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Wissenschaft + Technik
Ruf nach dem Rassepfleger
Wie weit ging Konrad Lorenz' Sympathie für die Nazis? Neue Dokumente lassen den »Vater der Graugänse« als begeisterten Anhänger des NS-Regimes erscheinen.
Von Katja Thimm
07.10.2001, 13.00 Uhr • aus DER SPIEGEL 41/2001
Wäre Konrad Lorenz als kränkelndes Frühchen zur Welt gekommen, hätte ihn sein Vater wohl verrecken lassen. »Ohne ein gewisses Maß an Lebenskraft sollen vorzeitig geborene Kinder das Leben lieber nicht versuchen wollen«, schrieb der angesehene Arzt rückblickend auf Konrads Geburt am 7. November 1903. Ähnlich kompromisslos propagierte er »die Sterilisierung weiblicher und männlicher Idioten, Gewohnheitsverbrecher und Trinker«. Sein Sohn nahm sich daran ein Vorbild: »Ich bin«, erklärte Konrad Lorenz einmal, »durch Vererbung von Eugenik besessen.«
Der Verhaltensforscher, der mit den Gänseküken schwamm, profitierte ungemein vom väterlichen Vermächtnis: Die Lehre von der »Erbgesundheit« war es, die Lorenz'' Karriere den Weg ebnete. Er lieferte, so dokumentiert ein neues Buch, dem NS-Regime eine Legitimation für das menschenverachtende »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« und die »T4-Aktion« von 1939, laut der Ärzte »unheilbar Kranken« den »Gnadentod« verabreichen durften*).
»Damit«, schreiben Benedikt Föger und Klaus Taschwer, »begann das große ''Ausmerzen'' - zunächst von Behinderten und ''Asozialen'', bald aber auch von Juden, Sinti, Roma, Homosexuellen und politischen Gegnern.«
Zwar stand der spätere Nobelpreisträger immer wieder unter dem Verdacht, mit den Nazis geliebäugelt zu haben. Doch taten die Lorenz-Biografen dies meist als verzeihliche Konzession an den Zeitgeist ab.
Die Wiener Autoren belegen jetzt anhand bisher kaum bekannter Briefe, Akten und Aufsätze, wie nahe Lorenz den braunen Machthabern stand. So feierte er den Anschluss Österreichs 1938 in seinen Briefwechseln mit den Biologen Oskar Heinroth und Erwin Stresemann geradezu enthusiastisch: »Wir jubeln alle wie kleine Kinder«, schreibt er. »Wir Österreicher sind die aufrichtigsten und überzeugtesten Nationalsozialisten überhaupt.«
Das brisanteste Zeugnis seiner Gesinnung: der handschriftliche Antrag auf eine NSDAP-Mitgliedschaft vom 28. Juni 1938. »Ich war als Deutschdenkender und Naturwissenschaftler selbstverständlich immer Nationalsozialist«, führt Lorenz darin aus. Er habe »unter Wissenschaftlern und Studenten eine wirklich erfolgreiche Werbetätigkeit entfaltet« und »immer und überall mit aller Macht getrachtet, den Lügen der jüdisch-internationalen Presse entgegenzutreten«. Seine »ganze wissenschaftliche Lebensarbeit«, beteuert er, stehe »im Dienste nationalsozialistischen Denkens«.
Föger und Taschwer entlarven den Tierfreund, der in den achtziger Jahren als vehementer Kernkraftgegner zum »nationalen Gewissen« der Alpenrepublik aufstieg, als karrieristischen Opportunisten: »Er diente sich dem braunen Regime an, indem er seine Forschung als Grundlage nationalsozialistischer Rassenpolitik verkaufte.«
Tatsächlich wurde der in der Heimat nur mäßig erfolgreiche Tierforscher erst an der stramm nationalsozialistischen Universität Königsberg ein ordentlicher Professor. Als Militärpsychiater in Posen bekräftigte Lorenz ab 1942 sein rassenpolitisches Engagement. Er wirkte mit bei einer »völker- und rassenpsychologischen Studie« an 877 »deutsch-polnischen Mischlingen und Polen« - mit dem Ziel, eine Beziehung zwischen Charaktereigenschaften und »völkischem Blutanteil« nachzuweisen.
Bisher galt als Lorenz'' gravierendste Verirrung ein Aufsatz, in dem er seine Thesen über Zähmungs- und Züchtungsfolgen bei Haustieren auf den Menschen übertrug. Lorenz selbst beteuerte später, er habe den Text nur für die Behörden geschrieben.
Föger und Taschwer stießen auf vier weitere, zwischen 1938 und 1943 publizierte Aufsätze. Die »überzivilisierten Menschen« der Großstädte mit ihren »Mopsköpfen« und »Hängebäuchen« vergleicht Lorenz mit überzüchteten Hausgänsen. Tumorzellen gleich durchdrängten sie den »Volkskörper«, erreichten mit ihrem »moralischen Schwachsinn eine sehr viel höhere Fortpflanzungsquote als Vollwertige« und raubten ihnen den Lebensraum. Da helfe, so Lorenz, nur »ein Rassepfleger«, der »auf eine noch schärfere Ausmerzung ethisch Minderwertiger bedacht ist«.
Bereits im Vorfeld der Nobelpreisverleihung 1973 konfrontierten Journalisten den Verhaltensforscher mit seinen früheren Thesen. Lorenz beschimpfte seine Kritiker als Dreckschleudern, leugnete, je Mitglied der NSDAP gewesen zu sein - und gab schließlich, drei Tage vor der Preisverleihung, eine gewundene Erklärung ab, in der er zwar von Bedauern, aber auch viel von Missverständnissen sprach. Seite an Seite mit dem ehemaligen Lagerhäftling und Zoologen Nikolaas Tinbergen empfing der Tierfreund schließlich die Auszeichnung - »eine fast politisch ausgewogene Entscheidung«, spottet Autor Taschwer heute.
Welche Bedeutung der honorige Kreis der Stockholmer Juroren Lorenz'' Vergangenheit beimaß, wird sich, wenn überhaupt, erst im Jahre 2023 erweisen. 50 Jahre lang nämlich liegen die Protokolle der Nobelstiftung nach jeder Preisverleihung unter Verschluss.
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*) Benedikt Föger und Klaus Taschwer: »Die andere Seite des Spiegels. Konrad Lorenz und der Nationalsozialismus«. Czernin-Verlag, Wien; 254 Seiten