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Peter Lindberghs "Untold Stories"

"Wenn man diesen einen Moment 
nicht findet, 
ist die einzige Möglichkeit 
Harakiri"


Bis zu seinem Tod arbeitete Peter Lindbergh an einer Ausstellung für den Düsseldorfer Kunstpalast, der ersten von ihm selbst kuratierten. Im Gespräch mit Museumsdirektor Felix Krämer erzählte der Fotograf, warum er sich am Ende fragte: "Wer bist du?"


Dieses Interview wurde im Juni 2019 über mehrere Stunden in Peter Lindberghs Studio in Paris geführt. Auch bei den vorherigen Treffen gab es einen regen Austausch über die Ausstellung, die sich über die Vorbereitungsdauer von zwei Jahren zu einem Herzensprojekt von Peter Lindbergh entwickelte. Es gab viele unvergessliche Momente – von einem ersten gemeinsamen Brainstorming über das Ausbreiten Hunderter Bilder auf den Fußböden meines Büros und seines Studios bis hin zu eingehenden Gesprächen darüber, was es bedeutet, eine Ausstellung der eigenen Werke zu kuratieren. Während der immer herzlichen und fröhlichen Zusammenarbeit lag nichts ferner als die Vorstellung, die Ausstellung ohne Peter Lindbergh eröffnen zu müssen, denn bis zuletzt hat er mit voller Passion daran gearbeitet. Felix Krämer

Krämer: Schon bei unserem ersten Treffen haben wir beschlossen, dass du selbst die Werkauswahl für die Ausstellung machst.

Lindbergh: Deine Idee, meine Ausstellung selbst zu kuratieren, hat mich sofort gepackt. Zunächst dachte ich, es sei überhaupt kein Problem. Allerdings habe ich mich in diesem Punkt sehr getäuscht. Die größte Herausforderung ist, dass jedes Foto allen Gedanken, die man dazu haben könnte, standhalten muss. Ist Inhalt wichtiger oder die Fotografie? Kommt Realität vor Interpretation? Was ist Modefotografie? Was sollte sie sein? Ich bin jetzt an dem Punkt, an dem Unschuld keinen Platz mehr hat, an dem man diese Fragen beantworten muss. Da tun sich Tiefen auf, die mir manchmal Angst machen und mich vor die Frage stellen: Wer bist du eigentlich, und woher kommen diese ganzen Bilder?

Krämer: Kannst du ein Beispiel nennen?

Lindbergh: Gleich zu Beginn zeigt die Ausstellung großformatige Bilder. Mit deren Auswahl habe ich mich sehr schwergetan. Man kann eigentlich nichts Intensiveres mit seinen Fotos machen. Ich fühle mich für jedes einzelne Foto in meiner Ausstellung total verantwortlich. Und das ist fantastisch! Ich hatte nichts, um mich dahinter zu verstecken.


Peter Lindbergh (*1944) galt als einer der einflussreichsten Modefotografen unserer Zeit. Er fotografierte - vorzugsweise in Schwarz-Weiß - viele international bekannte Models und Schauspieler. Mit seinem Bild "White Shirts" von sechs späteren Supermodels in Herrenhemden, das 1988 in der "Vogue" erschien, schrieb er Fotografiegeschichte. Seinen Durchbruch hatte er 1978 mit einer Modestrecke im "Stern", wenig später zog er nach Paris. Dort ist er im September 2019 im Alter von 74 Jahren gestorben. Die Ausstellung "Untold Stories" im Düsseldorfer Kunstpalast, ist die erste von Peter Lindbergh selbst kuratierte Werkschau.

Krämer: Die Ausstellung ist dreigeteilt. Am Anfang und am Ende stehen zwei großformatige Installationen. Im Hauptteil präsentierst du die für dich wichtigsten Arbeiten.

Lindbergh: Im Hauptteil der Ausstellung experimentiere ich mit meinen Fotos und zeige emblematische sowie bisher nicht gezeigte Arbeiten paarweise oder in Gruppen, was erstaunliche Interpretationen möglich macht.

Peter Lindbergh - nach einer sinedi.@rt-bearbeitung
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"Es ist unmöglich, wirklich frei zu sein"

Krämer: Den Abschluss bildet der noch nie zuvor gezeigte, schnittlose Film "Testament" von 2014, in dem du Elmer Carroll aufnimmst, den Insassen einer Todeszelle. Ohne sich zu bewegen, betrachtet sich Carroll 30 Minuten in einem Einwegspiegel.

Lindbergh: In "Testament" wollte ich den Betrachter vollkommen wertfrei mit dem Bild des Gefangenen konfrontieren, ohne Details zu dessen Straftaten zu liefern. Die Themen, um die "Testament" für mich kreist, die aber auch sonst immer wieder in meiner Arbeit aufgegriffen werden, sind Introspektion, Ausdruck, Empathie und Freiheit. Letztlich behandelt der Film die Unmöglichkeit, wirklich frei zu sein.

Krämer: Selbstverständlich spielt die Mode in deinen Bildern eine wichtige Rolle. Aber je länger ich mich mit deiner Arbeit beschäftige, desto mehr entdecke ich eine Ambivalenz, die mit dem Abbilden von Mode nichts zu tun hat.

Lindbergh: Ja, denn nirgendwo wird die Mode selbst direkt vermittelt. Das ist mir wichtig. Mein Interesse gilt nicht bestimmten Kollektionen oder Trends, deswegen habe ich auch seit 25 Jahren keine Modenschau besucht. Ich wollte mich nicht von der Mode vereinnahmen lassen. Modefotografie ist nicht dafür da, um Mode zu zeigen. Sie ist ein eigener Kulturbeitrag, wie Mode auch.

Krämer: Meiner Ansicht nach hat es wenig Sinn, in diesen Kategorien zu denken. Zunächst einmal sind es starke Bilder. Welches Label man draufschreibt – Kunst, Nicht-Kunst, Modefotografie, Fotografie – spielt im Prinzip keine Rolle. Letztendlich muss das Bild überzeugen.

Lindbergh: Für viele Menschen ist die Kategorisierung wichtig. Und bei der Modefotografie kommt noch dazu, dass es angeblich ohnehin keine Kunst sein kann, weil es sich um Auftragsarbeit handelt. Dabei ist die Kunstgeschichte voll von Auftragsarbeiten, Tizian hat zum Beispiel alles gemacht, um einen Auftrag zu bekommen. Fotografie ist Fotografie, und das reicht doch.

Krämer: Du arbeitest häufig innerhalb von Konzepten und ganz bestimmten Narrativen.

Lindbergh: Es hilft, sich auf eine Idee oder einen Aspekt zu reduzieren, der als Ausgangspunkt dient. Aber ich habe kein stringentes Konzept, das ich verfolge. Ein Teil meiner Arbeit bleibt mir ein Geheimnis. Gerade bei diesem Ausstellungsprojekt begegne ich meinen Fotos deswegen ganz neu. Als ich meine Fotos das erste Mal an der Wand im Ausstellungsmodell gesehen habe, habe ich mich erschreckt. Es war überwältigend, vor Augen geführt zu bekommen, wer ich bin.

Krämer: Welche Rolle spielt die Schwarz-Weiß-Fotografie für dich?

Lindbergh: Schwarz-Weiß ist in meinen Augen oft authentischer als Farbe. Gerade Porträts wirken stärker durch die Reduktion. Daran sieht man, wie sehr ich von der amerikanischen Reportagefotografie der Dreißiger- und Vierzigerjahre geprägt bin, von Fotografen wie Dorothea Lange, Walker Evans und vielen anderen. In den letzten Jahren habe ich auch die Farbfotografie immer mehr für mich entdeckt, und es gibt inzwischen einige Arbeiten, die ich in Farbe sogar stärker und wilder finde.

"Die Beziehung zu den Menschen ist eine ganz besondere"

Krämer: Was würdest du sagen, war für dich ausschlaggebend, um dich als Fotograf zu etablieren, um zu deinem eigenen Stil zu finden?

Lindbergh: Meine Theorie ist, dass man erst einmal existieren muss. Auch ich bin nicht als Peter Lindbergh geboren, und gerade am Anfang war es ein schwieriger Weg. Überraschend gelingt einem dann etwas, und die Leute beginnen zuzuhören. Das kann zehn Jahre dauern, aber so fängt man langsam an zu existieren. Möchte man ernst genommen werden, muss man als Künstler das machen, was sich für einen selbst richtig anfühlt. Es gibt Situationen, in denen man den Mut aufbringen muss, den Ereignissen zu folgen und jeder Art von Kontrolle zu widerstehen. Manchmal betreibt man den größten Aufwand – mehrere Lastwagen, Kräne, Sturmmaschinen, extravagante Dekorationen – und es fühlt sich nach nichts an. Anschließend stellt man fest, dass ein Mensch, der einfach vor einer Mauer steht, viel mehr rüberbringt. In beiden Arten von Settings kommt es auf den einen Moment an. Wenn man diesen nicht findet, ist die einzige Möglichkeit Harakiri. Dann muss man noch mal ganz von vorn anfangen.

Krämer: Kannst du beschreiben, wie man den Moment trifft?

Lindbergh: Vieles ergibt sich fast von selbst. Das Foto entsteht in einer Sekunde, die man nicht voraussehen kann, es passiert einfach. Unter Umständen merkt man es gar nicht. Erst im Nachhinein betrachtet man die Bilder und findet das eine, richtige Foto.

Krämer: Ist Kreativität ein seltenes Glück?

Lindbergh: Aus meiner Perspektive verfügen wir alle über diese Form von Kreativität, aber die meisten kommen eben nicht dran, weil sie sich irgendwo im Bauch versteckt. Denn jeder sieht ja, jeder hört, jeder fühlt. Nur nicht jeder bekommt das in eine Sprache übersetzt. Je freier du wirst – egal, wie es passiert –, desto weiter wird auch dein Blickwinkel.

Krämer: Letztendlich geht es also um das Schauen. Fotografieren können ist das eine, aber aus den gemachten Bildern das richtige auszuwählen, ist genauso wichtig.

Lindbergh: Einige Art-Direktoren sind überrascht, dass ich meine Bilder selbst durchsuche, um das richtige Motiv zu finden, und niemand eine Vorauswahl für mich macht. Aber andere können immer nur versuchen, sich in mich reinzudenken. Für sie ist es schwierig, Überraschungen und Ausrutscher zuzulassen – die schlussendlich vielleicht genau das sind, was ich gesucht habe.

Krämer: Was mich an deinen Bildern auch fasziniert, ist das Interesse am Menschen. Du dringst fast ein in die Person, die du fotografierst.

Lindbergh: Die Beziehung zu den Menschen, die ich porträtiere, ist eine ganz besondere. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen sich selbst zu den Shootings mitbringen und keine Show veranstalten. Sie versuchen nicht, irgendjemand zu sein, der sie nicht sind. Inzwischen geschieht das quasi von allein.

Krämer: So wie du es beschreibst, hast du zu den Menschen auf deinen Fotos einen besonderen Draht.

Lindbergh: Man muss natürlich unterscheiden, ob ich die Person am Set das erste Mal treffe oder ob ich über die Jahre schon mehrfach mit ihr zusammengearbeitet habe. Wobei es auch passiert, dass ich schnell einen sehr guten Zugang zu jemandem bekomme, den ich erst seit zwei Stunden kenne. Charlotte Rampling hat mal gesagt: Sie fände es schöner, wenn ich zeige, wer sie ist, als wenn sie es selbst tut. Was für ein Kompliment!
🔴"Peter Lindbergh: Untold Stories" - vom 5. Februar bis zum 1. Juni 2020 im Düsseldorfer Kunstpalast.





der spiegel hatte zum tod von peter lindbergh im september als nachruf einen artikel aus dem jahr 2017 abgedruckt - mit der fantastischen, tiefblickenden und vielsagenden überschrift: "hömma, kate".

und mit diesen beiden "worten" ist vieles von peter lindbergh gesagt und ausgedrückt: wenn er immer mal wieder bei seiner arbeit in den alten ruhrpott-slang seiner kindheit und jugend in duisburg versinkt, der das "hömma" (hochdeutsch: hörmal [zu]) oft vor aussagen setzt, um ein gewisses "aufmerken" vom angesprochenen gegenüber abzurufen - "achtung" - vielleicht "aufgepasst" - oder: "ich hab da mal ne idee - versuch es doch so und so nochmal...".

und so spricht eben dieser mann bei der arbeit, in der er ganz aufgeht, wenn er seine serie mit der kamera "schießt" - eben auch mit kate moss: "hömma, kate..." - und dann vergisst er sein umfeld, dann hat er nur noch augen auf sein model - und im kopf den fortgang seiner imaginären story, die er sich dazu ausgesponnen hat - in der nacht vielleicht - kurz bevor er gegen 4 uhr vielleicht für 3-4 stunden schlaf findet.

und vielleicht war er da - jetzt - dieser moment, der nur einen verschlusszeit-augenblick dauert, vielleicht ein kurzes abdrehen in die zukunft im gesichtsausdruck von kate moss, das aber hervorragend in sein kopfkino passt - vielleicht der schatten einer möwe auf ihren nasenflügeln - dieser eine moment, der hinterher ausreicht, um von peter lindbergh ausgewählt zu werden, als   d a s  abzuliefernde foto, auf das er gewartet hat - und das er selbst aussucht aus all den abzügen: die guten ins töpfchen - die schlechten ins kröpfchen.

tja - und wenn man an diesem nachmittag diesen einen "genialen" click nicht findet, fängt die sitzung, das shooting, von vorn statt - am nächsten tag, bei gleichem sonnenstand und licht-einfallswinkel: "hömma, kate" ...

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