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die segel-yacht aus braunem bahlsen-keks

verena's sailing by "p" & "ost" - sinedi.art
Bahlsen-Zwangsarbeiterinnen vor ihrer Baracke (ZDF-Video-Still)

Verena Bahlsen - 25-jährige Kekserbin - bekannte sich mit markigen und leicht ironischen Worten zum Unternehmertum als Triebfeder für die Veränderung in Richtung nachhaltigem Wirtschaften: „Ich bin Kapitalistin. Mir gehört ein Viertel von Bahlsen, das ist toll. Ich will mir 'ne Segel-Yacht kaufen und solche Sachen.“

Ihre These: Da die jungen Kunden nachhaltige Produkte nachfragten, verdiene man künftig eben besonders gut mit verantwortungsbewusst produzierten Waren.

Diese Äußerungen wurden nun in Beziehung gesetzt zur NS-Zwangsarbeit von ca. 200 Frauen bei Bahlsen während des Krieges. Das ZDF spricht in einer bei youtube einzusehenden TV-Firmenchronik unwidersprochen sogar von 770 Zwangsarbeiterinnen.

Mehrere Kommentatoren verlinkten zudem im Lauf der Diskussion auf Medienberichte über ein Urteil aus dem Jahr 2000. In der damaligen Debatte um die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern entschied ein Gericht, das Unternehmen Bahlsen müsse wegen Verjährung nicht zahlen.

In der Montagsausgabe griff die „Bild“ die Kritik auf und befragte Bahlsen dazu. Die junge Frau verteidigte sich: Es sei „nicht in Ordnung“, ihren Vortrag mit der Zwangsarbeiter-Frage in Verbindung zu bringen.

Doch statt Ruhe in die Debatte zu bekommen, heizte Bahlsen sie weiter an: „Das war vor meiner Zeit und wir haben die Zwangsarbeiter genauso bezahlt wie die Deutschen und sie gut behandelt“, zitierte die Zeitung. „Das Gericht hat die Klagen abgewiesen. Heute liegen keine Forderungen mehr gegen Bahlsen vor. Bahlsen hat sich nichts zuschulden kommen lassen.“

Tatsächlich arbeiteten also mindestens 200 Zwangsarbeiter während des Krieges für Bahlsen, um unter anderem Proviant für die Wehrmacht zu produzieren. In der Regel handelte es sich um Arbeitskräfte aus besetzen Ländern, die unter Zwang im Reich bei vielen Unternehmen eingesetzt wurden.

Das Urteil aus dem Jahr 2000, das Verjährung von Ansprüchen feststellte, war eine Grundlage für die Rechtssicherheit der Stiftung der deutschen Wirtschaft, über die viele Unternehmen anschließend Entschädigungen an Zwangsarbeiter zahlten. Auch Bahlsen beteiligte sich an dem Fonds. Allerdings galt die Aktion damals eher als Sühne denn als Zeichen, man habe sich „nichts zuschulden kommen lassen“.

In den sozialen Medien wird daher derzeit diskutiert, ob Bahlsen mit ihrer Äußerung die Zwangsarbeit willentlich verharmlose oder nur die Leichtfertigkeit einer weit nach dem Weltkrieg geborenen Generation widerspiegle. (Quelle: Handelsblatt u.a.)

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Verena Bahlsens Äußerungen über NS-Zwangsarbeiter




Braune Kekse

Firmenerbin Verena Bahlsen behauptet, NS-Zwangsarbeiter seien im Unternehmen "gut behandelt" worden. Die Firma habe sich nichts zu Schulden kommen lassen. Solche Worte zeugen von völliger Geschichtsvergessenheit.

Ein Kommentar von Felix Bohr | Spiegel-online [click]

Mit der NS-Vergangenheit ist es so eine Sache. In Deutschland sind wir uns ja größtenteils einig, dass das damals eine schlimme Zeit war. Wir nennen uns sogar nicht ohne Stolz "Erinnerungsweltmeister", denn mit unserer Geschichtsaufarbeitung überflügeln wir locker alle anderen. Okay, es gibt da ein paar Rechtspopulisten, die den erinnerungskulturellen Konsens in Frage stellen. Aber mit denen werden wir schon fertig.

Dabei übersehen wir gerne, dass im Land die Geschichtsvergessenheit um sich greift. Dafür hat Keks-Fabrikantin Verena Bahlsen, 25, gerade ein glänzendes Beispiel geliefert. Alles fing damit an, dass sich die Erbin des gleichnamigen Unternehmens bei einer Marketingkonferenz als überzeugte Kapitalistin outete.

Zwangsarbeiterinnen bei Bahlsen (Bildquellen: ZDF-Videostills)





Als Kritiker Bahlsen entgegenhielten, der Erfolg der Firma - und ihr Wohlstand - basiere auch auf der Ausbeutung der NS-Zwangsarbeiter, die für Bahlsen im "Dritten Reich" arbeiten mussten und nie entschädigt worden seien, reagierte die Unternehmerin mehr als fragwürdig.

Glänzende Geschäfte in Nazideutschland

Der "Bild"-Zeitung sagte sie, es sei "nicht in Ordnung", dass man ihre Äußerung zum Kapitalismus mit dem Thema NS-Zwangsarbeit bei Bahlsen in Verbindung setze: "Das war vor meiner Zeit und wir haben die Zwangsarbeiter genauso bezahlt wie die Deutschen und sie gut behandelt."

Die Erbin verwies auf eine im Jahr 2000 abgewiesene Klage gegen Bahlsen. Damals hatten 60 Menschen aus Osteuropa, die meisten von ihnen ukrainische Frauen, insgesamt mehr als ein Million Mark als Entschädigung vom Keks-Hersteller gefordert - vergeblich. Die Forderungen seien verjährt, urteilten die Richter seinerzeit.

Im selben Jahr trat Bahlsen der "Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft für die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter" bei. Heute liegen keine Forderungen mehr gegen das Unternehmen vor. Die Keks-Erbin kommt deshalb zu dem Schluss: "Bahlsen hat sich nichts zu Schulden kommen lassen."

Das kann man, gelinde gesagt, auch anders sehen. Das Unternehmen machte in Nazideutschland glänzende Geschäfte, galt als kriegswichtiger Betrieb. Zwischen 1941 und 1945 mussten bis zu 250 zum Teil gewaltsam von den Nazis ins Deutsche Reich verschleppte Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus insgesamt sieben europäischen Nationen im hannoverschen Bahlsen-Werk ihren Dienst verrichten.

Wehrmachts-Keksmischung


Historische Verantwortung des Unternehmens

Manche der Betroffenen berichteten nach dem Krieg, sie seien von den Firmeninhabern vergleichsweise gut behandelt worden. Doch wöchentlich hatten sie bis zu 48 Stunden an den Öfen oder Sortierbändern schuften müssen, vom ausgezahlten Lohn war ein großer Teil für Verpflegung und Unterbringung eingezogen worden. In den Barackenlagern sahen sich die Arbeiterinnen der Willkür der Wachmannschaften schutzlos ausgeliefert.

Die Firma Bahlsen hat zweifelsohne Schuld auf sich geladen - und hatte dafür jahrzehntelang nicht zu büßen. Während Opfer des Nationalsozialismus nach 1945 um gesellschaftliche Anerkennung und vielfach um Entschädigung kämpfen mussten, konnte die Unternehmerfamilie im Wirtschaftswunder schnell an ihre alten Erfolge anknüpfen: 1959 beschäftigte sie wieder 1500 Mitarbeiter.

Für die mit braunen Flecken behaftete NS-Vergangenheit ihres Unternehmens kann die 25-jährige Verena Bahlsen selbstverständlich nichts. Der historischen Verantwortung muss sich die Keks-Erbin aber stellen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sie mit ihrer Geschichtsvergessenheit im Trend liegt.

Denn dass es am Ende niemand gewesen sein will, gilt offenbar auch für die Nachfahren der Tätergeneration. 2018 fragte die Universität Bielefeld in einer deutschlandweiten repräsentativen Umfrage: "Waren Vorfahren von Ihnen unter den Tätern des Zweiten Weltkriegs?" 69 Prozent der Teilnehmenden antworteten mit "Nein".

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Bahlsen-Werbung 1941 - Repro: taz: 
und wo bahlsen draufstand - 
war unweigerlich zwangsarbeit drin
da meint ein leserbrief-schreiber sinngemäß unter einen diesbezüglichen artikel zu '#bahlsen': "in 50 jahren ist adolf hitler wahrscheinlich so eine art 'napoleon' mit 'holocaust'" - eben tatsächlich nur noch ein "vogelschiss", wie der afd-gauland ja die gesamte nazi-zeit in der deutschen geschichte abtun will.

und da schließt sich - zumindest unbewusst und aus lauter übermut - die junge firmen-erbin bereits an: "zwangsabeiter*innen - das war vor meiner zeit - da hat das unternehmen auch nichts mehr mit zu tun - ein gericht hat uns ja freigesprochen" ...

so wird geschichte geklittert und verdrängt - und so wird das "biologische erbe" der begrenzung eines menschenlebens einfach als vorteil eingesackt, dass nämlich fast alle anspruchsteller*innen aus der ukraine und anderswoher inzwischen verstorben sind - und die einstellung des verfahrens auch nur "aus verjährung" nicht mehr weitergeführt wurde - aber der stiftungsfonds der deutschen wirtschaft für die zwangsarbeiter*, dem auch bahlsen angehörte, zahlte laut "taz" auf antrag (!) als höchstsatz (!) einmalig (!) bis zu 2.560 uro "freiwillig" - als eine art "wiedergutmachung" ... war das nicht echt nobel??? 

die lebensbedingungen der zwangsweise in deutschland oder in den besetzten gebieten für deutschland arbeitenden menschen waren je nach nation, rechtlichem status und geschlecht unterschiedlich. menschen aus der sowjetunion (im ns-jargon sogenannte "ostarbeiter") und aus polen waren durch diskriminierende sondererlasse der willkür der gestapo und anderer
ns-kennzeichnung: "OST" od. "P"
polizeilicher dienststellen wehrlos ausgeliefert. sie durften ihre lager oft nur zur arbeit verlassen und mussten - wie die juden den "judenstern" - entsprechende kennzeichen ("
OST", "P") auf der brust tragen. 

gestützt wurde diese rassistische hierarchie des ns-regimes durch die innerhalb der deutschen bevölkerung weit verbreiteten antislawischen vorurteile, die zu vielen zusätzlichen beleidigungen, denunziationen und misshandlungen führten. zwangsarbeiter*innen wurden in zugige baracken oder in überfüllte gaststätten und festsäle eingepfercht. in den lager- und betriebskantinen wurden sie nur äußerst unzureichend verpflegt; ohne lebensmittelmarken konnten sie von ihrem geringen lohn nichts zu essen kaufen und litten ständig hunger. die wenigen nach der oft zwölfstündigen arbeitsschicht verbleibenden stunden freizeit nutzten sie zunächst, um ihr überleben zu sichern. sie versuchten auf dem schwarzmarkt brot zu erstehen oder putzten – gegen ein mittagessen – für eine deutsche familie. damit konnten sich auch ärmere deutsche ein "dienstmädchen" oder einen "hausmeister-hiwi" ins haus holen – wortwörtlich "für ein butterbrot". 

zu zeiten der zwangsarbeit waren bei bahlsen aus der wohl ebenfalls zugigen baracken-unterkunft in hannover einige frauen geflüchtet und hatten sich bis berlin durchgeschlagen. auf antrag der firmenleitung wurden diese frauen aber in berlin wieder aufgespürt und zurück nach hannover verfrachtet. zuvor hatte eine der geflohenen frauen in einem brief angedeutet, wie sehr sie die "freiheiten" in berlin nach der flucht genoss: "hier muss ich kein "p" mehr tragen. ich bin fast 'privat' untergebracht, meine arbeitsstelle ist um die ecke nur ein paar schritte entfernt"

späterhin kam es bei der fließband-keksproduktion unter den zwangsarbeiter*innen zu einem "wilden streik", indem sie einfach kekse "ungeschickt" zu boden warfen. hier handelte das unternehmen und schickte sonderrationen ins lager, um eine bessere verpflegung sicherzustellen.

"ohne zwangsarbeit hätte die wirtschaftliche produktion gar nicht aufrechterhalten werden können", kommentiert der wrtschaftshistoriker prof. alexander nützenadel die situation - die die junge verena bahlsen längst verdrängt hat bzw. gar nicht an sich herankommen lässt - und lieber von segelyachten träumt ... 

(mit angaben aus der zdf-tv-bahlsen-chronik bei youtube)




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