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packen wir es endlich an



Mit Erinnerungskultur gegen antidemokratische Umtriebe

Gedenken in Italien

Aus Texten von Annemarie Bluhm-Weinhold | WESTFALEN-BLATT, 26.08.2019 S.4 Meinung und Hintergrund /27.08.2019 S. 17 - Kultur/Fernsehen


Mordend und plündernd sind die SS-Schergen im Sommer 1944 durch die Toskana gezogen. Mehr als 400 Menschen haben sie allein in Fivizzano getötet. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat gestern in der toskanischen Stadt mit Italiens Staatspräsidenten Sergio Mattarella anlässlich des 75. Jahrestages der Massaker der Toten gedacht.

Nur eine Trompete ist zu hören, als der Bundespräsident und sein italienischer Amtskollege nach einem Gespräch mit Hinterbliebenen an der Gedenktafel für die Opfer des Massakers einen Kranz niederlegen und im Gedenken an sie verharren. Dann aber brandet Beifall auf, als die Präsidenten zu der wartenden Menge treten. »Presidente«, schallt es ihnen entgegen.

»Nein, wir können den Hass nicht verstehen, der die Deutschen hier in Fivizzano getrieben hat«, sagt Steinmeier wenig später in seiner Rede. Er empfinde Trauer und Scham. »Wir Deutschen wissen, welche Verantwortung wir für diese Verbrechen tragen. Es ist eine Verantwortung, die keinen Schlussstrich kennt«, sagt Steinmeier und bekennt:

  • Auch juristisch habe die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen in Deutschland zu spät begonnen. Deutschland sei damit seiner Verantwortung nicht gerecht geworden.

Den Familien der Opfer sagt er: »Sie haben ein Recht darauf, dass auch bei uns in Deutschland bekannt wird, was Ihnen angetan wurde.« Es sei so wichtig, heute hier zu sein, in Fivizzano, einem Ort, von dem viele Deutsche noch nie gehört haben, betont Steinmeier: »Nur wenige Deutsche wissen, welche entsetzlichen Gräueltaten Deutsche hier begangen haben.«

Die Männer der 16. Panzergrenadierdivision der Waffen-SS unter dem Kommando von Walter Reder haben zwischen Mai und September 1944 in mehreren heutigen Ortsteilen Fivizzanos für Partisanenangriffe grausame Vergeltung an der Zivilbevölkerung genommen und schließlich eine systematische »Säuberung« des Gebiets beschlossen: Am 24. und 25. August – daher rührt der Termin für die Gedenkveranstaltung – mordeten sie im Dorf Vinca und dann noch einmal am 27. August, als die Überlebenden in ihre Häuser zurückkehrten. 162 Menschen starben.

Die Menschen in Fivizzano haben keine Ressentiments gegen Deutsche, sie sind vielmehr dankbar für das Interesse an ihrer Geschichte. So wurde Udo Sürer, Rechtsanwalt aus Lindau am Bodensee, sogar Ehrenbürger Fivizzanos, weil er sich der Geschichte seines Vaters, der an den Verbrechen beteiligt war, stellte.

Die deutsche Botschaft und die Kommune Fivizzano wollen einen jährlichen Schüleraustausch initiieren, bei dem Schüler in Workshops vor Ort in Fivizzano nicht nur die Geschichte aufarbeiten, sondern auch nach deren Bedeutung für die heutige und zukünftige Generationen fragen. Gefördert wird das über die Stiftung Deutsch-Italienischer Förderkreis mit einer Anschubfinanzierung von 25.000 Euro.

Gedenken mitten in der Stadt. Vor dem Museum wartet man auf die Kranzniederlegung - WB


Was die Massaker von Fivizzano für die Zukunft lehren
Mit Erinnerungskultur gegen antidemokratische Umtriebe

Der Bundespräsident hat tief in (un)menschliche Abgründe geschaut. Was er, seine Ehefrau Elke Büdenbender und Italiens Präsident Sergio Mattarella im Gespräch hinter verschlossenen Türen mit zwei Hinterbliebenen erfahren, lässt jedem den Atem stocken. Die Präsidenten lassen sich ungeachtet des eng getakteten Ablaufplans Zeit, hören zu, nehmen Anteil.

Andrea Quartieri aus dem heute zu Fivizzano zählenden Örtchen Vinca war 13 Jahre alt und flüchtete mit seiner Familie aus dem Dorf, als die SS Jagd auf die Bevölkerung machte. Nach drei Tagen kehrte die Geflüchteten zurück ins Dorf und fanden einen Berg von verwesenden Leichen vor, die sie nur noch gemeinsam verbrennen konnten und auf dem Friedhof begraben haben. Erschütternde Einzelheiten, die der 88-Jährige schilderte: Die SS-Leute hätten Babys in die Luft geworfen und auf sie geschossen.

Andrea Quartieri hat bei dem Massaker von Vinca zwischen dem 24. und 27. August 1944 seine Großeltern mütterlicherseits und Cousins verloren. Die zweite Zeitzeugin, Luisa Chinca, war fünf Jahre alt, als sie in San Terenzo Monti am 19. August 1944 ihre Mutter, vier Tanten sowie einen Cousin verlor.

Zeitzeuge Andrea Quartieri schildert Steinmeier eindringlich seine
Eindrücke aus 1944, wie er sie als 13-jähriger Knirps erleben
musste. - dpa
»Es sind Orte des Schreckens, Orte barbarischer Akte«, sagte Enrico Rossi, Präsident der Toskana, am Sonntag in einer Rede. »Es gab hier zwar eine starke Widerstandsbewegung. Aber diese Blutbäder wurden an Zivilisten gegangen.« Rossi sprach von Terror und Kriegsverbrechen.

Das Massaker von San Terenzo Monti geschah nach einem dreistündigen Gefecht mit Partisanen. Als Vergeltungsmaßnahme brachten die Männer der 16. SS-Panzergrenadierdivision unter dem Kommando von SS-Sturmbannführer Walter Reder 53 Gefangene an den Ort des Kampfes und erschossen sie. Danach machten sie Jagd auf Zivilisten und töteten im Ortsteil Valla mehr als 100 Frauen, Kinder und alte Männer. Besonders schlimme Erinnerungen hat Roberto Oligeri, langjähriger Leiter des Museums in San Terenzo: Während sein Vater Reder und die Offiziere in seiner Osteria bewirten musste, richteten seine Männer das Blutbad von San Terenzo an, bei dem auch Oligeri einen Großteil seiner Familie verlor.

Aber es waren nicht nur die Deutschen allein, die mordeten: Die Deutsch-Italienische Historikerkommission hat für die Massaker in Vinca auch faschistische Beteiligung der Schwarzen Brigaden und der Guardia Nationale Republicana nachgewiesen.

Fivizzanos Bürgermeister Gianluigi Giannetti misst der Erinnerungskultur eine geradezu symbolische Bedeutung für seine Stadt zu, die im neuen Museum in San Terenzo Raum findet, die Menschen der Region zusammenführt und letztlich auch die Bande in die Partnerstadt Steinhagen/Westfalen im Kreis Gütersloh und in die befreundete Kommune Engelsbrand in Süddeutschland stärkt.

In Zeiten, in denen antidemokratische, nationalistische Tendenzen auf dem Vormarsch sind, die Prinzipien des Rechtsstaats in Frage gestellt werden, gilt:

  • »Wir dürfen nicht vergessen, damit unser Bewusstsein nicht wieder verführt wird und sich verdunkelt«, sagte Steinmeier, der sie auch an die jungen Deutschen richtete: 
  • Sie müssten wissen, was geschehen ist.
Deutsche SS- und Wehrmachtsverbände sucht nach italienischen "Partisanen" - Bild: Wikiwand MP 28

nach 75 jahren gerät ein kleiner italienischer toskana-ort plötzlich in den fokus: bundespräsident steinmeier und italiens präsident mattarella gedenken eines scheußlichen ss-massakers in dem kleinen beschaulichen städtchen fivizzano, dem an 2 tagen wohl über 500 personen zum opfer fielen.

und was beide präsidenten von den beiden noch lebenden zeitzeugen, damals 5 und 13 jahre alt, mitgeteilt bekamen ließ sie erschauern.

denn auch hier "hinter den 7 bergen", weitab vom schuss, muss man das andenken aufrecht erhalten.

steinmeier setzt sich nun ein für eine jugendbegegnungsstätte dort, angeschoben mit 25.000 uro aus einer stiftung, was aber nur der erste tropfen auf dem heißen stein sein kann.

es hilft nun auch kein jammern mehr, dass diese initiative wahrscheinlich mindestens 60 jahre zu spät ins auge gefasst wird, denn die begenungsstätte ist wahrscheinlich erst dann bezugsfertig, wenn die letzten zeitzeugen das zeitliche gesegnet haben.

aber nun hat man ja dort ein emsiges museum mit gedenkstätte vor ort, was in etwa dieses eindeutige "zu-spät-kommen" einigermaßen auffangen kann.

ich glaube, dass steinmeier in seiner noch verbleibenden amtszeit jeden tag mit einem besuch an den erinnerungskultur-veranstaltungen von gräueltaten-stätten deutscher ss- und wehrmachtsverbände und den vernichtungsanstalten der ns-"euthanasie" in europa teilnehmen könnte - so groß war der "unvorstellbare hass" - aber auch gleichzeitig die sich maßlos überschätzende "herrenmensch-hybris", was sich jeweils dort mordend und brandschatzend niederschlug.

es bleibt also für den präsidenten und seine bürger noch viel zu tun, um in sack & asche abbitte zu leisten - und viele begegnungsstätten sind noch zu gründen und finanziell anzuschieben - in polen schätze ich mal ihre anzahl auf mindestens 50 bis 100 - aber hinzu kommen ja noch russland, weißrussland, ukraine, vielleicht auch noch die niederlande und dänemark und das heutige albanien, sowie griechenland und ich glaube auch teilweise in frankreich... - um nur einiges aufzuzählen...

denn von frankreich, vom elsass, habe ich ja neulich berichtet von der "ins deutsche" umbenannten "reichs-universität straßburg" nach der okkupation, die dort 1941 ihren betrieb deutschsprachig aufnahm und sich prompt mit in eugenischen "forschungen" verstrickte.

es gibt noch viel zu tun: aber wir können nicht mehr untätig "abwarten" - sondern müssen unverzüglich "anpacken"...


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