Der Schweizer Johann Bossard war in der Kunstgeschichte ein Niemand. Bis ihm eine norddeutsche Kleinstadt mithilfe der deutschen Regierung ein neues, teures Museum bauen wollte.
Von August Modersohn | DIE ZEIT 23/2020
Als die Stimmung in Jesteburg kippte, stand Jörn Lütjohann im Kreistag. Genau genommen war er es, der die Stimmung zum Kippen brachte. Es sollte eigentlich nur um das Geld gehen, mit dem man in der Kleinstadt nahe Hamburg ein neues Museum bauen wollte: fast elf Millionen Euro, die Hälfte hatte der Bund bereits zugesichert, zwei weitere Millionen sollten die Lokalpolitiker versprechen, damals, in ihrer Sitzung vom 18. Dezember 2019.
Mit dem Geld sollte der Kunststätte Bossard ein Großprojekt ermöglicht werden, um mehr Besucher anzulocken. Die Stätte verwaltet das Erbe von Johann Bossard, einem Bildhauer und Expressionisten aus der Schweiz, der als junger Mann nach Norddeutschland gezogen war und 1950 in Jesteburg starb.
Heute kennen nur noch die wenigsten Johann Bossard. Manche sagen, dass er ein glühender Antisemit war, ein Hitler-Verehrer. Ausgerechnet für so einen und seine Kunst sollen nun Steuermillionen fließen?
Jörn Lütjohann, 56 Jahre alt, ist Christdemokrat und seit 15 Jahren Lokalpolitiker. Kurz vor der Sitzung, so erzählt er es heute, hätten seine Parteikollegen noch auf ihn eingeredet: "Jörn, tu es nicht! Rede nicht!" Man könne das Thema doch auch intern besprechen. Lütjohann stand trotzdem auf. Er referierte über Bossards Nähe zur NS-Ideologie. Eigentlich durfte er nur fünf Minuten reden, es wurden zwanzig. Erst habe man noch versucht ihn zu unterbrechen. Aber Lütjohann machte unbeirrt weiter. Er sagte: "Bossard war ein Feind der Demokratie. Bis zum Schluss." So jemanden dürfe man nicht feiern. Und deshalb könne man das Museum nur dann unterstützen, wenn man in dem Neubau die dunkle Vergangenheit des Künstlers mit einer Dauerausstellung thematisiere.
Später am Tag stimmte der Kreistag für die Millionen-Förderung. Auch Lütjohann hob seine Hand. Ein Fehler, sagt er heute. Denn seit dem Tag im Dezember ist in Jesteburg ein Streit über Johann Bossards Vergangenheit entbrannt: Antisemitische Zitate rückten in den Fokus und ein Hakenkreuz in seinem Atelierhaus.
Der Spiegel griff die Lokalposse auf, sogar in den USA wurde darüber berichtet. Und plötzlich schaute die Kulturszene auf die 7000-Seelen-Gemeinde, für die sich bisher kaum jemand interessierte – und auf einen Schweizer Künstler, der in der Kunstgeschichte kaum eine Rolle spielte.
Rainer Rempe versteht die Welt nicht mehr. Er ist Landrat, Fraktionskollege von Lütjohann und Stiftungsratsvorsitzender der Kunststätte Bossard. Mit den Wendungen der vergangenen Monate habe er nicht gerechnet, sagt er. "Zumal der Stiftungsrat selbst die wissenschaftliche Aufarbeitung der Rolle Bossards in der Zeit des Nationalsozialismus schon vor Jahren angestoßen und auch publiziert hat." 2018 hat die Kunststätte zwei Schriften veröffentlicht, die sich diesem Thema widmen. Das Fazit: Bossard war kein überzeugter Nazi. Nach anfänglichen Sympathien für das Regime habe er sich ab dem Jahr 1934 davon distanziert.
Es sind diese Ergebnisse, die heute – nach der beschlossenen Millionenförderung – in Zweifel gezogen werden. Und so wird die Frage neu aufgeworfen: Wer war Johann Michael Bossard?
1874 in Zug geboren, besuchte er in Luzern die Primar- und Sekundarschule und machte danach eine Lehre als Ofenbauer. Später studierte er Kunst in München und Berlin, wurde Bildhauer, feierte mit Kleinplastiken erste Erfolge. 1907 dann der Umzug nach Hamburg, dort wurde er Professor an der Kunstgewerbeschule. Doch das Leben in der Stadt gefiel ihm nicht. Er schaute sich um, nach einem Grundstück auf dem Land – und wurde fündig in Jesteburg, 30 Kilometer südlich von Hamburg. Hier, auf den 30.000 Quadratmetern mitten im Wald, sollte es entstehen, sein schon länger geplantes Gesamtkunstwerk: eine Stätte, die Architektur, Bildhauerei, Malerei und Gartenkunst vereint.
Johann Bossard war ein Anhänger der Lebensreform-Bewegung. Er suchte eine Alternative zum Urbanismus, zum Industrialismus, wollte Selbstversorger sein. In Jesteburg hielt er Schafe, auch Getreide baute er an. Und über die Jahre hat er, später auch gemeinsam mit seiner Frau Jutta, eines der abstrusesten Gesamtkunstwerke überhaupt realisiert: einen imposanten Kunsttempel im Backsteinexpressionismus, irgendwo zwischen verwunschen und verstörend. Die Wände farbenfroh bemalt, voller nordischer Mythen, in den Gärten heroische Steinplastiken.
War der Künstler Johann Bossard ein Nazi?
Wer sich heute umhört in Jesteburg, der erfährt: Schon seit vielen Jahren hatte das Museum geplant, die Vergangenheit der Bossards aufzuarbeiten. 2017 schließlich beschloss die Stiftung, das Thema anzugehen. Die Kunststätten-Leiterin Gudula Mayr durchsuchte gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern die Archive, las Briefwechsel, Reiseberichte und Schriften des Künstlers. Eine der 2018 veröffentlichten Studien war der Katalog zur Ausstellung mit dem Titel Über dem Abgrund des Nichts. Parallel dazu druckte die Kunststätte die zweite Publikation mit Texten aus Bossards Nachlass.
Rainer Rempe schrieb das Vorwort. Er geht darin auf Bossards Hoffnung ein, mit seinem Gesamtkunstwerk zur "Fundamentalerneuerung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in Deutschland" beizutragen. "Angesichts dieses utopischen Anliegens", schreibt Rempe, "das seinen Ausdruck auch in einem heroischen Körperideal mancher Kunstwerke und in der Begeisterung Bossards für Runen und nordische Mythologie fand, mischt sich in die Faszination mancher geschichtsbewusster Besucher Unbehagen." Dieses Unbehagen, so sein Schluss, sei aber unbegründet: Bis 1934 hätte Bossard den Nazis und ihrer Programmatik "vorsichtig aufgeschlossen" gegenübergestanden. Danach aber sei er dem Nationalsozialismus mit wachsender Distanz begegnet. Und: Mitglied in der NSDAP sei er sowieso nie gewesen.
Jahrelang hat das Museum nicht darauf aufmerksam gemacht
Heute sagt Rempe: "Das Interesse an den publizierten Arbeiten und dem öffentlichen Kolloquium war seinerzeit sehr verhalten." Tatsächlich, zum Kassenschlager wurden die Veröffentlichungen nicht: Der Katalog verkaufte sich insgesamt 167 Mal, die Textsammlung sogar nur 92 Mal. Wahrscheinlich wäre das Thema auch nicht wieder aufgekommen, wenn die Kunststätte nicht geplant hätte, mithilfe von staatlichen Fördergeldern einen großen Museumsneubau auf das Grundstück zu stellen. Denn dann hätte Jörn Lütjohann sich nicht vorgenommen, endlich einmal einen Blick in den Katalog zu werfen.
Er sei krank gewesen, sagt Lütjohann, in der Woche vor der entscheidenden Kreistagssitzung im Dezember. Normalerweise arbeitet er als Rechtsanwalt in seiner Hamburger Kanzlei. Normalerweise hat er viel zu tun. Jetzt aber lag er im Bett – und nutzte die Zeit, sich auf die Abstimmung vorzubereiten. Im Katalog stieß er auf einen Denkmal-Entwurf, den Bossard 1933/34 bei einem Wettbewerb in Hamburg eingereicht hatte: eine überdimensionierte Halle, mit einer Hitler-Huldigung an der Wand. Realisiert wurde der Entwurf zwar nie. "Wenn diese Halle aber gebaut worden wäre", sagt Lütjohann, "dann hätte niemand jemals daran gezweifelt, dass Bossard ein Nazi war." Er sprach den Entwurf in der Sitzung an, bevor er dann doch für das Museumsprojekt stimmte.
Dass Lütjohann seine Meinung geändert hat, dass er heute nicht noch einmal für die Förderung stimmen würde, liegt daran, dass er weiter geforscht hat. Nach der Kreistagssitzung schaute er sich nicht nur den Katalog, sondern auch die Textsammlung an, die die Kunststätte herausgegeben hatte. Und was er da las, konnte er kaum glauben: "Um nur zwei Beispiele zu nennen: Bossard beschwört 1938 in einem Bericht über eine Studienreise nach Belgien und Frankreich das 'nordische Erbe'. Und 1940 freut er sich, dass in Berlin 'der eiserne Besen des Dritten Reichs' neugotische Kirchtürme kappte." Und dann, sagt Lütjohann, habe er noch den Satz gelesen, den Bossard über die Jury schrieb, die seinen Entwurf für das geplante Denkmal in Hamburg abgelehnt hatte: "Wäre doch ein Jude dazwischen, damit ich ihm die Schuld geben könnte." Da, sagt Lütjohann, sei ihm der Kragen geplatzt.
Dass Bossard sich, wie von der Kunststätte behauptet, vom Nationalsozialismus distanziert hätte, das glaubt Lütjohann inzwischen nicht mehr. Damit ist er nicht der Einzige.
Seine Zweifel machten die Runde, die bisher unbekannten Zitate erhielten plötzlich Aufmerksamkeit. Und da war ja auch noch die Sache mit dem Hakenkreuz.
Hakenkreuz im Eddasaal der Kunststätte Bossard - Jörg Müller/ DER SPIEGEL |
Die Kritik zeigt Wirkung. Am 8. Mai teilte der Stiftungsrat mit, die Neubaupläne vorerst zu stoppen. Externe Wissenschaftler sollen damit beauftragt werden, die Rolle Bossards in Nazideutschland neu zu untersuchen.
Erst wenn dieses Ergebnis vorliegt, entscheidet sich auch, ob die Millionen aus Berlin tatsächlich nach Jesteburg fließen werden. In einem internen Schreiben, das der ZEIT vorliegt, teilt Monika Grütters, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, mit: "Da bei der Kunststätte Bossard Leben und Werk eine Einheit bilden und als Einheit präsentiert werden, wird eine Förderung durch den Bund nicht in Betracht kommen können, wenn rassistische Äußerungen und die Nähe zum Nationalsozialismus dauerhaft mit dem Leben Johann Bossards verbunden sind und das Werk beschädigen."
Sollte es doch noch zu einer Förderung kommen, so steht es weiter in dem Schreiben, müsse im neuen Museum eine Dauerausstellung entstehen, die sich kritisch mit Bossards Nähe zur NS-Ideologie auseinandersetzt.
Sollte es doch noch zu einer Förderung kommen, so steht es weiter in dem Schreiben, müsse im neuen Museum eine Dauerausstellung entstehen, die sich kritisch mit Bossards Nähe zur NS-Ideologie auseinandersetzt.
Kunsttempel, ehemaliges Bossard-Wohnhaus in Jesteburg: "Dynamik des nordischen Blutes" Jörg Müller/ DER SPIEGEL |
Genau das, heißt es seitens des Museums, sei sowieso geplant gewesen. Nur stand davon in dem öffentlichen Konzept für den Neubau, genau, nichts.
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ja - so geht das ja in der sogenannten provinz: da wird lokal ein "künstler" verehrt, den man vom stil her eher den anthroposophen zuordnen könnte - mit seiner nordischen mythenwelt. und schon meint eine örtliche fangemeinschaft, die das erbe verwaltet, ihn als "großen künstler" endlich groß herausbringen zu müssen - immerhin schreibt wikipedia: die kunststätte bossard sei "eines der imposantesten Gesamtkunstwerke Europas und zeigt, wie Architektur, Bildhauerei, Malerei, Kunstgewerbe und Gartenkunst zu einer Einheit verschmelzen können." und zitiert dabei die f.a.z.
und dann macht man sich endlich mal daran, dem erbe mal tatsächlich auf den grund zu gehen ... und packt dann schnurstracks ins braune weiche.
jahrzehntelang war das alles in der gegend mehr oder weniger sicherlich bekannt, aber für "spinnrige künstler von nebenan" interessiert sich der hier lebende ureinwohner über generationen hinweg sicherlich nur peripher.
und die tieferliegenden politisch genetisch bedingten grundüberzeugungen der ganz alteingesessenen, etwas abseits vom mainstream, haben sich in all den jahren nach dem krieg sooooo grundlegend sicherlich nicht immer geändert (stichwort: urvater hermann löns) - und man wollte ja schon immer eine alternative denke zum hanseatisch weitläufigen weltoffenen trend in der naheliegenden metropole hamburg.
und wenn die da in hamburg nun endlich weit überteuert ihre elbphilharmonie einweihen können, deren akustik ja so viel besser als ihr ruf auch nicht sein soll, kann jesteburg ja wohl ihren zugezogenen "sohn der stadt" auch mal gebührlich ins rampenlicht befördern.
von kunst selbst versteht man in jesteburg ja nun nicht alle welt, - und dies kleine steinmosaik da im bossardschen edda-saal, wo man schon manch jesteburger hochzeit gefeiert hat (und auch aus hamburg waren sie schon hier) - dass das nun ein eindutiges hakenkreuz von 1934 sei, das muss einem auch erst einmal gesagt werden.
na ja - war mal einen versuch wert - vielleicht klappts ja das nächste mal...
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