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„In der Kunst wird Obsession Gott sei Dank honoriert“ - photo-kunst von michael wolf


M I C H A E L   W O L F  1954-2019

 

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In der urbanen Pendlerhölle

Die Urania Berlin debütiert als Kunstausstellungsort. Mit der Retrospektive „Life in Cities“ samt Bildern aus Hongkong und Tokio würdigt sie den jüngst verstorbenen Fotografen Michael Wolf

Von Gunda Bartels | Tagesspiegel


Durch das Foyer, über den Hof und hinauf in den zweiten Stock. Ein Leitsystem in leuchtendem Orange weist in der Urania Berlin den zuvor nie beschrittenen Weg. Sie führen in lichte, mit Parkett ausgelegte Räume. Jahrelang vermietet an ein Konsulat, werden sie jetzt erstmalig bespielt. Mit künstlerischer Fotografie, genauer: mit einer Werkschau des im April verstorbenen Michael Wolf.



Kunst in der Urania? Das ist neu in der ehrwürdigen, 1888 als Verein zur wissenschaftlich-technischen Laienbildung gegründeten Institution. Die Idee stammt von Direktor Ulrich Weigand, der vor seinem Amtsantritt im letzten Jahr am Bauhaus-Archiv beschäftigt war, und neue Sitten ins Traditionshaus bringt.

Die Fotografien von Michael Wolf seien die erste Wahl für die Premiere gewesen, sagt Kuratorin Lena Lucander, die vor Wolfs plötzlichen Tod im Alter von 64 Jahren noch mit ihm zusammen an der Retrospektive gearbeitet hat. „Er hat sich spontan dafür begeistert, dass seine Bilder bei freiem Eintritt an einem ohne Hemmschwelle für jedermann zugänglichen Ort gezeigt werden sollen.“ Nicht im üblichen Kunst- oder Museumskontext also, in dem der zweimalige Gewinner des World Press Photo Awards mit seinen Bildern vom Metropolitan Museum of Art in New York bis zum Rijksmuseum Amsterdam sonst vertreten ist.

Die Serie „Tokyo Compression“ (2010-2013) hat Michael Wolf von außen auf einem U-Bahnhof fotografiert.© MICHAEL WOLF, COURTESY WOUTER VON LEEUWEN GALLERY, NETHERLANDS



Tatsächlich sind Michael Wolfs Bilder aus Megastädten wie Hongkong oder Tokio das ideale Bindeglied zwischen der Kunst und der Funktion der Urania als Bürgerforum und interdisziplinärer Wissensvermittlungsstätte. Über Urbanität wird genau hier diskutiert. Und die angestammten Berliner Ausstellungsorte für künstlerische Fotografie wie C/O Berlin, das Haus am Kleistpark und andere kommunale Galerien werden die Erweiterung im Veranstaltungsspektrum der Urania mit Fassung tragen.

Dort pressen Pusher die Pendler in gestopft volle Züge.
© MICHAEL WOLF, COURTESY WOUTER VON LEEUWEN GALLERY, NETHERLANDS



Das glaubt jedenfalls Lena Lucander, die für „Life in Cities“ eng mit dem Fotomuseum Den Haag und den Hamburger Deichtorhallen zusammengearbeitet hat, wo die Schau zuvor zu sehen war. Allein aus Budgetgründen sei es der Urania gar nicht im Alleingang möglich, ständig kostenlos zugängliche Ausstellungen dieser Größenordnung zu zeigen, sagt sie. Das Zauberwort der Zukunft heißt Kooperation. „Life in Cities“ hat die Lotto-Stiftung möglich gemacht.

Ein Hochhaus in Hongkong, wo die Serie „Architectur of Density“ (2003-2014) entstand. Von 1994 an hat der Fotograf dort gelebt und lange für Magazine wie „Stern“ und „Geo“ fotografiert.
© MICHAEL WOLF, COURTESY WOUTER VON LEEUWEN GALLERY, NETHERLANDS



Und natürlich nehmen zwei berühmte Serien des 1954 in München geborenen, in Kalifornien aufgewachsenen und an der Folkwang-Hochschule in Essen beim Fotografie-Doyen Otto Steinert ausgebildete Wolf breiten Raum ein: „Architecture of Density“ (2003-2014), in der er die Fassaden der Hochhäuser in seiner Wahlheimat Hongkong zu Ornamenten und von Piet Mondrians Malerei inspirierten Farbflächen verdichtet. Und die peinigende Serie „Tokyo Compression“ (2010-2015), die die vom Bahnsteig aus fotografierten, eingequetschten Passagiere der gestopft vollen Tokioter U-Bahn zeigt. Einige kleben wortwörtlich an den Scheiben, andere haben noch einige Zentimeter Luft. Das von Michael Wolf als Weichzeichner eingesetzte Kondenswasser des Monsuns und die Demutshaltung der Menschen verleiht den Bildern die Kraft eines religiösen Freskos. Da stehen sie, die Märtyrer der urbanen Pendlerhölle.

Die Ausweg- und Endlosigkeit dieser menschengemachten Umgebung findet sich auch in Michael Wolfs Hongkonger Hochhaus-Panoramen wieder. Sie folgen einem Konzept: Wolf „plättet“ die Fassade, in dem er Erde und Himmel abschneidet. Das schafft den schön-schaurigen abstrakten Sog, der von den großformatigen, einzeln im Raum verteilten Fotografien ausgeht. Dass in der Urania der Blick durch die offenen Fenster schweifen und sich am Grün der Bäume und dem Blau des Himmels erfreuen kann, hinterfragt den auf maximale Verdichtung angelegten Städtebau der Megacitys noch zusätzlich.

Michael Wolf hat sein Fotoreporterleben als Dokumentarist sozialer Zustände erst spät, nämlich 2003 aufgegeben, um sich anschließend nur noch eigenen Serien und Fotobüchern zu widmen. Dass das so nahtlos geklappt hat, ist seiner raffinierten Bildsprache und seiner Arbeitswut zuzuschreiben. „In der Kunst wird Obsession Gott sei Dank honoriert“, war eins seiner Lieblingszitate. Dass Wolf auch ein leidenschaftlicher Sammler kurioser, vom Einfallsreichtum der Armen erzählender Gegenstände war, ist den „Bastard Chairs“ anzusehen.

Das sind ulkige selbst gebastelte Sitzgelegenheiten, die Wolf gefunden oder ihren darüber oft stark erstaunten chinesischen Besitzern abgekauft hat. Im Gegensatz zu den in Paris oder Chicago entstandenen Serien könnte man bei denen in Hongkong und Tokyo fotografierten auf die Idee kommen, dass Wolf das Klischee „asiatischer Ameisen in ihren Wohnsilos“ ausbeutet. Doch der Blick auf seine neben die kauzigen Stühle gehängten Ansichten der „Back Alleys“ genannten Gassen von Hongkong reicht, um das zu widerlegen. Da tanzen aufgehängte Gummihandschuhe im Wind, Wischmopps und Schirme verwandeln sich in wunderliche Skulpturen. Witzig sind diese Bilder, dazu poetisch und eine Verbeugung vor dem menschlichen Einfallsreichtum.


  • Urania Berlin, bis 14. August, tgl. 12-20 Uhr, jeden So 16 Uhr Führung. Das Katalogbuch „Works“ (Peperoni) kostet 60 €.

Michael Wolfs Serie "Transparent City" (2006) bietet Einblicke in Chicago bei Nacht. Einer schaut zufällig Hitchcocks "Fenster zum Hof".
© MICHAEL WOLF, GALERIE WOUTER VON LEEUWEN, NETHERLANDS







VIDEO MICHAEL WOLF ÜBER THE REAL TOY STORY




ich habe leider erst jetzt - nach seinem plötzlichen tod - diese bilder von michael wolf im tagesspiegel entdeckt - und bin natürlich gleich dieser entdeckung etwas nachgegangen - was du hier auch mit den links und den arbeiten und videos mit verfolgen kannst.

mich haben diese frontalen entlarvenden blicke und themen all dieser arbeiten sehr angesprochen - und es ist eigentlich schade, jetzt nach dem ableben vor einem fertig vollendeten oeuvre zu stehen, denn in seiner postmodernen diversität hätte uns wolf sicherlich noch einiges zu zeigen und näherzubringen - zumal er als kosmopolit auch seinen photographischen blick über alle grenzen schicken konnte - und uns diese ein- und umblicke und diese im wahrsten sinne der bedeutung zusammengepferchten "im-pressionen" zum beispiel in der serie "tokyo-compression" mitteilen konnte:

der an die scheibe verpresste fahr"gast" an der von innen beschlagenen fensterscheibe der vollgepressten u-bahn zeigt ja im augenblick des schnappschusses mit dem sich niedergeschlagenen atem und oder den ungefilterten ausdünstungen der vielen mitfahrenden menschen, warum er nun einen atemschutz trägt - nämlich um sich genau davor zu bewahren. 

und die staubbelastungen in tokyo und anderen asiatischen großstädten ist sicherlich höher als bei uns - und damit die ozon- und co²-belastung jedes einzelnen.

wenn also ein photograph diesem abgenudelten satz: "ein bild sagt mehr als 1000 worte" nun alle ehre macht, dann ist das sicherlich michael wolf, der ja auch schon einige bedeutende kunst-awards für seine arbeiten einsammeln durfte.


  • video-teaser zu eine ausstellung noch zu wolfs lebzeiten in den hamburger deichtorhallen:


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