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Sarid, Yishai: Monster, Verlag: Kein & Aber 2019 - Ein Roman zur Interna der Erinnerungskultur |
Yishai Sarid, einer der bekanntesten Autoren Israels, wirft in seinem Roman ein neues Licht auf die Erinnerungskultur, wagt sich an vermeintlich unantastbare Fragen und stellt in stillem, unaufgeregtem Ton eingefahrene Denkmuster infrage. (Klappentext Amazon)
ähhh - das ist seit vorgestern meine lektüre, auf die ich über umwege im netz irgendwie gestoßen bin. ja - mir fällt gerade kein anderes wort ein - aber irgendwie "eruptiv" ergießt sich für mich dieser text von 2017 (deutsch wohl 2019) des in tel aviv geborenen autors yishai sarid wie eine fontäne in großer ungeschminkter ehrlichkeit zu einem nicht nur für einen geborenen israeli äußerst heiklen gesamtthema mit allen ecken & kanten und moralischen peinlichkeiten des gedenkens und erinnerns und pflichttrauerns...
der roman "monster" setzt sich nämlich in der person eines "tourguide", der israelische schulklassen und soldatengruppen durch kz's führt und darüber immer stärkeren irritationen unterliegt, mit der heutigen verarbeitung der naziverbrechen auseinander...
ich kann das hier nicht "besprechen" - du musst das lesen, um vielleicht in etwa nachzuvollziehen, was ich meine, was mich da "anrührt". da wird viel ausgesagt zum gedenken - zum verordneten gedenken - zum pflichtgedenken mit all seinen staubigen oder überstrapazierten dreckecken neben dem absingen der hymnen - auch hierin deutschland - bei den gedenkstunden zum 27.01. beispielsweise und zur "reichspogromnacht" - und wie das alles heißt - zu den schulabschlussfahrten nach auschwitz mit abschiedsfete und dem rauschausschlafen auf einer betonstele im stelenfeld für die holocaustopfer in berlin. - und den langweiligen gesichtsausdrücken mancher schüler, wenn ich ihnen vom euthnasieschicksal meiner tante berichte ... - oder ihrem eingeübten "betroffensein" ...
und ein zitiertes (unvollendet vollendetes) gedicht aus dem buch muss ich noch wiedergeben:
hier in diesem Transportbin ich Evamit Abel meinem Sohnwenn ihr meinen großen Sohn sehtKain Adams Sohnsagt ihm daβ ich
Es ist ein Zeichen der hohen Übersetzerkunst daß sich dieses Experiment sowohl mit dem hebräischen Original als auch mit der deutschen Fassung machen läßt. In ihrer ursprünglichen Form haben diese Zeilen einen nachvollziehbaren Inhalt: Eva ist mit ihrem Sohn Abel auf dem Todestransport und schickt ihrem großen Sohn Kain einen Hilferuf. Falls er hört, wo seine Mutter und sein Bruder sich befinden, wird er alles tun, um sie zu retten. Das ist die Logik des Satzes. Sie beruht auf Erwartungen, die Begriffen wie "Mutter", "Sohn" und "Bruder" eingeschrieben sind, aber die Konstellation Eva - Abel - Kain unterläuft diese Erwartungen sofort. Das war die erste Familie in der mythologischen Menschheitsgeschichte, und mit ihr ist der Mord in die Welt gekommen, der jetzt, im verplombten Waggon, seinen Höhepunkt erreicht.
So muß auch die Logik des Satzes zerbrechen. Als er die Außenwelt erreicht, ist die Stimme Evas längst verstummt, der Mord an ihr und ihrem Sohn bereits vollzogen. Man hört nicht mehr, wie Eva spricht, man liest nur noch, was sie, die Tote, im Waggon des Transportes als Nachricht hinterlassen hat. Der Waggon ist nicht mehr verplombt, denn man hat seine Insassen schon herausgeholt, und es wäre vorstellbar, daß der Satz, mit Bleistift geschrieben, auf seinen Türen stand: Jetzt sind die Flügel dieser Tür auseinandergerissen, und man liest seine beiden Teile in falscher Reihenfolge, beginnt ihn in der Mitte statt an seinem Anfang und läßt ihn im Nichts enden..." stand so 2004 in der faz.
»Yishai Sarid macht mit seinem kleinen, leisen Buch unmissverständlich klar: Es gibt Verdrängung, aber kein Ende der Erinnerung.« --Deutschlandfunk Kultur
Detailgenau führt Yishai Sarid seine Leser ins Labyrinth dieser Erinnerungsmoral. Ein Buch wie ein Schlag in den Magen. Mit Demut zu lesen.« --Bayern 2
»Monster ist der literarische Nachvollzug einer moralischen Zerrüttung angesichts des Endes der Zeitzeugenschaft, die uns mit dem Holocaust verbindet. Mit schonungsloser Meisterschaft geschrieben, zielt es in das taube Herz der Gedächtniskultur.« -- FAZ
»Er hat eine nüchterne Schreibhaltung gewählt, was für eine beeindruckende Leistung. Akribisch genau und scheinbar ohne ein Gefühl zuzulassen hat er das vielleicht Schwierigste zwischen Juden, Israelis und nichtjüdischen Deutschen zum Thema gemacht.« -- NDR1 Kulturspiegel
Eine Besprechung aus berufenem Munde: click here