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"nachfolge" - bis ins ureigenste golgatha

Für seine Überzeugungen wurde der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer von den Nazis ermordet. Sechs Stunden dauerte die Hinrichtung. - Foto: dpa (coloriert)



Widerstand im Nationalsozialismus

Diesen Mut nicht vergessen

aus einer Kolumne von Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung 


Vor 75 Jahren, am 9. April 1945, genau einen Monat vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wurden die letzten Widerstandskämpfer gegen Adolf Hitler und den Nationalsozialismus umgebracht - unter ihnen war der Theologe Dietrich Bonhoeffer. Es gehört im Jahr 2020 zum Kampf, zum Widerstand gegen Corona, von diesem Virus das Gedenken an die Widerständler gegen Hitler nicht anstecken und ersticken zu lassen. Es schadet daher nichts, wenn es ein paar Klopapierwitze weniger, aber dafür ein paar Gedanken mehr an Bonhoeffer und seine Mitverschwörer und Widerständler gibt.

Bonhoeffer war evangelischer Theologe, ein Pfarrer; es war für ihn eine große Gewissensfrage, ob man als Christ an einem Attentat mitwirken darf. Das Gebot lautet bekanntlich: Du sollst nicht töten. Bonhoeffer hat das verantwortet; Glauben war für ihn etwas Diesseitiges, mit einem Jenseits-Gott konnte er nichts anfangen. Kirche war für ihn nur Kirche, wenn sie für andere da ist; und Glauben hieß für ihn, nicht mehr die eigenen Leiden wahrzunehmen, sondern die der anderen; für ihn waren sie die Leiden Gottes in der Welt. "Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen", sagte er.

Bonhoeffer wollte kein Widerstandskämpfer werden. Aber die Verfolgung der Juden stellte, so sah er das, die Kirche vor die Gottesfrage, in der sich entschied, ob sie überhaupt noch Kirche war. "Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen, sei es einen Heiligen oder einen Gerechten, dann wird man ein Mensch, ein Christ", schrieb er am Tag nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 in einem Brief aus der Haft.

Der Theologe Bonhoeffer war von guten Mächten gar nicht wunderbar geborgen; er hat trotzdem davon geschrieben, auch das war eine Form des Widerstands. Und er ging gefasst in den Tod. Am 8. April 1945 wurde er im Konzentrationslager Flossenbürg zum Tod verurteilt - zusammen mit General Hans Oster, Admiral Wilhelm Canaris, dem Offizier Ludwig Gehre und dem Heeresrichter Karl Sack; alle wegen ihrer Beteiligung am gescheiterten Umsturzversuch vom 20. Juli 1944. Am 9. April 1945 wurden sie gehängt. Vorher hatten sie sich völlig entkleiden und nackt zum Galgen gehen müssen. Sechs Stunden dauerte die Hinrichtung, weil die bis zur Ohnmacht Strangulierten wiederbelebt wurden, um ihren Todeskampf zu verlängern.


Dietrich Bonhoeffer (2. v. r.) im Hof des Wehrmachtsgefängnisses in Tegel - Foto: Gütersloher Verlagshaus in der Verlagsgruppe Random House GmbH (coloriert)




vor 75 jahren war das golgatha für dietrich bonhoeffer der 09. april, damals war das allerdings eine woche nach ostermontag.

und heute, nach 75 jahren, als uns heribert prantl in der süddeutsche zeitung trotz #corona-krise auf diesen gedenktag aufmerksam macht, fällt das datum auf den gründonnerstag, den tag vor dem karfreitag, vor 2000 jahren eben der hinrichtungstag jesu.

für manche mag es makaber oder vielleicht auch blasphemisch klingen, dass ich hier eine gewisse  - ja fatale parallele ziehe.

da wird auf die perfide art und weise der hinrichtung bonhoeffers hingewiesen, wobei man wohl sechs stunden lang den "bis zur ohnmacht strangulierten" immer neu wiederbelebt hat, um den todeskampf zu verlängern und ihn bewusst bis in den tod leiden zu sehen. ja - man verwehrte bonhoeffer etwa einen "gnädigen tod" bei seiner hinrichtung - er sollte erbarmungslos krepieren - einen monat vor dem ende des krieges, der sich ja längst unausweichlich für alle abzeichnete - und es war eben auch ein überzogener letzter "racheakt" gegen diesen widerstandskämpfer...

und hierin schließt sich wieder die parallele zu golgatha: auch jesus marterte man in absprache mit den römischen besatzern überlange sechs stunden an einem holzkreuz - als aufmüpfiger widerstandskämpfer gegen die verkrustete starrsinnige tempelaristokratie - hände und füße mit nägeln durchbohrt - und man verhöhnte ihn und machte sich lustig über seine ohnmacht in diesen letzten stunde - ehe auch jesus elendig krepieren musste: "warum hast du mich verlassen?"

und "nachfolge" ist bezeichnender weise der ja fast "hellsichtige" titel eines buches, das dietrich bonhoeffer als direktor des predigerseminars finkenwalde schrieb. es ist in den jahren 1935–1937 aus den dortigen theologischen kursen entstanden. als dann dieses seminar im september 1937 von der gestapo geschlossen wurde, war bonhoeffers manuskript aber bereits fertig und befand sich bereits beim verlag, sodass zum advent 1937 das buch gedruckt vorlag.

und "nachfolge" war für bonhoeffer die unbedingte bindung an die person jesu, an sein leben, sein selbstloses wirken, sein ringen mit dem jüdischen tempel-establishment seiner tage, sein "papa"-/"abba"-gott-verständnis und gottes herabziehen aus einem fernen himmel hinein mitten ins menschliche leben mit allen nuancen.

das war die von bonhoeffer gemeinte "nachfolge" - nicht irgendein daraus abgeleitetes "programm", ein "konzept", eine "grundsatz-erklärung", die es durchzupauken und punkt für punkt "abzuarbeiten" gilt - sondern ein "leben", was dann in der unbedingten "nachfolge" seine eigene dynamik entwickelt und erfordert.

den begriff der "nachfolge" leitete bonhoeffer ab aus dem berufungssatz jesu an die jünger: "folge mir nach" - lass alles stehen und liegen, verleugne familie und verwandtschaft, verzichte aufs erbteil - komm einfach mit - damit wir gemeinsam die menschen zu menschen erwecken - und gott im menschen wahrnehmen.

die bindung an jesus bedeutet nach bonhoeffers buch auch ein "er-leiden". dieses - sein „kreuz“ - solle ein christ aber nun eben nicht aktiv suchen, sondern es liege in einer jeden lebensbiographie sowieso bereit. dieses individuelle "kreuz", dieses "er-leiden" in jedem leben könne, müsse aber nicht "in einen märtyrertod" führen.

in einem wohl letzten brief an seine verlobte maria von wedemeyer aus dem kellergefängnis der gestapo im reichssicherheitshauptamt in berlin schrieb bonhoeffer am 19. dezember 1944 sein berühmtes gedicht:

Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
das Heil, für das du uns geschaffen hast.

Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.

Doch willst du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wolln wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört dir unser Leben ganz.

Lass warm und hell die Kerzen heute flammen,
die du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.

Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so lass uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.


am schluss also muss bonhoeffer den „kelch, den bittern“, aus diesem gedicht selbst bis zur bitteren neige trinken. aber bonhoeffer klagt nicht - wenigstens nicht nach außen - sondern schreibt: „es ist, als ob die seele in der einsamkeit organe ausbildet, die wir im alltag kaum kennen. so habe ich mich noch keinen augenblick allein und verlassen gefühlt.“

beim abführen zur hinrichtung sagt der 39-jährige: „das ist das ende – für mich der beginn des lebens“, und der lagerarzt berichtet zehn jahre später, nie in fast 50 berufsjahren habe er einen menschen „so gottergeben sterben sehen“. 

dass bonhoeffers tod wiederum tatsächlich auch in gewisser weise "ein beginn" war, bestätigte sich in einer weise, die er selbst nicht ahnen konnte. denn sein leben gewann eine ausstrahlung, die über alles, was er hatte bewirken können, weit hinausgeht und nach anfänglicher kritischer distanz auch in der amtskirche dann eine fast unprotestantische "verklärte" form annahm.

jesus sagt in markus 8,34+35: "wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein kreuz auf sich und folge mir nach. denn wer sein leben erhalten will, der wird's verlieren; und wer sein leben verliert um meinetwillen und um des evangeliums willen, der wird's erhalten"

vielleicht waren es diese worte, die bonhoeffer inspiriert haben zu seinem weitsichtigen schicksalhaften buch - aber auch zu seinem tatsächlichen persönlichen leben in der "nachfolge". 

bonhoeffer hat tatsächlich - "in real life" - ganz in echt - für seinen glauben in die nachfolge alles auf sich genommen, auch die verfolgung und das "leiden". und diese seine persönlich entwickelte theologische grundüberzeugung in der konsequenz der "nachfolge" musste bonhoeffer dann auch durch"leiden" - bis zur ganz bitteren neige - bis hinein in sein trostloses golgatha im kz flossenbürg. 

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