Feuilleton
Greenwashing
Die Kunst der Scheinheiligkeit
Natürlich ist die Kulturwelt ganz entschieden für den Klimaschutz – und produziert doch Treibhausgase in gigantischem Ausmaß. Ist das der Preis der Weltläufigkeit?
Von Hanno Rauterberg
DIE ZEIT Nr. 32/2019, 1. August 2019
Touris, die auf Touris starren: Performance im litauischen Pavillon auf der Biennale in Venedig © Gianni Cipria/The New York Times/Redux/laif |
Kaum ein anderes Thema beschäftigt die Künstler gerade mehr als die Klimakatastrophe. Sie protestieren gegen Plastikmüll und Treibhausgase, beklagen verseuchte Meere und vergiftete Bienen, fragen nach der Zukunft von Packeis, Artenvielfalt und Regenwald. Mit all dieser Klimakunst ließe sich bequem ein eigenes großes Museum bestücken, ein Schauhaus der Trauer und Mahnung.
Doch bringt das irgendetwas? Kann eine Kunst, die das Gute und Richtige propagiert, mehr sein als ästhetischer Ablasshandel?
Niemand, der die Biennale in Venedig besucht, die gerade ganz im Zeichen des Klimawandels steht, muss erst davon überzeugt werden, dass Plastik im Meer nichts zu suchen hat. Niemand, dem man die Schädlichkeit der allgemeinen Reisegeilheit erst erklären muss und der die Apathie der Gegenwart nicht ähnlich kritisch sieht wie etwa der litauische Pavillon mit seiner preisgekrönten Performance (unser Bild).
Wenn sich aber Künstler und Publikum so wunderbar einig sind, entwickelt die Kunst weniger eine aufklärende als eine besänftigende Wirkung. Der Besucher investiert Geld und Zeit, um die Werke zu betrachten, und bekommt im Gegenzug das gute Gefühl vermittelt, selbst keiner der geschmähten Touristen zu sein, sondern etwas ganz anderes, etwas Besseres: ein Reisender in Sachen Kultur, der garantiert auf der richtigen Seite steht. Gerade dieses Wohlgefühl ist natürlich die beste Voraussetzung dafür, dass alles schön beim Alten bleibt.
Wie wirkungslos eine sozial und politisch gepolte Kunst in der Regel ist, zeigt sich bereits daran, dass Künstler-Appelle grundsätzlich nur die anderen meinen. Diese anderen sind es, nicht die Künstler selbst, auch nicht die Museen, Theater oder Filmstudios, die sich ganz dringend ändern sollen. Es gilt die alte Regel: Je moralisierender das Pathos der Kunst, desto schwächer die Bereitschaft zur Selbstkritik.
So wird auf Theaterbühnen mit Verve gegen den ausbeuterischen Neoliberalismus gewettert, während kaum eine Branche ausbeuterischer mit dem eigenen Personal umgeht als eben die Theater. So kämpft man auf der Kinoleinwand für Diversität und Geschlechtergerechtigkeit, nur damit am Ende doch wieder die wichtigsten Oscars an weiße Männer verliehen werden. Und auch die üppig blühende Klimakunst hat keineswegs zur Folge, dass Großausstellungen schrumpfen und Künstler ihre oft ausufernden Materialschlachten eindämmen würden.
Die Kulturwelt insgesamt, vor allem aber der Kunstbetrieb produziert einen ökologischen Fußabdruck, der ähnlich maßlos ist wie der Geltungsdrang der Branche. Es gilt als Selbstverständlichkeit, dass Kuratoren für einen kleinen Atelierbesuch um die halbe Welt jetten, dass immerzu Kunstwerke per Flugexpress versandt werden und bei den Messen in Miami oder Basel die Flughäfen nachgerade verstopft sind, weil so viele Sammler mit einem Learjet anreisen. Ein Künstler wie Ólafur Elíasson erzählte schon vor Jahren, dass er fast ununterbrochen mit dem Flugzeug unterwegs sei, um alle Ausstellungen betreuen, alle Auftraggeber sprechen zu können oder auch mal 122 Tonnen Grönlandeis nach London verschiffen zu lassen, wo sie als Kunstaktion pittoresk vor sich hin tauten. Auch sonst übrigens wirbt Elíasson mit einigem Elan für mehr Umweltbewusstsein.
Die Kunsthalle in Hamburg verschlingt fast drei Millionen Kilowattstunden pro Jahr
Über die Jahre haben viele in der Kulturwelt diese Doppelmoral derart verinnerlicht, dass sie hellauf erstaunt waren, als vor ein paar Tagen die Tate in London den Klimanotstand ausrief – und das tatsächlich auf sich selbst, auf die eigene Arbeit als Museum bezog. Mit grünem Strom, mehr veganen Gerichten auf der Speisekarte und neuen Reiserichtlinien für die Mitarbeiter will man dort bis 2023 den CO₂-Ausstoß um mindestens zehn Prozent reduzieren. Das hört sich nicht sonderlich ehrgeizig an, und überhaupt wirkt die Initiative nicht unbedingt wie eine Pioniertat. Und doch, sie ist es, jedenfalls gemessen an der Ignoranz der restlichen Branche.
Kein anderes großes Museum, Theater oder Kino hat bislang die eigene Klimabilanz durchleuchtet und öffentlich hinterfragt. Dabei ist der Energieverbrauch vieler Häuser gigantisch. Die Kunsthalle in Hamburg zum Beispiel verschlingt für Heizung, Kühlung, Lüftung und Beleuchtung fast drei Millionen Kilowattstunden pro Jahr und zahlt dafür eine halbe Million Euro. Zwar versucht das Museum schon seit Jahren seinen Energiebedarf einzuschränken, durch bessere Lampen oder Klimageräte. Der Verbrauch ist allerdings stets derselbe geblieben, weil immer neue Stromfresser hinzukamen: durch mehr Depots, mehr Ausstellungssäle, mehr Außenbeleuchtung.
Ähnlich in der Tate Modern in London: Hätte sie nicht vor drei Jahren einen riesigen neuen Flügel errichtet, das Switch House, sähe die Ökobilanz heute viel besser aus. Nichts aber lag den Direktoren ferner, als die Erweiterung aus ökologischen Gründen infrage zu stellen. Denn es machen ja alle so: Expansion ist Ziel und Zweck und im Grunde der letzte Seinsgrund der Kulturwelt. Nur wer noch mehr Besucher anlockt, noch höhere Einnahmen hat, noch kühnere, tollere Werke vorweisen kann, gilt als erfolgreich und wird von der Kulturpolitik in Ruhe gelassen.
So dient die Klimakunst zuallererst dem Greenwashing. Sie soll ablenken von der kapitalistischen und letztlich umweltschädlichen Steigerungslogik, der die meisten Museen, Konzerthäuser und Theaterfestivals gehorchen. Längst ist die Kultur kein Selbstzweck mehr, sie soll Touristen anlocken, das städtische Image zum Funkeln bringen, die Kreativen aus aller Welt anziehen. Sie soll, mit einem Wort, das Wachstum ankurbeln. Und kein Dorf ist zu einsam, keine Landschaft zu entlegen, um nicht irgendein Rock- und Elektrospektakel, eine Land-Art-Ausstellung, eine Lese- und Vortragsreihe aufzubieten und damit ebenfalls die Selbstvermarktung voranzutreiben.
Dass Kultur auch Konsum bedeutet, ist nun keine ganz frische Erkenntnis, sie gewinnt jedoch durch die Klimadebatte erheblich an Brisanz. Denn ganz gleich, wie viel Strom ein Museum wie die Tate in Zukunft einspart, egal, wie viele Veganer sie verköstigt – in der Gesamtbilanz wird ihr ökologischer Fußabdruck nur dann wirklich schrumpfen, wenn sie sich dem Wachstumszwang verweigert. Und das heißt: wenn sie emsig daran arbeitet, dass künftig weniger Besucher kommen.
Fast sechs Millionen waren es 2018, und klar, man ist stolz darauf, einmal mehr die Vorjahresmarke zu überbieten. Nun fliegen nicht alle Besucher, nicht alle kommen nach London, einzig um die Tate zu besuchen. Doch legt es ein Museum dieser Größe natürlich darauf an, seinen globalen Einfluss zu mehren und möglichst die ganze Welt nach London zu ziehen, damit auch wirklich alle begreifen, wie machtvoll es selbst und wie wichtig die Kunst ist.
Das Museum muss auch gar nicht viel dafür tun, die Besucher kommen ganz von allein, seitdem der Kulturtourismus boomt. Die billigen Flüge machen’s möglich, mal kurz nach London, Rom oder Budapest zu reisen. Und überdies gehört es im kognitiven Kapitalismus fast schon zwingend dazu, sich überall ein wenig auszukennen und selbstverständlich die wichtigen Kulturstätten aufzusuchen. Der Mensch der Gegenwart soll so polyglott wie irgend möglich leben, ein Connaisseur des Pluralen und Diversen, der sich für maurische Fliesen ebenso interessiert wie für Skulpturen der Inuit oder die jüngste Performance von Anne Imhof.
Keine belehrende Biennale-Kunst mehr
Entsprechend beginnen viele Museen ihr Selbstverständnis zu wandeln: Endlich weitet sich der Blick, endlich befasst man sich auch mit nicht westlichen Künstlern. Und so wird auch die kommende Documenta von einem Künstlerkollektiv aus Indonesien kuratiert werden.
Die Abgründe dieser Transnationalisierung liegen dabei offen zutage und werden dennoch sorgsam beschwiegen. Schon die vorige Documenta produzierte Treibhausgase in kaum vorstellbarer Menge, da die Ausstellung in Kassel und ebenso in Athen stattfand, mit der Folge, dass Künstler, Kuratoren, Kritiker permanent hin- und herflogen und dasselbe auch ihrem Publikum nahelegten. Damit aber nicht genug: Die Globalisierung des Blicks, so lehrreich er sein mag, weckt in vielen Menschen den überaus verständlichen Wunsch, der Kunst und den Künstlern hinterherzureisen. Sie möchten sich selbst ein Bild machen, wollen eintauchen in jene Kulturen, die ihnen das Museum nahebringt. Und verfallen so der ökologischen Unvernunft, die der Kulturbetrieb ihnen vorlebt.
Ein finsteres Dilemma: Die Grand Tour des 19. Jahrhunderts, dieser obligatorische Bildungsausflug für die gehobenen Kreise, ist über die Jahre zur Greatest Tour geworden, zu einer nie endenden Tournee, an der mehr Menschen denn je ihr Vergnügen finden. Die Kultur hat sich demokratisiert, die Bereitschaft zur kosmopolitischen Kunstschau ist allgemein geworden, doch hat diese Form der Weltneugier ihren Preis, und den zahlen: erstens die Umwelt und zweitens der ärmere Teil der Menschheit.
Bekanntlich schaden vor allem die Wohlhabenden und Superreichen dem Klima, denn selbst wenn sie sich fleischlos ernähren und gern mal mit dem Fahrrad fahren, fällt ihr Konsum insgesamt deutlich üppiger aus, und zu diesem Konsum gehört nicht zuletzt der regelmäßige Kultur- und Städtetrip. Die böse Pointe des Dilemmas besteht also darin, dass sich die Kulturwelt zwar mit verstärkter Neugier den einst kolonial Unterdrückten und sozial Deklassierten zuwendet – gerade diese aber unter den Folgen der entfachten Neugier leiden. Am meisten wird der Klimawandel ja jenen zusetzen, die ohnehin schon arm sind und in Gegenden wohnen, die hoffnungslos verdorren oder hinweggeschwemmt werden. Die kulturelle Anerkennung der Kosmopoliten dürfte ihnen spätestens dann herzlich egal sein.
Wohl dem, der immer schon lieber nach Helgoland als nach Bali fuhr. Der lesend die schönsten Exkursionen unternahm, weltläufig im Geiste. Er ist der wahre Avantgardist, ein Meister umweltschonender Trägheit. Während der Rest der Menschheit hektisch nach einem besseren Selbst sucht und inständig hofft, es in unbereister Fremde zu finden, sitzt der Avantgardist emissionsarm auf dem Sofa und erfreut sich seiner Imagination. Alle zirkulieren, Waren, Daten, Leiber. Er hält die Füße still.
Es wird gewiss nicht leicht für die Kulturwelt, sich an diesem neuen Typ von Avantgarde ein Beispiel zu nehmen. Künftig wären die gewohnten guten Nachrichten – Wieder mehr Verlage auf der Buchmesse in Frankfurt! Noch ein Museum für Berlin! – vor allem Grund zur Sorge, dass aus dem Nullwachstum wieder nichts werden könnte. Künftig müsste man den eigenen Tatendrang drosseln. Anderseits, wie angenehm könnte das sein! Dem alten Erfolgsdruck entkommen! Endlich mal erproben, was ein neuer Regionalismus für die Kultur bedeuten würde und ob sich der Sinn fürs Fremde nicht überaus belebt, wenn man die lokalen Eigenheiten in den Blick nimmt.
Provinziell wäre diese Zukunft, doch man würde es als Lob verstehen. Keine Sicherheitsschleusen mehr, keine drittklassigen Hotels in Singapur oder New York. Und ja, auch keine belehrende Biennale-Kunst mehr. Käme es so, man müsste der Klimakrise dankbar sein.
wer geht, hinterlässt spuren - warum, woher und wohin auch immer |
ähhh - ich meine: ist das hier jetzt der aufruf für eine neue "kulturscham": die scham nämlich, kultur "im original vor ort" zu genießen: nicht mehr zu großen festvals zu fahren und zu fliegen, die biennalen allerorten zukünftig zu meiden und natürlich auch den besuch der documenta und der großen museen ...
okay - aber muss man dann auch die bundesliga mit den vielen "auswärts-spielen", die euro-championsleague etc. pp. erst recht, die olympischen spiele, den kirchentag alle 2 jahre usw. usf. nicht auch mal in dieser richtung kritisch hinterfragen: könnten das nicht auch aus umweltschutz-gründen alles studio-veranstaltungen ohne viel publikum übertragen von medien sein ???
nun gut - als stubenhocker verbrauchen wir weniger energie - und ich persönlich schaue viel "kultur" auf meinem desktop-pc und meinem smartphone und dem tolino - auch mit ausländischen "culture"-sites ... aber jetzt in meinem urlaub - so lange der noch erlaubt ist - besuche ich ganz ökologisch ein konzert des schleswig-holsteinischen musikfestivals, weil das justement mit auf dem weg in meiner aufenthaltszeit dort liegt ...
du siehst - ich tue schon mein möglichstes: aber als rentner - man gönnt sich ja sonst nichts - werde ich auch mal für eine ausstellung oder kunstmesse von bielefeld nach basel reisen oder nach amsterdam - oder an die belgische küste - wer weiß, was kommt - ich lass mich da von den kulturnachrichten - auch in der "zeit" - ganz einfach treiben.
aber vor lauter "shamings" darf man nun auch nicht die mobilität gänzlich kaputtreden: so lange das für die "konsumenten" "sinnvoll" ist ... natürlich sollte man dann für die anreise, für die unterbringung, für die auswahl der musentempel usw. wieder sein ökologisches gewissen einschalten für die einzelentscheidungen - aber so "dicke" habe ich es auch nicht, das mir so etwas gänzlich egal wäre - koste es mir und der umwelt, was es wolle ...
für mich spiegelt der artikel aber auch die crux wider: wer eindrücklich über kunst und kultur all die vielfältigen sünden an der umwelt durch unsere antrainierten lebensgewohnheiten darstellen und dem publikum näherbringen will, produziert selbst bei diesem prozess sooooviel an umweltbelastungen zusätzlich, dass man es wohl in dieser schulmeisterlichen art lassen sollte ... -
vielleicht nimmt man stattdessen an der nordsee einfach mal an einer wattwanderung teil - oder schmeißt bei "mc donalds" die aufwändige einzel- in dreifach-verpackung und die plastikgäbelchen und entsorgt sie in einer spontanen "kunstaktion" direkt noch vor dem bedienungsthresen: dann hätte dieser unsinn dort vielleicht wenigstens bald ein ende ...