"Wir sitzen alle im selben Boot": Papst Franziskus verkündete am Freitag das "Urbi et Orbi" und erinnerte die Menschen in Zeiten der Virus-Krise an ihre Verletzlichkeit.
Papst Franziskus hat im Zuge der Corona-Pandemie den Sondersegen „Urbi et Orbi“ gespendet und die Menschen zu mehr Zusammenhalt in der Krise aufgerufen. „Tiefe Finsternis hat sich auf unsere Plätze, Straßen und Städte gelegt. Sie hat sich unseres Lebens bemächtigt und alles mit einer ohrenbetäubenden Stille und einer trostlosen Leere erfüllt, die alles im Vorbeigehen lähmt“, sagte der Pontifex am Freitag vor dem menschenleeren Petersplatz in Rom.
„Uns wurde klar, dass wir alle im selben Boot sitzen, alle schwach und orientierungslos sind, aber zugleich wichtig und notwendig, denn alle sind wir dazu aufgerufen, gemeinsam zu rudern.“
Das Pestkreuz von 1522 wird aus der Kirche San Marcello al Corso abmontiert, um es für den Urbi-et-orbi-Segen auf dem Petersplatz aufzustellen. AICA(@AgenciaAica) |
Franziskus erinnerte die Menschen an ihre Verletzlichkeit. „Der Sturm legt unsere Verwundbarkeit bloß und deckt jene falschen und unnötigen Gewissheiten auf, auf die wir bei unseren Plänen, Projekten, Gewohnheiten und Prioritäten gebaut haben“, sagte der Papst. „Er macht sichtbar, wie wir die Dinge vernachlässigt und aufgegeben haben, die unser Leben und unsere Gemeinschaft nähren, erhalten und stark machen.“
aus: Luxemburger Wort - wort.lu/de
Wortlaut: Papstpredigt beim Gebet in der Pandemie
Wir dokumentieren hier im Wortlaut die Predigt, die Papst Franziskus am Freitagabend, den 27. März, bei einem Gebetsmoment am Petersdom in Rom gehalten hat. Franziskus hielt die Feier, die mit einem außerordentlichen Segen „Urbi et Orbi“ endete, als Zeichen der Hoffnung inmitten der globalen Corona-Pandemie.
»Am Abend dieses Tages« (Mk 4.35). So beginnt das eben gehörte Evangelium. Seit Wochen scheint es, als sei es Abend geworden. Tiefe Finsternis hat sich auf unsere Plätze, Straßen und Städte gelegt; sie hat sich unseres Lebens bemächtigt und alles mit einer ohrenbetäubenden Stille und einer trostlosen Leere erfüllt, die alles im Vorbeigehen lähmt: Es liegt in der Luft, man bemerkt es an den Gesten, die Blicke sagen es. Wir sind verängstigt und fühlen uns verloren. Wie die Jünger des Evangeliums wurden wir von einem unerwarteten heftigen Sturm überrascht. Uns wurde klar, dass wir alle im selben Boot sitzen, alle schwach und orientierungslos sind, aber zugleich wichtig und notwendig, denn alle sind wir dazu aufgerufen, gemeinsam zu rudern, alle müssen wir uns gegenseitig beistehen. Auf diesem Boot ... befinden wir uns alle. Wie die Jünger, die wie aus einem Munde angsterfüllt rufen: »Wir gehen zugrunde« (vgl. V. 38), so haben auch wir erkannt, dass wir nicht jeder für sich, sondern nur gemeinsam vorankommen.
Der Papst betet vor dem mittelalterlichen Pestkreuz AFP/NW |
Versuchen wir zu verstehen. Worin besteht der Glaubensmangel der Jünger, der im Kontrast steht zum Vertrauen Jesu? Sie hatten nicht aufgehört, an ihn zu glauben, sie flehen ihn ja an. Aber schauen wir, wie sie ihn anrufen: »Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?« (V. 38). Kümmert es dich nicht: Sie denken, dass Jesus sich nicht für sie interessiert, dass er sich nicht um sie kümmert. Im zwischenmenschlichen Bereich, in unseren Familien, ist es eine der Erfahrungen, die am meisten weht tut, wenn einer zum anderen sagt: „Bin ich dir egal?“ Das ist ein Satz, der schmerzt und unser Herz in Wallung bringt. Das wird auch Jesus erschüttert haben. Denn niemand sorgt sich mehr um uns als er. In der Tat, als sie ihn rufen, rettet er seine mutlosen Jünger.
Der Sturm legt unsere Verwundbarkeit bloß und deckt jene falschen und unnötigen Gewissheiten auf, auf die wir bei unseren Plänen, Projekten, Gewohnheiten und Prioritäten gebaut haben. Er macht sichtbar, wie wir die Dinge vernachlässigt und aufgegeben haben, die unser Leben und unsere Gemeinschaft nähren, erhalten und stark machen. Der Sturm entlarvt all unsere Vorhaben, was die Seele unserer Völker ernährt hat, „wegzupacken“ und zu vergessen; all die Betäubungsversuche mit scheinbar „heilbringenden“ Angewohnheiten, die jedoch nicht in der Lage sind, sich auf unsere Wurzeln zu berufen und die Erinnerung unserer älteren Generation wachzurufen, und uns so der Immunität berauben, die notwendig ist, um den Schwierigkeiten zu trotzen.
Mit dem Sturm sind auch die stereotypen Masken gefallen, mit denen wir unser „Ego“ in ständiger Sorge um unser eigenes Image verkleidet haben; und es wurde wieder einmal jene (gesegnete) gemeinsame Zugehörigkeit offenbar, der wir uns nicht entziehen können, dass wir nämlich alle Brüder und Schwestern sind.
»Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?« Herr, dein Wort heute Abend trifft und betrifft uns alle. In unserer Welt, die du noch mehr liebst als wir, sind wir mit voller Geschwindigkeit weitergerast und hatten dabei das Gefühl, stark zu sein und alles zu vermögen. In unserer Gewinnsucht haben wir uns ganz von den materiellen Dingen in Anspruch nehmen lassen und von der Eile betäuben lassen. Wir haben vor deinen Mahnrufen nicht angehalten, wir haben uns von Kriegen und weltweiter Ungerechtigkeit nicht aufrütteln lassen, wir haben nicht auf den Schrei der Armen und unseres schwer kranken Planeten gehört. Wir haben unerschrocken weitergemacht in der Meinung, dass wir in einer kranken Welt immer gesund bleiben würden. Jetzt, auf dem stürmischen Meer, bitten wir dich: „Wach auf, Herr!“
»Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?« Herr, du appellierst an uns, du appellierst an den Glauben. Nicht nur an den Glauben, dass es dich gibt, sondern an den Glauben, der uns vertrauensvoll zu dir kommen lässt. In dieser Fastenzeit erklingt dein eindringlicher Aufruf: »Kehrt um« (Mk 1,15); »kehrt um zu mir von ganzem Herzen mit Fasten, Weinen und Klagen« (Joël 2,12). Du rufst uns auf, diese Zeit der Prüfung als eine Zeit der Entscheidung zu nutzen. Es ist nicht die Zeit deines Urteils, sondern unseres Urteils: die Zeit zu entscheiden, was wirklich zählt und was vergänglich ist, die Zeit, das Notwendige von dem zu unterscheiden, was nicht notwendig ist. Es ist die Zeit, den Kurs des Lebens wieder neu auf dich, Herr, und auf die Mitmenschen auszurichten. Und dabei können wir auf das Beispiel so vieler Weggefährten schauen, die in Situationen der Angst mit der Hingabe ihres Lebens reagiert haben. Es ist das Wirken des Heiligen Geistes, das in mutige und großzügige Hingabe gegossen und geformt wird. Es ist das Leben aus dem Heiligen Geist, das in der Lage ist, zu befreien, wertzuschätzen und zu zeigen, wie unser Leben von gewöhnlichen Menschen – die gewöhnlich vergessen werden – gestaltet und erhalten wird, die weder in den Schlagzeilen der Zeitungen und Zeitschriften noch sonst im Rampenlicht der neuesten Show stehen, die aber heute zweifellos eine bedeutende Seite unserer Geschichte schreiben: Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger, Supermarktangestellte, Reinigungspersonal, Betreuungskräfte, Transporteure, Ordnungskräfte, ehrenamtliche Helfer, Priester, Ordensleute und viele, ja viele andere, die verstanden haben, dass niemand sich allein rettet. Angesichts des Leidens, an dem die wahre Entwicklung unserer Völker gemessen wird, entdecken und erleben wir das Hohepriesterliche Gebet Jesu: »Alle sollen eins sein« (Joh 17,21). Wie viele Menschen üben sich jeden Tag in Geduld und flößen Hoffnung ein und sind darauf besorgt, keine Panik zu verbreiten, sondern Mitverantwortung zu fördern. Wie viele Väter, Mütter, Großväter und Großmütter, Lehrerinnen und Lehrer zeigen unseren Kindern mit kleinen und alltäglichen Gesten, wie sie einer Krise begegnen und sie durchstehen können, indem sie ihre Gewohnheiten anpassen, den Blick aufrichten und zum Gebet anregen. Wie viele Menschen beten für das Wohl aller, spenden und setzen sich dafür ein. Gebet und stiller Dienst – das sind unsere siegreichen Waffen.
»Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?« Der Anfang des Glaubens ist das Wissen, dass wir erlösungsbedürftig sind. Wir sind nicht unabhängig, allein gehen wir unter. Wir brauchen den Herrn so wie die alten Seefahrer die Sterne. Laden wir Jesus in die Boote unseres Lebens ein. Übergeben wir ihm unsere Ängste, damit er sie überwinde. Wie die Jünger werden wir erleben, dass wir mit ihm an Bord keinen Schiffbruch erleiden. Denn das ist Gottes Stärke: alles, was uns widerfährt, zum Guten zu wenden, auch die schlechten Dinge. Er bringt Ruhe in unsere Stürme, denn mit Gott geht das Leben nie zugrunde.
Der Herr fordert uns heraus, und inmitten des Sturms lädt er uns ein, Solidarität und Hoffnung zu wecken und zu aktivieren, die diesen Stunden, in denen alles unterzugehen scheint, Festigkeit, Halt und Sinn geben. Der Herr erwacht, um unseren Osterglauben zu wecken und wiederzubeleben. Wir haben einen Anker: durch sein Kreuz sind wir gerettet. Wir haben ein Ruder: durch sein Kreuz wurden wir freigekauft. Wir haben Hoffnung: durch sein Kreuz sind wir geheilt und umarmt worden, damit nichts und niemand uns von seiner erlösenden Liebe trennen kann. Inmitten der Isolation, in der wir unter einem Mangel an Zuneigung und Begegnungen leiden und den Mangel an vielen Dingen erleben, lasst uns erneut die Botschaft hören, die uns rettet: Er ist auferstanden und lebt unter uns. Der Herr ruft uns von seinem Kreuz aus auf, das Leben, das uns erwartet, wieder zu entdecken, auf die zu schauen, die uns brauchen, und die Gnade, die in uns wohnt, zu stärken, zu erkennen und zu ermutigen. Löschen wir die kleine Flamme nicht aus (vgl. Jes 42,3), die niemals erlischt, und tun wir alles, dass sie die Hoffnung wieder entfacht.
Das eigene Kreuz anzunehmen bedeutet, den Mut zu finden, alle Widrigkeiten der Gegenwart anzunehmen und für einen Augenblick unser Lechzen nach Allmacht und Besitz aufzugeben, um der Kreativität Raum zu geben, die nur der Heilige Geist zu wecken vermag. Es bedeutet, den Mut zu finden, Räume zu öffnen, in denen sich alle berufen fühlen, und neue Formen der Gastfreundschaft, Brüderlichkeit und Solidarität zuzulassen. Durch sein Kreuz sind wir gerettet, damit wir die Hoffnung annehmen und zulassen, dass sie alle möglichen Maßnahmen und Wege stärkt und unterstützt, die uns helfen können, uns selbst und andere zu beschützen. Den Herrn umarmen, um die Hoffnung zu umarmen – das ist die Stärke des Glaubens, der uns von der Angst befreit und uns Hoffnung gibt.
»Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?« Liebe Brüder und Schwestern, von
(aus: vatican news - gs)
_____________________________
also - mich haben diese fast aus der zeit gefallenen segenszenen beeindruckt - und diese unmittelbare geste der geteilten sorgen und des trostes.
wir leben ja in einer zeit grundsätzlicher gottesferne der meisten menschen - und selbst bei solchen schrecklichen, die ganze welt in atem haltenden medizinischen biokatastrophen wie diese weltweite conora-pandemie, kommen eine vielzahl der wie aufgescheucht herumflatternden menschen zumindest in deutschland zuerst einmal auf die idee, erschreckend viel klopapier zu raffen und zu horten, dass sie sicherlich auf jahre genug haben - wahrscheinlich aus einem inneren impuls heraus, sorge zu treffen für das eigene wohlbefinden, zumal ja vielleicht mal eine ausgangssperre verhängt wird - "man weiß ja nie"... eine völlig überflüssige und fragliche vorsorge, die da von vielen menschen blind übernommen und weitergetragen wird - und die gar nicht genug davon bekommen können - und die dem lapidaren spruch, bei bedrohungen sollte man "zuerst mal seinen ar... retten", eine ganz neue aktualität und dynamik verleihen.
aber die gleichen menschen können wahrscheinlich nichts (mehr) mit diesen gesten des papstes anfangen - mit den eindrücklichen und einzigartigen symboliken dort auf dem vom regen tropfnassen petersplatz: der papst ganz allein mit seinem zeremonienmeister monsignore guido marini - und einem herbeigeschafften heiligen pestkreuz von 1522 - und dem ebenfalls einer nahen kirche entliehenen uralten ikonenbildnis der maria mit dem jesuskind in antiker byzantinisch anmutender ikonenmalerei-manier.
ja - da fühlt sich der papst bemüßigt, auf dem platz, wo ihm sonst hunderte von menschen zujubeln oder auch in andacht verharren, ganz allein der erkrankten und ängstlichen welt den segen "urbi et orbi" zu spenden: „der stadt (rom) und dem erdkreis“.
mit dem segen "urbi et orbi" ist nach katholischer lehre allen, die ihn hören oder sehen und guten willens sind, eine vollkommene wiedergutmachung aller verfehlungen gewährt. war früher für diesen empfang die physische anwesenheit des empfängers notwendig, so kann nach verschiedenen modifikationen und anpassungen an die moderne welt seit 1995 der segen auch über alle medien und dem internet vollgültig empfangen werden.
und außerplanmäßig wurde er erstmals in der geschichte jetzt anlässlich der weltweiten COVID-19-pandemie erteilt...
in dieser verzweiflung der ganzen welt zu diesen oft tödlichen infektionsherden überall - ganz besonders eben auch in italien, vor allen dingen in bergamo - hat sich der papst nun eben dazu entschlossen, ein besonderes und nie dagewesenes zeichen zu setzen.
nur - wer lässt sich davon in der eigenen betroffenheit beeindrucken - wer hält inne bei der jagd auf diese vermeintlich wichtigeren dinge wie klopapier, tempotücher, seifen- und desinfektionsmittel, und blickt da in den römischen regen, auf diesen alten einsamen mann im cremefarbenen papstgewand, der da in seiner predigt mahnt, umzukehren aus dieser geschäftigkeit und dem sinnlosen getue und der gottverlassenheit.
und er setzt ja ein zeichen gegen unser aller angst und unseren sorgen um gesundheit und auskommen: "warum habt ihr solche angst? habt ihr noch keinen glauben?" - nun - werden da viele denken, da kann ich mir aber nichts für kaufen...
aber muss man immer kaufen? haben wir nicht "genug" - genug für alle, wenn wir nicht andauernd den nächsten zu übertrumpfen achten.
dieses #coronavirus macht uns alle gleich - egal wieviel wir haben, woher wir kommen, wie wir lieben oder hassen...
und weil wir alle in dieser angelegenheit gleich sind und in einem boot sitzen, das durch dieses all schippert, sind wir auch aufgerufen, mitzurudern, damit das boot nicht kentert: mit in die riemen legen - und den blick von den börsennachrichten vielleicht doch wieder auf den "steuermann" zu richten
ein alter geschnitzter christlicher wandspruch lautet: "gott hat uns keine sturmfreie fahrt über das meer verheißen - wohl aber ein sicheres (an)landen" ...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen