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es muss mal wieder ein "ruck"...

Auf zu neuen Ufern
Utopien

Dagegen sein reicht nicht

Eine Kolumne von Ferda Ataman | Der Spiegel


Wie mit den Ereignissen in Thüringen umgehen? Warnungen vor Faschismus sind wichtig. Aber wir dürfen darüber nicht vergessen, eigene Leitbilder für die Zukunft zu erarbeiten.

Wie hätten Sie Deutschland gern in den Dreißiger- oder Vierzigerjahren des 21. Jahrhunderts? Auf jeden Fall anders als im letzten Jahrhundert, werden Sie jetzt vielleicht denken, nie wieder Faschismus und Diktatur. So denke ich zumindest. Aber eine Antwort auf die Frage ist das nicht.

Fällt es Ihnen auch leichter zu sagen, wofür Sie nicht sind, als wofür? Nehmen wir den Fall Thüringen: Das Bundesland ist kaum von Interesse, wenn nicht gerade gewählt wird. Aber die Vorstellung, dass FDP und CDU in einer neuen Regierung mit strammen Neonazis paktieren, hat viele Menschen mobilisiert und bundesweit auf die Straße getrieben. Gegen etwas zu sein ist ein wichtiger Antrieb in der Politik.

Das Problem aber: Den nutzen vor allem die Apokalypse-Profis von der AfD. Sie malen unsere Zukunft burkaschwarz, beschwören den Untergang des Deutschtums und inszenieren sich als Dagegenpartei. Das ist durchaus sinnvoll: Nur so kann man sozialdarwinistische Thesen als vertretbare Lösungen verkaufen.

Dummerweise funktioniert das Dagegensein auch bei Demokrat*innen gut. Seit Jahren lassen wir uns von Rechtsextremisten die Agenda diktieren oder arbeiten uns an neuen Tabubrüchen ab, statt eigene Ideen auf den Tisch zu werfen. Diesen Schuh muss ich mir auch anziehen: In der Heimatkunde-Kolumne habe ich mich vor allem mit Rassismus und dem Rechtsruck beschäftigt.

Doch auf Dauer hat diese Herangehensweise einen Haken: Sie bringt uns nicht voran. Wer ausschließlich mit Dystopien arbeitet, wer antifaschistisch, antikapitalistisch, anti irgendwas argumentiert, bleibt in der negativen Erzählung. Ein weiterer Haken ist, dass unser Gehirn Verneinungen nicht gut verarbeiten kann. Worte wie "anti", "nicht" oder "gegen" funktionieren nicht so, wie sie sollen.

Machen wir einen Versuch. Woran denken Sie, wenn ich sage:
  • Alexander Gauland ist kein Faschist.
  • Nicht nur Chinesen haben das Coronavirus.
  • Die allermeisten Migranten sind nicht kriminell.
Wirkt Gauland dadurch bürgerlicher? Die Infektionswelle weniger "asiatisch"? Denken sie bei nicht kriminellen Migranten an sympathische Leute of Color? Vermutlich nicht. Verneinungen ändern die Bilder nicht, sie arbeiten damit.

Migranten sind kriminell, Muslime gefährlich, Deutsche werden benachteiligt gegenüber Flüchtlingen: Die rechtsextreme Erzählung wird getragen von vielen kleinen Geschichten, die teilweise auch von Progressiven und Liberalen übernommen werden, schreibt die Autorin Julia Fritzsche in einem Essay im aktuellen Missy Magazin. 

Statt immer nur dagegen zu argumentieren, dürfen wir - gerade jetzt – nicht vergessen, auch eigene, positive Leitbilder für unsere Zukunft anzubieten. Fritzsche plädiert hier für neue Sprachbilder und positiv formulierte Ziele, die eine andere Erzählung möglich machen.

Aber ist das genug? Müssen wir nicht mal wieder größer denken? Die Wahrheit ist doch: Die meisten von uns haben unsere Lebensweise als alternativlos akzeptiert und arbeiten nur noch an einzelnen Verbesserungen. Selbst die Rebellen unserer Zeit, die jungen Aktivist:innen von Fridays for Future, reden vor allem über technische Details wie CO2-Zertifikate, mehr Windräder, weniger Kohlekraft.

Statt also "weniger Abschiebungen" zu fordern, 
warum nicht gleich "globale Bewegungsfreiheit" 
vorschlagen?

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich finde die FFF-Bewegung beeindruckend und wichtig. Aber ich glaube, wir brauchen als Diskussionsgrundlage mehr mutige Utopien für die Zukunft. Konzepte, die weiter reichen als "weniger Emissionen" oder #noafd. Das ist natürlich nicht einfach. Aber wir müssen das Rad ja auch nicht neu erfinden. Wir können mit dem arbeiten, was da ist. Für die Themen Nationalismus und Migration gibt es zum Beispiel die Allgemeine Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen. In Artikel eins heißt es da: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren."

Wir könnten daran arbeiten, dass das auch nach der Geburt so bleibt. Statt also "weniger Abschiebungen" zu fordern, warum nicht gleich "globale Bewegungsfreiheit" vorschlagen? Das wäre eine konsequente Umsetzung des Grundrechts auf Freiheit, das laut Vereinten Nationen allen Menschen zusteht. Sollte jemand einwerfen, dass das unseren Wohlstand bedroht, kann man auf den Rest von Artikel eins verweisen: "Sie [alle Menschen] sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Solidarität begegnen."

Oder wie wäre es mit einem Ende der Passlotterie nach Abstammung und Geburtsort? Positiv formuliert: wie wäre es mit einem weltweit flexiblen, offenen Staatsangehörigkeitsrecht? Soll doch jeder selbst entscheiden, wo und mit welcher Nationalität er oder sie leben will.

Und wenn wir schon beim utopischen "think big" sind: Warum nicht Nationalitäten ganz überwinden und eine Weltrepublik mit regionalen Verwaltungsgebieten anstreben? Die ganze Menschheit als Clan – so abwegig ist das in einer aufgeklärten, globalisierten Welt gar nicht.

Als Vorlagen für eine bessere Zukunft gibt es außerdem die UN-Kinderrechtskonvention, die alle Staaten der Welt unterzeichnet haben (außer den USA). Sich daranzuhalten würde bedeuten: Frieden und Naturschutz haben oberste Priorität. Inspiration für positive Zukunftsträume bieten auch andere nationale und internationale Abkommen. Wir sollten sie mehr nutzen.

Trotzdem möchte ich auch weiterhin "Antifaschistin" sein und Menschen feiern, die anti-schwarzen und antimuslimischen Rassismus benennen, die gegen Antiziganismus und Antisemitismus aufstehen, wie es viele in Deutschland tun. Ja, wir brauchen neue, positive Narrative für die Zukunft. Aber Dagegensein ist auch wichtig, wenn es um menschenfeindliche Ideologien und die Zerstörung der Umwelt geht.

Das eine schließt das andere nicht aus. 

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ja - ich fühle mich emotional nach dieser berg- und tal-fahrt in thüringen hin- und hergerissen. da wird es zeit, dass mal jemand auf "das licht" hinweist, das wir im "christlichen abendland" schon seit 2000 jahren als helles ziel genannt bekommen und dem wir hinterherjagen sollen und wollen - aber bei dem wir oft vom schatten verschluckt werden.

frau ataman hat recht, es muss ein paradigmenwechsel einsetzen, mit dem wir uns alle an dem eigenen schopf aus dem sumpf ziehen können.

der alt-bundespräsident roman herzog benannte das ja folgendermaßen: "aber es ist auch noch nicht zu spät. durch deutschland muss ein ruck gehen. wir müssen abschied nehmen von liebgewordenen besitzständen. alle sind angesprochen, alle müssen opfer bringen, alle müssen mitmachen..."

aber da ist es implizit auch wieder: herzog meint nämlich, wir müssten etwas mehr darben, opfer bringen - back to the roots - dann würde sich die welt und die umwelt schon erholen.

aber mir fiel dieser "ruck" eher ein, um zu unterstreichen, was frau ataman hier einfordert: einen ruck hin zum positiven - weg von den negativismen... 
vielleicht sieht so der "ruck" zum positiven aus...


nicht mehr: was wünschst du dir nicht - sondern eher: wie stellst du dir eine zukunft für dich und diese welt vor ? - und dann zu den hirngespinsten das jeweilige für und wider abwägen - und mit der erträumten zukunft gedanklich spielen - und dann den mut haben, es umzusetzen.

endlich wegkommen wieder z.b. auch aktuell von thüringen und diese sonderbaren cdu-/fdp-pirouetten - hin zu plänen für eine gesunde zukunft für dieses land und anderswo.

was hat der herr kemmerich aber auch der herr höcke und der herr mohring - was haben sie in der mittagspause nur "geraucht", um dieses wirrwarr miteinander zu inszenieren - für nichts und wiedernichts... - aber vielleicht ging es ja um die 93.000 €, die herrn kemmerich mit dieser volte nun wohl zustehen.

früher hielt ich politik und ihre repräsentanten für vorbildhafte autoritäten, zu denen man aufblicken konnte: willy brandt, helmut schmidt etwa - und auf seine art auch kohls helmut mit seinen schnodderigkeiten - und dann unser angie mit all ihren tiefs & hochs - aber ich habe mich an sie gewöhnt - und ihrem bekenntnis zu einem von ihr wohl so begründeten begriff der "marktgerechten demokratie".

aber trotzdem - denn da schließt sich nun der kreis: der markt funktioniert ja überwiegend "global": wenn in china das corona-virus tobt, bleiben bei hyundai die fließbänder stehen wegen fehlender kabelbäume - wenn also der berühmte "sack reis in china" umfällt - bricht hier der taifun aus - oder so ähnlich ...

globales denken ist immer auch diverses denken - und umfasst den erdkreis in seiner gesamtheit im miteinander von handel und wandel - und das bedeutet dann "diversität" - "vielfalt" - verständigung über sprach- und nationen-grenzen hinweg - bis hin zur aufhebung all dieser grenzen - und viel viel arbeit für alle - und ein ganz legales ausfliegen aus den abgabeländern in afrika und dem "nahen" osten für "flüchtlinge" in die europäischen nationen im osten, westen, süden, norden - eben nach der prämisse: "alle menschen sind frei und gleich an würde und rechten geboren."

und nur noch wenige menschen hier besuchen die kirchen und "glauben", aber niemand kommt auf die idee, diese konflikt- und kriegbringenden glaubensschranken im hinterkopf auch gleichzeitig mit der kirchenferne aufzulösen und mit zu besiegen - und aufzuweichen zu einer umfassenden glaubens"ökumene" im kopf hin zu einer "abrahamitischen" religion aus allen christen, juden - und allen muslimen: damit der hass untereinander endlich besiegt wird. das festhalten an alte überkommene und eingebläute dogmen friert das hirn zu hasserzeugendem starrsinn ein.

die derzeitigen und früheren bewaffneten auseinandersetzungen sind oft mitgeprägt von hartnäckigen glaubensüberzeugungen und nationalen grenzen. und die werden gern dem "volk" vorgegaukelt, damit die politklasse ihrer geschäfte nachgehen kann: was "unten" als nationaler bzw. glaubenskrieg ankommt und ausgefochten wird, ist oben längst ein offener handelskrieg mit dem ziel, ressourcen zu sichern beim ausbeuten dieser armen welt, um sie als abfallhaufen irgendwem eines tages vor die füße zu kippen...

wir wissen das alles - aber tun es dann sofort als "idealismus" oder als "zu-schön-um-wahr-zu-sein", als "unrealistische träüumerei" ab, ohne tatsächlich daranzugehen, diesen "idealen" zustand mal realistisch zu fokussieren, um ihn zu erreichen und aufzubauen.

ganz früher war es die spd, die "visionen" ins auge fasste und formulierte: "wir schaffen das moderne deutschland" war ein slogan von willy brandt - und es war erst helmut schmidt dann später, der sagte, wer visionen habe, solle zum arzt gehen... - seitdem hapert es mit zukunftsperspektiven bei den deutschen parteien. man verwaltet nur noch die haushalts-konten und schiebt sich pöstchen um pöstchen zu. gerade mal angela merkel hat in der cdu, aber mehr zufällig, ein paar paradigmenwechsel angestoßen: atomkraft abschaffen - und "wir schaffen das" mit den flüchtlingen - aber ist dann parteiintern damit auch auf die nase gefallen... ansonsten wurde mit der fdp all dir koalitionsjahre viel verantwortung einfach mal privatisiert und "outgesourct" - und im übrigen gilt das uralte "weiter so!" - nur die steuererklärung, die gibt's bald "auf nem bierdeckel" (merz).

einzig die grünen tragen - besonders jetzt nach dem debakel in thüringen - noch die hoffnungen auf erneuerung - und für einen "ruck", zu dem uns ja greta thunberg schon den anstoß gegeben hat. 

um die alten verkrusteten strukturen aufzubrechen, braucht es ganz viele kleine - auch private "think tanks" - denkfabriken also, die den dafür benötigten paradigmenwechsel einläuten - vielleicht eben mit einem "ruck" voller power - hin zum licht...