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bilderstreit um nolde

Emil Noldes "Blumengarten - Thersens Haus" von 1915 – eben hing das Bild noch im Kanzleramt, jetzt musste es weichen - Abb. nach: © Jörg P. Anders/Nationalgalerie, SMB/bpk Nolde Stiftung Seebüll

  • ein "konkretes" poesie-gedicht von eugen gomringer  wird - über 50 jahre nach seiner fertigstellung - an der fassade einer berliner hochschule plötzlich übertüncht, weil eine handvoll schülerinnen dieser hochschule sich plötzlich und neuerdings in ihrer weiblichkeit diskriminiert fühlen und einen im text ganz zum schluss benannten "bewunderer" (in spanischer sprache) als "übergriffig" ausmachen.
  • songs der pop-ikone michael jackson werden von einigen radiosendern weltweit aktuell nicht mehr gespielt, weil zwei einstige "gespielen" nun nach jahrzehnten - angeblich "glaubhaft" behaupten, von jackson sexuell missbraucht worden zu sein: bei einem ähnlich gelagerten prozess traten beide "opfer" noch zu lebzeiten des künstlers erfolgreich als seine entlastungszeugen auf. eine derzeitig laufende mit fördermitteln finanzierte michael-jackson-ausstellung der deutschen bundeskunsthalle zu bonn - mit viel klimbim und kitsch um seine person - wurde deshalb auch stark kritisiert. - übrigens - jacksons "earth-song" wird sicherlich auf manchen "friday-for-future"-demos - hoffentlich - abgespielt ...
  • und das bundeskanzleramt wird für ein nolde-gemälde aus dem arbeitszimmer der kanzlerin zur leihgabe angefragt - für eine ausstellung in berlin, die die verstrickung emil noldes mit den nazis belegen soll: die kanzlerin will deshalb schnurstracks ein zweites nolde-werk aus diesem für sie vorübergehend (!) zur nutzung überlassenen arbeitszimmer an einer anderen gegenüberliegenden wand gleich mit loswerden. nach einigem hin und her bleiben nun die wände zunächst weiß - ohne kunstbehang - weil auch der "ersatz"-künstler, karl schmidt-rottluff, den die stiftung preußischer kulturbesitz daraufhin aus dem reichhaltigen magazin ziehen wollte und anbot, sich mal irgendwann zu jener zeit "antisemitisch" geäußert habe ...
  • bei anderen kunstwerken wird die "provenienz" - die "herkunftsgeschichte" - irgendwie in unterschiedlicher hinsicht infrage gestellt - und so weiter und so fort ...
Noldes Bild "Brecher" (1936) hing bis vor kurzem im Arbeitszimmer von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Es zeigt eine riesige Welle unter einer blutroten Wolke. Das Bild wurde von den Leihgebern der Staatlichen Museen zurück erbeten, um eine aktuelle Nolde-Schau in Berlin zu bestücken, in der es um Noldes Verstrickungen in der NS-Zeit gehen wird. Zurückkehren wird der "Brecher" wohl nicht mehr ins Kanzleramt. bearbeitet nach © tollebild.com - und einer Vorlage mit Frau Merkel im Vordergrund von picture alliance/dpa DW:
also - der derzeit herrschende zeitgeist hat es verlernt, das einzelne kunstwerk als solches zu "sehen", zu interpretieren, zu deuten, es weiterzuspinnen für die eigene kreativität: der künstler dahinter wird überinterpretiert - was sich ja auch im normalen auktionsbetrieb der internationalen galerien abzeichnet... 

sinedi: unser kopf ist rund...
"unser kopf ist rund - damit das denken die richtung wechseln kann", hat der ebenfalls-künstler picabia seinerzeit formuliert. 
auch ein kunstwerk kann also - bei jedem menschen - egal welchen geschlechts, welcher herkunft, welchen alters, welcher hautfarbe, welcher sexuellen orientierung auch immer, den kopf zur richtungsänderung in der denke bewegen. und dabei spielt die "provenienz" des werkes und der lebenslauf und der werdegang des jeweiligen kunstschaffenden dahinter nur eine sehr marginale bedeutung. nur die schaffe an sich - die kunst - heißt es zu bewerten - sicherlich unter einbeziehung der bedingungen seiner schaffens- und entstehungszeit und der zuordnung zu den gängigen kunststilen und -epochen.

denn in den den einzelnen künstlerbiografien wird es immer auch irgendwelche brüche und verirrungen und irrtümer geben - oder gar verzweiflung und suizid. wir müssen die künstlerpersönlichkeiten ja auch nicht liebhaben oder gar mit dem kunstwerk mitheiraten - der künstler ist lediglich der produzent eines werkes, einer besonderen "ware", die er an die frau - an den mann - bringen will, für die er käuferschichten und sein publikum ansprechen will.

nolde selbstbild, 1917
wenn also ein künstler - wie z.b. emil nolde - von seiner kunst leben will und "publicity" machen muss und die werbetrommel rühren, dann muss er sich als kind seiner jeweiligen zeit dem herrschenden kunstbetrieb anpassen, sonst geht er einfach baden und wird nicht berücksichtigt. nolde sah nun - biografisch bedingt - die aufgabe, sich als person - gebürtig aus dem ländlich-bäuerischen friesisch-dänisch-deutschen grenzgebiet - dem finanzkräftigen deutschen "mainstream"-kunstmarkt anzubiedern - und hatte ja auch glück dabei: eine südseereise trat er im oktober 1913 gemeinsam mit seiner frau ada an - nämlich eine staatlich geförderte forschungsreise der „medizinisch-demographischen deutsch-neuguinea-expedition" des berliner reichskolonialamtes - mit den porträts vieler indigener "models". zuvor hatte er sich bereits im völkerkundemuseum in zahlreichen studien mit der kunst außereuropäischer völker auseinandergesetzt.

und damals war es nun mal "üblich", "fremde" menschen als "exoten" zu betrachten und zu beschreiben: eigentlich als spezies aus einer "anderen welt" - wissenschaftlich anthropologisch "rassistisch" eben - und weniger als "bruder oder schwester", als mit-mensch.

und diese zeit ging dann nach dem ersten weltkrieg allmählich über in diese tiefbraun verrückte nazi-zeit - die aber eben nicht "vom anderen stern" kam und dem "deutschen volk" von außen her übergestülpt worden wäre: sondern der mit pauken und trompeten verlorene erste weltkrieg, der zusammenbruch der monarchie, die allgemeine industrialisierung und die machenschaften und spekulationen der finanzwirtschaft streuten mitten in deutschland eine saat aus, die nun national, und zum teil auch über die grenzen hinaus, ertragreich aufging in diesen braunen "zeitgeist", der nun auch global und international je nach gusto bemüßigt wurde. um in dieser zeit zu leben und zu "über"leben - musste sich ein künstler versuchen anzubiedern, anzupassen, und diesem zeitgeist zu genügen. 

doch nun eckte nolde mit seinem expressionistischen "ausdrucks"starken und innerpsychisch entlarvend sensiblen malstil an: seine künstlerische schaffe passte plötzlich im deutschen sprachraum nicht mehr zur allgemeinen gesellschaftlichen denke. und natürlich musste man nun "bettelbriefe" schreiben, um "offiziell" weiter mit "von der partie" ...beziehungsweise...mit in der partei zu sein.

nolde-brief an goebbels


nolde hat schon frühzeitig gelernt, als randständiger "fischkopp- und bauernfriese" sich gut als künstler zu vermarkten: als postkartenmaler, dann eben in der "expedition" - und so kam er allmählich zu den großen galerien und museen und baute kontakte zu den agenten im damaligen kunstbetrieb auf - was alles allmählich undifferenziert mit in diesen "braunen" zeitgeist aufging - oder eben rechtzeitig ab ins ausland emigrierte.

nolde: die anbetung der könige - 1933 - das blonde jesuskind
als "halb-däne vom land" war nolde immer darauf erpicht, ein echter "deutscher" zu sein - und so wuchs er auch innerpsychisch allmählich mit in dieses fatale deutschtum hinein und ging darin auf - auch mit seinem künstlerischen "geschäft" liebäugelnd - was aber nun "von ganz oben" als "entartet" und "undeutsch" gegeißelt wurde.

und da bekam nolde natürlich zusätzlich "schwitzehändchen" und existenzängste - und er verstand die welt nicht mehr: der stets bewusst "deutsch" denkende und fühlende ehemalige expeditionsmaler des "reichskolonialamts" stand trotz nsdap-mitgliedschaft nun plötzlich im abseits und bekam angeblich sogar "malverbot" erteilt - ein umstand allerdings, der sich inzwischen in der aktuellen erforschung seiner biografie und der provenienzen seines geamtwerkes kaum mehr aufrecht erhalten lässt - und zu den fein gesponnenen "fake news" der bewusst eingesetzten geschönten "copyright identity" und des public-relations des künstlers selbst und später nach seinem tod der ersten gralshüter in der nolde-stiftung gehören - und dabei hatte er doch den "jesus" auf seinen religiösen bildern nie als "juden", sondern immer als blonden oder rothaarigen arisch einwandfreien heiland auf die leinwand gesetzt...

ich bin mein lebenlang ein "fan" von nordfriesland und damit eben auch von emil nolde, der hier zur landschaft gehört wie die wolken und das meer und dessen stiftung seebüll ich bestimmt schon 20-30-mal besucht und seine werke bewundert habe.

zuerst natürlich im namen des "deutschstunde"-mythos, wie er uns von siegfried lenz über nolde erzählt wurde - und wie ich sie zu meiner bildungsreifeprüfung - auch zur aufarbeitung der allseits verschwiegenen deutschen vergangenheit - bearbeitet habe.

allmählich dann aber mit der sich immer stärker verdichtenden gewissheit hin zum "nazi"-nolde, der nicht verstand, warum man seine so für ihn "ursprüngliche" deutsche kunst mit all den nordischen geistern und mythen und dem blonden jesus-kindlein im derben rustikalen pinselstrich des expressionismus in berlin als entartete undeutsche kunst brandmarkte und auch damals - wie heutzutage im kanzleramt - seine kunst abhängte und in den magazinen verschwinden ließ. sicherlich sehe ich sein oeuvre heute mit anderen augen als zu meiner "deutschstunden"-zeit: - aber seiner virtuosen farbgebung und seiner einzigartigen auch dekorativen umweltwahrnehmung und seinen fast surrealistisch-mystischen werknotizen und ausbrüchen tut das keinerlei abbruch ...

noch einmal zum mitschreiben: das kunstwerk, die jeweilige künstlerische arbeit, steht im mittelpunkt des betrachtens und des sich angerührtfühlens - oder eben die ablehnung ... - nicht die biografie und politische linientreue des künstlers - und so will ich es auch weiterhin mit emil nolde halten, der für mich einer der bedeutendsten künstler ist - und bleibt ... - und auf dieser linie akzeptieren ja sogar all die global aktiven #metoo-frauen auch einen pablo picasso.

ohne noldes nun feststehenden antisemitus und seine nazi-gesinnung in irgendeiner weise ent-schuldigen zu wollen, muss ich doch das ambivalente material gelebten lebens mit in meine gedankenfiguren von rückbesinnungen einzelner miteinbeziehen: lebensbrüche, ent-täuschungen sind in wohl jeder biographie enthalten, wenn sie denn tatsächlich "gelebt" wurde: das leben verläuft nicht "glatt" - oft ist es die pure not oder der zeitgeist rundherum, der re-aktionen auslöst... und passt das ambivalente Material gelebten Lebens in diese Gedankenfigur ein.


nolde: abendmahl - jesus mit rotem haarschopf


und eins wüsste ich: eine arbeit zum beispiel von mir - sollte sie jemals aus irgendeinem grunde an prominenter stelle im www.-internet eingestellt sein - würde mit blick auf meine links-grün-versiffte "68-er" durchgangszeit und meine kriegsdienstverweigerung während des grundwehrdienstes und meiner anschließenden berufstätigkeit "im sozialen" - und der jetzigen forschungs- und dokumentationsarbeit hinsichtlich der "euthanasie"-ermordung meiner tante - eine solche arbeit würde sicherlich von "rechtsrum" denkenden menschen ebenso gnadenlos gelöscht werden: egal, was das "motiv" sein würde ... 





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