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abstand halten - aber da gibt es noch einen...

Petra Bahr in "Christ & Welt"

Illustration: DigitalVision Vectors/Getty Images


Der Mensch braucht den Mitmenschen. Doch in Zeiten von Corona wird der Nächste zur potenziellen Gefahr. Wie man als Christ trotzdem gut durch den Ausnahmezustand kommt


Gottesdienste sind verboten. Noch vor ein paar Tagen wäre dieser Satz in Deutschland undenkbar gewesen. Der Eingriff in das Grundrecht auf Religionsfreiheit ist nötig geworden, weil das »Recht auf Leben« ein hohes Gut unserer Verfassung ist. Die Pandemie, die die Welt im Griff hat, hat in wenigen Tagen unser aller Leben auf den Kopf gestellt und stellt alle vor große Herausforderungen. Den einen sitzt der Schock in den Gliedern, sie sind wie gelähmt und starren auf Bildschirme oder schotten sich in heile Netflix-Welten ab. Andere wechseln in den Krisenmodus, weil ihnen gar nichts übrig bleibt. Das sind die, die jetzt rund um die Uhr schwierige Entscheidungen treffen, Notfallpläne organisieren, die Krankenhäuser, Pflegeheime, innere und äußere Sicherheit aufrechterhalten, den Müll vor unseren Türen abholen und den Alten Mut zusprechen, weil die Enkelkinder sie nicht mehr besuchen dürfen.

Wer Ärzte und Krankenpflegerinnen kennt, wer mit Feuerwehrleuten oder Polizistinnen spricht, wer die trifft, die in der Politik und in der Wirtschaft, in Schulen oder sozialen Einrichtungen Verantwortung haben, weiß, was ich meine. Krisenstäbe werden einberufen und stündlich wird mit Szenarien im Kopf gearbeitet, die die meisten Deutschen nur aus dem Kino kennen. Währenddessen krabbeln die Kleinen unter dem Schreibtisch, der nun »Homeoffice« sein soll.

Doch mit den Hochglanzbroschüren hat das freie Arbeiten mit nörgelnden, gelangweilten und unterschwellig verängstigten Kindern nur wenig zu tun. Alleinerziehende sind schon nach wenigen Tagen am Ende ihrer Kräfte. Musiker, Künstlerinnen, Dolmetscher, Coaches und all die Menschen in freien Berufen fragen sich, wie sie die Miete für April aufbringen sollen. Die, die in den Supermärkten täglich riesige Nachschublieferungen in die Regale packen, müssen nun auch noch die angespannten Nerven der Kunden aushalten.

In diesem Ausnahmezustand melden sich theologische Weltdeuter zu Wort, selbst ernannte Propheten, die genau zu wissen scheinen, was die Stunde geschlagen hat. »Geißel Gottes«, wird mir geschrieben, Antwort auf zügellose Liberalität und Globalisierung, eine Strafmaßnahme, die zur Umkehr ruft. Die Frauen, die Juden, die Chinesen, der Zeitgeist – alle üblichen Sündenböcke sind wieder da.

Alle, die diesem Zeitgeist verfallen sind, so schreibt mir einer und setzt drei rote Ausrufezeichen dahinter, werden verrecken. Er legt eine Karte bei. Ein Bild Pieter Bruegels, ein Leidenswimmelbild aus geschundenen Leibern mit Pestbeulen und schreckensverzerrten Augen. Dieser Brief zeugt von einer Fantasie, aus der die Irrlehre ist, eine christliche Variation der Verschwörungstheorie. Die Künstler des Mittelalters haben mit ihren apokalyptischen Bildern kollektive Ängste sichtbar gemacht und auf sichtbares und unsichtbares Elend hingewiesen. Sie haben die Hölle auf Erden gemalt, mit Szenen, die an die Situation der Menschen in den Lagern auf Lesbos erinnern. Selbst ernannte Propheten im 21. Jahrhundert gefallen sich darin, Panik und Horrorszenarien, verbunden mit Auserwählungsdünkel und religiöser Selbstgerechtigkeit, als Form der Evangelisierung zu missbrauchen. Auch in säkularer Variante gibt es diese politisch-religiösen Sinnstiftungsversuche übrigens. In dieser Variante ist die Pandemie eine Warnung an die Alten, die nicht genug gegen den Klimawandel getan haben.

Nein, Corona ist 
keine »Geißel Gottes«. 
Was wäre das für ein Gott?

Moralische Entrüstung verkehrt sich in endzeitliche Bußrede. Nein, Corona ist keine »Geißel Gottes«. Was wäre das für ein Gott, der einen Strafzug durch die Zimmer der Alten und Kranken verordnete? Die Pandemie ist kein zynischer Erziehungsversuch Gottes, sondern eine Naturkatastrophe in Zeitlupe. Sie ist Teil dieser Wirklichkeit mit ihren Zweideutigkeiten, ihren vielen Schattierungen zwischen hellem Licht und tiefem Dunkel. In der Theologie heißt das »gefallene Schöpfung«. Die Welt war in diesem Sinne immer schon aus den Fugen, mal mehr und mal weniger. Menschen hatten in früheren Jahrhunderten mehr Erfahrung mit der Bedrohung durch Krankheiten, die ganze Landschaften entvölkerten. Davon zeugen viele alte Kirchenlieder, die uns möglicherweise neu ans Herz wachsen, weil sie es wagen, die tiefe Ohnmachtserfahrung und Erfahrung von Gottesfinsternis in Glaubensworten auszusprechen.

Jetzt erleben wir eine solche Ausnahmesituation, allerdings begleitet von einer gigantischen Informations- und Bildmaschine, die uns mit dem Internet und den sozialen Medien permanent begleitet und in Weltsucht und Weltüberdruss zugleich führen kann. Was kann die christliche Antwort auf diesen Ausnahmezustand sein? Auf keinen Fall, die Pandemie mit religiösem Sinn auszustatten, sondern vom Gott der Passion aus zu fragen, was Christinnen und Christen gemeinsam und als Einzelne tun können, um in dieser dramatisch sich ändernden Wirklichkeit füreinander da zu sein. Gottesdienste sind verboten, Gottesbegegnungen sind es nicht. Viele nutzen die Möglichkeiten der Digitalisierung. Not lehrt nicht nur beten. Menschen treffen sich zu Twittergebeten und streamen Andachten, sie entwickeln Telefongottesdienste und richten Hotlines für Seelsorge und Gespräche ein.

Die Schwelle wird so für die, die niemals eine Kirche betreten würden, deutlich niedriger. Die »Gemeinschaft der Heiligen«, von der Christen im Glaubensbekenntnis sprechen, war im Übrigen immer schon auch ein unsichtbares Band, das die ganze Welt umfasste. Physischer Abstand ist in diesen Tagen Ausdruck der Menschenliebe. Damit hat die Kirche ein neues Liebesparadox, das es nicht zähneknirschend und widerwillig, sondern um der Schwachen willen anzunehmen gilt.

Vielleicht ist jetzt die Zeit, religiöse Erfahrungen und geistlichen Austausch, auch theologische Diskussionen und Seelsorge, nicht mehr in Form von »Veranstaltungen« zu begreifen, sondern als geistliche Energie, die da entsteht, wo »zwei oder drei« einander beistehen. Die diakonische Dimension des Glaubens wird möglicherweise wieder Teil des Selbstverständnisses aller, auch wenn die großen diakonischen Einrichtungen lange ein Eigenleben führten. Im Kirchenjahr ist die Zeit der Passion. Christinnen und Christen erinnern sich in diesen Wochen an den Leidensweg Christi. Sie üben jedes Jahr wieder neu den immer wieder skandalösen Gedanken, dass Gott sich in Ratlosigkeit und Liebesverrat, in Schmerz und in Todesangst zeigt und nicht in diktatorischer Weltlenkermanier.

Zum Gedanken der Passion gehört die Idee der Stellvertretung. Jemand nimmt für andere viel, im Falle Jesu sogar alles in Kauf. Der alte Gedanke des Opfers findet sein Ziel in der Hingabe für andere. Deshalb ist die Idee des Füreinandereinstehens keine oberflächliche Moralisierung des ehemals tiefen Kreuzesgeschehens, sondern seine praktische Folge. Nachfolge Christi, das ist dann keine Floskel, wenn die Kirche zu einem Ort wird, wo das Wohl der anderen im Mittelpunkt steht. Das geht mit kreativen Mitteln für eine Zeit auch ohne Friedensgruß und Schulter-an-Schulter-Erfahrung in der Kirchenbank. Gemeinsinn ist keine Spinnerei von denen, die sich eine ideale Welt vorgaukeln, sondern der biblische Grundgedanke, der das Miteinander der Menschen bestimmt. Das ist schon in der hebräischen Bibel so und wird von Jesus auf sich selbst bezogen. Niemand weiß, was die kommenden Tage und Wochen bringen, wie Familien die Enge und die Sorgen untereinander aushalten, wenn die Nerven blank liegen und die Existenzängste wachsen. Niemand weiß, wie die Kinder diese Zeit der Isolation ertragen. Niemand weiß, welches Ausmaß das Virus der Einsamkeit annehmen wird.

Der christliche Glaube ist kein Ansteckungsschutz und keine Garantie für seelische Stabilität. Wir brauchen einander. Die Kirche als Erinnerungs- und als Erzählgemeinschaft, als Gebetsgemeinschaft und als Hilfsgemeinschaft braucht sich für eine Weile nicht mit sich selbst zu beschäftigen. Sie kann sich auf das konzentrieren, was ihr Auftrag ist: Gottes Nähe, Zuwendung und Liebe auch dann zu verkünden, wenn die eigene Glaubenskraft nicht ausreicht, mit Gebet und Paketen vor der Haustür, mit Telefon und Singen vom Balkon, mit Unterstützung für Menschen in innerer und äußerer Not. Und wenn zwischendurch die Kraft fehlt und die Erschöpfung um sich greift, altes geistliches Bekenntnis: »Gott glaubt an uns.«

aus der neuesten ZEIT-Beilage "Christ & Welt" - S. 1 -

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"jetzt hilft nur noch beten" - das ist so ein zur floskel verkommener satz, eine resignierende feststellung von früher, wenn zweifel und verzweifelung für den einzelnen oder für die familie und für die gemeinde überhand nahmen.

und es ist jetzt mal wieder an der zeit: das #coronavirus hat binnen 1-2 wochen das leben hier auf den kopf gestellt - und die damit verbundene ungewissheit und angst - ja auch angst um das eigene leben - fordert geradezu "implizit" auf, ein gebet zu sprechen, um sich und uns innerlich herunterzufahren und zu stärken - und das eigene uns eingegebene innere "seelen-navi", dass uns weisung und beistand ist, jetzt auf diese neue ungewisse situation neu "einzunorden" - uns zu kalibrieren - jetzt - neu auf gott - auf den längst vergessenen gott als richtschnur in verwirrter zeit.

angela merkel sprach in ihrer corona-botschaft an das "volk", sie als pastorentochter wisse jetzt auch nicht, wie das alles ganz genau weiterginge: "Wir werden als Regierung stets neu prüfen, was sich wieder korrigieren lässt, aber auch: was womöglich noch nötig ist. Dies ist eine dynamische Situation, und wir werden in ihr lernfähig bleiben, um jederzeit umdenken und mit anderen Instrumenten reagieren zu können." - und sie richtet ihre verantwortung als kanzlerin mit aus auf die experten, die virologen vom robert-koch-institut oder anderswoher - und persönlich sicherlich auch auf gott.

es gilt, den infektions-gau zu verlangsamen und zu stoppen.

und wenn wir es in diesen tagen in unserem "drauflos-leben" ohne rücksicht auf verluste auch verlernt haben oder aus der übung gekommen sind, an diesen einen gott zu glauben, mit dem man im gebet in den dialog treten und ins gespräch kommen kann, und mit dem man weiterhin eben diese ins gerede gekommenen "sozialkontakte" aufrecht erhalten kann, indem man ihn (auf)sucht - gott hat seit ewigen zeiten mit-teilen lassen, wenn wir ihn auch längst schon aus den augen verloren haben: er glaubt ganz fest an uns, denn ansonsten hätten wir ihn ja nie wahr(!)nehmen können - oder aber atheisten meinen ja auch, einfach "ausdenken" können: er ist - dadurch dass wir ihn denken und ihn für uns erschließen und im wahrsten sinne des wortes: ihn er-innern, verinnerlichen.

aber einige meinen ja, ohne gott auskommen zu können - aber haben ihn ja nur verdrängt - er war und ist und bleibt - als mittelpunkt, als randfigur oder hinter der säule - je nach fokus. und mit einem kirchenaustritt lässt sich gott ja nicht "überwinden" und vergessen, als wäre er nicht. er "offenbart" sich uns, gerade wenn wir auf uns selbst zurückgeworfen werden wie in dieser situation - auch und vielleicht gerade wenn "abstand-halten" und soziale abstinenz zu unseren lieben die beste hilfe für das wohlergehen aller wird.  

aber wir dürfen uns nun nicht einen alleskönner, den "allmächtigen" unter diesem gott (mehr) vorstellen, der alles "richtet" - nach dem motto: "er wird's wohl machen", wie es in dem guten alten psalm 37 "befiehl dem herrn deine wege" heißt. nein - gott ist ganz menschgeworden und geht und lebt mit uns durch diese zeit und diese angst und diese aufgezwungene aber vernünftige einsamkeit des alleinseins und schenkt uns in dieser sozialen abgeschiedenheit vertrauen - nicht mehr und nicht weniger. gott ist kein zampano, der jetzt "simsalabim", das #coronavirus "besiegt" oder "von uns nimmt", aber er begleitet uns - er geht mit uns gemeinsam da durch - und er bietet sich an zum "selbst"-gespräch - zum partner - zum dialog - zum gebet. 

gerade auch in diesen corona-zeiten heißt es: "klopfet an, so wird euch aufgetan"...: er begleitet uns in unseren ängsten und in unserer verwirrung und verirrung und hält uns ganz fest in diesem beidseitigen vertrauen im miteinander, auch wenn wir glaubten, ihn schon längst losgelassen zu haben - und das stoppt dann das chaos, das all die einflüsterer jetzt in uns und um uns anrichten wollen, die jetzt alles besserwissen oder sogar aus dem tohuwabohu noch einen müden uro abpressen wollen - und die trotz allen beteuerungen zu einer völlig ausreichenden wirtschaftlichen versorgung zwanghaft hier ihre 350 rollen klopapier in die garage einlagern müssen, die ihre eigene angst und unzulänglichkeit in solchen situationen jetzt mit paranoiden und überzogenen egoismen abfedern müssen - weil sie nichts und niemanden haben, nichts verlässliches, dem sie "vertrauen" können - und dann vergreift man sich eben am toilettenpapier. die franzosen horten ihren rotwein und wie man hört - kondome - die briten und die niederländer lagern chips ein - das hat ja wenigstens noch "niveau" - aber in deutschland, dem "land der dichter & denker", ist's eben schnödes klopapier, was immer uns das auch sagen will...
es gibt menschen, die ihr leben mit "flanieren" ("hey alter - äeiii... - wie isses?") gleichsetzen - und die erst ein "ich" werden durch ein "du" und ein "ihr" und "wir" - diese menschen finden gerade bei einer vielleicht bevorstehenden ausgangssperre überhaupt keinerlei halt mehr. man kann sich nur äußerst instabil an sich selbst festhalten, besonders bei einem sturz ins nichts. und auf dem handy herumdaddeln - allein - zuhause - da verliert man ja oft das einzig verbliebene "statussymbol", was man ja sonst noch vor sich hertragen konnte. die ganz fassade bröckelt - schminke, mode - alles für die katz: "wahrscheinlich guckt wieder kein schwein" ...

gott nimmt uns an die hand und geht uns zu herzen und zieht uns durch das gestrüpp auf die nächste "lichtung", aus dem dunkel ins helle.

und dieses winzige #coronavirus im noppenball-design hat ja die kraft, die wirtschaftlichen "klassen"-unterschiede zwischen den menschen wenigstens für eine gewisse zeit einzuebnen oder auch umzukrempeln - denn vor dem virus ist jeder mensch gleich - egal welcher gesellschaftlicher "stellung" auf der sprossenleiter. 

und an den börsen (für mich riesige "legale" spielhöllen und zocker-buden mit suchtcharakter) verdampfen ungeheure summen an spekuliertem und unverdient gezocktem geld. und auch die ewig "cleveren", die für alles eine lösung parat haben, sind nun völlig "aus dem häuschen" und stehen neben sich. da ist es gut, wenn man sich bei gott unterhaken kann, wenn man auch ansonsten "abstand" halten muss.

und bleib(t) gesund...

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