Soweit ich mich zurückerinnere, fühle ich eine Schwere in mir. Eine Traurigkeit, die schon immer Teil von mir ist, sich gleichzeitig anfühlt, als gehöre sie gar nicht zu mir,
als sei sie mir auferlegt worden. Eine dunkle Melancholie, die nicht greifbar ist und mich vom Leben zurückhält, es manchmal kaum ertragbar macht.
das sind sehr selbstehrliche und tiefreichende zeilen der autorin lilli heinemann aus einem bericht über die "dunklen seiten" in ihrer familiengeschichte - abgedruckt im "ZEIT-MAGAZIN" 27/2019 vom 27.06.2019:
aus: ZEIT-MAGAZIN | 27/2019 | vom 27.06.2019 | S. 27 |
frau heinemann beschreibt ausführlich und authentisch, wie sie die dunklen wolken innerhalb ihres geteilten mehrpersonalen familienverbandes immer mal wieder einholten und belasteten - dieses "stille erbe", diese erbschaft von gefühlen - von gefühlen, die die jeweiligen altvorderen zumeist unbewusst oft als reflex und hilfe entwickelten, um erlebte persönliche katastrophen zu bewältigen, zu überwinden oder auch nur zu verdrängen - und die nun epigenetisch in der nachkommenschaft über mehrere generationen mehr oder weniger stark ausgebildet oder gar zyklisch weitergereicht oder "abgeguckt" und "abgespürt" wurden mit den dafür hoch sensibilisierten antennen im heranreifen.
mit hilfe ihres berichts über die von ihr recherchierten tatsächlichen traumatischen ereignisse besonders auch im leben ihres großvaters kurz nach ende des krieges hat frau heinemann diese belastungen bearbeitet und tatsächlich damit eine ent-lastung erfahren, eine verarbeitung durch einordnung und durch die allmähliche offenlegung dieser familientabus mit allmählicher integration und bewältigung.
mit hilfe ihres berichts über die von ihr recherchierten tatsächlichen traumatischen ereignisse besonders auch im leben ihres großvaters kurz nach ende des krieges hat frau heinemann diese belastungen bearbeitet und tatsächlich damit eine ent-lastung erfahren, eine verarbeitung durch einordnung und durch die allmähliche offenlegung dieser familientabus mit allmählicher integration und bewältigung.
gerade "wir deutschen" - aber auch sicherlich all die "aus"-länder, die am schrecken des krieges miteinbezogen wurden - haben sich wahrscheinlich alle mehr oder weniger in ihren beteiligten familiengeschichten mit solchen "dunklen aspekten" bewusst oder unbewusst auseinanderzusetzen. das problem ist, dass durch verschweigen, durch scham - und schlicht aus unwissenheit und unsensibilität - es oft zu einer vernünftigen aufarbeitung der eigenen herkunfts-familiengeschichte durch schonungslose recherche erst gar nicht kommt.
ich habe von einem gestalttherapeuten vor jahren bereits seine definition des wortes: "ge-schichte" gehört: ge-schichte ist das - wie das wort schon andeutet - in uns aufgetürmte, ge-schichtete selbst erfahrene und überkommene, vererbte, weitergegebene, erspürte erleben in uns, das sich als ureigene "erfahrung" wie jahresringe über- und durcheinander "schichtet" und uns individuell prägt und unser verhalten bestimmt - "bis ins 3. und 4. generationsglied" - wie die bibel in 2. mose 20 feststellt - eine zeitspanne, die in psychologischen studien zur "trans-generationalen übertragung" in den heutigen zeiten voll bestätigt wird (click = bundestags-drucksache der 'wissenschaftlichen dienste' zu diesem thema).
und genauso gibt es diesen begriff für "ge-schichte" sicherlich auch für länder und nationen und regionen, der sich immer aus den individuellen erleben und erfahren seiner bewohner zusammenpuzzelt und speist.
wir operieren mit solchen hehren begriffen wie "nationalstolz" und "national-bewusstsein" und "nationale identität" in den narrativen unserer alltäglichen diskurse - und diese begriffsumschreibungen sind ja nur abgeleitet und übertragen von innerpsychisch spezifischen emotionalen individual-persönlichen empfindungen, denn "eine nation" als ein unpersönliches abstraktes gebilde und eher geografisch-politisches hilfskonstrukt kann nicht stolz sein - oder tatsächlich ein bewusstsein entwickeln - und auch keine quasi persönliche identität ausbilden.
aber schon in der bibel wird die "gemeinde", die gemeinschaft mit einem "leib" verglichen: "denkt zum vergleich an den ´menschlichen` körper! er stellt eine einheit dar, die aus vielen teilen besteht; oder andersherum betrachtet: er setzt sich aus vielen teilen zusammen, die alle miteinander ein zusammenhängendes ganzes bilden"... heißt es in 1. kor. 12 in der neuen genfer übersetzung.
aber schon in der bibel wird die "gemeinde", die gemeinschaft mit einem "leib" verglichen: "denkt zum vergleich an den ´menschlichen` körper! er stellt eine einheit dar, die aus vielen teilen besteht; oder andersherum betrachtet: er setzt sich aus vielen teilen zusammen, die alle miteinander ein zusammenhängendes ganzes bilden"... heißt es in 1. kor. 12 in der neuen genfer übersetzung.
das fühlen, denken und das daraus resultierende jeweilige handeln sind aufeinanderbezogene aspekte von körper, geist und seele, die in diesen reflexiven abläufen als eine "einheit" funktionieren.
dieser begriff der "nation" oder der gesellschaft/gemeinschaft - also um in dem biblischen gleichnis zu bleiben: des "leibes" - setzt sich aus seinen "teilen", seinen "gliedern", den bewohnern, zusammen. und wenn alle bewohner in ihrem bewusstsein zu ganz bestimmten ge-schichts-epochen blinde flecken im inneren wissen und erspüren aufweisen und sich in "verschweigen" und "ignorieren" üben oder von einer posttraumatischen belastung bestimmt werden, dann ist das in der summe im lande "draußen" sicherlich ebenso.
und ich behaupte inzwischen, dass die zerrissenheit im bewusstsein der menschen hier, 30 jahre nach dem mauerfall, auch auf solche "blinden flecken" und bewussten oder unbewussten verdrängungen in den jeweiligen familienbiografien zurückzuführen sind: in ost und in west gleichermaßen, denn das aufgepfropfte und aus weltmarkt-ökonomisch neo-liberalen gründen gesponserte "wirtschaftswunder" im westen und die ebenso aufgepfropften das vakuum füllenden "sozialistischen staats-eskapaden" im osten erstickten - auch "von oben" gewollt ("der rubel musste ja rollen") - einen notwendigen individuellen "kassensturz" in den einzelnen herkunfts-familien und damit eine kollektive "aufrechnung" all der verstricktheiten und der schuld oder eine befreiung der unterdrückten opferrolle auch in den regionen und nationen.
und das führt dann zu den extremistischen weil unbearbeiteten entgleisungen - z.b. der raf, des nsu und der einzel(?)-attentäter und -mörder wie breivik in norwegen und jetzt stephan ernst in kassel - und zu dem herumschwadronieren von unreflektiertem rechten getöse im politischen alltag.
um mit lebensfreude, spontaneität und enthusiasmus im „hier und jetzt" zu leben, ist es notwendig, diese z.b. von der gestalttherapie so genannten „unerledigten geschäfte" (fritz perls) schonungslos aufzuarbeiten, um damit (im übertragenen sinn) offene "rechnungen" und nichtbearbeitete ereignisse endlich abzuschliessen und "abzurunden" - und so zu bearbeiten und zu integrieren und positiv zu "verdauen", sich zu befreien von der last.
der familienbericht von frau heinemann unterstreicht da die fähigkeit jeder person bei sich selbst und in den familien - und damit auch in den ländern - zur "selbstheilung" - zu dieser ent-lastung und be-freiung, wobei körper, geist und gefühle, die sich im "leib" aus verschiedenen quellen reproduzieren, zur einübung einer "ver-änderung" genutzt werden können.
so wird dem wahrgenommenen "un-wohlsein" eine antwort entgegengesetzt: man übernimmt "ver-antwort-ung" für sich, für die familie, für die gesellschaft.
wir machen uns auf die suche, wie wir uns selbst beim erkennen und verwirklichen eigener lebensziele im wege stehen und erfahren uns schließlich selbst, als brücke und dem "weg hindurch": vom aktuellen sein zu dem zu werden „der wir wirklich sind", um ver-antwort-ung für ein selbstbestimmtes, glücklicheres leben zu übernehmen.
und persönliches und "(inter)nationales" gesellschaftliches wachstum ist wohl hier das richtigere wort für eine solche entwicklung und einen solchen "fort-schritt" - anstatt therapie ...
den aufsatz dazu von
- Lilli Heinemann - Stilles Erbe
- liest du hier (vertiefungslinks anclicken) oder im ZEIT-MAGAZIN 27/2019 vom 27.06.2019
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