Symbolfoto: Stolpersteine |
Von Ingo Salmen | Tagesspiegel
Zwei Angehörige des kommunistischen Widerstands gegen das Nazi-Regime bekommen Stolpersteine an ihrem ehemaligen Wohnhaus im Berliner Kiez Kaulsdorf-Süd: Marie-Luise und Carl Hotze lebten einst in einem Haus mit der Adresse An der Wuhle 41. Ihr altes Zuhause steht nicht mehr, doch die Adresse gibt es noch – und die Eheleute sollen nicht vergessen werden. Denn ihr Verdienst ist es, andere Genossen, die von Verfolgung durch den NS-Staat bedroht waren, und im Jahr 1943 auch die jüdische Witwe Anna Degen und ihren elfjährigen Sohn bei sich aufzunehmen und ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben vor dem Zugriff des Staates zu schützen. Der kleine Junge wurde später in ganz Deutschland bekannt: als der Schauspieler Michael Degen. Das Schicksal der Hotzes war es, dass die Nazis sie festnahmen und in Konzentrationslager verschleppten.
Viel ist nicht bekannt über die Eheleute. Carl Hotze stammte aus Niedersachswerfen im Südharz in Thüringen. Er wurde am 16. September 1890 geboren. Von Beruf war er Kaufmann und Gärtner. Er führte einen eigenen Betrieb, zog Obst und Gemüse, hinter dem Haus in Kaulsdorf befand sich ein großer Garten. Marie-Luise Hotze war zweieinhalb Jahre jünger als ihr Mann, geboren am 15. Mai 1893. Ab 1930 gehörte sie wie ihr Mann der KPD an, nach 1933 war sie für den illegalen KPD-Unterbezirk Lichtenberg im Widerstand tätig. Auch Carl Hotze trat gegen die Nazis ein. Wegen „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ wurde er 1936 zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Das hielt ihn später nicht davon ab, sich weiter gegen das Regime zu engagieren: Ab 1940 gehörte er den Widerstandskreisen um Robert Uhrig an, ab 1942 der Saefkow-Jacob-Bästlein-Organisation.
Im September 1943 nahmen die Nazis die Eheleute fest. Marie-Luise Hotze kam ins KZ Ravensbrück, wo sie am 6. November 1944 ermordet wurde. Carl Hotze wurde zunächst nach Sachsenhausen gebracht, später nach Mauthausen. Er überlebte die Haft, nach der Befreiung machte er sich zu Fuß auf den Weg von Österreich nach Hause, um dort zu erfahren, dass seine Frau umgekommen ist. Nach dem Krieg arbeitete er beim Magistrat von Berlin, wohnte in Prenzlauer Berg. In den frühen 50-er Jahren versuchte er noch, über die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes eine Entschädigung zu erlangen. Danach verliert sich seine Spur in den Akten.
Initiiert hat die Verlegung der Stolpersteine Cindy Wewerka aus Biesdorf. „Meine Freundinnen haben mir den Stolperstein letztes Jahr zum 33. Geburtstag geschenkt“, erzählt sie und bezeichnet sich als „jüdisch-affin“. Das rührt von einem Erlebnis in der Kindheit her. „Als ‚Schindlers Liste‘ rauskam, haben meine Eltern das geschaut“, erinnert sie sich. Sie war selbst noch zu jung, aber hat heimlich zugesehen, als der Film im Fernsehen lief. „Da fing’s dann an, dass ich mir sämtliche Bücher zu dem Thema bestellt und gelesen habe.“ Eigentlich wollte sie auch einen Stein für ein jüdisches Opfer verlegen. Doch im Gespräch mit Dorothee Ifland, der Leiterin des Bezirksmuseums, stieß sie auf die Eheleute Hotze – und war von ihrem Werdegang beeindruckt. „Die beiden hatten ja die Wahl“, sagt Wewerka. Sie hätten sich anpassen können, aber entschieden sich dafür, für ihre Überzeugungen einzustehen – und versteckten am Ende auch Juden.
Mehrere Monate lang versuchte Wewerka zusammen mit ihrer Schwiegermutter Angelika, mehr über
Degens Autobiografie |
„Was waren das für Menschen!“, sagt Wewerka, die sich selbst auch politisch links verortet, über die Hotzes. Wie waren sie denn? „Sie war eine Person, die in politischen Diskussionen aufgeblüht ist“, berichtet die Stolperstein-Stifterin über Marie-Luise Hotze. Auch das hat sie aus Degens Buch erfahren. „Er war ein Schlitzohr, der sich nichts hat anmerken lassen, mit allen Wassern gewaschen, aber er stand zu seiner Meinung – und hat jedem geholfen, ob Genosse oder Jude“, sagt Wewerka über Carl Hotze. „Wer würde in der heutigen Zeit so was machen? Das hat mich so beeindruckt.“
An diesem Donnerstag, 5. Dezember, wird der Künstler Gunter Demnig gegen 13 Uhr vor dem Haus An der Wuhle 41 die beiden Stolpersteine in den Gehweg einlassen. Cindy Wewerka hatte auch versucht, den heute 87-jährigen Michael Degen einzuladen. Dem Linken-Fraktionschef in der BVV, Björn Tielebein, gelang schließlich noch eine Kontaktaufnahme. „Er freut sich sehr darüber, dass die beiden Hotzes nun auch ein in Stein verlegtes Gedenken erhalten werden“, antwortete Degens Frau Susanne Sturm am vergangenen Freitag. „Aber vor allem freut ihn, dass eine der beiden Initiatorinnen eine junge Dame ist, denn gerade für die jüngeren Generationen hat er ja vor 20 Jahren ‚Nicht alle waren Mörder geschrieben.“ Gern wäre ihr Mann zur Verlegung des Stolpersteins gekommen, schrieb Sturm, auch um Demnig für seine „unermüdliche Initiative“ ein „großes Dankeschön“ zu sagen. Doch so kurzfristig könne das Paar, das in Hamburg lebt, eine Reise nach Berlin leider nicht einrichten.
Die fesselnde verfilmte Autobiografie:
Nicht alle waren Moerder (90 min) from Gunnar Fuss on Vimeo.
Click here zu einem einstündigen "Zeitzeugen-Interview" zum Thema im BR
also - ich bin jedesmal berührt, wenn ich die gelegenheit finde, die geschichten und verwicklungen und die dramen zu recherchieren, die einem stolperstein quasi untergelegt sind, die ihm "fütterung" verleihen.
hier ist es nun relativ klar, weil auch der hauptsächliche zeitzeuge michael degen recht prominent ist und noch lebt, und verschiedene medien existieren, die zumindest einen teil der geschichte von marie-luise und carl hotze nacherzählen.
aber so "stolpert" man nicht nur über den stein, sondern er wird regelrecht lebendig, wenn man die geschichte erfährt, die ihn begründet.
um die 75.000 steine hat der künstler gunter demnig bereits in europa gelegt, unter denen sich jeweils sicherlich solche und ähnlich spannende schicksalsbiografien verbergen.
wir müssen versuchen, diesen schatz möglichst vollständig zu heben und in würde zu (be)hüten...
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