung am heutigen Freitag damit beauftragen.




Die schematische Zeichnung aus einer Machbarkeitsstudie zeigt eine erste Idee, wie die Dauerausstellung und eine ebenfalls geplante Forschungsstelle auf dem Gelände der Gedenkstätte Stalag 326 untergebracht werden könnte. Illustration: Atelier Brückner Stuttgart

Das Anliegen wird längst parteiübergreifend befürwortet. Das ist nach Informationen dieser Redaktion auch bei einer Zusammenkunft aller Landtagsabgeordneten aus Ostwestfalen-Lippe am Dienstag dieser Woche deutlich geworden. Die Abgeordneten hatten sich auf Einladung der Detmolder Regierungspräsidentin Judith Pirscher (FDP) im Landtag getroffen. Einziger Tagesordnungspunkt: Stalag 326. Landtagspräsident André Kuper (CDU), der das Projekt an der Spitze einer Lenkungsgruppe vorantreibt, berichtete über den Planungsstand.

Noch steht die genaue Trägerstruktur der Gedenkstätte nicht fest. Klar ist aber, dass der Landschaftsverband, der Kreis Gütersloh, die Stadt Schloß Holte-Stukenbrock, das Land NRW und der bisherige Förderverein der Dokumentationsstätte eingebunden werden sollen. Die Anteile der Finanzierung von Ausbau und Betrieb der Gedenkstätte müssten noch ausgehandelt werden, heißt es im Entwurf einer Absichtserklärung der beteiligten Einrichtungen, die dieser Redaktion vorliegt. Kostenschätzungen für die Einrichtung und den Betrieb einer großen Gedenkstätte liegen bislang öffentlich noch nicht vor.

Einer Machbarkeitsstudie, die vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe beim renommierten Atelier Brückner in Stuttgart in Auftrag gegeben und von der Landeszentrale für politische Bildung finanziert wurde, sind erste optische Ideen für eine Gestaltung der Gedenkstätte zu entnehmen. Außerdem entwickelten die Stuttgarter Experten Ideen für eine inhaltliche Gestaltung der Dauerausstellung. Als Ziel ist in der Studie eine Zahl von 200.000 Besuchern im Jahr angeben. Im Vergleich mit anderen NS-Gedenkstätten in Deutschland läge Stukenbrock damit zwischen den Gedenkstätten Neuengamme bei Hamburg (138.000 Besucher) und Bergen-Belsen bei Celle (240.000 Besucher). Eingebunden werden in die Gedenkstätte soll auch der sowjetische Ehrenfriedhof unmittelbar neben dem Lager. Hier sind Schätzungen zufolge zwischen 16.000 und 65.000 Tote begraben. Geplant ist außerdem ein Neubau mit 4.000 Quadratmetern Nutzfläche, in dem ein Besucherzentrum mit Dauerausstellung (2.000 Quadratmeter), ein Seminarbereich mit Übernachtungsmöglichkeit (1.000 Quadratmeter), eine Forschungsstelle (320 Quadratmeter) und Verwaltung sowie Förderverein (500 Quadratmeter) untergebracht werden sollen. Hinzu kommt ein Parkplatz mit 3.200 Quadratmetern.

Mit dem Antrag auf Fördermittel des Bundes, dessen Erfolg eine entscheidende Voraussetzung für die Realisierung der Gedenkstätte ist, befasst sich seit Monaten eine wissenschaftliche Arbeitsgruppe, in der neben verschiedenen Abteilungen und Einrichtungen des LWL wie Museumsamt, Institut für Regionalgeschichte, Medienzentrum, Archäologie, Kulturabteilung und Preußenmuseum auch die Landeszentrale für politische Bildung und der örtliche Förderverein der bisherigen Dokumentationsstätte Stalag 326 mitarbeiten. Die Beteiligung des Fördervereins und seiner vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter und Helfer, die die Arbeit der Dokumentationsstätte über Jahre getragen haben, ist den Projektmachern ein wichtiges Anliegen, wie Landtagspräsident André Kuper immer wieder betont.


  • Stichwort: Stalag 326
Stalag 326 – die Abkürzung steht für Stammlager 326. Gemeint ist damit eines der größten Lager überwiegend für sowjetische Kriegsgefangene, aus dem vor allem das Ruhrgebiet mit Zwangsarbeitern versorgt wurde. Insgesamt durchliefen rund 300.000 Internierte das Stalag 326. Über die Zahl der Todesopfer unter den Gefangenen des Lagers, in dem unmenschliche Bedingungen herrschten, gibt es nur Schätzungen. Insgesamt kamen im Zweiten Weltkrieg zwischen zwei und drei Millionen sowjetische Kriegsgefangene ums Leben, sie sind nach den Juden die zweitgrößte NS-Opfergruppe. Bestandteil der geplanten Gedenkstätte soll auch die Nachkriegsverwendung des Lagerareals sein. Hier wurden 1945/46 mutmaßliche NS-Kriegsverbrecher interniert, in den Jahrzehnten danach war es Auffanglager für Vertriebene aus den Ostgebieten des ehemaligen Deutschen Reichs. (los)

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Dieses Werk zum Thema von Karl Hüser 
und Reinhard Otto erschien bereits 1992: vor 28 Jahren -
und so lange ist es schon in meinem bücherschrank
mein gott - ich bin da einfach nur ungeduldig: das wird jetzt so dahinformuliert und hochjubiliert, wenn nun 75 jahre (i.W.: fünfundsiebzig jahre) nach kriegsende endlich eine angemessene gedenkstätte für dieses hunger- und massenmord-vernichtungslager mit seinem massengrab-friedhof offiziell und "parteiübergreifend" nicht etwa schon errichtet, sondern  lediglich ins auge gefasst und beantragt wird.

dieses thema begleitet mich eigentlich schon mein leben lang, und besonders erinnere mich an das politische gezerre und klein-klein um die jährliche veranstaltung "blumen für stukenbrock", wo ich sogar augenzeuge wurde, wie man auf den gräbern der sowjetischen kriegsgefangenen und zwangsarbeiter sich handfeste scharmützel lieferte: die dkp und alle roten genossen gegen die "ordnungskräfte" - und gegen die kräfte, die die "toten helden" jeweils für sich reklamieren wollten damals - und die jeweils "richtige" ehrung fand dann in unversöhnlicher konkurrenz der verschiedenen interessengruppen und parteien untereinander statt.

und dazwischen die russischen goldbeschlagenen uniform-schirmmützenträger des salutierenden russischen militärs von der militärmission in bünde, begleitet von überlebenden in verwaschener kz-kleidung vom vvn/bda, der "vereinigung der verfolgten des naziregimes – bund der antifaschistinnen und antifaschisten", die ihre kränze mit den blutroten schleifen, und bei den "sowjets" mit kyrillischer aufschrift, niederlegen wollten am ehrenmal - unter gellendem pfeifkonzert des missfallens: von tatsächlicher trauer und ehrenbezeigung war da allgemein von keiner seite eine spur: "versöhnung über den gräbern" - fehlanzeige!

und dazwischen dann prominente politiker wie pfarrer albertz, der zwischen den parteien damals vermitteln wollte - aber natürlich auch seine politische meinung dazu hatte - und auch vortrug...

»Es muss dargestellt werden, wie der Kalte Krieg und der damit einhergehende Antikommunismus eine sachliche Behandlung des Lagers und des Friedhofs mit seinem von den Überlebenden errichteten Obelisken verhinderte, was zum Verschweigen geschichtlicher Tatsachen und Nichtbeachtung in der Nachkriegs-Gedenkkultur führte«, sagte der vorsitzende des arbeitskrises "blumen für stukenbrock" hubert kniesburges noch 2018 dem bielefelder "westfalen-blatt".

es war über jahrzehnte ein einziges hin-und-her im stockkonservativen stukenbrock-umfeld, in dem zusammentreffen mit linken totenehrern von der dkp, der kpdml, dem sds u.a.m.: und ich erinnere mich an eine außer sich tobende frau, die mit weißen stöckelschuhen auf die roten kranznelken auf einem grab herumtrampelte - und lauthals "faschisten!" brüllte und "lügner!", aber sich der tragischen karikaturwirklichkeit in dieser ihrer szene gar nicht bewusst war.

und wenn ich dann heutzutage diesen entwurf sehe, wo wahrlich nicht mehr gekleckert sondern - parteiübergreifend! - geklotzt wird, wenigstens wenn es um die "antragstellung" für dieses "projekt" geht, kann ich mir nur die augen reiben - und mich kneifen, ob ich wache oder träume...

und doch: es bleibt für mich der hauch von schmach: dieses "zu spät" - und ich werde das gefühl nicht los, als wären es wieder eher "parteipolitisch motivierte 'einigkeiten'" - verbunden mit irgendeinem "deal" - vielleicht mit einem "deal" gegen afd und ganz rechtsaußen - als dass es diesmal tatsächlich um die rein menschlichen aspekte aufrichtiger trauer, aufrichtiger ehrung, aufrichtiger reue, und aufrichtiger erinnerung wären - ich kenne ja meine pappenheimer ...

zum tag der befreiung des stalag vor 75 jahren habe ich erst kürzlich hier im blog einen beitrag gebracht:
https://sinedi-blog.blogspot.com/2020/04/befreiung-des-stalag-326-stukenbrock.html 

bei meiner recherche jetzt stieß ich auch auf weitere interessante links zum thema:
https://stalag326.de/digitale-ausstellung-unter_menschen/

Denkmaler stürzen?

Interview
Historikerin zu Kolonial-Denkmälern 
"Debattieren, nicht stürzen"

Die Bielefelder Historikerin Christina Morina hält nichts davon, zweifelhafte Denkmäler einfach zu stürzen. Sie plädiert dafür, diese mit Informationen zu umrahmen.

Von Stefan Brams | NW

Auch das Otto-von-Bismarck-Denkmal in Hamburg wurde beschmiert. Bismarck wird rassistische Kolonialpolitik vorgeworfen. | © Jonas Klüter | NW


Frau Morina, in den USA, in Großbritannien und Belgien wurden in den Tagen nach der Ermordung von George Floyd immer wieder Denkmäler von Persönlichkeiten aus der Kolonialzeit gestürzt oder beschmutzt. Hat Sie diese Entwicklung überrascht?

Christina Morina: Bewegungen, die eine nachhaltige, fast schon revolutionäre Kraft entfalten wie jetzt in den USA, greifen oft gerade Symbole des alten Systems an, um durch deren Zerstörung den Umsturz auch bildlich sichtbar zu machen. Das können wir in vielen Epochen beobachten, daher ist das, was wir in den USA und auch in anderen Ländern gerade erleben, historisch gesehen nichts Überraschendes.

Wie bewerten Sie diese Aktionen?

Morina: Als Phänomen finde ich sie absolut nachvollziehbar. Als politischen Akt halte ich diese Aktionen für nicht wirklich sinnvoll, denn mit dem Verschwinden der Denkmäler verschwindet ja das Problem nicht – in diesem Fall der Rassismus. Ich halte es für angemessener, zweifelhafte Denkmäler im sprichwörtlichen und buchstäblichen Sinne von ihren Sockeln zu holen, sie neben diese zu stellen, neu einzurahmen und zu kommentieren. Und wenn es um heute von Menschen als offen verletzend wahrgenommene Objekte geht, dann gehören sie ins Museum, um dort ihren Kontext umfassender aufklären zu können. Aber ich halte nichts davon, die Denkmäler einfach zu zerstören.

Die Initiative „Berlin Postkolonial" spricht sich wie Sie gegen den Denkmalsturz aus und regt stattdessen an, Künstler die Denkmale verfremden oder durch die Kunst brechen zu lassen. Auch ein Ansatz für Sie?

Morina: Künstlerinnen und Künstler einzubeziehen, ist sicherlich ein zusätzlicher Ansatz, wobei die Kunst die nötige inhaltliche und gesellschaftliche Auseinandersetzung freilich nicht ersetzen, sondern diese spiegeln und ergänzen kann. Solche Debatten müssen umfassend und multiperspektivisch geführt werden – politisch, historisch, institutionell und gesellschaftlich.

Oft ist die Geschichte, die sich hinter einem Denkmal verbirgt, sehr komplex. Wollen Sie alle zweifelhaften Werke ins Museum bringen, um umfassend aufklären zu können?

Morina: Nein, es reicht oft schon, wenn man im Umfeld des Denkmals darüber aufklärt, dass sich hinter dieser Ehrung individuelles und staatliches Unrecht verbirgt, das nun hinterfragt und als solches anerkannt wird. So wird sichtbar, dass der Umgang mit der Vergangenheit ein lebendiger, wandelbarer Prozess ist, der die Gesellschaft immer wieder neu herausfordert.

Wann kann denn ein Denkmal auf keinen Fall stehen bleiben?

Morina: Generelle Grenzen zu ziehen, ist schwer. Wenn aber ein Symbol gegen das Grundgesetz und die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstößt, dann hat es im öffentlichen Raum nichts zu suchen und gehört höchstens ins Museum. Aber es gibt eben auch Grauzonen wie das Karl-Marx-Denkmal in Trier, das die chinesische Regierung gestiftet hat, oder das jetzt gerade von der MLPD in Gelsenkirchen aufgestellte Lenin-Denkmal. Auch über diese gehen die Meinungen weit auseinander. Umfassend zu thematisieren, wofür diese Denkmäler stehen, warum sie an einem bestimmten Ort stehen und wer sie gestiftet hat, sind Voraussetzungen dafür, dass sie Akzeptanz finden. Eine Gesellschaft sollte in jedem einzelnen Fall transparent aushandeln, warum ein Denkmal aufgestellt und wem eines gewidmet wird.

Die Zivilgesellschaft ist also gefragt?

Morina: Ja, aber nicht nur sie. Auch Politik, Behörden, Bürgerschaft einer Stadt, Unternehmen, Schulen und Universitäten sollten einbezogen sein. Denkmäler sollten Orte lebendiger Auseinandersetzung sein.

In vielen deutschen Städten stehen Bismarck-Denkmäler so auch in Bielefeld. Hier hat die Antifa gefordert, es zu beseitigen, weil Bismarck für die blutige deutsche Kolonialpolitik stehe. Andere verweisen dagegen auf seine Verdienste zum Beispiel in der Sozialgesetzgebung und der Einigung des Deutschen Reiches. Was tun mit zwiespältigen Persönlichkeiten wie ihm?

Morina: Das ist ein wichtiger Punkt. Geehrte sind oft zwiespältige Persönlichkeiten. Und den ihnen gewidmeten Denkmälern ist stets das Denken der Zeit eingeschrieben, in der sie jeweils entstanden. Wir sollten die Vielschichtigkeit der Personen und Denkmäler offen diskutieren und nicht das Denkmal ersatzlos entfernen, denn das beendet ja die Debatte in gewisser Weise. Dass diese nun auch in Bezug auf den deutschen Kolonialismus öffentlich noch stärker in Gang kommt, ist nur zu begrüßen, denn sie war hierzulande viel zu lange viel zu wenig geführt worden.

Warum ist die Debatte über den deutschen Kolonialismus bisher viel weniger intensiv betrieben worden als die über unsere NS-Vergangenheit? Auch damals wurden vom Deutschen Reich bereits Völkermorde begangen.

Morina: Ich denke, dass die NS-Verbrechen teilweise sicher die Verbrechen der Kolonialgeschichte so sehr überlagert haben, dass sie dadurch lange im Hintergrund blieben. Es ist dennoch denk- und kritikwürdig, dass die Folgen der deutschen Kolonialpolitik bei uns viel länger unbeachtet blieben als in anderen Ländern. Aber die Chance zur stärkeren öffentlichen Auseinandersetzung, zur Intensivierung und vor allem auch Wahrnehmung der wissenschaftlichen Forschung ist jetzt da.

Debattiert wird nicht nur über den Umgang mit Denkmälern, sondern auch, wie man mit Denkern wie zum Beispiel Immanuel Kant umgehen sollte, der ja auch einige rassistische Schriften verfasst hat wie „Von den verschiedenen Rassen der Menschen", „Bestimmung des Begriffs einer Menschenrasse" oder „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht". Gehört er auch vom Sockel gestürzt?

Morina: Diese Seite Kants wird ja schon länger thematisiert. Er ist eben nicht nur der große Moralphilosoph, sondern auch einer der Wegbereiter moderner Rassentheorien. Ich halte aber nichts davon, ihn deshalb einfach aus dem Aufklärungskanon zu werfen. Eher müssen wir zu einem Perspektivenwechsel bereit sein und uns viel stärker zum Beispiel der Frage stellen, was es mit Menschen damals und seither machte, die in seinen Schriften einer vermeintlich minderwertigen „Rasse" zugeordnet wurden, und wie sie darauf reagierten. Wir müssen die eurozentrische und diesem rassistischen Denken immer noch stark verbundene Perspektive auf unseren Kanon aufgeben. Da stehen wir noch ganz am Anfang.

Brauchen wir überhaupt noch Denkmäler?

Morina: Ja, denn auch über Denkmäler vergewissern sich Gesellschaften ihrer selbst, sie sagen viel darüber aus, wie sie verfasst sind und wahrgenommen werden wollen. Oft sind Debatten über Denkmäler in einer freien Gesellschaft ungeheuer spannend. Manchmal ist sogar die Debatte das eigentliche Denkmal.

Information
Zur Person

Christina Morina ist Professorin für Allgemeine Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte an der Universität Bielefeld.
Sie forscht und lehrt zur Geschichte des 19., 20. und 21. Jahrhunderts, insbesondere zu Krieg, Nachkrieg, Erinnerungskulturen und Demokratisierungsprozessen in Deutschland und Europa.
Jüngst veröffentlichte sie (gemeinsam mit N. Frei, F. Maubach und M. Tändler) das Buch „Zur rechten Zeit. Wider die Rückkehr des Nationalismus". Das Buch ist 2019 im Ullstein Verlag erschienen.


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tja - das ganze interview hätte man genauso - mit den gleichen antworten - auch mit mir führen können: es spiegelt haarklein meine meinung dazu... 

am besten gefällt mir der letzte satz: "manchmal ist sogar die debatte das eigentliche denkmal!"... denn in der debatte, in dem für und wider, bleibt die historie im direkten gespräch, sei es nun eine figur oder ein ereignis.

wenn irgendwo irgendwozu eine gedenkveranstaltung stattfindet, dann geschieht das in deutschland zumeist nach ganz bestimmten ritualen - zumeist entlehnt den beerdigungsfeierlichkeiten der konfessionen: zu beginn ein ernstes musikstück: meistens irgendwie "tragend", dann gibt es eins - zwei grußworte - dann eine längere wohlgestelzte rede zum erinnerungsanlass - dann eine kranzniederlegung oder die platzierung eines überdimensionalen teuren blumenstraußes mit schärpe, zumeist zu den klängen erneuter ernster klassischer musik, und dann das schlusswort irgendeines zufälligen amtsinhabers - und das alles unter den blitzlichtfotos der herbeibeorderten presseleute, und manche zaungäste nehmen das ganze mit ihren smartphones auf, um es irgendwo in einem sozialen netz hochzuladen und online zu stellen - und wenn das interesse vermeintlich über die lokalen grenzen hinausgeht, läuft auch noch vielleicht die video-kamera eines tv-senders für die "aktuelle stunde" oder die "lokalzeit" mit - und mit verhaltener wispernder stimme raunt ein reporter das jeweils wahrgenommene ins mikro, oder liest es von der "presseerklärung" des veranstalters ab - und zur tatsächlichen sendung wird das ganze dann zu einem beitrag von 1:30 min. zusammengestöpselt - un gutt is...

aber dann ist es das auch gewesen - und wenn man am nächsten tag einen bekannten fragt: "hast du gestern den beitrag zu ...'dingens da'... gesehen", sagt der, "nee - ich war da wohl just mit dem hund raus..."

eine ritualisierte variante dieser art von erinnern ist es auch, bei solchen gelegenheiten jeweils die vielen dutzend opfernamen mit brüchiger stimme von mehreren abwechselnden lesern vorzulesen: "arndfried appelt, alfred beierlein, gertrud brzinski, gottfried bullkötter usw. - bis xyz"... - aber am ende der 8-minütigen namensverlesung - direkt hinter "walter zimmermann", kann sich niemand mehr an "arndfried appelt" vom anfang der verlesung erinnern - denn namen sind "wie schall & rauch", sie verwehen im windhauch... - aber: "gut, dass wir mal drüber gesprochen haben" ...

und schon deshalb ist eine auch meinetwegen handfeste diskussion zum für und wider einer historischen person oder eines historischen ereignisses im hier & jetzt - oder eine diskussionsrunde im klassenraum der schule oder im unterricht per videokonferenz - in jedem falle wesentlich eindrücklicher - und vielleicht bleibt ein fitzelchen in den ventrikeln der teilnehmer haften oder brennt sich gar ein ...

mit denkmälern ist es also ganz ähnlich: nicht das daran vorbei- und vorübergehen bleibt haften, ein abbauen und umstürzen löst erst recht keine bleibende eindrückliche "auseinandersetzung" aus, sondern immer nur die authentische "wahrnehmung" - und dieses antike (nach-)"bewegen im herzen" ["... aber behielt alle diese worte und bewegte sie in ihrem herzen" (lk 2, 19)...] - und all diese komplizierten geschichten dazu kommunizieren - sich auf die google-recherche machen in wort & bild - und gar die eltern und (ur-)großeltern dazu befragen - und dieses "warum haben die da jetzt bei dem 'bismarck-denkmal' noch diese 'info-tafel' angebracht, die wir für die nächste geschichts-stunde abschreiben - 'und anschließend erörtern' sollen" ...: - aber genau das ist für mich gedenken & erinnern - und vielleicht die frage, ob man nicht zum nächsten ortsfest etc. vielleicht ein "theaterstück" zu dieser lokalen thematik miteinstudieren sollte ... - natürlich auch mit all den benötigen hintergrundinformationen dazu ...

Birkenau - ein Gerhard-Richter-Zyklus im Berliner Reichstagsgebäude - eine Er-innerung

aus: DIE ZEIT - CHRIST & WELT Nr. 26 v. 18.Juni 2020 - S. 6

Feuilleton

SAMMLUNG EIN BILD, EIN SATZ, EIN WUNDER
Fotos: © Gerhard Richter 2020 (0087), Bernd von Jutrczenka/Picture Alliance/DPA, Ruprecht Stempell, Privat (2); Illustration: Alfred Schüssler/dieKleinert.de [M]
Norbert Lammert
Heute kuratiert von Norbert Lammert

Seine Empfehlung:
Gerhard Richter: 937-3 Birkenau (2014), Berliner Reichstagsgebäude

Warum haben Sie dieses Bild ausgewählt?

»Der prominente Ort verdeutlicht, dass wir uns vor der Erinnerung an die grauenvollste Phase unserer deutschen Geschichte nicht wegducken dürfen, sondern wir sie uns bewusst vor Augen führen müssen.«

Kurator im Monat Juni ist Norbert Lammert, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung und ehemaliger Bundestagspräsident. Im August 2020 erscheint sein Buch »Christlich-Demokratische Union. Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU« im Siedler Verlag.
ja - mit diesem beitrag aus der neuesten "christ & welt" kam ich wieder in kontakt mit meinem blog-beitrag aus 2017, wo ich die schenkungs-übergabe gerhard richters seines eindrücklichen zyklus "birkenau" in den blick genommen und dokumentiert habe.ich will hier jetzt nicht viel heruminterpretieren, sondern diesen damaligen beitrag mit den entwurfs-vorlagen hier nochmals wiedergeben...
für mich ist diese doku auch ein authentischer einblick in eine "kunst"-werdung: wie menschlich zähes wollen & streben mit allen mitteln ein eigentlich unvorstellbares und unaussprechliches geschehen gegen alle widerstände festhalten und dokumentieren will und muss - und wie ein künstler jahrzehnte später sich dieser original-fotos annimmt und sie interpretiert mit seinen ureigenen stilmitteln - und sie zum gestus für eine erinnerungs- und gedenkkultur macht. 

Gerhard Richters "Birkenau-Zyklus"

September 5, 2017


Gerhard Richters Zyklus "Birkenau"im Bundestags-Foyer im Reichstag in Berlin - mit dpa-bildmaterial (rechts)







"Birkenau" von Gerhard Richter

Der Blick der Opfer

Geschichte freilegen: Der Maler Gerhard Richter übergibt seinen „Birkenau“-Zyklus dem Deutschen Bundestag. VON SIMONE REBER | Tagesspiegel

Aschgrau, Lichtweiß, dazu schrilles Rot, grelles Grün. Die Farben tun weh. Und das ist Absicht. Der eigentliche Schmerz liegt jedoch unter der Oberfläche der Malerei. Denn für seinen „Birkenau“-Zyklus hat sich Gerhard Richter malerisch an Fotografien abgearbeitet, die Häftlinge 1944 im Krematorium von Birkenau aufgenommen haben.


 Undarstellbarer Schrecken. Gerhard Richter – hier im Museum Frieder Burda Baden-Baden – vor den vier Bildern des „Birkenau“-Zyklus.FOTO: ULI DECK/DPA


Am Montag übergibt der Künstler die fotografische Version des vierteiligen Zyklus als Schenkung an den Bundestag. Die vier abstrakten Großformate, die Gerhard Richter als ein einziges Werk betrachtet, hängen dann im Reichstagsgebäude an der Südwand der Eingangshalle, gegenüber von Gerhard Richters hoher Hinterglasmalerei „Schwarz, Rot, Gold“.


So hingen die Original-Fotos in der Burda-Ausstellung 2012.




Richter hatte die historischen Fotografien 2008 in der Zeitung gesehen und sich noch im gleichen Jahr an die Arbeit gemacht, die ersten Versuche aber wieder zur Seite gestellt. Zwei der vier Fotos zeigen, wie Männer auf dem Hof des Krematoriums mit nackten Oberkörpern zwischen den Toten balancieren. Es sind Häftlinge, die zum sogenannten Sonderkommando gehörten. Ihre Aufgabe war es, die Leichen der Ermordeten im Freien zu verbrennen, wenn im Krematorium kein Platz mehr war. Im Hintergrund sieht man dicken Rauch aufsteigen.

Richter hat sich immer wieder mit der NS-Zeit befasst

Der Fotograf muss sich hinter der Tür der Gaskammer versteckt haben. Der schwarze Rahmen bestimmt den Bildausschnitt und belegt die Position des heimlichen Beobachters. Die Bilder sind seine Botschaften aus Birkenau.

Mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und der unscharfen Grauzone der Verdrängung hat sich Gerhard Richter immer wieder beschäftigt. Er hat seinen Onkel Rudi, wie er in Wehrmachtsuniform lächelt, gemalt. Und er hat seine Tante Marianne gemalt, die von den Nationalsozialisten ausgelöscht wurde, weil sie an Schizophrenie litt. Der „Birkenau“- Zyklus aber ist nach zwei Anläufen Richters erste fertiggestellte Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Schicht um Schicht legt der Maler in den Abstraktionen seine Farben über die Perspektive des Fotografen, die Gemälde bergen den Blick der Opfer wie eine schwere Fracht in sich.

Inzwischen ist die Entstehung der Vorlagen weitgehend erforscht. Eine polnische Widerstandsgruppe schmuggelte Film und Kamera ins Konzentrationslager. Alberto Errera, ein griechischer Marineoffizier jüdischen Glaubens, soll auf den Auslöser gedrückt haben, während andere Häftlinge des Sonderkommandos Wache standen. So gelang es Errera im August 1944, den Massenmord zu dokumentieren.

Gerhard Richters vier Gemälde wurden 2015, ein Jahr nach ihrer Fertigstellung, erstmals im Dresdner Albertinum ausgestellt. Ihre Entstehung ist akribisch protokolliert. Nachdem Richter die Schwarzweiß-Fotos auf die Leinwand übertragen hatte, übermalte er sie. Erst braun, wie die nackte Erde, dann rot wie das Leiden, grün wie die perfide Waldidylle im Hintergrund, schließlich anthrazit wie die Asche und weiß wie der Tod.

Gerhard Richter malt die dunkle Trauer, aber auch die schwärende Wunde. Mit dem Rakel kratzt er die Farbe, öffnet die Oberfläche, verschließt sie wieder, lässt die Schlieren verlaufen und schabt die Krusten ab. Aus den beunruhigenden Dissonanzen ist ein malerisches Requiem für Millionen Tote entstanden und eine Hommage an eine Handvoll Häftlinge, die an die Wirkungskraft von Bildern glaubte.

Die Fotos wurden in einer Zahnpastatube aus dem KZ geschmuggelt

Neben den beiden Fotos aus der Tür der Gaskammer gelangen Alberto Errera auf dem offenen Hof des Krematoriums noch zwei weitere Bilder. Eins zerriss er, es zeigt nur Bäume und Himmel. In dem zweiten ist eine Gruppe nackter Frauen zu sehen, die auf die Gaskammer warten, wie der Fotograf von seiner Arbeit im Sonderkommando weiß. Die Fotos konnten in einer Zahnpastatube aus dem Konzentrationslager geschmuggelt werden, gelangten aber vor Kriegsende nicht an die Öffentlichkeit. Alberto Errera kam nach einem Fluchtversuch ums Leben.

Schon in seiner ersten Arbeit für das 1999 wieder eröffnete Reichstagsgebäude experimentierte Gerhard Richter mit Fotografien aus Konzentrationslagern. In seinem Bildarchiv, dem „Atlas“, ist ein Entwurf für die über dreißig Meter hohe Wand dokumentiert. Doch der Blick der anderen auf die Opfer entrückt diese. Am Ende entschied er sich für den Dreiklang „Schwarz, Rot, Gold“.

Seine vier Gemälde für den "Birkenau"-Zyklus ließ der Künstler fotografieren und hinter Acrylglas versiegeln. Eine der beiden fotografischen Weiterverarbeitungen seiner Malerei wird jetzt im Bundestag hängen.

Die schmerzenden Farben der „Birkenau“-Bilder werden sich beißen mit dem „Schwarz, Rot, Gold“. Und auch das ist sicherlich Absicht.





  • Einäscherung Vergaster in den Verbrennungsgräben unter freiem Himmel vor der Gaskammer des Krematoriums 5 in Auschwitz. August 1944. Oswiecim, Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau (Negative Nr. 280-281) - 
  • und Frauen auf dem Weg in die Gaskammer des Krematoriums 5 von Auschwitz. August 1944. Oswiecim, Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau (Negative Nr. 282-283).

Die Bilder wurden innerhalb von 15-30 Minuten von einem Insassen in Auschwitz-Birkenau, dem Vernichtungslager im Auschwitz-Komplex, aufgenommen. In der Regel nannte man ihn nur als Alex, ein jüdischer Gefangener aus Griechenland, der ein Mitglied des Sonderkommandos war, das in und um den Gaskammern Zwangsdienste ausführen musste.

Mehrere Quellen identifizierten ihn als Alberto Errera, ein griechischer Marineoffizier.  Er nahm zwei Fotografien aus einer der Gaskammern auf und zwei draußen. Er fotografierte aus der Hüfte, unfähig, die Kamera mit Präzision auf das Motiv auszurichten. Der polnische Widerstand schmuggelte den Film aus dem Lager in einer Zahnpasta-Tube.
Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Sonderkommando_photographs

Bildersturm

ERINNERUNGSKULTUR

Warum Bilderstürmerei nie zu Aufklärung führt


Von Dankwart Guratzsch | WELT


Berlins ehemaliger Stadtentwicklungssenator Peter Strieder will das Olympiastadion entnazifizieren. Der Denkmalsturzwahn pseudoreligiöser Eiferer trifft damit auch die Architektur. Erreichen werden sie nichts.

Für Peter Strieder, den einstigen Stadtentwicklungssenator von Berlin, gibt es kein Wenn und Aber. Über das Berliner Olympiastadion sagt er: „Die Skulpturen, Wandgemälde, Reliefs müssen weg. Das Maifeld samt Führertribüne sollte abgeräumt und nutzbar gemacht werden für neue Sportfelder, Trainingsplätze, Spielwiesen. Alle Namen der Gebäude und Straßen und Trainingsplätze aus der Zeit der Nazis gehören revidiert, künftig sollten sie beispielsweise nach Opfern der jüngsten rechtsterroristischen Gewalttaten benannt werden.“

Ja, so einfach ist es. Aber so einfach ist es nicht.

Es trifft ja zu, dass die NS-Propaganda exakt auf die überwältigende ideologische Wirkung der von den Brüdern March zwischen 1932 und 1936 errichteten Olympiabauten spekulierte. Aber 75 Jahre nach dem Ende der Hitler-Diktatur sollte man davor nicht mehr in die Knie gehen und zwischen Architektur und Politik unterscheiden können.

Architektur ist gut oder schlecht, aber jenseits von Propaganda und Gegenpropaganda erst einmal unpolitisch. Dass sie politisch instrumentalisiert werden kann, steht auf einem anderen Blatt.

Über das Berliner Olympiagelände sagt der Hamburger Architekt Volkwin Marg: „Olympiapark, Olympiastadion, Schwimmstadion, Sporthochschule, Maifeld, Langemarckhalle und Waldbühne sind Teile eines stadtlandschaftlichen Ensembles, das als Gesamtkunstwerk bewundert wurde. Es erhielt vom Olympischen Komitee 1936 die Goldmedaille für Architektur.“

Damit nicht genug, zur Architektur, so Marg, „gehörten nebenbei die bildenden und darstellenden Künste, wie Skulpturen, Reliefs, Malerei, steinerne Texte, die erste Inszenierung des Olympischen Fackellaufs, der gewaltige Lichtdom der Scheinwerfer zur Abschlussveranstaltung, die weltweit erste Telefunken-Fernsehübertragung für das Public Viewing sowie danach Leni Riefenstahls Filmopus ‚Olympia‘“.

Bilderstürmerei führt nie zur Aufklärung

Marg plädiert für die Erhaltung der Bautengruppe und ein Dokumentationszentrum vor Ort. Mit seinem Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner hat er dem Stadion ein transluzentes Dach hinzugefügt und unter der „Führerloge“ eine ökumenische Andachtskapelle eingebaut, die innen mit dem Vaterunser in allen Sprachen und außen mit dem Luther-Text aus dem Matthäusevangelium beschriftet ist: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele.“

Tut man Peter Strieder Unrecht, wenn man darauf hinweist, dass Exorzismus gegen Kunstwerke eine Praxis von Diktatoren ist? Bilderstürmerei, die gerade wieder in Mode kommt, hat ja tatsächlich noch nie zur Aufklärung beigetragen.

Man betrachte den Furor der Selbstgerechtigkeit, mit dem sich die Revolutionäre von 1789 wie in Selbsthypnose gegenseitig aufs Schafott befördert haben. Über Geschichte wächst kein Gras. Wer sich mit dem Brecheisen an ihr zu schaffen macht, rührt sie auf.

Auch der Tugendterror der Französischen Revolution hat nichts beendet, keinen Frieden gestiftet, keine Erinnerung beerdigt. Die Magie des leeren Ortes besagt, dass Architektur auch dort ist, wo keine ist. Auch das Nicht-Denkmal, das gestürzte Denkmal, das gesprengte Denkmal gestaltet Raum – indem es Blickbeziehungen eröffnet, in die Korrespondenz von Bauwerken eingreift, als Landschaftswunde schwärt.

Sind die Denkmäler von Kolonialherren, Rassisten, Generälen erst mal beseitigt, ist eine andere Öffentlichkeit, ein anderer öffentlicher Raum, ein anderer Bewegungsraum des Menschen hergestellt. Aber die Lücke gibt keine Ruhe. Man braucht sich nur bewusst zu machen, in welchem großem zeitlichem Abstand immer neue Wiederaufbauprojekte entstehen und von den Menschen wie ein Lebensrecht eingefordert werden.

Die Einrede und Widerrede von Gegnern feuert sie nur an. In seiner hygienisch sterilen, geradlinigen, rechteckigen, geschichtsleeren Behausung giert der entwurzelte Weltbürger nach nichts so sehr wie nach Bindung, Relevanz, Aufklärung über sich selbst.

Das abgeschaltete Denkmal redet weiter

Es gibt einen Rückstoßeffekt, der jeden Bildersturm konterkariert. Das liegt an der Sprachfähigkeit der Monumente, die sich durch Eingriffe nicht verkürzen, nicht auf leise stellen, nicht unterdrücken lässt. Das abgeschaltete, minimierte Denkmal redet weiter, doch es gibt die Botschaft der Geschichte verharmlosend wieder, zoomt nicht nur das Große, sondern auch das Böse auf ein Normalmaß herunter.

So schafft man Bilder eines glücklichen Gestern, dessen Stigma man gerade abtöten wollte. Auch die Totalrevision, die Ausmerzung und Nivellierung löscht nichts aus, markiert aber die Handlung. Niemals konnte das Feuer der Bücherverbrennung ausgetreten, nie die „entartete Kunst“ zum Schweigen gebracht werden.

Die Bücher und die Kunstwerke leben ein zweites, unauslöschliches Leben. Bloßgestellt und gezeichnet für alle Zeiten sind die Brandstifter und Scharfrichter, die es ersticken wollten.

Es ist das Paradox, dass das heroische Manichäertum, dessen Zeuge wir gerade sind, zur Farce macht. Die pseudoreligiösen Eiferer, die Dichter wie Ernst Moritz Arndt und Eugen Gomringer, Philosophen wie Immanuel Kant, Maler wie Emil Nolde, Eroberer und Entdecker wie Christoph Columbus, Politiker wie Winston Churchill als Rassisten vom Sockel stürzen, tappen in die Falle der Selbstkarikierung.

Was sie betreiben, ist vergleichbar dem Abschlagen der Nasen von antiken Skulpturen, mit dem die frühen Christen die Magie der alten Götter zu brechen suchten.

Die wirksamste, dauerhafteste Korrektur der Überlieferung leistet die Geschichte selbst. Während die stehen gebliebenen Monumente in ihrem Heroismus und martialischen Gestus immer komischere, zeitfremdere Züge annehmen, bleiben die beseitigten wie Untote lebendig.

Kein Bauwerk der Antike redet noch von den Schrecken und Blutopfern, unter denen und für die es errichtet worden ist. Die Pyramiden stellen sich wie Himmelszeichen dar, die den Enthusiasmus glaubensseliger Völker durch die Jahrtausende tragen. Ihr finsteres Gottkönigtum bringen sie nicht zurück.

Bauhaus-Architektur in Tel Aviv, errichtet von zum größten Teil deutschstämmige Juden, die nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten im Jahr 1933 aus Deutschland "ausgewandert" waren. (Archiv)
Wer zu ergründen sucht, woraus sich die neue Mordlust am Alten herleitet, stößt auf ein weiteres Paradox. Hinter ihr steht kein gefestigtes kulturelles Selbstbewusstsein, keine gesättigte, weitgespannte historische Erfahrung, sondern das Gegenteil: tiefe Zukunftsangst, Versagensangst vor Entwicklung, Wandel, Werden, das die armseligen Errungenschaften einer sang- und klanglosen Gegenwart infrage stellen, überholen oder relativieren könnte.

Das Bemühen, die Sprache zu säubern, den eigenen Standpunkt als „wissenschaftlich“ und „alternativlos“ darzustellen, das für „wahr“ Erkannte als ewig, unteilbar, unanfechtbar zum Gesetz zu machen, will nichts als einen eigenen, neuen Denkmalkult etablieren. Der Denkmalsturz soll Bildern und Denkmälern Platz machen, die keinen Widerspruch mehr dulden.

Der Philosoph Hermann Lübbe hat die Zeit, die wir durchleben, eine Zeit der „Gegenwartsschrumpfung“ genannt, in der sich das Neue selbst überholt und das Alte immer jünger wird. Wir erleben den Umschlag der Gegenwartsschrumpfung in Gegenwartsverewigung, ein Lebensgefühl, das der Vergangenheit seine Überzeugungen, seine Urteile und seine Wahrheit überzustülpen, das seine Gesetze zum Muster für alle Völker und Kulturen zu machen versucht.

In der manifestesten aller Künste, der Architektur, hat diese Vorstellung in den Werken der Revolutionsarchitekten monumentalen Ausdruck gefunden, Werken, die das Ewiggültige gefeiert und als unantastbar dargestellt haben. In der Gestalt der Kugel und der Pyramide, gesteigert zu übermenschlicher Größe und unfassbarer Monumentalität, suchten diese Werke die Politik und den Einsturz aller irdischen Ordnungen als Vollstreckung der ehernen Gesetze des Kosmos auf Erden unverrückbar zu verankern.

Der Totalitarismus der elementaren Form

Die reine Geometrie als das schlechthin Unüberbietbare, Unbezweifelbare, die Berufung auf Newton, die Wissenschaft, den „mechanischen Ursprung“ des Alls, die Feier der vergöttlichten Vernunft sollten eine Moral des Bauens und Gestaltens exekutieren, die nichts neben sich duldete und alles je Erschaffene nur noch als unvollkommen, wertlos und marginal gegenüber dem selbsterschaffenen Einzigwahren, Höchstvollkommenen und Ewiggültigen erscheinen ließ.

Es war der Totalitarismus der reinen elementaren Form. Und an ihm haben sich die Diktatoren des 20. Jahrhunderts orientiert.

Der Chauvinismus gegenüber dem Alten, der sich in den Wiederaufbaujahren in Deutschland Bahn gebrochen hat, dem unzählige unersetzbare Städtebilder und Monumente zum Opfer gefallen sind, war von sehr ähnlicher Qualität. Auch wenn er nicht mit fantastischen Konstrukten wie die Revolutionsarchitekten hervorgetreten ist, bediente doch auch er sich der elementaren Grundform als Waffe, um sein neues Ordnungsschema der Welt als ewig zu deklarieren.

Mit dem Rückgriff auf den alten lateinischen Lehrsatz: „simplex sigillum veri“, das Einfache ist das Siegel des Wahren, bemächtigte sich eine ernüchterte, bilderarme Gegenwart des schönen Alten, um es unter der Verdächtigung, es sei nichts anderes als des „Schrecklichen Anfang“ gewesen, klanglos zu entsorgen.

Dieser Geist ist wieder auferstanden. Wir erleben gerade am Beispiel des Kreuzes auf der Kuppel des Humboldtforums und am Streit über die Potsdamer Garnisonkirche, am Säuberungsfeldzug gegen das Berliner Olympiastadion und gegen alte und neue vermeintlich rechte Räume, an der Korrektur von Straßennamen und an der Absolutsetzung eines gendergerechten Sprachgebrauchs, am Ausmisten von Filmarchiven und Bibliotheken, an der Verstümmelung und Retusche von Biografien und Ehrentiteln, welche Blüten die Bereinigungsraserei treibt.

In ihr liegt eine seltsame, unfreiwillige, paradoxe Logik, die uns erst die neue Physik sehen gelehrt hat: Je weiter wir in dem sich immer schneller ausdehnenden Universum blicken, desto tiefer sehen wir in die Vergangenheit, je weniger wir von dieser Kenntnis nehmen, desto beschränkter unser Horizont.

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also - auch für mich ist es quatsch, den "negerhäuptling" aus pippi langstrumpf in einen "südseehäuptling" political correct umzubiegen. oder etwa kirchenglocken mit einem eingegossenen hakenkreuz einschmelzen zu müssen - oder mit der flex daran handanlegen zu wollen.

solche relikte aus der nazi-zeit sind nun nicht besonders erhaltenswert - quasi zum "neuwert" zu restaurieren etwa.

nein - ein hinweisschild - eine erklärung - eine schriftliche distanzierung - reicht völlig aus. ansonsten muss man ja gerade die allmählich zu bruch gehende gigantomanie des "dritten reiches" vor augen führen und als irrtum gebrandmarkt festhalten.

nur weil einige "privatgelehrte" und spinner irgendetwas in die externsteine hineingeheimnissen wollen, darf man dieses naturdenkmal doch nicht in gänze in frage stellen.

oder stonehenge - ja- und auch die pyramiden.

die bilderstürmerei der protestanten nach der reformation verhindert heute immer noch ein unbelastetes ökumenisches aufeinander zugehen und zeitigte den verlust unschätzbarer kunstwerke.

und die jeweilige bedeutung "politisch" wechselhaft interpretierbarer bauwerke und archäologie-fundstücke kann man in israel erkunden: wo man alte mauerreste als "herodianisch" oder "muslimisch" oder "römisch" oder "ur-christlich" oder "kanaanitisch" oder "ägyptisch" usw. einordnet, um es morgen vielleicht doch auch anders zu interpretieren, je nach gusto der jeweiligen regierungen und der jeweiligen "deutungshoheiten" - aber niemand würde wohl auf die idee kommen, diese artefakte gänzlich zu zerstören.

das machten der totalitäre islamische "is" und die taliban mit alten götterstatuen aus der vormuslimischen zeit - und es gab völlig zu recht einen weltweiten aufschrei der empörung...

kunstwerke und kultur-artefakte vernichtet haben zumeist nur pur totalitäre ideologie-regime: die nazis und all ihre deutschen helfershelfer haben synagogen angesteckt und bücher verbrannt - sie sollten in keinster weise irgendwie ein vorbild sein in ihrem völkischen wahn.

ach so - auch das original-wort "rassismus" sollte unserem grundgesetz auch aus nostalgischen gründen in artikel 3 erhalten bleiben, als reines wort - nicht als sinn ...

und heute morgen hörte ich den rest eines gottesdienstes im autoradio, als der zelebrant dazu aufrief, den glauben "mit den worten unserer väter" zu bekennen...: ich kritisiere ja immer, dass das apostolische christliche glaubensbekenntnis nur sehr knappe angaben zur biografie jesu beinhaltet - und nichts von seiner botschaft, seiner message, nichts von seinem frieden, seiner demut, seiner bergpredigt ... - aber "mit den worten unserer väter" konnte ich es sogar wieder innerlich mitsprechen.

NEU: ERNA'S LEIDENSPORTRÄT als 10-min. Youtube-Video - und als 114-seitiges Yumpu Bildmagazin -

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SPIEGEL . "Geschichte": ...und lebten glücklich bis an ihr Ende ...

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da gibt und gab es ja die vielen, die nach dem mai 1945 ff. allen ernstes behaupteten, sie hätten "von nichts gewusst".
 
und doch verspürten ja auch viele "den drang", den "armen menschen" zu helfen, "die jetzt nicht wussten, wo sie hin sollten" - "hier hilft man sich", wie es ja auch heute in der baumarkt-werbung heißt ... - allerdings zur nachbarschaftshilfe bei bauvorhaben oder bei der gartengestaltung.

nach 1945 waren da zunächst also ganz andere hilfen "von mensch zu mensch" gefragt: da benötigt der nazi-scherge, der tausende von menschen "auf dem gewissen" hatte, ausweispapiere um rasch auszureisen: und schwupps wurde er per mund-zu-mund-propaganda an den kirchenmann verwiesen, der in solchen fällen hilfe wusste - und zwei tage später wurde aus dem karl der ricardo - und wieder schwupps: weg war er ...

welche eine verlogene logistik offenbarte sich da: mit vielen helfern und helfershelfern und seilschaften - und "meiner schwesters nachbar - und davon ein cousin, dessen schwiegermutter hat bei deren tante..." usw.: "das wollten wir doch mal sehen"...

sicher - gleichzeitig entledigte man sich ja von "solcher art" nachbarn und durchreisenden, indem man sie weiterschickte. 

und diese "armen menschen" etwa den allierten behörden zu melden, das galt vor dem inneren gewissen als "schäbiger verrat von landsleuten" - das tat man doch nicht... "hier hilft man sich" ...
(stimme aus dem off...:)"ach - wissen Sie, das hätte damals jeder getan: wir wussten ja nicht, was der damals gemacht hatte, uns sagte ja niemand etwas ... - und dann mit den kleinen kindern und so einer aufrichtigen netten sauberen frau ..
und geld - geld oder sonstiges, also tauschware etwa, konnte damals jeder gebrauchen: eine hand wäscht die andere - wenn Sie verstehen was ich meine ... - 
und die justiz und die gerichte: das lag ja noch alles am boden, das kam ja erst die jahre danach allmählich wieder hoch... - und man wusste ja selbst nicht mehr, was richtig und was falsch war... 
den armen hanswurst, der jetzt ohne seine uniform nicht mehr wusste, wo er hin sollte, an den pfarrer zu vermitteln, konnte ja gar nicht falsch sein... und die kirche weiß dann immer in ihren reihen eine lösung: für alles und jedes ... 
aber ansonsten - wir alle, die kirchen, der papst - sogar manche alliierten luftaufklärungsbataillone, wir alle haben ja von nichts gewusst - nicht mal etwas geahnt - und oma hat mir damals die 'scheußlichen' fotos gegeben, die werner von der front aus dem russischen dorf geschickt hatte, dass ich die ganz schnell verbrennen sollte in dem kanonenofen in der waschküche ..."