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Christo: Die Verhüllung des Triumphes - "Burka" contra "Striptease"

sinedi-photo|graphic|bearbeitung


Der Verpackungskünstler Christo nimmt sich als nächstes den Arc de Triomphe vor: Das Pariser Wahrzeichen wird vom 6. bis 19. April 2020 unter speziell beschichteten blausilbrigen, wiederverwertbaren Stoffbahnen verschwinden, wie das Centre des Monuments nationaux und das Centre Pompidou bekannt gaben. Etwa zeitgleich von Mitte März bis Mitte Juni zeigt das Centre Pompidou eine Ausstellung über die Pariser Zeit des Künstlerpaares Christo und Jeanne-Claude, die sich bereits mit der Verhüllung des berühmten Pont Neuf 1985 in der französischen Hauptstadt verewigt hatten.

Christo verhüllt den Triumphbogen

Genehmigung erteilt: Kommenden April wird der Künstler das weltberühmte Denkmal in silberblauen Stoff schlagen. Die Kosten in Höhe von rund zwölf Millionen Euro trägt der 83-Jährige selber Paris. Die ersten Zeichnungen stammen aus dem Jahr 1962. Bereits vor 57 Jahren träumten Christo und seine 2009 verstorben Frau Jeanne-Claude davon, den Pariser Triumphbogen zu verhüllen. Vergangene Woche nun gab das französische Zentrum Nationaler Denkmäler bekannt, dass es diesem Vorhaben des international bekannten Verpackungskünstlers zugestimmt hat.

„Ich habe alle Genehmigungen in Rekordzeit erhalten und freue mich wie ein kleines Kind“, bestätigte der in New York lebende 83-Jährige jetzt der Pariser Zeitung Journal du Dimanche.

Fünf Tage und Nächte kann das Kunstwerk besichtigt werden

Die Arbeiten des in Bulgarien geborenen Christo Wladimirow Jawaschew und seiner französischen Frau Jeanne-Claude haben immer wieder für weltweites Aufsehen gesorgt. 


Das war auch 1995 so, als sie den Berliner Reichstag verpackten oder 1985, als sie die älteste Brücke von Paris, den Pont Neuf, in sandfarbenes Tuch hüllten. „Ich bin ein Optimist und sehr hartnäckig“, erklärt Christo heute und erinnert daran, dass sich die Verhandlungen für die Verhüllung des Reichstages über 23 Jahre hinzogen und der damalige Pariser Bürgermeister sowie spätere Staatspräsident Jacques Chirac dem Verpacken des Pont Neuf erst nach neunjährigem Zögernseinen Segen gab.

Doch diesmal lief es ganz anders. Im vergangenen Herbst war Christo nach Paris gereist, um eine ihm gewidmete Ausstellung im Centre Pompidou vorzubereiten, die im April 2020 eröffnet wird. Bei dieser Gelegenheit fragte ihn Philippe Bélaval, der Direktor des Zentrums Nationaler Denkmäler, ob er nicht auch ein eigenes Projekt auf dem großen Platz vor dem Museum für Moderne Kunst verwirklichen wolle. „Nicht dort“, will Christo geantwortet haben, „aber mich interessiert es schon lange, etwas mit dem Triumphbogen zu machen“.

Laut dem Künstler soll Bélaval die Idee sofort aufgegriffen und auch die Zustimmung von Präsident Emmanuel Macron sehr rasch erwirkt haben.

Frankreich wird Christo den Triumphbogen vom 6. bis zum 19. April 2020 gänzlich überlassen. Acht Tage sind vorgesehen, um das Kunstwerk in Szene zu setzten. Solange dürfte eine halbe Hundertschaft von Alpinisten benötigen, um das 50 Meter hohe, 45 Meter breite und 22 Meter tiefe Denkmal in rund 25.000 Quadratmeter silberblauen Polyamid-Stoff zu verpacken.

Fünf Tage und Nächte soll der verhüllte Triumphbogen anschließend zu besichtigen sein. Natürlich weiß Christo, dass die Gelbwesten das berühmte Denkmal Anfang Dezember verwüsteten, was umfangreiche Restaurierungsarbeiten nötig machte. Ebenso wisse er um die Bedeutung des „Arc de Triomphe“ als nationales Symbol, fügt der Künstler hinzu, „und um die Bedeutung dieser mir erwiesenen Geste“.

Eine finanzielle Unterstützung erhält Christo allerdings nicht. Er verpflichtete sich stattdessen, die von ihm auf zwölf Millionen Euro geschätzten Kosten der Verhüllung aus eigener Tasche zu bezahlen

Ein „außergewöhnliches Schauspiel“ verspricht der Künstler den Pariser Einwohnern und Touristen aus aller Welt, die kommendes Frühjahr den Place de l’Etoile im Herzen der Seine-Metropole besuchen.

Das Polyamid-Tuch soll von roten Seilen gehalten werden. Da das silberblaue, von dem Grevener Unternehmen Setex angefertigte Polyamid-Tuch nicht auf den Triumphbogen geklebt, sondern von roten Seilen gehalten werden soll, dürfte die Verhüllung die Konturen des Triumphbogens laut Christo „gleichzeitig betonen und verfremden. Und sollte Wind aufkommen, wird sich die Form des Denkmals ständig verändern, ja der Eindruck entstehen, dass es sich bewegt“.

Christos einziges Bedauern ist es, dass seine Frau diese Augenblicke nicht mehr erleben kann. „Wir haben uns seit den ersten Zeichnungen immer wieder vorgestellt, den Triumphbogen zu verpacken. Aber wirklich in Angriff nehmen wollten wir das Projekt nie, weil wir überzeugt waren, dass die Behörden es niemals zulassen würden. Wenn ich es jetzt dennoch verwirkliche, tue ich das auch in ihrem Namen“, betont der 83-jährige Künstler.






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Film: „Christo – Walking on Water“ 

Im Sommer 2016 ermöglichte die Installation „The Floating Piers“ von Christo 16 Tage lang einen Spaziergang über das Wasser des Iseosees nahe Brescia. 
Der dramaturgisch versierte Dokumentarfilm „Christo – Walking on Water“ von Andrey Paounov zeichnet die Entstehung der 15 Millionen Dollar teuren Installation nach und porträtiert den bulgarischen Künstler als Realisator eines hochkomplexen, von vielen Hindernissen erschwerten Großprojekts, ohne sich in der filmischen Konservierung der zeitlich limitierten Aktion zu erschöpfen. 
Neben dem Kunstprojekt geht es um den Künstler zwischen Beruf und Berufung, Inspiration und Energie, Stille und Trubel sowie um eine überwältigende Schönheit zwischen Orange und Dahlienblau. Sehenswert.
christo projekt "floating piers" in brescia/norditalien



Text: NEUE WESTFÄLISCHE, Dienstag 09. 04.2019 - S. Kultur/Medien



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statt einer eigenen neuen umfassenden "interpretation" und "deutung" möchte ich hier einige richtungsweisende oder "enthüllende" zitate über die jahre von und zu den christos bringen: 

„Er begann zu verhüllen. Christo verhüllte Dosen, Flaschen, Stühle, ein Auto – einfach alles, was er finden konnte, Alltagsgegenstände, die weder besonders schön noch interessant waren. Stillschweigend setzte er voraus, daß jedes, aber auch jedes Objekt seinen Platz in der Kunst haben konnte. Es gab für ihn keine Hierarchien der künstlerischen Ausdrucksformen und Inhalte.“Jacob Baal-Teshuva: Christo & Jeanne-Claude. Köln 1995, S. 17.


Auf die schon 1975 gestellte Frage: „Mit Ihren ‚Empaquetagen’ spielen Sie auch auf die vorherrschende Rolle der Verpackung in unserer Zeit an. Ist darin eine Kritik an unserer Konsumgesellschaft enthalten?“, antwortete Christo: „Nein, ich will damit nicht kritisieren, sondern gewisse Evidenzen aufzeigen. […] Ein Kunstwerk hat ein eigenes Leben, und es ist – wie das Leben selbst – äusserst komplex. Man könnte meine Arbeit eher als Humor bezeichnen. Der Mensch sucht sein Privatleben zu verbergen. […]. Die Bäume bedecken sich im Sommer mit Blättern, das ist dasselbe. Es ist dies eine sehr tiefe Frage der Existenz“.

„Ja, die Vieldeutigkeit ist das Wichtigste in der Kunst. Nichts ist bestimmt, alles ist verwickelt“ - neudeutsch: "was für ein 'wiggel'".

Das Ergebnis der Projekte und damit auch die Bedeutungen, die von vielen darin gesehen werden, wurden von dem Künstler in den 1970er Jahren bereits als „offen“ bezeichnet, „wenn das Werk fertig ist, kann jeder, der es sieht, seine eigenen Schlüsse daraus ziehen. Ich will mich da nicht einmischen. […]. Ich kenne seine Entfaltung selbst nicht, ich muss es sich organisch entwickeln lassen“. 

Und mehr als zwanzig Jahre später hat sich daran wenig geändert. Zur Reichstagsverhüllung sagte Christo: „Unsere Arbeiten übersteigen unsere Vorstellungskraft. Wir können die ganze Bedeutung des Projektes nicht festlegen. […] Genauso kann ich nicht vorhersehen, wie die Deutschen den Reichstag sehen werden. Deshalb sind unsere Projekte offen und lassen jede Interpretation zu“. Jeanne-Claude ergänzte: „Das Projekt ist ein Spiegel, alle Interpretationen sind denkbar. Auch die Ablehnungen sind Teil dieses Spiegels“.


etwas vehüllen, etwas einpacken, ist ja heutzutage in jedem supermarkt zum leidwesen für den umweltschutz gang und gäbe. jede gurke wird heute an der salattheke in plasik gesteckt - und alle gegenstände sind wegen der vorteilhaften platzsparenden container-verpackung oft aufwendig in kartonagen verpackt und in folien geschweißt - sogar aufgrund detaillierter europaweiter normverordnungen.

etwas verpacken, verhüllen, etwas verbergen, verschleiern oder ummanteln oder eine burka tragen bzw. etwas hinter einem vorhang verschwinden lassen, verschämtheit und geheimnis - ist immer das gegenteil von: entblößen, offenlegen, ausziehen, striptease, klarheit und eindeutigkeit - und vielleicht sogar von ehrlichkeit und überprüfbarkeit... 

aber das trifft den kern der botschaft der christos nur peripher: denn ihnen geht es in erster linie darum, die verwandlung von "alltäglichen" routine-anblicken und innerlich "eingebrannten" silhouetten und fassaden zu erschüttern und neu herauszufordern mit sich im wind nochmal verwehenden folien-verschnürungen auch großer und prominenter monumente und bauprojekte.

mal in der realität etwas ganz neu "wahr"-nehmen - woran sich ja vielleicht ganz neue innerpsychische assoziationsketten bahn brechen - in jeder/jedem anders - je nach sozialisation und kulturellem background.

die verhüllungswerte lassen also im tätigen "verbergen" und "vergehen" gleichzeitig im inneren kino etwas neues entstehen ... - wenn frau/man die kraft haben, sich auf einen solchen inneren trip einzulassen ...

also - nix für ungut - und chuat choan ...




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