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Die haben nur nach rechts oder links gewinkt

75 Jahre Befreiung von Auschwitz 
Das verunsicherte Gedenken



„Vorne standen SS-Offiziere“, erzählt der 90-jährige Auschwitz-Überlebende Peter-Johann Gardosch, seinem 13-jährigen Zuhörer. „Die haben nur nach rechts oder links gewinkt.“

Links war das Leben, wenn auch ein elendes, am Rande des Todes, in Zwangsarbeit. Rechts war der Tod, die Gaskammer.

Links oder rechts? Leben oder Tod?

Mindestens 1,1 Millionen Menschen ermordeten Deutsche allein in Auschwitz. Und in diesem Moment an der Rampe ist das ganze Grauen der industriell organisierten Vernichtung enthalten: Das Lapidare der Worte und Gesten im Kontrast zu ihrer unumkehrbar grausamen Folge, die kaum vorstellbar große Zahl der Ermordeten – all das, was Auschwitz bis heute zu einem der wirkmächtigsten Symbole für die deutsche Vernichtungsmaschinerie macht und besonders für die Shoa, denn der überwiegende Teil der Ermordeten waren Juden.

Die Leichtfertigkeit, mit der heute Deutsche im Internet den Tod anderer Menschen fordern, sich das Ertrinken von Flüchtlingen wünschen, Juden mit Mord drohen und Frauen mit Vergewaltigung; die Willkür und das Lapidare gepaart mit dem Maximalgrausamen, das ist dasselbe Böse. Es ist dieselbe furchterregende Gleichgültigkeit, die Elie Wiesel an jenem SS-Mann wahrnahm; der gleiche kranke Geist, der das Leben mit einem Wort vernichtet: Links. Rechts.

Das sehen zu können, ist der Wert des Gedenkens. Aber um die neuen Erscheinungsformen des Bösen zu erkennen, wappnet uns die Erinnerung schlecht. Wir sagen uns seit Jahrzehnten, dass sich Geschichte nicht wiederholt – und suchen doch nach historischen Symptomen: Den Blick fest auf den Nationalsozialismus geheftet, fürchten wir uns vor allem vor organisierter Gewalt, vor Massenaufmärschen, vor Parteien und Anführern. Wir tun uns hingegen schwer, die Gefahr zu sehen, wenn sich Rechtsradikale wie der Attentäter von Christchurch und der Attentäter von Halle gegenseitig über das Internet infizieren, wenn wir es mit vermeintlichen Einzeltätern zu tun haben. Wir trösten uns damit, die AfD von Regierungen auszuschließen.

Das Gedenken ist unersetzlich, denn es hilft uns, die Essenz des Bösen zu erkennen. Nicht aber seine Form. Wir dürfen nicht allein fragen: Wie war es? Sondern: Wie könnte es sein? Es braucht Wachsamkeit. Wir können von den Opfern nicht länger erwarten, dass sie uns vor uns selbst retten. Wir müssen es selbst tun.

Auszug aus einem Essay von Anna Sauerbrey im Tagesspiegel vom 27.Januar 2020: dem "Tag der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus", dem Tag, als vor 75 Jahren Auschwitz befreit wurde.




ZDF-DOKU: EIN TAG IN AUSCHWITZ


ZDF-Unterrichtsmaterialien zu EIN TAG IN AUSCHWITZ

un-sinn in der medizin

Krise der modernen Heilkunst
Mehr sinnbasierte Medizin wagen -

Unser Gastautor ist Medizinprofessor. Mit der ärztlichen Kunst und Wissenschaft, wie sie derzeit praktiziert werden, ist er allerdings so unzufrieden, dass er ein radikales Umdenken fordert

Von Peter Paul Nawroth - Tagesspiegel


Den Stab gebrochen. Nicht nur auf Daten, Statistik und
Ökonomie, sondern viel mehr auf jeweils den einzelnen
Patienten und sein oder ihr Umfeld zu schauen, könnte
der Medizin ihren Sinn zurückgeben, sagt unser Autor
Foto: Getty Images; Montage: Taylan Bayhan/TSP
Wie steht es um die Medizin? Nicht gut. Das sage ich als Mediziner. Zwar sind Ärzte, Pfleger und Erfolge der Therapie in Deutschland besser als ihr Ruf. Auch Pharmafirmen sind mehr an medizinischen Fortschritten und weniger an Korruption der Ärzte interessiert, als oft vermutet wird. Aber trotzdem fährt die moderne Medizin gegen eine Wand.

Denn wenn sie das Erfüllen ihrer Regeln für wichtiger hält, als dem Patienten zu nützen, dann hat sie ihr Ziel aus den Augen verloren.

Dann hat sie ihren Sinn verloren.

Moderne Medizin, das ist vor allem evidenzbasierte Medizin (EbM). Ihr Prinzip ist, dass nicht der „Halbgott in Weiß“ - die Eminenz - nach Gutdünken eine Therapie verordnen kann, sondern dass Fakten, Studien, harte Daten - die Evidenz also - Grundlage für eine Therapie sein müssen.

Interessen. aber nicht die des Patienten

Was soll daran falsch sein? Nichts, solange die Fakten auch wirklich hart und universell gültig sind zumindest. Doch schon das ist alles andere als selbstverständlich. Und vielerorts ist aus der EbM eine IbM geworden, eine interessenbasierte Medizin. Und das ist ein großes Problem. Denn um die Interessen der Patienten geht es da meist nicht.

Ein Beispiel soll dies verdeutlichen.

2017 wurde im renommierten Fachblatt „New England Journal of Medicine“ eine Therapiestudie publiziert. Es ging darum, ob ein Präparat zur Cholesterinsenkung auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduziert. Über 13 000 Patienten wurden in jeder Gruppe untersucht. Die eine bekam das Mittel, die andere - Kontrollgruppe genannt - nicht. 11,3 Prozent der Patienten in der Kontrollgruppe wurden krank. Bei denen, die das Präparat erhalten hatten, waren es nur 9,8 Prozent. Die Fachwelt war begeistert. Man kann das „relative“ Risiko um ca. 15 Prozent senken, hieß es.

Aber 11,3 minus 9,8 Prozent ergibt nur 1,5 Prozent. Tatsächlich ist das, und nicht jene 15 Prozent, der wirkliche Unterschied, die „absolute Risikoreduktion“. Das Ergebnis lautet also eigentlich: Die Wahrscheinlichkeit, dass das Mittel, das übrigens auch Nebenwirkungen haben kann, einem Patienten hilft, liegt bei 1,5 Prozent. Sie ist also sehr, sehr klein.

Geben und Nehmen

Mich interessiert nicht, was passiert, wenn 13 000 Leute ein Medikament nehmen. Mich interessiert der Mensch, der vor mir sitzt. Mein Patient. In der Studie war zwar hinsichtlich der EbM-Regeln alles o. k. Für meinen Patienten aber wurde kein Fortschritt erzielt. Möglich wäre der. Etwa, wenn man der Firma Folgendes sagen würde: Das war ein interessanter Schritt nach vorne, doch nicht ausreichend für die Zulassung des Medikamentes. Denn es hilft ja statistisch gesehen nur 1,3 von 100 Patienten. Ihr solltet also bitte noch herausfinden, wie man die Patienten identifiziert, denen das Präparat nützt. Außerdem müsst ihr klären, ob die Erkrankung nur für kurze Zeit oder für einen richtig relevanten Zeitraum vermieden wird, darüber sagt eure Studie nämlich auch nichts aus. Und wenn die Effekte etwa bei Asiaten größer als bei Europäern waren, müsst ihr das auch veröffentlichen. Und ihr müsst offenlegen, dass ihr viele Erkrankungen in einen Topf geworfen habt, weil bei der Untersuchung nur einer einzigen kein signifikantes Ergebnis herausgekommen wäre.

Aber man darf nicht nur fordern, sondern eben auch sagen: Damit ihr all das in Ruhe erforschen könnt, wird euer Patentschutz verlängert. Denn wer den Weg von der interessenbasierten zur sinnorientierten Medizin wirklich gehen will, muss auch Anreize setzen, die gute klinische Studien fördern. Das jetzige Patentrecht schadet dabei. Eine Reform würde wissenschaftliche Aufgaben wie die gerade aufgezählten berücksichtigen und Möglichkeiten bieten, Patentlaufzeiten zu verlängern. Das wäre zum Wohle der Erkrankten und der Hersteller, die ohne solche Schonfristen kaum Interesse haben, langwierige, teure Studien zu machen, die dann womöglich auch noch den potenziellen Patientenkreis verkleinern.

Werte, Laborwerte, Bewertungen

Insgesamt ist all das natürlich noch ein bisschen komplexer. Aber eines wird deutlich: Es fehlt bislang oft eine entscheidende Perspektive bei der Bewertung solcher Studien: die des einzelnen Patienten und der einzelnen Patientin.

Für sie oder ihn war laut dieser Studie ein Nutzten unwahrscheinlich. Und selbst insgesamt, im Mittel über Tausende gerechnet, war er nur gering. Und auch der Grat zwischen solch geringem Nutzen und schädlicher Therapie ist schmal. Das kann man in meinem Fach beobachten, der Diabetologie.

Wenn man „Diabetes“ hört, denkt man zuerst an Blutzucker und Insulin. Wenn ich einen Diabetiker behandle, denke ich aber zuerst an: Erblindung, Nierenversagen, Beinamputationen, Herzinfarkt, erhöhtes Krebsrisiko, Schlaganfall und Tod. Es sind die sogenannten diabetischen Spätschäden.

Aber wussten Sie, dass Ärzte mit Ausnahme des Risikos für ein diabetisches Koma das absolute Risiko für all diese Folgeschäden durch Zuckerkontrolle nur im einstelligen Prozentbereich reduzieren können? Deswegen stellen Ärzte, die die Studien selbst gelesen und verstanden haben, den Blutzucker nur in einem mittleren Bereich ein. Und aus Erfahrung. Erfahrene, gut informierte Ärzte versuchen nicht, den Blutzucker auf das Niveau von Nicht-Diabetikern zu drücken.

Doch der Glaube an den Laborwert „Zucker“ ist so groß, dass, obwohl es Hinweise gibt, dass Diabetiker, die älter als 75 Jahre sind, sogar weniger Herzinfarkte und Schlaganfälle bekommen als Nicht-Diabetiker, dennoch Studien durchgeführt wurden, um mit aller Macht und vielen Medikamenten den Blutzuckerwert möglichst zu „normalisieren“.

Blutzuckersenkung erfolgreich - Patient tot

Das Ergebnis: Kein Schutz, sondern vermehrt Todesfälle.

Wer übernimmt hier die Verantwortung? Leider lassen sich noch viele weiter Beispiele nennen, in denen von evidenzbasierter Medizin geredet wird, aber nicht das Patientenwohl im Mittelpunkt steht. Dazu zählen: Neue, immer niedrigere Grenzwerte für Bluthochdruck ohne tatsächlichen Nachweis, dass die dafür notwendige medikamentöse Behandlung mehr nützt als schadet. Oder auch die Orientierung am „metastasenfreien Überleben“. Letzteres klingt zwar gut, aber wir haben in den letzten Jahren lernen müssen, dass es wenig mit Lebensqualität und Lebenserwartung zu tun hat. Ähnliches gilt für Gewichtsreduktion und „gesundes“ Essen.

Die gegenwärtig praktizierte EbM bietet zu viele Schlupflöcher für nicht am Patientenwohl orientierte Interessen.

Was tun? Es würde schon helfen, die häufigsten wissenschaftlichen Irrtümer der Medizin einigermaßen auszuräumen. Dazu gehört die Verwechslung von Korrelation - also schlichtem Zusammenhang - und Kausalität - also echter Ursächlichkeit, aber auch übersteigerter Glaube an Grenz- und Schwellenwerte, das Unterschätzen der Gefahr einer Überbehandlung und die Unfähigkeit, Studiendaten durch die Brille des Patienten und nicht des Systems zu lesen. Und der Druck, „Positives“ zu berichten, schadet der kritischen Evaluation von Können und Nutzen. Denn zu wissen und zu sagen, was wir nicht wissen und nicht können, ist genau so wichtig.

Was nützt es?

Was wir uns fragen müssen: Begünstigen die Strukturen der evidenzbasierten Medizin Fehler wie die oben genannten? Ich denke ja. Denn sie stellen den Nachweis der Wirksamkeit einer Behandlung in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Arbeit, aber eben nicht den Sinn. Wenn man eine Studiengruppe groß genug wählt, kann ein marginaler Effekt statistisch als „signifikant“, also als Wirksamkeit, verkauft werden, auch wenn er für die allermeisten Patienten irrelevant ist. Oder: Wenn ein neues Krebsmedikament das metastasenfreie Überleben etwas verlängert oder das Gesamtüberleben um fünf Monate, dies aber mit Schmerzen an Händen und Füßen einhergeht, wird deutlich, dass „Sinn“ weiter greift als Signifikanz in der Statistik. Nur der Nutzen der Therapie für den Patienten, der zu mir kommt mit seinen Hoffnungen und Ängsten, seiner besorgten Familie, seinen Plänen und seinen Erfahrungen, kann letztlich mein Handlungskriterium sein.

Die wichtigste Frage lautet: Was ist die Sicht des Patienten?

Auch hier könnten Studien helfen. Die müssten fachübergreifend sein und die Wirkung einzelner, konkreter medizinischer Interventionen über lange Zeiträume genau untersuchen. Ein großes Problem hier ist, dass sich staatliche Institutionen fast vollständig aus der Finanzierung großer Therapiestudien mit vielen Probanden zurückgezogen haben und diese ganz der Pharmaindustrie überlassen. Aus der Sicht meines Patienten wäre es sinnvoll, wenn alle wissenschaftlichen Veröffentlichungen schon in ihrer Zusammenfassung verpflichtend die für ihn wichtigen Fakten - das absolute Risiko und das zu erwartende zeitliche Ausmaß der Verschiebung des Beginns einer Erkrankung etwa - ebenso nennen müssten wie die Kennzeichen der Patienten, denen das Präparat nützt, und derer, denen es nicht nützt. 

Der etwas andere Mut zur Lücke

Würde man dies zur Pflicht machen, wäre der größte Schritt getan. Würde man dann noch die Fachgesellschaften zwingen, für ihre Therapieleitlinien Studien mit erwiesenermaßen geringer Aussagekraft und hoher Fehlerquote gar nicht zur Entscheidungsfindung heranzuziehen, wäre das der zweite große Schritt. Stattdessen müsste man sich immer mehr an derzeit entwickelten Werkzeugen zur Nutzung von Erfahrung und Intuition der Pflegekräfte und Ärzte orientieren.

Da es nicht sinnvoll ist, dass Leitlinien zwar gesicherte Aussagen über Wirksamkeiten von Therapien enthalten, in ihnen aber kaum die Rede von den genauso gesicherten Wissenslücken und offenen Fragen ist, wäre das Offenlegen von Wissenslücken nicht nur wichtig für die Forschung, sondern als dritter Schritt notwendig für eine sinnorientierte Medizin.

Das System ist gestört. Kürzlich etwa wurde eine Studie bei Hochdruck-Patienten in Afrika publiziert, deren Daten nur Rückschlüsse zuließen, ob ein Medikament den Blutdruck senkt, aber nicht, ob es Infarkten oder Schlaganfällen vorbeugt. Sie hatte das erkennbare Ziel, dort teurere Hochdruckpräparate zu vermarkten. Es wäre etwas anderes, hätten die Firmen das Geld investiert, um zu untersuchen, mit welcher Hochdrucktherapie man wirklich - konkret und bei welchen Patienten - Herzinfarkte und Schlaganfälle verhindern kann.

Wege aus der Sackgasse

So könnten Schritte von einer evidenzbasierten zu einer sinnorientierten Medizin aussehen. Die medizinische Wissenschaft muss dringend umdenken. Von der Planung einer Studie bis zur Veröffentlichung müssen medizinische Forscher konsequent die Patientenperspektive einnehmen. Sie müssen die untersuchten Parameter entsprechend wählen. Wir, die Wissenschaftler, haben die Aufgabe, Arzt und Patient konkrete Informationen zu liefern, anhand derer kluge, sinnvolle Entscheidungen individuell möglich werden.

Die Art und Weise, wie wir inzwischen evidenzbasierte Medizin betreiben, hat uns tief in eine Sackgasse geführt. Ihre guten, sinnvollen Seiten können wir aber nutzen, um sie zur sinnorientierten Medizin weiterzuentwickeln.

  • Der Autor ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Endokrinologie, Stoffwechsel und Klinische Chemie des Uniklinikums Heidelberg. Sein Buch „Gebt der Medizin ihren Sinn zurück“ ist im Springer Verlag erschienen und kostet 19,99 Euro.


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während medizinische aufsätze in den großen medien meistens zum x-ten male das pro & kontra von "homöopathie vs. allopathie" beleuchten, hat hier endlich einmal ein profilierter klinikdirektor seine branche sehr "selbstkritisch" beleuchtet, nämlich wo in der alltäglichen behandlungsmedizin "der hase im pfeffer liegt" - dass am einzel"fall" einfach zuviel an zum teil divergierenden und konkurrierenden "interessen" aufeinanderprallen - einfach auch, weil medizin immer mehr ein lukratives wirtschaftliches geschäft ist der dort tätigen akteure, als dass es etwa "nur" um die "heilung" oder "wiederherstellung" eines patienten mit seiner ihn störenden und beeinträchtigenden vielleicht kranken normabweichung ginge.

und flugs wird ein solcher patient, wenn er denn seinen arzt aufsucht, zu einer art "steinbruch" oder "baugrube", an dem es also stück für stück von den verschiedensten "fachrichtungen" in zusammenarbeit mit der pharmaindustrie, den krankenkassen, und den globalen festsetzungen irgendwelcher laborwert-ausschüsse, irgendetwas zu richten und instandzusetzen oder auszuwechseln und hinzuzufügen gibt - ob es nun "notwendig" ist oder nicht, das sei mal oft dahingestellt.

und die gute alte "erfahrungsmedzin", wie sie seit jahrtausenden im "volk" existiert, wird ganz bewusst von akademischem kauderwelschvokabular abgelöst und in den hintergrund katapultiert, so dass die meisten patienten erst recht ängste produzieren, irgendetwas von den vielleicht bei ihnen übele nebenwirkungen auslösenden "verschriebenen" arzneien wegzulassen oder in den gulli zu schütten, denn das wäre ja dann eine umweltsünde sondergleichen.
dann lieber schlucken pille für pille und tropfen für tropfen und nach leiden und stöhnen wieder ausscheiden, denn vielleicht hilft's ja doch irgendwo und irgendwie - aber nichts genaues steht nicht mal auf dem beipackzettel oder ist von dort nicht in normalsprech zu übersetzen.

vor einigen jahren war ich wegen einer bluthochdruckattacke im krankenhaus - und wurde da in 5 tagen blutdruckmäßig medikamentös eingestellt - auf meinen neuen zielwert: 120:80...

nach dem krankenhausaufenthalt sollte ich schnurstracks einen kardiologen aufsuchen zur weiterbehandlung - und der tauschte alle medikamente aus - natürlich nur im rahmen dessen, was meine kasse denn dazu auch refinanziert - und er raunte: die verschriebene krankenhausmedikation sei auch in ordnung gewesen - aber seine neu-medikation habe etwas mehr - und jetzt kommts: "moderne forschungsmäßig neueste medizinperformance"  - und statt im krankenhaus 2 tabletten morgens schlucke ich nun seitdem jahr für jahr morgens 6 tabletten - und den blutdruck von 120:80 halte ich konstant ein - so gut, dass ich oft bei schnellem aufrichten sogar etwas schwindelig werde.

aber heute nach den jahren traut sich niemand - mein jetziger hausarzt nicht, der kardiologe als facharzt alle 2-3 jahre nicht - und ich auch nicht - mal etwas von diesem morgendlichen chemischen arzneimittelcocktail abzusetzen und mich gegebenenfalls neu einzustellen: mein hausarzt meint, einen gut schnurrenden motor dürfe man spritmäßig nicht irritieren... - 

so-so - und wir alle laufen wie die lemminge wegen der knappen zeitressourcen im medizinischen ambiente dort hinterdrein - nur gut, dass man inzwischen weiß, dass lemminge doch nicht in suizidaler absicht über den felsen ins wasser springen - das war ein wissenschafts-"fake"...

aber wer mit meiner scheinbar gottgegebenen medikation wem alle etwas gutes tut, das blicke ich nicht - und die begünstigten untereinander blicken das auch nicht mehr - ich wenigstens habe ja ab und zu etwas schwindel... - 

die muskel-lemminge

Das faschistische Männerbild: Ein gestählter Körper. Foto: picture alliance / dpa / TAGESSPIEGEL

Neuauflage von „Männerphantasien“

Von der Maskulinität zum Massenmord

Vor über 40 Jahren erschienen Klaus Theweleits „Männerphantasien“. Nun gibt es eine Neuauflage, die weitsichtige Erklärungsmuster für neurechte Gewalt bietet.

VON HANNES SOLTAU | TAGESSPIEGEL

Es ist ein holpriges Englisch, mit dem Stephan Balliet vor laufender Kamera zu rechtfertigen versucht, warum er Augenblicke später Menschen töten wird. Neben scheinbar auswendig gelernten antisemitischen und rassistischen Tiraden fällt im Video des Attentäters von Halle dabei auch dieser Satz: „Feminismus ist Schuld an der sinkenden Geburtenrate im Westen, die die Ursache für die Massenimmigration ist.“ Während Balliet mordend durch die Stadt zieht, bezeichnet er sich in seinem Livestream wiederholt als „Loser“.

Erbarmungslose Gewalt und demonstratives Selbstmitleid stehen nebeneinander. Musikalisch untermalt ist die halbstündige Aufnahme, die das Morden dokumentiert, zeitweise mit einem Lied, dessen Text die Taten von Alek Minassian verherrlicht: „Nutten lutschen meinen Schwanz, während ich Fußgänger überfahre.“ Minassian hatte bei einer Amokfahrt 2018 aus Frauenhass 10 Menschen in Toronto getötet.

Nur wenige Wochen nach dem Attentat in Halle erscheint die Neuauflage von Klaus Theweleits epochalem Werk „Männerphantasien“ (Matthes & Seitz, Berlin 2019. 1278 S., 42 €). 

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Eine furiose Theoriecollage, die nach der Veröffentlichung 1977 innerhalb kürzester Zeit zu einem Klassiker der Faschismus-, Gewalt- und Männerforschung avancierte. Rudolf Augstein bezeichnete sie damals in einer achtseitigen Rezension im Spiegel als „aufregendste deutschsprachige Publikation dieses Jahres“.

Faschismus als Ergebnis eines männlichen Körperzustands
Aber gilt das heute noch? Die Frage der Aktualität wird nach dem Erscheinen der Neuauflage von „Männerphantasien“ hierzulande diskutiert. Inwieweit können 40 Jahre alte Analysen, die sich zudem auf hundert Jahre zurückliegende Ereignisse beziehen, zum Verständnis der Gegenwart beitragen?

Denn Theweleit hat sein Werk nicht aktualisiert, lediglich um ein Nachwort ergänzt. Noch immer ist es ein Kaleidoskop von biografischen Fragmenten, Briefen und Tagebucheinträgen, in dem der heute 77-Jährige Persönlichkeiten aus dem Umfeld der Freikorps der Zwischenkriegsjahre in Deutschland untersucht. Dabei destilliert er einen Archetyp des „soldatischen Mannes“ heraus, der den Nationalsozialismus den Weg bereitete.

Auf 1174 Seiten versucht Theweleit nachzuweisen, dass faschistische Gewalt als Resultat eines gestörten männlichen Körperzustands gewertet werden könne. Viele NS-Täter hätten demnach im Laufe ihrer Sozialisation Prügel und militärischem Drill erlitten und dadurch lediglich einen „Fragmentkörper“ entwickelt, dessen gehemmte Emotionalität dazu führe, dass sie eine übersteigerte Angst vor der Ich-Auflösung entwickeln. Permanent fürchte die fragile Männlichkeit von der Außenwelt überwältigt, verletzt oder überflutet zu werden.

Herrschaft über das Weibliche

Der daraus resultierende faschistische Mann versuche Herrschaft über die vermeintlich unkontrollierbaren „weiblichen“ Anteile in sich zurückzuerlangen, das Weiche, Leidenschaftliche und Lebendige zu unterjochen. Diese gewaltsame emotionale Verstümmelung ziele letztlich auf die Erzeugung von Übersichtlichkeit und Ordnung, münde aber in einer enormen inneren Spannung.

In einen Zwang zur Gewalt drohe sich diese zu entladen, versuche „innere Zustände in riesige äußere Monumente“ zu verwandeln. Der Hass auf das fremde eigene Innere wird zum Hass auf das Fremde im Außen. Dessen Zerstörung zu einer imaginierten Notwehr.

„Ihre Aktion“, schreibt Theweleit, „richtet sich auf die Herstellung einer Weltordnung, wie sie sie für notwendig erachten. Notwendig für sie selbst – zur Herstellung ihres eigenen körperlichen Gleichgewichts – und für die sie umgebende ‚Kultur’ (Rasse, Religion et cetera)“.

Die Historikerin Birte Förster kritisierte unlängst in der „Süddeutschen Zeitung“, dass die von Theweleit untersuchten Beispiele nicht repräsentativ seien, er keinerlei Quellenkritik betreibe. Zudem ignoriere er die Vielfalt weiblicher Lebensentwürfe der Weimarer Republik, reduziere Frauen auf ihre Opferrolle und übergehe gar NS-Täterinnen.

„Ein Krieg gegen Frauen“

Auch eine kohärente Erklärung des Faschismus, die sich als umfassende Gesellschaftstheorie auf moderne Erscheinungsformen beziehen lässt, stellt der Text in den Augen vieler Rezensenten nicht dar. So merkt der Publizist Uli Krug an, dass Theweleit die Frage unbeantwortet ließ, „warum der ,soldatische Mann’ deutscher Bauart Konzentrationslager baute, sein alliiertes Pendant sie aber befreite“.

Doch aller methodischer und inhaltlicher Einwände zum Trotz: Theweleits Thesen sind für eine Analyse des Selbstverständnisses und der Beweggründe neurechter Gewalttäter durchaus fruchtbar. Unbestreitbar ist der Hass auf das Weibliche ein verbindendes Element in deren Gedankenwelt.

Sowohl Alek Minassian als auch Elliot Rodger, der Amokläufer von Isla Vista, trieb ein offen artikulierter Frauenhass an. Rodger sprach gar von einem „Krieg gegen Frauen“, fantasierte in seinem Manifest, dass er sie in Konzentrationslagern verhungern lassen würde.

Für Massenmörder wie den Norweger Anders Breivik, Christchurch-Attentäter Brenton Tarrant oder Stephen Balliet ist es der Feminismus, der die Reproduktion der „weißen Rasse“ bedrohe. Das Aufbegehren der Frauen öffne die Tore für die „Flüchtlingsströme“ und somit den Untergang der christlich-abendländischen Welt.

Gegen solche Drohbilder stilisieren sich die Mörder als gestählte Soldaten, zelebrieren in Bildern und Videos ihre Maskulinität, demonstrieren ein heroisierendes Beschützerverhalten, das Frauen zu Objekten degradiert.

Kathartische Gewaltakte enthemmter Grausamkeit

Die vermeintlichen Protektoren der Nation sehen den Massenmord als letztes Mittel gegen die „Gender-Ideologie“, „Verweichlichung“, „Feminisierung“, „Sexualisierung“ und die vermeintliche Unterdrückung des Mannes.

Ihre Manifeste und Aussagen zeugen von einer zutiefst gekränkten und bedrohten Männlichkeit, für die Gewalt als legitimes Mittel erscheint, um eine fantasierte natürliche Ordnung wiederherzustellen.

Über Jahre angestaute negative Emotionen und ein offensichtlich quälendes Selbstwertdefizit kulminieren schließlich in Gewalttaten. So ließe sich mit Theweleit durchaus argumentieren, dass Taten dieser Männer kathartische Gewaltakte enthemmter Grausamkeit darstellen, ein somit geradezu „ersehnter Ausnahmezustand“.

In seinem 2015 veröffentlichten Werk „Das Lachen der Täter“, das zugleich als Aktualisierung der „Männerphantasien“ gelesen werden kann, beschreibt Theweleit das Töten als „Jubel des Terrors zur eigenen Körperstabilisierung“.

Der „anti-weibliche Komplex“ ist dabei nicht nur auf rechtsextremistische Massenmörder begrenzt, sondern ebenso in den Gräueltaten von IS–Terroristen zu beobachten. Ein Typ wie Breivik sei demnach „strukturell patriarchaler Muslim wie auch norwegisch-christlicher Antisemit wie auch germanisch-sektiererischer SS-Mann“.

Und auch jenseits eines blutigen Ausagierens mittels Gewalteruptionen ist dieser Tage nicht zu bezweifeln, dass eine soldatische Männlichkeit weiterhin in höchsten politischen Ämtern anzutreffen ist. Da tönt AfD-Politiker Björn Höcke: „Nur wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft.“ US-Präsident Donald Trump breitet obszöne Verfügungsfantasien gegenüber Frauen aus: „Greif ihnen zwischen die Beine. Und dann kannst du alles machen.“

Und der brasilianische Präsident Bolsonaro wies eine Abgeordnete im Parlament mit den Worten zurecht: „Ich würde dich nie vergewaltigen, weil du es nicht wert bist.“ Sie alle eint ein Männertypus, der nur dann ein positives Selbstbild generieren kann, wenn Frauen herabgesetzt werden. Dessen Kampf der Auflösung vertrauter Konturen ins Uneindeutige und Unkontrollierbare gilt.

Gewaltgeschichte in männlichen Körpern

Beinahe verstörend ist, dass Theweleit in seiner psychologischen Analyse die Grenzen politischer Konzepte gegen die gefestigte Struktur des Soldatischen aufzeigt. Bessere Argumente allein kämen gegen den „Körperpanzer“ des rechten Gedankengutes nicht an. Sein beinahe banal klingender Ansatz: der Fokus auf die möglichst frühe Stärkung zwischenmenschlicher Beziehungen.

Ob das im Umgang mit antiliberalen Kräften der letzte Schluss ist, darüber darf getrost diskutiert werden. Als Warnung vor einer über Jahrtausende sedimentierten Kultur der Gewaltgeschichte in männlichen Körpern, die bis heute, wenn auch in abgeschwächter Form, gesellschaftlich reproduziert wird, bleiben Theweleits „Männerphantasien“ hochaktuell. Und als Mahnung dafür, dass das Geschlechterverhältnis als ein zentraler Schlüssel für den zivilisatorischen Fortschritt betrachtet werden muss.

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für mich war das schon vor 40 jahren ein standardwerk zur psychologie des männlichen faschismus - und mit dem oft zitierten theweleit-guru wilhelm reich, dem psychoanalytiker, der gerade uns kinder des faschismus soviel zu sagen hatte über die psyche unserer väter und deren generationen, die so schnurstracks in diese konservativ nationalistisch-faschistische massenmörder-falle tappten.

und dazu gehörten ja immer zwei: einmal etwas, was diese fallen aufstellte und scharfstellte - und dann diejenigen, die trotz allem eigentlichen besserwissen und trotz moral & glauben mit augen-zu-und-durch hineintappten, und die dann nach dem krieg als duckmäuser und schweiger das versuchten wieder aufzurichten, was sie in grauer uniform, "im deutschen ehrenkleid", so gänzlich und millionenfach verbockt hatten.

viele beteiligte wussten hinterher selbst nicht, wie ihnen geschehen war - und die meisten sagten "ich doch nicht" - aber ein großteil ihres schweigens war die scham vor dem persönlichen versagen gewesen.

wir 68-er, die dieses "standarwerk" geradezu verschlungen haben, wollten ja nun endlich wissen, warum unsere väter und großväter so getickt hatten - und einige ja noch immer - auch wieder neu und heutzutage - weiter im gleichschritt hinterdreintapern: offenen auges in den untergang - fast ein kollektiver nachbarschaftssuizid...

verblendet und trunken und mit raffiniert angelegter propaganda - und neuerdings dazu die hetze aus den sozialen netzwerken - was den adrenalinspiegel bis an den schlag vollpumpt: "heute gehört uns deutschland - und morgen die ganze welt"...

das war eigentlich unglaublich, wenn man dann nach dem krieg all diese "tapferen kämpfer & helden" im ganz banalen schützenverein sah, wie sie den schützenkönig auskungelten untereinander - und kleine deals und geschäfte verabredeten a la "klüngel" - und sich posten und pöstchen zuschusterten.

und die tatsächlichen täter und mörder, die überlebt hatten, wurden von sich rasch ausbreitenden "netzwerken" geschützt und versteckt - auf alle fälle nicht verraten - denn das ging gegen die "ehre" eines wehrmachtsoldaten oder eines mitkämpfers in der ss, in der "schwarzen uniform"...

und warum das so und nicht anders war, und welche falschen weichenstellungen im kopf dem alle zugrundeliegen, das hat uns theweleit mit wilhelm reich nahebringen wollen.

und heute können die afd und die populistischen bestrebungen mit ihren gallionsgfiguren in aller welt auf der einen seite - aber auch die #me too-bewegung auf der anderen seite - diesen wieder aktuellen text ganz neu durcharbeiten - damit man allseits versteht, wie und warum man soooo tickt und nicht anders - und wie die "spiegelneuronen" die nur angedeuteten gefühlsregungen z.b. der eltern auf ihre kinder, oder der "männer" in bezug auf die "frauen", im geist schon virtuell vollenden und so durchleben, dass sie dann auch wie in trance in real life ausgelebt werden und sogar zur "tat" führen können ... 

- ein jahrhundertwerk - gewiss ... auch wieder in dieser neuen gerade bgonnenden dekade.


auf auf in die neuen zwanziger

Einzigartig im Universum. Dass die Menschheit sich aufmacht, den blauen Planeten Erde zu retten, ist im 21. Jahrhundert kein Science-Fiction-Szenario mehr. Foto: NASA/p-a/dpa



Wie wir die 20er Jahre besser begrüßen können als mit Nostalgieshows und Zukunftsangst

Willkommen im Greta-Zeitalter
Von Matthias Horx

Im zurückliegenden Jahr scheint uns die Zukunft im Sinne eines Besseren abhandengekommen zu sein. Obwohl oder gerade weil Zukunft ein unendlich inflationierter Begriff geworden ist. Auf allen Businessbroschüren, Plakaten, Anzeigenkampagnen taumeln grinsende Roboter unter dem Zukunftslogo durchs Bild, auf den Werbeplakaten fahren SUVs unaufhörlich in die Zukunft (weite Landschaften, leuchtendes Grün), alle Parteiprogramme wimmeln von Zukunfts-Phrasen. Aber je mehr der Zukunftsbegriff zum Allgegenwarts-Wort wird, desto hohler erscheint er in seinem Inneren.

 
Das liegt nicht an der Ökonomie. Auch nicht wirklich an der Politik. Es liegt an einer radikalen Veränderung der Wahrnehmungsformen, an einem Verlust dessen, was wir gemeinhin Realität nennen. Nennen wir es eine kognitive Krise.

Wir wissen nicht mehr, was wahr ist, und zunehmend auch nicht mehr, was Wahrheit eigentlich bedeutet: eine Wirklichkeit, auf die wir uns einigen können. Realität als jener Zusammenhang, zu dem wir uns als Menschen, als Gesellschaft in Beziehung setzen können, scheint zu verschwinden. Aber wie jede Entwicklung der menschlichen Kultur erzeugt auch diese eine Gegenkraft. Im Schrecken des aktuellen Problems verbergen sich immer schon die Lösungen von morgen.

Hinter dem Lärm der Erregungs- und Gefühlsorgien waren die zehner Jahre auch ein Jahrzehnt der neuen Innerlichkeit. Psychologie war der heimliche Gewinner; auch die Philosophen erlebten ein Comeback. Einer der großen Bestseller der Dekade war Daniel Kahnemanns „Schnelles Denken, Langsames Denken“, ein Buch über die Art und Weise, wie wir kognitiv Wirklichkeit konstruieren. Selbst Yuval Noah Hararis Zukunfts-Epos „Homo Deus“, das den Posthumanismus in verdaulicher Dosis präsentiert, wendet sich am Ende der Internalität zu. Im letzten Kapitel empfiehlt der Autor Meditation als allein wirksame Weltordnungstechnik. Die eigentliche, die latent mächtige Frage der Dekade lautete: Wer sind wir eigentlich?

Meditation und Yoga sind heute anerkannte Kulturtechniken, die selbst in Behörden betrieben werden. Buchtitel wie „Gelassenheit“ und „Würde“ erreichen Millionenauflagen. Überhaupt wird wieder mehr analog gelesen - wurde uns nicht noch vor Kurzem prophezeit, dass Bücher demnächst nur tote Bäume sind? Der Begriff der Achtsamkeit hat sich zum vielleicht größten Sehnsuchtsbegriff unserer Tage entwickelt. Großunternehmen ernennen Achtsamkeits-Manager, und Millionen Menschen sind gerade dabei, der medialen Erregungs-Hydra den Rücken zu kehren.

In gewisser Weise kehren wir damit zurück zu Bewusstseinsfragen der 60er und 70er Jahre: Wie können wir uns als Individuen so verändern, dass auch ein gesellschaftliches Weiter möglich ist? Wie werden wir unabhängiger von den Konditionierungen der Konsum- und Mediengesellschaft? Der Begriff, der damals wichtig war und demnächst eine Renaissance erlebt, lautet Emanzipation - im Sinne des Ausstiegs aus der erlernten Unmündigkeit.

Die große Story, der revolutionäre Mythos dieses vergehenden Jahrzehnts war ohne Zweifel der Digitalismus. Diese Ideologie hatte magische Geschichten zu bieten, Narrative von höchster Faszination: Künstliche Intelligenz, Smart Living, Bitcoin- und Blockchain-Mirakel, virtuelle Wunder, Internet der Dinge und erweiterte Realitäten. Im Rausch des Dataismus nahmen die Errungenschaften der Computertechnik bisweilen halluzinative Formen an, bis zum Status einer semireligiösen Erlösungsfantasie. Bis er erst vor Kurzem dem wich, was man digitale Ernüchterung nennen kann oder auch den digitalen Katzenjammer.

In den USA begann dieser Ernüchterungsprozess einige Jahre früher. „Wired“, das Leitmagazin des digitalen Pop, prägte im Trump-Wahljahr 2016 den Begriff „Techlash“, eine Mischung aus „Backlash“ und Technik. Pünktlich zur Jahrzehntwende veröffentlichte „Wired“ jetzt eine melancholische Rückwärts-Bilanz der digitalen Revolution.

Wenn man durch die ersten 25 Jahre dieser Zeitschrift blättert, fällt auf, dass die Zukunft niemals gleich verteilt wird. Die Zukunft hört einfach nicht auf anzukommen, zu mutieren.

Zurückblickend erscheint als größter Fehler die Annahme, dass die Ökonomie des Überflusses die sozialen und ökonomischen Ungleichheiten beenden würde. 1997 argumentierte John Katz, dass wir „Zeugen einer neuen Gestalt von Nation“ sind, der digital nation. Damit forme sich eine postpolitische Philosophie. „Die Digitale Nation zeigt den Weg zu einer rationaleren, weniger dogmatischen Politik. Die Informationen der Welt sind befreit, und in Folge werden auch wir befreit sein!“ Wir würden alle Millionäre, alle Kreative, so Katz, alle würden wir vernetzte Kollaborateure sein. Doch was als tiefe Einsicht in das Wesen von Bits und Atomen begann, verwandelte sich in eine Goldgrube für Investitionskapitalisten, um große, lukrative Märkte durch die Unterwanderung von Regulationen zu erobern.

Zu Beginn der zehner Jahre waren die Banker die verhassteste gesellschaftliche Gruppe. Am ihrem Ende waren es die Tech-Tycoons aus dem Silicon Valley. Heute wird das digitale Wunder-Lied nur noch in einer bayerischen Partei, auf FDP-Parteitagen und auf den ewigen IT-Konferenzen mit 90 Prozent Männeranteil gesungen. Besonders die Autoindustrie gaukelt uns weiterhin vor, Mobilität könne durch Digitalisierung gewonnen, beziehungsweise zurückgewonnen werden. Inzwischen ahnen wir: In Zukunft stehen wir dann digital im Stau.

Der Abschied vom digitalen Utopismus heißt natürlich nicht, dass digitale Technologien wieder verschwinden. Aber wir treten in eine neue Phase ein, in der das digitale Universum einerseits selbstverständlich wird, andererseits qualitativ neu konstruiert werden muss. Die Zähmung und Zivilisierung des Internets steht bevor. Auch das ist im Grunde ganz normal: Neue Techniken erzwingen und erzeugen immer auch neue Soziotechniken - erst durch die damit verbundenen Krisen entwickeln sich nach und nach intelligentere Systeme, die man in der heutigen Sprache „nachhaltig“ nennt.

Womit wir bei Greta Thunberg wären. Immer in turbulenten Übergangszeiten tritt scheinbar aus dem Nichts eine charismatische Symbolfigur - ein Zukunfts-Avatar - auf die Bühne der Weltgeschichte. Jeanne D'Arc, Gandhi, John F. Kennedy ... Dabei kommt es weniger darauf an, ob diese Personen tatsächlich Erfolg haben. Je umstrittener, ja verhasster sie sind (Kennedy wurde ja sogar erschossen), desto wirksamer weisen sie die Richtung auf den neuen zivilisatorischen Code.

Als Aspergerin verfügt Greta über die seltene Gabe, die vielen Abers und Wenns zu ignorieren, die mit der KlimaHerausforderung zusammenhängen. „How dare you destroy our future!“ Eine solche Haltung macht die Welt wieder frisch, weil sie sich nichts mehr einreden lässt.
Bei Menschen, die noch nicht völlig verbittert sind, entsteht dabei eine heilsame Wirkung, eine Katharsis, die ins Neue führt. Wir erkennen plötzlich schamvoll, dass sich mit dem ungeheuren (und unbestreitbaren) Erfolg des Industrialismus eine fatale Verstrickung verbindet. Die exzessive Nutzung fossiler Energien ist nicht nur ein Nebenaspekt unserer Lebensweise, sondern der Kern eines Welt- und Naturverständnisses, das in die Sackgasse führt. Unsere Gesellschaft selbst ist auf gewisse Weise fossil geworden. Der brutale Ökonomismus, der sich in der Verteidigung des Extraktivismus zeigt, hält uns den Spiegel vor. Wir sind alle Junkies einer Lebensweise, die weder uns noch der Natur guttut.
Verzicht und Vermeidung mögen vorübergehend notwendige Antworten sein. Aber der wahre green deal tritt erst in Kraft, wenn das Ökologische zu einer Befreiungs- und Gestaltungsidee wird.
  • Ökologie berührt nicht nur die Frage der stofflichen Kreisläufe, der Gestaltung der Mensch-Natur-Zusammenhänge. Sie betrifft auch Eigentums- und Demokratiefragen. Kommunikationsstile und Selbstbilder, Wertedimensionen und Lebensweisen, nicht zuletzt auch das Verhältnis der Geschlechter.
  • Die besondere Attraktivität des Ökologischen besteht darin, dass es uns als Menschen, als Erdbewohner, auf neue Weise in Beziehung setzt. Kein Wunder, dass der populistische Nationalismus diese Idee mit jeder Faser bekämpft!
Probleme, die die Vergangenheit erzeugt hat, lassen sich jedoch nie mit den Mitteln der Vergangenheit lösen. Sondern immer nur auf einer neuen Stufe des Zusammenhangs. Der chinesische Autor Liu Cixin ist zu einem Superstar des Science-Fiction-Genres geworden. In seinem Opus „Die Wandernde Erde“ (in einer wunderbar kitschigen Verfilmung bei Netflix zu sehen), macht sich „die Menschheit“ gemeinsam auf, die vom Untergang bedrohte Erde zu retten.

Das ist pathetisch, kindlich, und manchmal richtig rührend. Der chinesische Nationalismus erweist sich dabei als dienend und emphatisch. Die entfremdeten Generationen finden wieder zusammen. In der Wiedereroberung ihrer Zukunft läuft die Menschheit zu ganz neuen Formen der Kooperation auf. Sie konstituiert sich selbst.

Die 20er Jahre des 21. Jahrhunderts werden die Tür zu einem einzigen blauen Planeten weiter aufstoßen, aller Hysterie, allem besserwisserischen Zynismus und aller Untergangsangst zum Trotz.


  • Wir sind mittendrin in einem Wandel, den unser furchtverliebtes Hirn immer noch als Katastrophe missversteht.
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Matthias Horx ist Gründer des „Zukunftsinstituts“. Soeben erschien sein „Zukunftsreport 2020“.


aus: DER TAGESSPIEGEL, Sonntag, 29.12.2019, KULTUR, S. 25


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Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor;
Heiße Magister, heiße Doktor gar
Und ziehe schon an die zehen Jahr
Herauf, herab und quer und krumm
Meine Schüler an der Nase herum –
Und sehe, daß wir nichts wissen können!
Das will mir schier das Herz verbrennen.
Zwar bin ich gescheiter als all die Laffen,
Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;
Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,
Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel –
Dafür ist mir auch alle Freud entrissen,
Bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen,
Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren,
Die Menschen zu bessern und zu bekehren.
Auch hab ich weder Gut noch Geld,
Noch Ehr und Herrlichkeit der Welt;
Es möchte kein Hund so länger leben!
Drum hab ich mich der Magie ergeben,
Ob mir durch Geistes Kraft und Mund
Nicht manch Geheimnis würde kund;
Daß ich nicht mehr mit saurem Schweiß
Zu sagen brauche, was ich nicht weiß;
Daß ich erkenne, was die Welt
Im Innersten zusammenhält,
Schau alle Wirkenskraft und Samen,
Und tu nicht mehr in Worten kramen.


Goethe - Faust


es tut mir jedenfalls gut, was mir der zukunftsweise matthias horx hier mit auf den weg ins 2. jahrzehnt des 21. jahrhunderts gibt. da blicke ich doch wieder nach vorn und nicht mehr verstohlen auf den sauren und ausgebaggerten, verbrannten und verdorrten erdboden.

erst heute habe ich ja die diskussion um ein vom wdr produziertes satirisches kinderlied gelesen, wo doch glattweg ein kinder(!)chor die unerhörte refrain-zeile singt: "oma ist 'ne alte umwelt-sau" - eine umdichtung des volksliedguts "meine oma fährt im hühnerstall motorrad", und wobei es doch im original heißt, dass die oma eine "ganz patente frau" sei ... 

denn - so wird argumentiert: oma fährt mit dem SUV zum arzt, isst discounterfleisch und ihr motorrad verbraucht ordentlich super. 

nun bin ich ja selbst (als mann) in so einem "oma" bzw. "opa"-alter - und habe herzhaft über die zeile gelacht, denn die gründe dazu sind ja tatsächlich gegeben - wenigstens in gewissen kreisen ab einer besonderen einkommensklasse. 

aber - wie ich so morgens am frühstückstisch bei ikea von altersgenossen durchaus repräsentativ aufschnappen kann, kaufen oma & opa auch in weniger lukrativen renten- und pensions-einkommensklassen zwar in billig-shops ihre kleidung ein, fliegen aber dann über italien, um zum kreuzfahrtschiff-hafen nach dubai zu gelangen - und das alles für ein "schnäppchenpreis" und für 8 tage - all inclusive...

was natürlich den co²-fußabdruck von oma & opa immens nach oben auslatscht. und da die beiden ja schon ihre jahre auf den buckel haben und einen alten diesel fahren, ist ihr verbrauchs-limit für co² auf dieser erde leider bereits total aufgebraucht - und sie leben als menschen ökologisch nur noch auf pump, auf kosten von den menschen, die nach den beiden dann etwas weniger zur verfügung haben - und die wohl wieder tret-roller statt e-roller fahren müssen.

in diesem zusammenhang las ich dann aber auch eine zeile, wo ein autor andeutete, dass zwar mit der "befreiung" der 68-er aus alten zwängen und verkorksten moralitäten auch die "grüne bewegung" mit umweltschutz und ökologie auf den plan trat - aber eben gleichzeitig diese "befreiung" so grenzenlos wurde, dass eben suv und kreuzfahrt und flugreisen und schampus und waldorf-schule für die lieben kleinen und marken-kleidung vom designer aus pflegeleichter plastikfaser mit an den start beim konsumieren gingen.

man demonstrierte gegen pershing 2 und besetzte die einganstore von mutlangen und brokdorf und kettete sich auf die bahnstrecke des castor-transportes an, aber konnte und wollte eben auf die persönlichen "annehmlichkeiten" auch nicht verzichten - oder eben auf das, was die geschickt unterschwellig arbeitenden werbestrategen und die lobbyisten in bonn und berlin dazu an wunschdenken mit erfolg gesät und als order gegeben hatten.

auch wenn diese oma-&-opa-generation nun dachte, sie hätte ihr individuell befreites leben kreiert und erkämpft, stellt sie heute fest, dass auch sie nur von geschickten global transferierenden "investitions-neokapitalisten" in großem umfassenden stil manipuliert worden ist - nicht zuletzt auch in der mentalität der siegermächte des letzten krieges, die deutschland dankenswerter weise wieder mit aufbauten, die aber sich diese aufbauleistungen auch in (manchmal auch virtuellen) zinsen und zinseszinsen zurückzahlen ließen.

deshalb: ein neues globales miteinander in den kommenden 20er jahren des 21.jahrhunderts: unter einbeziehung von china und neben russland und nach einer erfolgreich überstandenen vernunftkrise in den usa (nach trump) und großbritannien (nach dem brexit), und einem zusammenwachsen in uropa unter aufgabe der trennenden nationengrenzen und der nationalitäten überhaupt, bei bewahrung und stärkung der "regionen" (iren, jugoslawische völkerschar, kurden, basken, katalanen) - bei einer spirituellen orientierung im geist der drei "abrahamitischen" religionen auf "augenhöhe" (juden & christen & muslime) zu mehr gemeinsamkeit und gebet um eine bessere zukunft.

und dann fährt die oma mit dem tretroller im hühnerstall zum imam zur beichte, mit dem rabbi auf dem sozius ... und singt aus leibeskräften ein "jauchzet - frohlocket ..."

wohl aber ein sicheres landen


Deutscher Wald - sinedi
Deutschland, vereint in Depression 

Wie der Stolz auf die Wiedervereinigung der Bitterkeit gewichen ist

Von Michael Schindhelm im Tagesspiegel (click)

Gerade junge Menschen halten in Ostdeutschland nicht mehr viel von Demokratie. War diese Entwicklung nach dem Herbst 1989 abzusehen? Ein Gastbeitrag.

Seit Langem komme ich hierher nur noch zu Besuch, als Gastarbeiter. Neuerdings vor allem nach Sachsen. Bei den Landtagswahlen hat die Rentnergeneration die CDU gerettet (und damit die konventionelle Parteienlandschaft), während die Millennials zu fast einem Drittel für den Rechtspopulismus gestimmt haben. Viele Kinder der jungen Demokratie scheinen von ihr nicht viel zu halten. Die Manifestationen der Weltoffenen ändern daran offenbar nichts.

Der Herbst 1989 erscheint im Lichte der aktuellen Politik grau und blass. Erinnerungsroutinen bemänteln unglaubwürdig die aktuelle Depression. In Dresden untersuchte kürzlich eine Konferenz, ob der Osten kolonisiert worden sei. Auf dem Podium saßen Ostdeutsche, die seit dreißig Jahren Erfolg haben, und beklagten überwiegend das Unrecht. Bitterkeit hat den Anfangsstolz nach der friedlichen Revolution längst verdrängt.

Die Menschen scheinen insbesondere dank dieser Depression wiedervereint. Der Besucher in mir fragt sich, ob diese Entwicklung vor fünfundzwanzig Jahren nicht bereits absehbar war. Die Evolution der Enttäuschungen, die Einübung der Feindbilder. Der Mangel an Großzügigkeit gegenüber sich selbst und den Landsleuten im jeweils anderen Teil.

  • Der Besucher in mir hat das Bedürfnis, eine Geschichte zu erzählen. Die Geschichte eines alternativlosen Deutschseins.

Die Bibliothek des Großvaters

Auch sie beginnt im November. Eine Kleinstadt an der Grenze zu Hessen. Im schwarzen Kanal das Kölner Konzert. Nicht Keith Jarrett, sondern Biermann. 1976. Ich war sechzehn. Der Reiz der Sechziger, in denen das Westfernsehen noch richtig verboten war, wich allmählich einer allabendlichen TV-Praxis. Doch diesmal versprach es wieder aufregend zu werden. Der Mann auf der Bühne redete und stritt sich zwischen den trotzig hingeklampften Songs ausgiebig mit dem Publikum über Sachen, die hier tabu waren: Mao, der Prager Frühling, der 17. Juni.

Der Sänger zitierte Hölderlin, „Hälfte des Lebens“. Nach den vielleicht eineinhalb Minuten, die er darauf verwendete, die vierzehn Zeilen in seinem bizarren Knödel-Stil vorzutragen, war für mich nichts mehr wie zuvor. Die Mauern stehen sprachlos und kalt, hatte er gesagt, im Winde klirren die Fahnen.

Wahrhaftig, die Mauern standen sprachlos und kalt. War das die Hälfte des Lebens? Was würde die andere Hälfte bringen? Noch am selben Abend suchte ich in der Bibliothek meines im Krieg gefallenen Großvaters nach dem Hölderlin-Band. Ich las „Hyperion“, um den es in dem Kölner Konzert ja gegangen war, las „So kam ich unter die Deutschen“ und darin den Satz über den Status der Dichter, die wie „Fremdlinge im eigenen Hause“ lebten.

Die DDR war nur eine schale Legende

Das eigene Haus befand sich in jenem November 1976 am verhärmten Ende des schwarzen Kanals. Hyperion und Biermann hatten dieses Haus, wenn auch unfreiwillig, verlassen. Für mich gab es vorläufig nur seine kalten sprachlosen Mauern und die klirrenden Fahnen auf dem Dach. Ich schrieb Verse und arbeitete mich durch meines Großvaters Bibliothek, von Hans Dominik zu Thomas Mann und Gottfried Benn. Meine persönliche Alternative zu DDR-Deutschland. Die andere Hälfte des Lebens. Ein einsames Gegenglück in einer vorerst behördlich vernachlässigten Nische des realexistierenden Sozialismus.

Die Nische aus Büchern bot, was die DDR vorenthielt: eine Heimat. Ein Deutschland, das frei, aufregend, tragisch und manchmal sogar komisch war. So kam es, dass mich die Bibliothek meines Großvaters unter Deutsche brachte, in deren Gesellschaft ich mir weniger fremd vorkam als in der Schule. Die mich vertraut machte mit Jakob Fabian und Tonio Kröger, Zarathustra und Kara Ben Nemsi. Und je häufiger ich „Marmorklippen“ betrat oder mit dem Knaben durchs Moor irrte, auf den Straßen von Döblins Kopfberlin, umso mehr ersetzte diese Landschaft dichterischer Erfindung die Realität des Sozialismus.

Am Ende war die DDR eine schale Legende, des Großvaters Bibliothek hingegen, bereichert um die im Land verbotenen Zugänge, die ich unter der Hand erstanden hatte, die einzig überzeugende Wirklichkeit.

Die Wirklichkeit öffnet sich

Dann fielen die sprachlosen Mauern. Nach Jahren gerechnet genau in der Hälfte meines bisherigen Lebens. Der Engel der Geschichte brauchte nur zu zwinkern, und schon war es um die DDR-Fiktion geschehen. Doch verloren auch die Wirklichkeit der verbotenen Bücher und die darin versprochene Heimat an Überzeugungskraft, seitdem die ganze Pracht von Sigmund Freud bis zum Tibetanischen Totenbuch in Ladenregalen feilgeboten wurden. Seitdem das Verbotene nicht mehr verboten war, wurde es fremd. Dinglich. Kalt und sprachlos.

Ich kann nur für mich sprechen. Die eigentliche Entdeckung war der sich mächtig öffnende Raum hinter den Läden und ihren Hütern. Die neue Wirklichkeit des gemeinsamen Deutschlands war chaotischer und handfester, hastiger und zunächst berauschender nicht nur als die bleiche DDR, sondern auch als das Zuhause in der großväterlichen Bibliothek. Hatten bereits die Bücher zum Reisen eingeladen, so führten jetzt geografische Wege sowie jene der Sinne und des Erkennens bald weit über alle bislang vorstellbaren Grenzen hinaus.

Zugegeben, der Zauber, den der Westen ausgesandt hatte und der in den Anfängen nach 1990 fortwirkte, konnte nicht ewig halten, was er versprach. Nach ein paar Jahren verließ ich Deutschland, um, wie sich erst viel später zeigen sollte, nie wieder zurückzukehren. Einen Keinheimischen nannte sich die Hauptfigur Robert meines ersten Romans, im elften Jahr der zweiten Hälfte meines Lebens.

Von der Heimat verfolgt

Doch war ich im Irrtum. In Wahrheit folgte mir die Heimat, körperlos wie ein Schatten. Sie blieb nicht die ursprüngliche Idee Hyperions oder die aus der Bibliothek des Großvaters. Sie ordnete sich ein in einen widersprüchlichen Katalog von Ideen, die andere Menschen von den Deutschen und dieser Nation hatten und denen ich nun, da ich unter die Anderen gegangen war, nicht mehr ausweichen konnte. Meine Heimat-Idee wurde skeptischer, bescheidener. Nur an Schwere verlor sie nie.

Draußen hatte ich zu lernen, wie seltsam es ist, ein Deutscher zu sein. Als ich im Hörsaal einer sowjetischen Universität vor die Kommission trat, die meine Abschlussprüfung in Quantenchemie zu beurteilen hatte, gab mir eine Professorin, deren Bluse mit Orden der Roten Armee dekoriert war, die Botschaft an meine Landsleute mit – wir sollten nie vergessen, dass die Sowjetunion unbesiegbar sei. Die Stadt, in der ich fünf Jahre lang studiert hatte, war einst von der Generation meiner Großväter besetzt und zerstört worden.

Deutsch mit zwei Gesichtern

Zehn Jahre später löste ich am Theater das klassische Ballett zugunsten eines modernen Tanztheaters auf. Die Ballettfreunde in der Schweiz gingen aus Protest auf die Straße. Und da das Ballett an Montagen seinen freien Tag hatte, wurden die Demos montags abgehalten und Montagdemos genannt. Ich sah den Deutschen von nun an mit zwei Gesichtern: das aus helvetischer Sicht Großmaul aus dem Norden und den verunsicherten Ossi, der dem Großmaul schon nach 1989 zu Hause begegnet war.

Zehn weitere Jahre darauf setzte mir ein iranischer Geschäftsmann während einer hitzegetrübten Fahrt durch die emiratische Wüste in seinem Brabus auseinander, warum der deutsche Pass bei den Behörden seines Landes so viel höher im Kurs stehe als irgendein anderer westlicher Ausweis: schließlich hätten sich meine Vorfahren nach besten Kräften um die Abschaffung der Juden bemüht.

Sehen mit dem Blick der Anderen

Die Nachbarn in Nah und Fern, im Elsass und auf Bali, haben jeder seine eigene Idee von dieser Nation. Manche dieser Ideen sind unangenehm oder gefährlich, aber jede schärft die Sinne für die eigene Herkunft. Je länger ich aus Deutschland weg bin, umso mehr sehe ich dieses erfolgreiche, in sich gekehrte Land mit den Augen der Anderen. Fremd erscheint mir daher die Depression, aus der heraus sich hier erinnert, die Gleichgültigkeit, mit der vergessen wird.

Noch ein paar Jahre, und die Hälfte der Deutschen wird die Zeit der Teilung nur aus zweiter Hand kennen. Noch ein paar Jahrzehnte, und niemand wird mehr dabei gewesen sein. Das Verblassen der Geschichte, die vor dreißig Jahren einen so unerwarteten Ausgang genommen hat, hilft jenen Demagogen, die ihre Ideen als neu maskieren, obwohl sie grausam alt sind. Zum Beispiel die von einem alternativen Deutschsein. Es gibt wieder Fronten, die marschieren. Und der despotische Klang, der die erste Hälfte meines Lebens begleitet hat, ist zurück: das Klirren der Fahnen.

Text aus: tagesspiegel.de


Hälfte des Lebens
Friedrich Hölderlin

Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm' ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.


  • Michael Schindhelm, 1969 in Eisenach geboren, lebt im Tessin. Er studierte in der UdSSR Quantenchemie, war Generaldirektor der Berliner Opernstiftung, später Kulturberater in Dubai, Hongkong, Singapur. Derzeit ist er Kurator für Dresdens Bewerbung um die Europäische Kulturhauptstadt 2025. Zuletzt erschien von ihm „Walter Spies, ein exotisches Leben“.
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ich habe zuletzt in einigen beiträgen hier von den "brüchen" in jedem leben gesprochen. 

beispielsweise von den brüchen und irrtümern und dem stolz und der jähzornigkeit und der besserwisserei eines "deutschsprachigen" peter handke. und von den brüchen und nöten und ängsten und notlügen und geschichtsklitterungen eines emil nolde alias hansen, um seiner kunstgeschäfte und auktionen willen, denn rente bezog er ja wohl nicht - und biederte sich beim jeweiligen publikum an.

immer ging das einher mit den brüchen in meinem eigenen leben. und mit der frage, ob ich mit ihnen leben kann, ob sie meine biografie und mein ich letztlich prägen und ausmachen - und jedesmal auch: wann wird der gips entfernt...

zur zeit sehnt man sich - so scheint es mir - in dieser gesellschaft nach identitäten: nach einer eigenen identität, die man möglichst "glatt" und ohne sollbruchstelle "präsentieren" will. auch wenn es mal nicht so gut geklappt hat, wenn es neben der sonnenbeschienenen schokoladenseite (achtung: schokolade tropft, wenn die sonne zu lange draufscheint!) noch eine abgewandte bleichwächserne schattenseite gibt. und natürlich will man diese unschöne seite verbergen und vertuschen und mit dem schwamm aus scham einfach drüber-... - noch besser wäre es - einfach ...wegzuputzen: ungeschehen machen.

...was aber nicht immer gelingt. aber dann kann man sich ja im internet bei facebook oder twitter eine neue und andere identität oder sogar mehrere davon ("ich bin viele") zusammenmixen, wo man einen auf "großen maxe" macht: das wollen wir doch mal sehen - ey...

und ich meine immer, da wird eine vielleicht von altersher in einem wohnende identitätssehnsucht beschrieben: mit kristallklaren und eindeutigen herkunftsquellen, ohne jede not, ohne tränen, ohne angst, ohne enttäuschungen ...
  • halt: lass uns noch ein wenig beim begriff "ent-täuschung" verharren in diesem zusammenhang: vom wortsinn her, wird mit ihm das "ende einer bisherigen täuschung" benannt, ein "zurechtrücken" - also wenn einem der sand aus den augen gewischt wird, wenn man wieder klar sehen kann was vorher "anders" und "verschwommen" daherkam. das heißt aber auch: ganz ohne jede "ent-täuschungen" macht man sich etwas vor, lebt man im trugbild...
weiter im text: ... also ohne jede einschränkung - und deshalb auch ohne jedes rücksicht-nehmen-müssen, ohne jedes verstehen-wollen - einfach nur schnurstracks geradeaus: 
  • "mein haus, mein pferd, mein auto, mein boot, mein(e) liebe(r) ehepartner(in), meine süßen kinderchen..."
aber - gesichter und die haut bekommen falten, die nach botox schreien, die kinder gehen aus dem haus und fahren den wagen zu schrott - und dann noch die schwiegertochter, na-ja - die frau lernt einen "netten arbeitskollegen" kennen, die eltern sterben, der bruder erbt das marode haus - ein glück - und zahlt uns mit 15.000 uro aus (die hätte er sich auch sonstwo hin...)

tja - und dann fällt auch noch die mauer, mit der man sich auf beiden seiten jeweils anders eingerichtet hatte: die einen mehr schlecht als recht - die anderen mehr recht als schlecht - je nach blickwinkel und schattenwurf der mauer... - und die sonne wandert ja bekanntlich einen halbkreis - und so kommt zumindest verwinkelt der schatten mal so - und dann mal so an ...

der blickwinkel ändert sich - manchmal minütlich, stündlich, täglich, zumindest von jahr zu jahr, von epoche zu epoche, von jahrzehnt zu jahrzehnt, von lebenshälfte zu lebenshälfte ...

und diese blickwinkelveränderungen verändert auch zwangsläufig unsere intern vorgestellte idealnorm von unserem identitäts"entwurf" und passt sie peu à peu, wenn es gut geht, an - oder verbittert uns oder macht uns zu narren...

aber auch ein land hat seine brüche trotz aller "einigkeit & recht & freiheit": und der weg jeweils daraus - ist der weg hindurch...: erst annehmen und dann überwinden - wenn denn überwindung überhaupt angesagt ist.

mit einigen "brüchen" werden wir leben lernen müssen, bei uns, in unseren familien, bei künstlern, die berühmt sind oder den nobelpreis einkassieren, in der politik, in unserer "heimat", in dem land, in dem wir leben oder gar urlaub machen:

ein ganz oller frommer spruch, den ich mal als wandbild in der frakturschrift in der alten "brockenammlung" in bethel hängen sah, lautete: 



Sage mir, mit wem du umgehst, so sage ich dir, wer du bist. (Goethe)

newscientist.com





Höchste Zeit für einen neuen Impuls 
Der 9. November sollte zum „Tag der Herkunft“ werden

Von Malte Lehming | Tagesspiegel (click)

Ossis, Wessis und Migranten machen alle zusammen Deutschland aus. Der 9. 11. sollte der Tag sein, an dem jeder seine besondere Identität zeigt. Ein Kommentar


Der 9. November ist ein überladener Tag. Novemberrevolution und Sturz der Monarchie, Pogromnacht, Mauerfall. Das sind sehr verschiedene Ereignisse, die ein angemessenes Gedenken fast unmöglich machen.

Welches Gefühl soll das Datum prägen – Stolz, Trauer, Freude, Scham? Aus dieser Verlegenheit hilft zumeist die Frage, ob der 9. November ein rundes Jubiläum ist. Im vergangenen Jahr jährte sich die Ausrufung der Republik zum hundertsten, die Reichspogromnacht zum achtzigsten Mal. In diesem Jahr stehen dreißig Jahre Mauerfall im Vordergrund.

Zu erwarten sind folglich viele fundierte Abhandlungen über den Stand der Einheit, die deutsch-deutschen Befindlichkeiten, die Fehler im Einigungsprozess. Nostalgische Erinnerungen an die anarchische Zeit zwischen Grenzöffnung und Einheitsvollzug werden geweckt, an Michail Gorbatschow, Ronald Reagan, die mutigen Revolutionäre, das Begrüßungsgeld, die Währungsunion, den Wandel von „Wir sind das Volk“ zu „Wir sind ein Volk“. Zum Schluss spielen die „Scorpions“ dann wieder „Wind Of Change“, Luftballons steigen auf, Kerzen brennen. So weit, so deutsch.

Keine Herkunftserzählungen erster und zweiter Klasse

Höchste Zeit für einen kleinen Impuls: Der 9. November könnte zum „Tag der Herkunft“ erklärt werden. Am „Tag der Herkunft“ zeigt jeder, woher sie oder er kommt und was sie oder ihn prägt. Das kann eine Flagge sein, eine Fahne oder das Wappen des Bundeslandes, der Name des Heimatdorfes oder ein religiöses Symbol, klein oder groß, als Schal oder Sticker.

An diesem Tag der offenen Grenzen sind auch der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Das Tragen mehrerer Identitätsmerkmale ist durchaus möglich.

Wie hieß es doch gleich nach dem Mauerfall? Erzählt euch eure Geschichten! Das ist bis heute richtig, aber kommt bitte heraus aus dem deutsch-deutschen Sud! Mehr als zwanzig Millionen Menschen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund, das ist jede vierte Person, Tendenz steigend. Das heißt, es gibt längst mehr Menschen mit Migrationshintergrund, als es zur Zeit des Mauerfalls DDR-Bürger gab.

Was es aber nicht geben sollte, sind Herkunftserzählungen erster und zweiter Klasse. Jeder hat sein persönliches Schicksal, seine Heimat, seine Familientradition, die oft nicht deckungsgleich ist mit der Geschichte des Landes. Bürgerkriege, Hungersnöte und innereuropäische Chancenungleichheiten werden die Migrationsdynamik noch beschleunigen. Ossis, Wessis und Migranten konstituieren gemeinsam Deutschland. Sie alle sollten neugierig aufeinander sein.

Am „Tag der Herkunft“ wird das sichtbar. Die Frau aus Suhl begegnet dem Mann aus Eritrea, der Mann aus Schleswig-Holstein sieht, dass sein Nachbar im Herzen bayerisch ist, die Arbeitskollegin mit der schwarz-rot-goldenen Fahne erfährt, dass die Eltern ihrer Vorgesetzten aus Polen stammen.

Ein Merkmal seiner Herkunft zu tragen, zeugt von Selbstbewusstsein. Manchmal braucht es dafür Mut. Einmal im Jahr aus der Anonymität auszubrechen, das Versteck der eigenen Identität zu verlassen, kann befreiend und aufregend zugleich sein.

Vielfalt stärkt das Bewusstsein von Einheit

Am 17. September 1787 wurde die amerikanische Verfassung unterzeichnet. Der „constitution day“ ist ein Feiertag und wird auch „citizenship day“ genannt, weil die Neubürger an diesem Tag zu Staatsbürgern werden. In einer öffentlichen Zeremonie wird ihr Name aufgerufen sowie ihr Herkunftsland, sie heben die rechte Hand und legen den Eid auf die Verfassung ab.

In den USA kommt jeder von irgendwoher. Das wird, abgesehen von Donald Trump und einigen seiner Anhänger, überwiegend als Bereicherung empfunden.

In Südafrika ist der 24. September seit 1995 ein nationaler Feiertag. Er heißt „Heritage Day“, weil an ihm das kulturelle Erbe der Regenbogennation in all seinen Facetten gefeiert und die unterschiedlichen Traditionen geehrt werden. Die Vielfalt soll das Bewusstsein der Einheit stärken.

„Wo wir anfangen, ist niemals der Anfang“

Der Philosoph Odo Marquard veröffentlichte im Jahre 2003 einen Essay-Band mit dem Titel „Zukunft braucht Herkunft“. In einem Interview mit dem „Spiegel“ erklärte er den Grundgedanken darin so: „Das uns prägende Vergangene ist immer schon da – Familie, Sprache, Institutionen, Religion, Staat, Feste, Geburt, Todeserwartung –, wir entkommen ihm nicht. Wo wir anfangen, ist niemals der Anfang.“

Reden wir also über uns, unsere Anfänge, unsere Prägungen, unsere Geschichte. Vielleicht macht das erfahrbar, dass Identität auch den Plural von Heimat erlaubt, die Heimaten. Der 9. November, ein „Tag der Herkunft“. Wer fängt an?

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ja - aber das gilt auch für eine solche initiative: "wo wir anfangen, ist niemals der anfang": das sogenannte deutsch reich gibt es erst seit 1871, also erst rund 150 jahre, vorher gab es meistens mehrere länder, regionen, fürstent(h)ümer, die sich je nach gusto vielleicht einem verbund "teutscher nation" zugehörig fühlten und vielleicht auch hier und da in "deutscher zunge" dachten, aber sich ansonsten - auch dialektmäßig - längst nicht einig waren. und auch das jüngst vereinte deutschland jetzt muss sich gar nicht immer einig sein - so wie es jetzt schon in bundesländern einen flickenteppich verschiedener koalitionsregierungen und mentalitäten gibt.

und demokratie ist wohl immer die einheit in der vielfalt.

erst heute bei dieser recherche hierzu sah am rande eine werbung der npd: "vielvölkerstaat - nein danke"... - und jahrelang hat die bundeskanzlerin den slogan vertreten: "multikulti - gas geht gar nicht"..., ehe sie dann 2015 in ihrer unnachahmlichen früheren flexibility ausrief: "wir schaffen das!"

und wir haben das ja auch im großen & ganzen auch "geschafft": von ca. einer million "über-nacht" hinzugekommenen gab es vielleicht im höchstfall 2000 bis 3000 luschen (also 2-3 promille) - alle anderen sind in irgendeiner weise "integriert" - und sind hier und leben hier... - nach recht & gesetz - und wenn es nicht mehr passt gehen die auch wieder - oder holen ihre familien nach, wenn es hier okay ist.

diversity
und deutschland hat ja mit dem bergbau im ruhrgebiet in der ersten häfte des letzten jahrhunderts viele tausend neue bürger zumeist aus polen integriert, die inzwischen hier in die "stammbevölkerung" aufgegangen sind ... und dann kamen die gastarbeiterwellen: aus italien, über griechenland, spanien und dann aus der türkei - und der balkan-krieg brachte viele hilfesuchende aus den balkan-ländern hierher  - undsoweiter - undsofort...

jeder vierte bundesbürger hat also einen unterschiedlich weit zurtückliegenden "migrationshintergrund"  von wer-weiß-woher - also werden auch die npd-kameraden und die mitglieder der afd nicht alle "ur-deutsch" sein können - falls es überhaupt so etwas gibt - nach all den jahrtausenden mit futterplatzsuche für das vieh, völkerwanderungen, kriegen, flüchtlingsdramen von da nach da, berufsmigration - undsoweiter - undsofort...

von daher hat das schon was, wenn man die herkunftsbiografie in den mittelpunkt dieses patchwork-gedenktages zum 09. november stellt. aber bitte diesmal nicht mit dem obligatorischen festakt im deutschen reichstag und auch nicht in der bonner beethovenhalle - aber vielleicht könnten günther jauch und - ich sag mal - lukas poldolski oder gerald asamoah bis auf weiteres in einer gemeinsamen fernseh-gala jeweils die "herkunftsbiografie des jahres" ausrufen und verkünden und irgendwie von irgendwas oder irgendwem bewerten lassen - einfach, damit mal öffentlich publik wird, was denn hier in diesem unserem lande überhaupt und sowieso "deutsch" alles beinhalten kann...