Jonathan Meese stiftet Unsinn, der doch politisch interpretiert werden könnte, seine Mutter liest aus Wikipedia vor: Eine „Lolita“ im Schauspiel Dortmund – mit Liedern von Robert Schumann und Rammstein
Anke Zillich, Uwe Schmieder, Jonathan Meese, Lilith Stangenberg, Maximilian Brauer in „Lolita (R)evolution (Rufschädigendst) – Ihr Alle seid die Lolita Eurer Selbst!“ Foto: Schauspiel Dortmund |
VON MAX FLORIAN KÜHLEM - diesmal für die taz
Einer der Zuschauer, die das Schauspielhaus Dortmund weit vor dem Ende von Jonathan Meeses, nun ja, Performance „Lolita (R)evolution (Rufschädigendst) – Ihr Alle seid die Lolita Eurer Selbst“ verlässt, schaut beim Abgang noch einmal in die Ränge und sagt: „Was soll ich hier? Ich bin dem intellektuell nicht gewachsen.“Das unbedingte Verstehenwollen, das ein Stadttheaterpublikum in Deutschland in der Regel an den Tag legt, wird hier tatsächlich zum Problem. Doch man kommt da nicht raus: Man würde so gern einen Sinn stiften im Chaos, das Meese veranstaltet, in den Brocken, die er seinem Publikum hinwirft, den Reizwörtern, die er touretteartig ausspuckt.
Manifest für das „Theater der Zukunft“
Eigentlich erklärt der vor kurzem 50 Jahre alt Gewordene, der seit Ende der 1990er Jahre an einem irrsinnigen Gesamtkunstwerk arbeitet, alles in einem handgeschriebenen Zettelkonvolut, das auf den Sitzen ausliegt. Es enthält eine Art Manifest für das „Theater der Zukunft“: Es ist „der hermetische Raum“, „ohne Angst“, „ohne Zensur“, es „paktiert niemals mit dem Publikum“. In der „Spielanleitung“ heißt es außerdem: „Bei der ‚Dortmundlolita‘ stürmt sich die Bühne selbst und die Lolitas ‚Tanzen‘ das Gesamtkunstwerk! Nur Kunst besetzt die Bühne und die Bühne wird als ultimativster Spieltraum jede Realitätsfantastische Aktivität unmöglich machen!“ (Groß- und Kleinschreibung nicht angepasst, d. Red.)
Unter diesen Vorzeichen ist alles möglich – nur eben nichts, das innerhalb des etablierten Systems Theater versteh- oder erklärbar wäre, das möglicherweise sogar eine Geschichte erzählte, indem sich Menschen in Rollen einfühlten. Trotzdem – und das muss man vielleicht unter der vielgerühmten Wohlerzogenheit verbuchen, die Jonathan Meese in Porträts zugeschrieben wird – bekommen die Menschen ihre „Lolita“: Meeses 90-jährige Mutter Brigitte Renate Meese, die die Performance wahrhaftig auf der Bühne mit sanfter Penetranz nach fast drei Stunden auch beenden wird, verliest per Videobotschaft die Wikipedia-Zusammenfassung von Vladimir Nabokovs Klassiker.
Und noch etwas passiert, bevor der Feuerschutzvorhang sich öffnet und Meese und Ensemble mit einem infernalischen Tohuwabohu die Diktatur der Kunst errichten: Bernhard Schütz, den Meese für die fünf Lolita-Aufführungen als Gast mit ans Haus gebracht hat, singt Heinrich-Heine-Bearbeitungen von Robert Schumann, unter anderem diese hier: „Die alten, bösen Lieder, / Die Träume schlimm und arg, / Die lasst uns jetzt begraben, / Holt einen großen Sarg.“
Betrachtet man den Abend retrospektiv durch diese Brille, dann war vielleicht alles ein großer Kehraus, ein Reinigungsritual, das sich der scheidende Dortmunder Intendant Kay Voges selbst zum Abschied schenkt. Beziehungsweise war es die Situation vor dem Kehraus: ein chaotisches, stoßhaftes Übermanntwerden von den alten, bösen Liedern, ein Durchexerzieren der schlimmen und argen Träume.
Retrospektiv betrachtet
war der Abend
ein großer Kehraus,
ein Reinigungsritual
Denn natürlich spricht Meese, der wie ein Oberspielleiter-Feldwebel fast durchgängig auf der Bühne auf- und abmarschiert, in einer Tour laut in ein Mikrofon vom Führer, vom Ende der Demokratie, und er hebt sicher hunderte Male den rechten Arm zum Hitler-Gruß. Fast verzweifelt wirken Lilith Stangenberg, die er gern huckepack trägt (vielleicht ist das ein Lolita-Bild: der Kopf des alternden Künstlers, der aus dem Schoß der jungen Schauspielerin spricht), und seine Mutter, wenn sie bitten: „Nimm den Arm runter.“
Irgendwann landet auf dem Schmierzettel, den sich Theaterkritiker anzulegen pflegen, die Frage: „Ist das eine Fuge?“ Denn Meese und Ensemble bestreiten fast die kompletten drei Stunden mit einem kleinen Arsenal aus Satzfetzen, die sie variieren, umstellen, umkehren, man könnte sagen: zu einer polyphonen Sprachmelodie formen, einer bösen Fuge eben. Etwa „Ich bin unheilbar Deutsch.“ „Ich bin ein Glashändler aus dem Siebengebirge und werde im Teutoburger Wald die Alraune des Führers finden.“ „Ich kann meine Mitläufer-Fratze nicht mehr sehen.“ „Ich werde Deutschland so klein machen, dass es in eine Partei passt.“ In der ungefähr zweiten Stückhälfte muss das Publikum dann auch noch acht- bis zehnmal den eingespielten Rammstein-Hit „Sonne“ ertragen, über den Meese einen neuen Text grölt: „Hier kommt die Mutter / Sie wird die Demokratie bezwingen.“
So ist das eben nicht nichts oder bloß sinnloser Quatsch oder gaga, was der Künstler hier veranstaltet. Auch wenn er es bestreiten würde: Der Meese-Kosmos, in dem auch die finnischen Kinder-Trolls Mumins eine große Rolle spielen, lassen sich sogar gut als politischer Kommentar zur unserer Zeit der Troll-Kommunikation lesen, der ein Rückfall in die schlimmsten und ärgsten Albträume der Geschichte droht.
Termine: 21. 3., 3. 4., 25. 4., 16. 5. 2020
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es geht um die machtergreifung der kunst - oder so - es ist sowieso alles verboten.
ich meine, wie soll ich das, was der herr redaktör kühlem da an zeilengeld für die taz abrechnet - und das, was ich in dem video der honorigen "pro-paganda.film" egmbh etc. pp [und update - neu: das 3sat-kultuzeit-video] an ein- und ausdrücken geboten bekam - wie soll ich da hier etwas an kritischen oder zustimmenden text in diese blogzeilen hacken?
- 3sat sagt: meese ist ein "enfant terrible" - und wenn dieser ausdruck für jemanden zutrifft: dann für jonathan meese, den klamauk-verführer... und das ist hier in dortmund nicht mal "höherer blödsinn" - sondern nur noch blöd... und dein und mein intellekt haben mal ihre wohlverdiente pause und ruhe: es gibt nichts zu "verstehen"=====
erst einmal sei festgestellt: meese hat narrenfreiheit, der bekäme immer und überall mildernde umstände zugesprochen - von jedem advocaaten-gericht der welt. aber es wäre schade drum. so ein talent einfach in den dreck gezogen, weggeworfen - bespuckt und gegeifert und begrapscht.
und seine provokante bildersprache, durchsetzt mit all den offenen versteckten faschismen - oder sagt man evtl "fauchism"? - sind ja alle unter dem konto klamauk und viel lärm um wirklich mal nichts - aber auch gar nichts - zu verbuchen und abzuhaken.
und das sei auch dem buchprüfer vom finanzamt gesagt: der meese und all die anderen performancers bekommen zwar knete - aber es ist keine direkte zu versteuernde gegenleistung da - wenigstens mit hand und fuß - außer der backenstreich vielleicht, den lilith stangenberg (ist ja klar - wenn man so heißt) in übergriffiger art & weise an jonathan meese ausübt - wo sie ihm den seiber in den bart spritzt - also in echt herabsetzender gewaltanwendung durchaus auch pornografischen inhalts - wenn du verstehst, wo mir da auch noch der schuh drückt.
ach - wo war ich stehengelassen worden: diktaphon der kunst, artphone (oder heißt das "argwohn") - oder so: und - lilith - pack deinen wolf lupus wieder in den anhänger an deinem gefährt, die szene wo der aufheulen sollte hat der meese auch wieder vermasselt - wenn du verstehst ...
man könnte noch soooo viel dazu sagen und auch deklamieren: und natürlich ist das stück hochpolitisch ("jonathan, hol dir deinen arm endlich nochmal runter"): denn wenn die da in berlin in schützenverein-manier nach einem neuen könig, nach bube und jungfrau suchen, dann hilft ja hier unten in der provinz nur noch die diktatur der "art"igkeiten.
so long - aber ich merke gerade - ich bin dem intellektuell wohl auch nicht ganz gewachsen... nee - meese - du kannst mich mal an derselben böltern - wenn du verstehst... und nimm endlich den arm runter! - die leute denken ja sonst noch, du veräppeltest nach 80 jahren immer noch den führer himself: das wäre pure leichenfledderei - von wegen lolita - und die fledderei und ich mein auch die lolita sind längst verboten - weiß ich genau - auch ohne advocaat. und dreh dich wieder um.
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