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Gedenken & Erinnern


Die Aufarbeitung aufarbeiten

Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie fordert: Wir müssen die blinden Flecken beider deutschen Staaten ausleuchten - für eine Ächtung und Bekämpfung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit heute

Ist es nicht endlich genug mit der Vergangenheitsbewältigung, was können wir dafür, wenn unsere Groß- und Urgroßeltern im sogenannten Dritten Reich Mist gebaut haben? So fordern bisweilen jüngere Menschen einen Schlussstrich unter der NS-Vergangenheit. Die listige Reaktion des Schriftstellers Hans Magnus Enzensberger auf frühere Einlassungen, nun sei es aber genug mit Hitler und Holocaust, war einmal: Man müsse sich auch um die Reparatur der Kanalisation kümmern, wenn die Urgroßväter sie gebaut und womöglich vermasselt haben. Die zeitgemäße Analogie sind die Brücken, die autoverrückte Babyboomer zuschanden gefahren haben und eine Generation in Stand setzen muss, die womöglich gar nicht mehr Autofahren will (oder darf). Manche Verantwortungen lassen sich nicht einfach abweisen; auch wenn die Generation der Schuldigen nun endgültig abtritt.

stolpersteine sind eine "gesamtdeutsche" gedenk- und
kunstform - der erste stein wurde 1992 vom künstler
gunter demnig im köln gelegt - inzwischen gbt es über 75.000
gedenksteine in ganz europa.
Heute geht es nicht mehr um Schuld. Aufgearbeitet werden muss heute vielmehr die Art und Weise, wie NS-Verbrechen in zwei konträren politischen Systemen bearbeitet worden sind, die heute noch kulturell gespalten wirken: eine „Aufarbeitung der Aufarbeitung“ gewissermaßen. Nicht beiläufig verlangen gerade im Westen Deutschlands sozialisierte Politiker von rechts außen wie Alexander Gauland und Björn Höcke (beide AfD) eine 180-Grad-Wende und erklären die Thematisierung des Holocaust zur nationalen Schande. Sie spekulieren auf Resonanz vor allem im Osten des Landes und verdienen genau den Widerspruch, den CSU-Chef Franz Josef Strauß 1969 zu spüren bekam, als er „Schluss mit ewiger Vergangenheitsbewältigung als gesellschaftlicher Dauerbüßeraufgabe“ verlangte.

Wie und warum kam es zu den „zwei Erinnerungskulturen“ in Deutschland? Blicken wir zurück auf die „Stunde null“: 1945 lag das Deutsche Reich materiell und moralisch am Boden, Stacheldraht und Mauer spalteten es in zwei verfeindete Lager. Im Kalten Krieg war die Vorgeschichte, darunter der Holocaust, gewissermaßen eingefroren. Erst in den 1980er Jahren trat er wieder ins allgemeine Bewusstsein. Bis dahin fühlte man sich weder im Westen noch im Osten subjektiv befreit; die objektive Einordnung des 8. Mai 1945 durch den damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker löste 1985 noch Empörung aus. Im Westen redete man lieber vom „Zusammenbruch“, im Osten sprach der Begriff „Befreiung“ dem Wirken der sowjetischen Besatzer Hohn. Beide Seiten scheuten lange die Aufarbeitung der Vergangenheit. Die Bombardements, vielen Gefallenen und Kriegsversehrten, drückende Reparationen, die nicht ganz so drückende Entnazifizierung, der Nürnberger Prozess gegen die Hauptschuldigen - das schien doch genug der Buße zu sein.

Deutschlandweit war die Verdrängung eine fast natürliche Reaktion; „kommunikatives Beschweigen“ bezeichnete 1983 der Philosoph Hermann Lübbe diese alltägliche Haltung, wonach man um die Schuldigen wusste, aber nicht offen über ihre Taten sprechen wollte. Lübbe meinte, dieser Akt politischer Hygiene sei der Bundesrepublik unterm Strich gut bekommen, die nächste Generation fand das nicht und forderte dagegen die radikale Selbstaufklärung über die personelle, institutionelle und mentalitätsmäßige Kontinuität über die Stunde null hinaus.

Die gar keine war, auch in der DDR nicht. Dort waren NS-Täter ebenso stillschweigend übernommen worden und war „der Schoß fruchtbar noch, aus dem das kroch“, wie Bertolt Brecht wohl nicht nur im Blick auf das „Bonner Regime“ dichtete. Er konnte in Berlin beobachten, wie in Ostdeutschland - das ist der wichtigste Unterschied - eine Diktatur in eine andere überging, während Westdeutschland nicht nur das sogenannte „Wirtschaftswunder“, sondern auch eine verordnete, dann aber mehr und mehr verinnerlichte Demokratisierung von Politik und Gesellschaft zugutekam. In SBZ (Sowjetische Besatzungszone) und DDR wurde erneut politische Justiz geübt, die Opposition unterdrückt, die künstlerische Freiheit beschnitten, es wurde weiter bespitzelt und denunziert. Die rote Diktatur unterschied sich von der braunen, sie war aber auch eine. Die teilweise Virulenz autoritärer, völkisch-nationalistischer Einstellungen in den neuen Ländern belegt, wie autoritäre Persönlichkeiten und Verhältnisse politische und individuelle Freiheiten über Jahrzehnte, oft bereits vom Kaiserreich an bis in die 1990er Jahre durchgängig einschränkten. Eine ernsthafte Aufarbeitung der Vergangenheit erfordert einen demokratischen Rahmen und eine freie Zivilgesellschaft. Was nicht bedeuten soll, autoritäre Einstellungen hätten im Westen des Landes keinen Bestand gehabt, wo ebenfalls erneut Judenhass und Fremdenfeindlichkeit zutage treten, die überwunden galten.

Die DDR kann sich zugutehalten, in der justiziellen Aufarbeitung strenger, in der Staatsbürgerkunde entschiedener und mit der Errichtung von Gedenkstätten früher am Start gewesen zu sein. Dem widersprachen aber die Form wie die Zielrichtung der Aufarbeitung, die vor allem gegen die „Globkes“ gerichtet war; so hieß Adenauers rechte Hand, ein Mitverfasser der NS-Rassegesetze. Sie verlief Top-down und war dem Kulturkampf und Systemwettbewerb untergeordnet. Die nach allseitiger Verdrängung entzündete Debatte in einer freien Presse, im öffentlichen Raum, an Schulen und Universitäten und in den Gedenkstätten war in der DDR systembedingt blockiert; Ausnahmen wie Jurek Beckers Roman „Jakob der Lügner“ und einige DEFA-Filme bestätigen nur die Regel. Mögen manche 68er im Westen ihren Furor gegen die NS-Generation übertrieben haben, dieser Aufstand fehlte im Osten Deutschlands.

So stand der Systemkonflikt einer ehrlichen Aufarbeitung im Wege. Die SED hatte es besonders geschickt anlegen wollen: Sie erklärte die BRD zum einzigen Nachfolgestaat des NS-Regimes, entzog sich damit selbst der kollektiven Verantwortung und erhob den Antifaschismus zur Staatsdoktrin. Selbst die Mauer und die Teilnahme der Nationalen Volksarmee, der NVA, an der Intervention in der CSSR 1968 wurden als Schutz gegen den Faschismus gerechtfertigt. Die frühe SED, der auch aufrechte Widerstandskämpfer gegen Hitler angehörten, wurde ihrerseits dominiert von Stalinisten, die die sozialistische Idee verrieten und eine andere Spielart des Totalitarismus exekutierten; dabei stellten sie unter dem Deckmantel des Antizionismus in den 1950er Jahren auch Juden nach.

So blieb die in der DDR geübte „Aufarbeitung der Vergangenheit“ vielfach ein hohles, oft verlogenes Ritual, das vor allem die Bonner Republik ob ihres NS-Personals in Verlegenheit bringen sollte. Damit hatte sich die DDR kollektiv ent-schuldigt und geradezu an die Seite der sowjetischen Siegermacht geschmuggelt. Die im Übrigen eine abwegige und veraltete Faschismus-Theorie geliefert hatte: Den Dimitroff-Thesen der Komintern von 1935 zufolge war der „Faschismus die höchste Stufe des Kapitalismus“, und so saß vor allem letzterer auf der Anklagebank. „Die Hitler kommen und gehen, das deutsche Volk aber bleibt bestehen“, lautete ein Bonmot Stalins, das die schwer in dem Nationalsozialismus verstrickte Mehrheit der Deutschen kollektiv entlastete. Und weil damit der rassistische Kern des Völkermords im Dunkeln blieb, wurde offiziell vor allem kommunistischer Widerständler und sowjetischer Soldaten und Zwangsarbeiter gedacht, nicht der Millionen ermordeter und vertriebener Juden, die zudem kaum entschädigt wurden. Auch Sinti und Roma, Homosexuelle, „Asoziale“ und Opfer anderer Minderheiten wurden kaum in den Blick genommen. Solche ideologischen Blüten richteten sich gegen die politische Kultur des Westens und „Amerika“. Dieser politisch-kulturelle Antiamerikanismus verdeckte kaum die Kontinuität nationalistischen Denkens; die immer noch virulente Opfer-Legende Dresdens, von „angloamerikanischen Bombern“ zerstört worden zu sein, ist in der DDR gewachsen. Die Folge: Bis in die 1980er Jahre hinein wurden rassistische und antisemitische Neigungen, etwa bei rechtsradikalen Skinheads, als „Rowdytum“ verharmlost. Da wird ein verzerrtes Geschichtsbild zum echten Zukunftsproblem ganz Deutschlands.

Ein letztes Defizit muss benannt werden, das auch die westdeutsche Linke trifft: Eine ähnlich kritische Aufarbeitung des Stalinismus und des autoritären „Realsozialismus“ unterblieb vor 1989 und ist auch nach der „Wende“ nicht intensiv betrieben worden. Die Aufarbeitung der SED-Diktatur genießt allgemein weit weniger Aufmerksamkeit als die NS-Diktatur. Darin manifestiert sich ein Ost-West-Gefälle der Geschichtspolitik, und es bleibt wohl einer wirklich gesamteuropäischen Erinnerungskultur überlassen, die mit „Holocaust“ und „GULag“ markierten Totalitarismen zu durchleuchten, darunter den für Ostmitteleuropa desaströsen Hitler-Stalin-Pakt von 1939, ohne dabei in wechselseitiger Relativierung und Gleichsetzung, Opferkonkurrenz und Aufrechnung zu verharren. Im KZ Buchenwald manifestiert sich die Überschneidung darin, dass nach deren Befreiung dort Gegner der Sowjets und der SED interniert wurden.

Das Wissen um den Holocaust nimmt Umfragen zufolge unter Jugendlichen heute eher ab als zu, während antisemitische Einstellungen auch in dieser Altersgruppe manifester werden. Zeitgemäß aufbereitet, könnte das Gedenken an den 27. Januar 1945 helfen, die Angriffe von rechts außen besser zu kontern. Dazu muss man die blinden Flecken beider Staaten ausleuchten und angemessene Schlüsse ziehen für die Ächtung und Bekämpfung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit heute. Denn in China zieht ein neuer Totalitarismus auf, der Minderheiten einsperrt und Opposition mundtot macht.
  • Claus Leggewie ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Gießen und war bis 2017 Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen. Zum Thema Geschichtspolitik erschien sein Buch „Der Kampf um die europäische Erinnerung“ im C. H. Beck Verlag München 2011
aus: DER TAGESSPIEGEL Nr. 24 075, SONNTAG 26. Januar 2020, Beilage "NIE WIEDER", S. B6

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irgendwie erinnern mich die aussagen dieser zeilen von claus leggewie an ein "patt" im schach. da hat nämlich die eine seite geschwiegen und versäumt - und auch die andere seite aus anderen oft genuinen voraussetzungen nach der stunde "null" und aus irgendwelchen verdrängungsgründen heraus ebenfalls verheimlicht, umkonstruiert und einschlägige akten einbalsamiert und weggeschlossen.

den 68ern im westen immerhin billigt leggewie zwar eine vielleicht etwas übertrieben lautstarke auseinandersetzung mit der eltern- und großelterngeneration zu - aber er konstatiert auch auf der anderen seite im osten eben das gänzliche fehlen einer ähnlich aktiven oppositionsbewegung "von unten" und im wahrsten sinne des wortes "auseinander-setzen" in den familien, außerhalb des establishments, mit viel emsiger archiv-recherche und erstveröffentlichungen von erkenntnissen zu den ns-gräueltaten - erst nach einer überlangen schockstarre ab den späten 70er/frühen 80er jahren - zunächst in kleinen alternativ-verlagen und von nur einer handvoll interessierter autoren, die sich zum teil damit ihre ersten seminararbeiten für das studium zusammentippten - ehe dann der main-stream der großen verlage eine allmähliche nachfrage zu diesem geschehen ausmachte und auf diesen zug endlich mit aufsprang - und die inzwischen darauf anspringenden historiker ab den 90er jahren daraufhin ein regelrechtes spezialgebiet um "holocaust" und ns-"euthanasie" eingrenzten.

allerdings hat diese "freie marktwirtschaft" im west-literaturbetrieb unter den autoren und interessengemeinschaften in den veröffentlichungen auch rasch zu ab- und ausgrenzungen geführt - und zu debatten bis hin zu kleinen oft unfairen scharmützeln in den feuilletons und historischen verlagen, wo autoren sich gegenseitig ihre (un)aufrichtigkeit und (un)genauigkeit aufrechneten und sich gegenseitig recherchefehler vorwarfen - und es wurden auch forschungsmäßige hierarchien gebildet zu den jeweiligen opfergruppen: es wurden oft abstufungen vorgenommen zwischen "politischen" kz-opfern, opfern jüdischen glaubens, den ermordeten der "euthanasie", den homosexuellen, den sinti und roma, den zwangsarbeitern usw.

aber vielleicht hing diese gruppen- und kategorienabbildung in der "aufrechnung" mit der "ent- und aufdeckung" einzelner vernichtungsstätten und -abteilungen zusammen - auch an der unvorstellbaren menge von fast 7 mio. ermordeter menschen, jeweils durch industriell organisierte und letztlich abgestuft kleinteilig tötende teams und täterketten, die sich dazu - zum töten - den staffelstab in form der giftspritze, des gaswagens oder der erschießung weiterreichten und im laufe des unterfangens immer mehr skrupel davor verloren und sich einreihten.

da hatten dann chemische und pharmazeutische großbetriebe und konzerne oder kliniken und auch die großen überregionalen sozialeinrichtungen schon ein interesse daran, dass eine damalig einschlägige "historie" in ihrem sinne faltenfrei und glatt fortgeschrieben wurde nach der "stunde null". sie hatten sich oftmals mehr oder weniger an der massenhersherstellung etwa der vergasungsgifte und der tödlichen medikamente mitbeteiligt und damit geld verdient, bzw. hatten die sozialeinrichtungen sich direkt oder indirekt sogar an der tötung selbst mitbeteiligt - und nötigenfalls ließ man sich dann auf ein kritisches historien-gutachten eben auch mal ein "gegengutachten" von einer bezahlten koryphäe erstellen und ließ dann die gerichte entscheiden, was die "wahrheit" ist.

beide teile deutschlands  - auch in den familien und damit eben das "volk" - hatte also jeweils ihre aufarbeitungs- und abspaltungsprobleme damit, wie es weitergehen oder wie gekonnt verschwiegen werden konnte - und wie eine aufarbeitung von wem, wann und in welchem umfang vonstatten gehen sollte ...

und wolf biermann, der liedermacher aus dem osten, singt ja die zeilen:
"das kann doch nich alles gewesn sein
da muss doch noch irgend was kommen! nein
da muss doch noch leebn ins leebn
eebn" ...

und franz-josef degenhardt stimmt da ein mit:
"ärmel aufkrempeln, zupacken, aufbauen"...

und diese aufgabe bleibt: im osten wie im westen ... - jeder nach seiner facon und seiner "ge-schichte".

packen wir es endlich an



Mit Erinnerungskultur gegen antidemokratische Umtriebe

Gedenken in Italien

Aus Texten von Annemarie Bluhm-Weinhold | WESTFALEN-BLATT, 26.08.2019 S.4 Meinung und Hintergrund /27.08.2019 S. 17 - Kultur/Fernsehen


Mordend und plündernd sind die SS-Schergen im Sommer 1944 durch die Toskana gezogen. Mehr als 400 Menschen haben sie allein in Fivizzano getötet. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat gestern in der toskanischen Stadt mit Italiens Staatspräsidenten Sergio Mattarella anlässlich des 75. Jahrestages der Massaker der Toten gedacht.

Nur eine Trompete ist zu hören, als der Bundespräsident und sein italienischer Amtskollege nach einem Gespräch mit Hinterbliebenen an der Gedenktafel für die Opfer des Massakers einen Kranz niederlegen und im Gedenken an sie verharren. Dann aber brandet Beifall auf, als die Präsidenten zu der wartenden Menge treten. »Presidente«, schallt es ihnen entgegen.

»Nein, wir können den Hass nicht verstehen, der die Deutschen hier in Fivizzano getrieben hat«, sagt Steinmeier wenig später in seiner Rede. Er empfinde Trauer und Scham. »Wir Deutschen wissen, welche Verantwortung wir für diese Verbrechen tragen. Es ist eine Verantwortung, die keinen Schlussstrich kennt«, sagt Steinmeier und bekennt:

  • Auch juristisch habe die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen in Deutschland zu spät begonnen. Deutschland sei damit seiner Verantwortung nicht gerecht geworden.

Den Familien der Opfer sagt er: »Sie haben ein Recht darauf, dass auch bei uns in Deutschland bekannt wird, was Ihnen angetan wurde.« Es sei so wichtig, heute hier zu sein, in Fivizzano, einem Ort, von dem viele Deutsche noch nie gehört haben, betont Steinmeier: »Nur wenige Deutsche wissen, welche entsetzlichen Gräueltaten Deutsche hier begangen haben.«

Die Männer der 16. Panzergrenadierdivision der Waffen-SS unter dem Kommando von Walter Reder haben zwischen Mai und September 1944 in mehreren heutigen Ortsteilen Fivizzanos für Partisanenangriffe grausame Vergeltung an der Zivilbevölkerung genommen und schließlich eine systematische »Säuberung« des Gebiets beschlossen: Am 24. und 25. August – daher rührt der Termin für die Gedenkveranstaltung – mordeten sie im Dorf Vinca und dann noch einmal am 27. August, als die Überlebenden in ihre Häuser zurückkehrten. 162 Menschen starben.

Die Menschen in Fivizzano haben keine Ressentiments gegen Deutsche, sie sind vielmehr dankbar für das Interesse an ihrer Geschichte. So wurde Udo Sürer, Rechtsanwalt aus Lindau am Bodensee, sogar Ehrenbürger Fivizzanos, weil er sich der Geschichte seines Vaters, der an den Verbrechen beteiligt war, stellte.

Die deutsche Botschaft und die Kommune Fivizzano wollen einen jährlichen Schüleraustausch initiieren, bei dem Schüler in Workshops vor Ort in Fivizzano nicht nur die Geschichte aufarbeiten, sondern auch nach deren Bedeutung für die heutige und zukünftige Generationen fragen. Gefördert wird das über die Stiftung Deutsch-Italienischer Förderkreis mit einer Anschubfinanzierung von 25.000 Euro.

Gedenken mitten in der Stadt. Vor dem Museum wartet man auf die Kranzniederlegung - WB


Was die Massaker von Fivizzano für die Zukunft lehren
Mit Erinnerungskultur gegen antidemokratische Umtriebe

Der Bundespräsident hat tief in (un)menschliche Abgründe geschaut. Was er, seine Ehefrau Elke Büdenbender und Italiens Präsident Sergio Mattarella im Gespräch hinter verschlossenen Türen mit zwei Hinterbliebenen erfahren, lässt jedem den Atem stocken. Die Präsidenten lassen sich ungeachtet des eng getakteten Ablaufplans Zeit, hören zu, nehmen Anteil.

Andrea Quartieri aus dem heute zu Fivizzano zählenden Örtchen Vinca war 13 Jahre alt und flüchtete mit seiner Familie aus dem Dorf, als die SS Jagd auf die Bevölkerung machte. Nach drei Tagen kehrte die Geflüchteten zurück ins Dorf und fanden einen Berg von verwesenden Leichen vor, die sie nur noch gemeinsam verbrennen konnten und auf dem Friedhof begraben haben. Erschütternde Einzelheiten, die der 88-Jährige schilderte: Die SS-Leute hätten Babys in die Luft geworfen und auf sie geschossen.

Andrea Quartieri hat bei dem Massaker von Vinca zwischen dem 24. und 27. August 1944 seine Großeltern mütterlicherseits und Cousins verloren. Die zweite Zeitzeugin, Luisa Chinca, war fünf Jahre alt, als sie in San Terenzo Monti am 19. August 1944 ihre Mutter, vier Tanten sowie einen Cousin verlor.

Zeitzeuge Andrea Quartieri schildert Steinmeier eindringlich seine
Eindrücke aus 1944, wie er sie als 13-jähriger Knirps erleben
musste. - dpa
»Es sind Orte des Schreckens, Orte barbarischer Akte«, sagte Enrico Rossi, Präsident der Toskana, am Sonntag in einer Rede. »Es gab hier zwar eine starke Widerstandsbewegung. Aber diese Blutbäder wurden an Zivilisten gegangen.« Rossi sprach von Terror und Kriegsverbrechen.

Das Massaker von San Terenzo Monti geschah nach einem dreistündigen Gefecht mit Partisanen. Als Vergeltungsmaßnahme brachten die Männer der 16. SS-Panzergrenadierdivision unter dem Kommando von SS-Sturmbannführer Walter Reder 53 Gefangene an den Ort des Kampfes und erschossen sie. Danach machten sie Jagd auf Zivilisten und töteten im Ortsteil Valla mehr als 100 Frauen, Kinder und alte Männer. Besonders schlimme Erinnerungen hat Roberto Oligeri, langjähriger Leiter des Museums in San Terenzo: Während sein Vater Reder und die Offiziere in seiner Osteria bewirten musste, richteten seine Männer das Blutbad von San Terenzo an, bei dem auch Oligeri einen Großteil seiner Familie verlor.

Aber es waren nicht nur die Deutschen allein, die mordeten: Die Deutsch-Italienische Historikerkommission hat für die Massaker in Vinca auch faschistische Beteiligung der Schwarzen Brigaden und der Guardia Nationale Republicana nachgewiesen.

Fivizzanos Bürgermeister Gianluigi Giannetti misst der Erinnerungskultur eine geradezu symbolische Bedeutung für seine Stadt zu, die im neuen Museum in San Terenzo Raum findet, die Menschen der Region zusammenführt und letztlich auch die Bande in die Partnerstadt Steinhagen/Westfalen im Kreis Gütersloh und in die befreundete Kommune Engelsbrand in Süddeutschland stärkt.

In Zeiten, in denen antidemokratische, nationalistische Tendenzen auf dem Vormarsch sind, die Prinzipien des Rechtsstaats in Frage gestellt werden, gilt:

  • »Wir dürfen nicht vergessen, damit unser Bewusstsein nicht wieder verführt wird und sich verdunkelt«, sagte Steinmeier, der sie auch an die jungen Deutschen richtete: 
  • Sie müssten wissen, was geschehen ist.
Deutsche SS- und Wehrmachtsverbände sucht nach italienischen "Partisanen" - Bild: Wikiwand MP 28

nach 75 jahren gerät ein kleiner italienischer toskana-ort plötzlich in den fokus: bundespräsident steinmeier und italiens präsident mattarella gedenken eines scheußlichen ss-massakers in dem kleinen beschaulichen städtchen fivizzano, dem an 2 tagen wohl über 500 personen zum opfer fielen.

und was beide präsidenten von den beiden noch lebenden zeitzeugen, damals 5 und 13 jahre alt, mitgeteilt bekamen ließ sie erschauern.

denn auch hier "hinter den 7 bergen", weitab vom schuss, muss man das andenken aufrecht erhalten.

steinmeier setzt sich nun ein für eine jugendbegegnungsstätte dort, angeschoben mit 25.000 uro aus einer stiftung, was aber nur der erste tropfen auf dem heißen stein sein kann.

es hilft nun auch kein jammern mehr, dass diese initiative wahrscheinlich mindestens 60 jahre zu spät ins auge gefasst wird, denn die begenungsstätte ist wahrscheinlich erst dann bezugsfertig, wenn die letzten zeitzeugen das zeitliche gesegnet haben.

aber nun hat man ja dort ein emsiges museum mit gedenkstätte vor ort, was in etwa dieses eindeutige "zu-spät-kommen" einigermaßen auffangen kann.

ich glaube, dass steinmeier in seiner noch verbleibenden amtszeit jeden tag mit einem besuch an den erinnerungskultur-veranstaltungen von gräueltaten-stätten deutscher ss- und wehrmachtsverbände und den vernichtungsanstalten der ns-"euthanasie" in europa teilnehmen könnte - so groß war der "unvorstellbare hass" - aber auch gleichzeitig die sich maßlos überschätzende "herrenmensch-hybris", was sich jeweils dort mordend und brandschatzend niederschlug.

es bleibt also für den präsidenten und seine bürger noch viel zu tun, um in sack & asche abbitte zu leisten - und viele begegnungsstätten sind noch zu gründen und finanziell anzuschieben - in polen schätze ich mal ihre anzahl auf mindestens 50 bis 100 - aber hinzu kommen ja noch russland, weißrussland, ukraine, vielleicht auch noch die niederlande und dänemark und das heutige albanien, sowie griechenland und ich glaube auch teilweise in frankreich... - um nur einiges aufzuzählen...

denn von frankreich, vom elsass, habe ich ja neulich berichtet von der "ins deutsche" umbenannten "reichs-universität straßburg" nach der okkupation, die dort 1941 ihren betrieb deutschsprachig aufnahm und sich prompt mit in eugenischen "forschungen" verstrickte.

es gibt noch viel zu tun: aber wir können nicht mehr untätig "abwarten" - sondern müssen unverzüglich "anpacken"...


bis in die dritte und vierte generation ... - update

Erinnerungskultur

Das Gedenken an den Holocaust muss lebendig bleiben


Auschwitz-Zaun (foto: reuters)

Der Erfolg des Kitschromans "Stella" ist nur das jüngste Indiz: Die fiktionale Vernutzung des Holocausts wird zunehmen. Dem muss die Gesellschaft mit kritischem Geschichtsbewusstsein entgegentreten.

Von Norbert Frei | Kolumne in der sueddeutschen

Es war eine bewegende Rede, die Saul Friedländer am Donnerstag im voll besetzten Bundestag gehalten hat. Doch jenseits des dort versammelten Publikums: Wie viele Menschen in unserem Land haben dem großen Historiker des Holocaust am Ende zugehört? Wie viele hat er mit seiner Gabe erreicht, die Stimmen, das Leid, die Ängste der Opfer - darunter auch die eigenen Eltern - zu vergegenwärtigen? Und wie viele haben den Zeitungsbericht überblättert, weggeklickt, in ihrer digitalen Blase ohnehin nichts mitbekommen oder sich gar belästigt gefühlt?

Vor einer Woche diskutierte ich in Frankfurt am Main mit Studierenden darüber, wie die Deutschen seit 1945 mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit umgegangen sind. In der Erörterung der vielen Etappen dieser komplizierten Geschichte waren wir einig, an einem Punkt jedoch erntete ich Widerspruch. Mehrere aus der Gruppe hielten eine Passage meines Textes, den sie zur Vorbereitung gelesen hatten, für zu optimistisch. Darin spreche ich davon, "wie lang, wie steinig und mit welchen Schlaglöchern durchsetzt die Strecke bis zu der Einsicht war, die heute wohl immer noch die meisten Deutschen teilen: dass gesellschaftliche Zukunft nicht durch Verleugnung und Verdrängung des Gewesenen gewonnen wird, sondern durch einen kritisch-aufklärerischen Umgang damit".

Mein von den klugen jungen Leuten bezweifeltes "wohl immer noch" ist durch Umfragen gedeckt. Zugleich verweist es auf eine Tendenz, die in den vergangenen Tagen zu Recht beklagt worden ist. Auch Spitzenpolitiker konstatieren, dass der gesellschaftliche Rückhalt für die - gerade auch von ihnen - gern herausgestellte Erinnerungskultur abnimmt. Es sei deshalb wichtig, das "Gedenken neu zu gestalten", meint die Kanzlerin, und der Außenminister präzisiert: "Geschichte muss von einem Erinnerungs- noch stärker zu einem Erkenntnisprojekt werden."

Dem kann man nur beipflichten. Ein Erinnern, das ohne fundiertes historisch-kritisches Wissen auszukommen glaubt, wird den Herausforderungen von rechts nicht standhalten. Es vermag auch der fiktionalen Vernutzung des Holocaust wenig entgegenzusetzen, die zunehmen wird, wenn die letzten Zeitgenossen der NS-Zeit verschwunden sind. Der Erfolg von "Stella" ist dafür nur das jüngste Indiz: Die Literaturkritik senkt fast unisono den Daumen - trotzdem rangiert die altbekannte Geschichte einer Berliner Jüdin, die sich als Gestapo-Agentin vor der Verfolgung rettet, indem sie andere ins Verderben stürzt, in den Bestsellerlisten weit oben.

Biografien, die Sperriges nicht einfach glätten, verdienen unsere Aufmerksamkeit

"Teile der Geschichte sind wahr", heißt es auf der ersten Seite des Kitschromans. Wer nicht bloß leichtes Lesefutter sucht, sondern dem Unerhörten des Judenmords und seinem Ozean unfasslicher Geschichten näherkommen will, dem böten sich andere Möglichkeiten. Nur Wochen vor der Sensationsstory, die keine ist, erschien der Lebensbericht einer Frau, die keiner mehr kennt und deren Geschichte, geht es nach den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie, vermutlich auch kaum jemand mehr kennenlernen wird.

"Ich war ein besonderer Fall", zitiert der Titel dieses Buches die Essener Bergmannstochter Helene Mantwill, die 1926 einen gut aussehenden jungen Polen heiratet, der auf der Suche nach einer besseren Zukunft als "Ostjude" ins Ruhrgebiet gekommen war. Helene entstammt einem nicht übertrieben frommen preußisch-protestantischen Elternhaus - und findet nichts dabei, ihrem David zuliebe zum Judentum zu konvertieren. Dass sie mit der Eheschließung die deutsche gegen die polnische Staatsangehörigkeit eintauscht, ist der Mutter zweier Töchter auch nach 1933 kaum ein Problem; sie weiß, wie man sich sogar auf Ämtern um den Hitler-Gruß drückt. Doch Ende Oktober 1938 schiebt das Deutsche Reich alle "Ostjuden" ab; fast zehn Monate verbringen die Zytnickis ohne Hab und Gut in einem polnischen Grenzort, ehe sie nach Warschau dürfen - wo bald die Besatzer herrschen und die Einwohner der Stadt auseinandersortieren: in Deutsche, Polen, Juden.

Als gelernter Buchhalter leistet David Zwangsarbeit im Ghetto, während Leni als "patente Reichsdeutsche" zwischen dem jüdischen und dem deutschen Viertel pendelt, den Unterhalt der Familie mit illegalen Geschäften sichert und mit dem alten Pass ihrer Schwester zweimal nach Essen fährt. Während des Warschauer Aufstands im August 1944 verliert sich Davids Spur, aber Leni schafft es mit den Kindern zurück in die Stadt ihrer Geburt. Dort kämpft sie um Entschädigung und Wiedereinbürgerung - und beschließt im Alter von 96 Jahren, ihre Geschichte zu erzählen. Zwei pensionierte Pädagogen haben diese "Oral History" vorbildlich rekonstruiert: ohne Sperriges zu glätten und Lücken fantasievoll zu füllen.

Solche Biografien verdienen unsere Aufmerksamkeit. Sie zeigen auch, wie viel mehr wir heute wissen (können) als zu Zeiten von "Holocaust", jener zu Unrecht viel geschmähten und gerade noch einmal ausgestrahlten Serie, die den Mord an den Juden Europas einer breiten Öffentlichkeit vor Augen führte - vor 40 Jahren erst.

SZ-Kolumne von Norbert Frei
🔴 Norbert Frei, geboren 1955 in Frankfurt am Main, ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Jena. Er leitet das Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts.

es sei deshalb wichtig, das "gedenken neu zu gestalten", meint die kanzlerin.

aha. ich meine, kennen wir von ihr irgendeine initiative in diese richtung, an die wir uns spontan erinnern? so etwas wie brandts kniefall in warschau oder den kolportierten satz: "jetzt wächst zusammen was zusammengehört" - am gedenktag für den holocaust habe ich sie eigentlich noch nie fundamental dazu sprechen hören - das machen bundestagspräsident und zeitzeugen oder - wie vor 2 jahren, als man endlich auch mal die 300.000 nazi-"euthanasie"-opfer in den mittelpunkt rückte - da hat beispielsweise ein schauspieler mit down-syndrom tagebuch-texte eines betroffenen opfers vorgelesen - nach der berührenden und lebendigen rede des damaligen total erkälteten bundestagspräsidenten norbert lammert, dem die nase und die tränen liefen -  das war es dann aber auch schon mit der neugestaltung - danach war wieder tragende musik am anfang und am ende und zwischendurch professorensprech und die zeitzeugen- und lebensweg-resümees von inzwischen über 90-jährigen menschen

man spricht auch immer gern von "erinnerungskultur" - aber was der mensch nicht selbsterlebt hat, kann er auch nicht ohne weiteres erinnern. der parallelbegriff einer "gedenkkultur" ist hierzu also vielleicht angebrachter - aber gedenken kann immer auch so erfolgen, wie es eben vor 2 jahren bei der feierstunde mit dem schwerpunktthema "euthanasie"-opfer begonnen wurde: etwas mehr "gedenken" durch das erzeugen einer art "konfrontations-meditation": so will ich das mal zunächst ganz holperig als "arbeitstitel" hier stehenlassen - natürlich auch mit musik, ja - aber auch durch film, bild, literatur, theater, schauspiel, graphic novel u.a.: und durch das nachzeichnen von beispielhaften einzel-opferporträts - die genannten gesamtopfer-zahlen im holocaust sind einfach zu abstrakt, um anhaltend zu beeindrucken ... 

und wenn man wegen seinem sitzungsfreien wochenendfrei kurzerhand den jeweiligen gedenktag vom 27.januar mal gerade aus praktischen gründen um ein paar tage verschiebt, wie schon 2018 nun auch 2019 geschehen, zeigt man ja der öffentlichkeit, wie wichtig dem "hohen haus" dieser termin tatsächlich ist ... - 

nein - es "bröckelt" wirklich an allen ecken und enden - und wie das kaninchen auf die schlange starrt man auf die letzten zeitzeugen der grausamkeiten: wie lange halten sie noch durch - und kann man sie über ihre agenturen noch einmal für einen "gedenk-akt" gewinnen und motivieren ... und ist ihre stimme und ihre aussprache so, dass sie sich gehör verschaffen können - und wie lange noch ??? 

inzwischen berichten aber auch menschen, wie sie einzelbiografien ihrer familien oder aus dem heimatort entdeckt haben und ihnen gefolgt sind - menschen berichten, wie die archive und die historiker sich ihnen gegenüber verhalten bei fragen zu "shoah" und "euthanasie" - und all den anderen opfern: sinti, roma, homosexuelle, zwangsarbeiter usw.

dann wäre gedenken wieder inmitten der jetzt lebenden generation verankert - und die forschung würde zum erlebnis - und die berichte dazu zum mit-erleben.

das obengenannte buch zur biografie der essener bergmannstochter helene mantwill wäre sicherlich so ein beispiel - und die beiden pädagogen berichten konkret über ihre forschungsarbeit zu dieser authentischen "oral history" - oder die kinder der beiden pädagogen berichten, wie sie ihre väter erlebt haben während der recherche und was die dazu beim gemeinsamen abendessen berichtet haben ...

in der bibel steht ja bereits seit 2000 jahren etwas von der "heimsuchung bis in die dritte und vierte generation" - und die forschung nimmt an, dass traumatisch erlebte ereignisse sich unbewusst im individuellen verhalten und empfinden weiter "vererben", wenn sie einfach verdrängt und abgespalten und nicht aufgearbeitet werden ...

hier hat die nation eines täter- und auch opfervolkes immer noch sein "lebtag" mit zu tun - ob das der afd nun passt oder nicht - und wahrscheinlich auch über den jeweiligen 27. januar hinaus ...

denn wer es so treibt wie herr gauland von der afd, den "vogelschiss" nämlich am liebsten einfach abzuwischen, herunterzuspülen und zu verleugnen, müsste eigentlich angezeigt werden, wegen fahrlässiger körperverletzung, denn eine allgemein-therapeutisch notwendige aufarbeitung jener zeit wird so ja einfach negiert und ausgeklammert.

es gab für mich mein lebtag schon den leitspruch: "der weg dorthin - ist der weg dadurch" - will in diesem fall sagen: wenn ich mein leben und jeweilige situationen möglichst ohne auch unbewusste einschränkungen von irgendwoher leben will und mich von "ererbten" belastungen aus meinen familien befreien will - muss ich mich durch all den schlamassel dieser dazuzählenden beteiligten menschen begeben - ich muss hinhören und lesen und mich interessieren, und vieles davon wird nicht im world-wide-web von vornherein verzeichnet sein und ist nicht mit dem smartphone abrufbar - und ich muss festhalten, was da bei "uns" oder in der nachbarschaft oder auch bei entfernten verwandten los war - und  mich auch an- und berühren lassen: ab und zu wird die stimme brechen und werden die augen feucht werden - das sind aber keine zeichen der schwäche oder von zu viel emotionalität - das ist "mitgehen" und "erleben": es geht nicht um die kurzfristige "nachbarschafts-sensation" - es geht um langfristige emotionale bewältigung und ein "damit leben lernen"... - die "vierte generation" nach 1945 reicht noch mindestens bis 2050/2060 ...

nix für ungut - und chuat choan



Grünen-Chefin Baerbock über Emotionen in der Politik

"Jetzt heult die da im Bundestag"

Ein Holocaust-Überlebender hat mit seiner Rede im Bundestag viele Menschen gerührt - Annalena Baerbock sogar zu Tränen. Für die Grünen-Chefin nach eigenen Angaben eine Gratwanderung: Wie viel Emotion ist zu viel?


annalena baerbock - S!|graphic



Wie viele, welche Gefühle darf man in der Berufspolitik zeigen? Ohne, dass einem nicht nur in sozialen Netzwerken Hohn und Spott entgegenschlagen? Mit solchen Fragen beschäftigt sich Grünen-Chefin Annalena Baerbock nach eigenen Angaben. So auch mit der Frage, ob sie hart genug für den Job der Parteivorsitzenden ist.

Sie sei in die Politik gegangen, um Dinge zu verändern und mit vielen Menschen im Gespräch zu sein, sagte die 38-Jährige im SWR-Interview. Diese Nahbarkeit bedeute auch immer eine gewisse Emotionalität.

Als Beispiel nannte Baerbock die Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus im Bundestag. Dabei waren ihr am Donnerstag die Tränen gekommen, als der Holocaust-Überlebende Saul Friedländer geschildert hatte, wie er als Kind von seinen Eltern getrennt worden war.

"In diesen Momenten kommt man gar nicht drum rum, an seine eigenen Kinder zu denken, sich genau das vorzustellen, was natürlich Emotionen auslöst", sagte Baebock, selbst Mutter von zwei Töchtern. "Wenn einem da die Tränen kommen und (man) weiß genau, da halten jetzt zig Kameras drauf, dann ist das immer so: Soll man sich verstellen oder nicht?"

Auf der einen Seite gehe es darum, empathisch und offen zu bleiben, auf der anderen Seite könne einem dann gerade in den Sozialen Medien vorgeworfen werden: "Jetzt heult die da im Bundestag." Das sei eine Gratwanderung. Aber: "Ich glaube, ein Abstumpfen ist das Gefährlichste, was man in der Gesellschaft derzeit tun kann."

text aus: spiegel-online