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Democracy is coming - die Hellsicht des Leonard Cohen 1992

Da bin ich der WELT dankbar, dass sie just zur Wahl Bidens und zur Abwahl Trumps in den USA an den hellseherischen Song von Leonard Cohen "Democracy is coming to the USA" von 1992 erinnert, dessen Sinn sich erst in diesen Momenten erschließt, 28 Jahre später. Denn wir begreifen sehenden Auges: "Demokratie" ist nicht einfach "natürlich" gegeben und fällt nicht vom Himmel, sondern ist ein mühsamer immer wieder neu durchzustehender Prozess des Werdens und Vergehens im Umgang der Menschen im Mit- und Untereinander.

Und gerade in diesen Tagen erleben wir in den USA, wie schwach und fragil entwickelt dort diese "Demokratie" nur ausgebildet scheint - wo wir hier in Deutschland glaubten, dort habe man die "Demokratie" quasi in den Genen mit geliefert bekommen.

Dieses Hin- und Her-Getöse von Donald Trump in den vergangenen 4 Jahren hat man ja vielleicht noch als "Fettnäpfchen" gewertet und als "Elefant im Porzellanladen", aber inzwischen sehen wir dieses zarte schützens- und behütenswerte Pflänzchen Democracy mit anderen Augen.

Aber dieser Keim einer "Demokratie", so meine ich, ist auch immer ein Spiegelbild der Menschen, die da zusammengekommen sind, um miteinander Leben zu teilen, "ein jeglicher nach seiner Facon".

Gerade zu Corona-Zeiten erleben wir hautnah, wie wichtig Vorsicht- und Rücksichtnahmen sind in der Begegnung und im Miteinander. "Demokratie" ist so etwas wie eine zartwachsende Liebe, die zum Gelingen strebt.

Der Schlussakkord im Dokumentarfilm von 2019 "Marianne & Leonard: Words of Love" (Amazon - click here) führt das noch einmal vor Augen: Als die sterbende Freundin und Geliebte Cohens Marianne Ihlen in ihrem Bett mit Beatmungsschläuchen in der Nase eine Abschiedsmail von Leonard Cohen vorgelesen bekommt, der dann drei Monte nach ihr 2016 an Krebs stirbt: 

„Marianne, wir sind nun beide in dem Alter angekommen, da unsere Körper langsam anfangen, zu vergehen – und ich denke, dass ich dir bald folgen werde. In dem Wissen, dass ich so nah bei dir bin, kannst du einfach deine Hand ausstrecken, und ich denke, du wirst meine erreichen. Du weißt, dass ich dich immer für deine Schönheit und deine Weisheit geliebt habe, aber ich muss gar keine Worte mehr darüber verlieren, denn du weißt das alles schon. Aber jetzt wünsche ich dir eine gute Reise. Good Bye, meine liebe Freundin. In unendlicher Liebe, ich sehe dich ganz bald. Du weißt, dass ich dich immer für deine Schönheit und deine Weisheit geliebt habe.“

Und so wie diese durch alle Tiefen und Höhen gegangene und trotzdem bleibende Liebe über den Tod der beiden hinaus zumindest ideell immer weiterlebt - so ist das mit diesem Flämmchen, diesem Pflänzchen der "Demokratie": ein Mühen und ein Bewahren, ein Werden und Vergehen - und immer wieder die Wiederkehr ins Leben und ins Bewusstsein: "Democracy is coming - over & over again ... - si


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„DEMOCRACY IS COMING TO THE USA“

Die Prophezeiung des Leonard Cohen

Von Hannes Stein - WELT.de / Kultur

Was ist bloß los in Amerika? Steht das Land am Abgrund – oder vor einem neuen Anfang? Wer die USA im Jahr 2020 verstehen will, muss jetzt einen Song von 1992 hören. Der Prophet am Mikrofon: Leonard Cohen. Seine Hoffnung gründete auf ganz bestimmten Menschengruppen.

Das Jahr war 1992. Tout le monde war optimistisch: Die Mauer war gerade eben gefallen, Saddam Hussein besiegt, der amerikanische Präsident hatte eine „neue Weltordnung“ ausgerufen, die ethnischen Gemetzel im ehemaligen Jugoslawien hatten noch nicht begonnen. Manche sprachen allen Ernstes vom „Ende der Geschichte“.

Aber einer sah weiter und tiefer und klarer: der kanadische Liedermacher Leonard Cohen. Sein Lied fängt an wie ein langsamer Marsch. Schlagzeug im Hintergrund. Eine eintönige Melodie, dann beginnt Cohen auf der CD „Future“ zu singen. Ach, was heißt hier singen — eigentlich spricht er die Verse nur, mit seiner schönen rauen Bassstimme. „It’s coming through a hole in the air“, sagt er, „from those nights in Tienanmen Square.“

Die Erinnerung an das Massaker, das die Panzer auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking angerichtet hatten, war damals noch ganz frisch. Chinesische Studenten hatten dort aus Pappmaché eine plumpe, aber deutlich erkennbare Nachbildung der Freiheitsstatue von New York hergestellt.

Sie kommt durch ein Loch in der Luft, aus jenen Nächten am Tienanmen Square. Sie kommt aus dem Gefühl: Das hier ist nicht wirklich real — oder wenn es doch real ist, dann nicht ganz da.“ Wer kommt in Leonard Cohens Lied? „Democracy is coming to the USA.“ Die Demokratie kommt in die Vereinigten Staaten.

Kein Zustand, sondern ein Prozess

Eine tolle, eine raffinierte und frappierende Zeile. Denn schließlich glauben die meisten Menschen, dass die Demokratie längst dort ist, dass sie in Amerika seit 240 Jahren ihren festen Wohnsitz hat. Der Kanadier Leonard Cohen wusste es besser: Die Vereinigten Staaten waren am Anfang ein Mittelding aus Gulag (den Plantagen in den Südstaaten) und patriarchalischer Republik.

Seit 1828 durften alle weißen Männer wählen, aber natürlich nicht die Frauen, nicht die Sklaven, nicht die Ureinwohner. Bis 1965 waren Schwarze in den Südstaaten vom demokratischen Prozess ausgeschlossen. Die amerikanische Demokratie war nie ein Zustand, sie ist ein Prozess – mit Fortschritten und Rückschlägen, mit schönen und schrecklichen Überraschungen.

In der amerikanischen Demokratie baumelten die Leichen von schwarzen Männern und Frauen an Bäumen. In der amerikanischen Demokratie schossen Soldaten auf Ureinwohner und deckten sich Arbeitslose im Central Park mit Zeitungen zu. „Segle weiter, segle weiter, du mächtiges Schiff des Staates“, singt Leonard Cohen in seinem Lied. „Segle zu den Stränden der Bedürftigkeit, vorbei an den Sandbänken der Gier und durch die Sturmböen des Hasses. Segle weiter, segle weiter, segle weiter.“

Der Kummer in den Straßen

Woher kommt die Demokratie in Cohens Lied? Nicht aus den viel beschworenen „Checks and Balances“ der amerikanischen Verfassung, sondern vom Rand der Gesellschaft. Von der Straße: „It’s coming from the sorrow in the street/ The holy places where the races meet.“ Sie kommt aus dem Kummer in den Straßen, jenen heiligen Orten, wo die Rassen einander begegnen.

Es ist schwer, dabei nicht an die Demonstrationen nach dem Mord an George Floyd zu denken. Ja, hat dieser Liedermacher denn alles vorhergesehen? Die Demokratie kommt von den Feministinnen: „From the homicidal bitchin’/ That goes down in every kitchen/ To determine who will serve and who will eat.“ Die Demokratie kommt aus dem mörderischen Gezänk, das in jeder Küche tobt — und bei dem entschieden wird, wer das Essen aufträgt und wer essen wird.

Die Demokratie kommt aus der Religion — „aus der Bergpredigt“, sagt Leonard Cohen, „von der ich nicht vorgebe, dass ich sie auch nur im Geringsten verstehe.“ Und sie kommt von den Arbeitern, von denen, die in der Autoindustrie schuften: „From the proud, the brave, the battered/ Heart of Chevrolet.“

Wiege des Schlimmsten, Wiege des Besten

Cohen bewunderte die Vereinigten Staaten — er liebte die bunte, manchmal anarchische Vitalität des Landes. „It is coming to America first/ The cradle of the best and of the worst/ It is here they got the range/ And the machinery for change/ And it’s here they got the spiritual thirst.“ Die Demokratie kommt als Erstes nach Amerika, weil hier die Wiege des Schlimmsten und des Besten steht. Hier haben die Leute die Weite und die Maschinerie der Veränderung, und hier haben sie auch den spirituellen Durst.

Cohen mag dabei an die amerikanische Bürgerrechtsbewegung gedacht haben, die ja eine zutiefst religiöse Bewegung war: getragen von Pastoren wie Martin Luther King und Rabbinern wie Abraham Joshua Heschel. Leuten, die Amerika an seinem eigenen Anspruch maßen – am Versprechen von „Leben, Freiheit und dem Streben nach Glück“.

Die letzte Strophe ist schon beinahe prophetisch. 

„Ich bin sentimental, wenn du verstehst, was ich meine/ Ich liebe das Land, ich kann nur die Landschaft nicht aushalten./ Und ich bin weder links noch rechts/ Ich bleibe heute Nacht nur zu Hause/ Und verliere mich in diesem hoffnungslosen kleinen Bildschirm./ Aber ich bin stur wie Mülltüten/ Die von der Zeit nicht verwest werden können/ Ich bin Müll, aber ich halte immer noch/ Diesen wilden kleinen Blumenstrauß hoch:/ Die Demokratie kommt in die Vereinigten Staaten.“

Unter der Gewalt des Mondes

In dieser Strophe scheint beides gleichzeitig zu stecken: die abgrundtiefe Verzweiflung 2016, als Trump vom Wahlmännerkollegium – gegen den Willen der Mehrheit des amerikanischen Volkes – zum Präsidenten ernannt wurde, und die Erleichterung, die volksfesthafte, beinahe revolutionäre Fröhlichkeit, als der Albtraum 2020 endlich vorbei war.

Auch das Bündnis der Linksliberalen mit den Konservativen, den „Never-Trump-Republikanern“, scheint hier schon vorgeahnt zu sein. Die „hoffnungslosen kleinen Bildschirme“ trägt jeder als Smartphone in seiner Hosentasche. Und dass die Hoffnung auf die Demokratie in Amerika so wenig verwest wie die Mülltüten, ist keine poetische Metapher. Es ist einfach eine Tatsache.

„It’s coming like the tidal flood/ Beneath the lunar sway/ Imperial, mysterious/ In amorous array/ Democracy is coming to the USA”, heißt es am Schluss. Sie kommt wie eine Springflut unter der Gewalt des Mondes daher – imperial, majestätisch, in der Anordnung der Liebe. Das ist wie eine exakte Beschreibung des zähen Wartens auf die Auszählung der Stimmen in den Swing States, in denen es eine Nacht lang so aussah, als habe Trump gewonnen – bis endlich klar wurde, dass Joe Biden in Pennsylvania und Nevada, in Arizona und Georgia längst die erforderlichen Mehrheiten der Stimmen hatte.

Das Experiment

Sogar linke Demokraten lernten in diesen Stunden, das „Electoral College“ zu lieben, das Wahlmännersystem, durch das die Stimmen bei einer Präsidentschaftswahl über das ganze riesige Land verteilt werden: Kein Mensch, der bei Sinnen ist, kann dieses Ergebnis anzweifeln. Und war es nicht wie ein kollektiver Orgasmus, als am Samstag kurz vor Mittag die Fernsehanstalten das Ergebnis verkündeten, als die Leute auf Töpfe schlugen, klatschten, jubelten, als in Washington und New York die Kirchenglocken zu läuten anfingen?

nachrichten von der anderen seite

Auf den Spuren des Liedermachers und Poeten

Die Karriere kostete Leonard Cohen die große Liebe

Eine Doku ergründet die traurige Liebesgeschichte des Sängers mit Marianne. Und bald erscheint sein letztes Album posthum. Der Abschied fällt schwer. 

VON RÜDIGER SCHAPER | TAGESSPIEGEL


LC-Graphic: sinedi.art

Es waren bittere Tage im November 2016. Donald Trump gewinnt die Wahl zum US-Präsidenten, und Leonard Cohen verlässt uns. Seither scheint eine Ewigkeit vergangen zu sein. Der Eine fehlt, der Andere ist überfällig.

Im Sommer jenes Jahres, in dem wir uns auch von Prince und David Bowie verabschieden mussten, war in Oslo Marianne Ihlen gestorben, Cohens Partnerin so vieler Jahre, seine „griechische Muse“, wie sie selbst sagt. Ihre Liebe dauerte bis in den Tod: Nur dass zwei Menschen sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben können, was Liebe heißt.

Davon erzählt Nick Broomfields Dokumentarfilm „Marianne & Leonard – Words of Love.“ Eine Elegie im Schwarzweiß der knalligen, bunten, überdrehten Sechzigerjahre, mit bisher unveröffentlichtem Material des vor vier Monaten verstorbenen Doku-Meisters D. A. Pennebaker, der mit „Don’t Look Back“ berühmt wurde: Bob Dylan 1965 on tour in Großbritannien. Ein ähnliches Muster: Da ist es John Baez, die dem bockigen Barden den Weg ebnet und verlassen wird.

Hydra, 1960. Auf der Insel leben damals Künstler, Aussteiger, spirituelle Tramps. Der junge kanadische Dichter aus Montreal und die schöne blonde Frau aus Norwegen, mit dem Schriftsteller Axel Jensen verheiratet und Mutter eines kleinen Sohns, verlieben sich episch.

Sie bauen sich etwas auf, das man für ein Paradies halten könnte. Er schreibt wie im Fieber seinen Roman „Beautiful Losers“ (es wird ein schlimmer Misserfolg, erstmal), sie umsorgt ihn. Er genießt das familiäre Arrangement.



Auf den alten Fotos sieht Cohen mit Schnurrbart aus wie ein mediterraner Pirat. Viel kostet das Leben auf Hydra nicht, aber sie haben auch dafür zu wenig Geld. Dafür Freiheit in Überfülle. Die Welt steht denen offen, die sich von ihren Geliebten lösen können.

Viel Sex, größte Freiheit

Sex, Romantik, Drogen, das Meer, die griechische Sonne: Regisseur Nick Broomfield hat den magischen Ort als 20-Jähriger kennengelernt. Er traf auf Hydra Marianne, deren Leonard nun schon, 1967/68, in New York in eine Karriere als Sänger und Songschreiber stolpert. „Suzanne“ kommt auf die Bühne.

Erst mit Judy Collins, dann traut sich Cohen selbst ans Mikrofon. Er leidet unter heftigen Angstattacken. Und noch viele Jahre später muss er mit seiner Depression kämpfen, seiner „Dunkelheit“, die so vielen Menschen Trost und Licht gebracht hat. Viele Menschen verbinden mit seiner Poesie und seinen Melodien unvergessliche Momente.

Man erreicht das Ende dieses Film nicht trockenen Auges. All die Erinnerungen ... wenn man es biblisch will, wäre Marianne seine Maria Magdalena gewesen. Cohen wird ein Star, Frauen reißen sich um ihn, er bekommt nicht genug. „Ich habe mich damals in eine Art Pornofilm“ gestürzt, sagt Cohen. Musiker und Manager aus der Zeit bestätigen die Selbstdiagnose des Womanizers, der später mit Phil Spector sein schwächstes Album aufnimmt: „Death of a Ladies' Man“.

Cohen und Krise, das ist Synonym, oft auch bei seinen Fans. Bis hin zu dem Moment, da ihn eine Vertraute um all sein Geld bringt, während er im buddhistischen Kloster in Kalifornien nach Halt und Ruhe sucht. Und dann folgt das märchenhafte Comeback.

Broomfields Film trägt den Titel „Marianne & Leonard“. Und es geht doch meistens um ihn. Man bekommt einen recht guten Überblick über sein Leben und seine Kunst. Marianne reist ihm eine Zeitlang nach. Es gibt Versuche, ein gemeinsames Leben in Nordamerika zu beginnen.


Abschied von Marianne

Marianne sieht im fast alles nach und geht fast daran zugrunde. Sie kehrt mit gebrochenem Herzen nach Hydra zurück, immer wieder, beginnt später in Norwegen ein „normales Leben“ als Sekretärin, mit norwegischem Ehemann.

Die Frau, die Muse, das Leid. Wo hört Romantik auf, wo fängt Machismo an, wer kann und mag das trennen? Die Frauen, die in dieser Dokumentation sprechen, sicher nicht. Hier geht es um ein sehr großes, unfassbar begabtes, in aller Welt geliebtes Künstler-Ich. Und um die Frau, die am längsten bei ihm war.

Broomfield verschweigt nicht den Preis, den das Paradies fordert. Viele Künstler, die auf Hydra lebten und schwebten, finden keinen bürgerlichen Weg. Ihre Kinder scheitern, ehe sie etwas beginnen können, wie Mariannes Sohn Axel. Er landet in der Psychiatrie, kommt im Film auch nicht zu Wort.

Das Ende: Sie liegt im Sterben. Aus Los Angeles kommt eine Botschaft von Leonard, der einst für sie und mit ihr „So long, Marianne“ schrieb, sein vielleicht schönstes Liebeslied unter all den Oden und Hymnen, es sollte ursprünglich kein Abschied sein, sondern mit „Come on, Marianne“ anheben. Auch „Bird on the Wire“ schließt Marianne ein.

Von weit her und doch so nah schreibt ihr im Sommer 2016 der Mann, der selbst am Abgrund steht und nur noch wenige Monate hat: „I’ve never forgotten your love and your beauty. But you know that. I don’t have to say any more. Safe travels old friend. See you down the road. Love and gratitude. Leonard.“


Marianne jung (links) und die gleiche Marianne etwas älter (rechts)...
click here - zu einem Radio-Feature mit einem ausführlichen Gespräch mit Marianne Ihlen über ihre Beziehung zu Leonard Cohen: "So long, Marianne"


Alles ist gesagt. Nichts ist vergessen. Trost kommt aus der Dunkelheit. Das ist auch der Ton des posthumen Cohen-Albums „Thanks for the Dance“ (Columbia), es erscheint am 22. November. Neun Stücke, insgesamt kaum eine halbe Stunde voller Stille, Galgenhumor, hartem Existenzialismus wie auf dem Album „You Want It Darker“, das er kurz vor seinem Tod noch herausbrachte. Da klang es auch noch einmal hymnisch-bitter, er konnte nicht anders.

Nun aber die letzten Skizzen, eine zarte Stimme aus dem Jenseits, vorsichtig und mit fürsorglichen Tupfern und Zupfern von seinem Sohne Adam Cohen produziert. Aber wie schön, von ihm zu hören. Als blättere man ihn seinem Poesieband „The Flame“, der 2018 herauskam, und er würde etwas für die Nacht rezitieren.




„Happens to the Heart“, der längste und kräftigste Song, lässt den Dichter von seiner Disziplin und Ausdauer sprechen, ein letztes Mal, und das darf nicht übersehen werden: Wie Cohen immer wieder seine Verse verworfen, verändert, veredelt hat; bei „Hallelujah“, seinem jetzt berühmtesten Song, vielleicht am häufigsten.



Jetzt ist Ende. Letzter Song auf dem letzten Album, wenn sich nicht noch irgendwo Outtakes und andere Geisterlieder finden. Öffnet die Ohren für seinen letzten Gruß: „Listen to the hummingbird / Whose wings you cannot see / Listen to the hummingbird / Don't listen to me.“ 

Er ist jetzt irgendwo da draußen.

LC-Graphic: sinedi.art


da musste ich mich doch ein paarmal kneifen, um festzustellen, ob ich wachte oder träumte: da kommt posthum am 22.11. - also in 14 tagen (vormerken!) - wie aus dem "off", aus dem hintergrund, ein neues album von leonard cohen von irgendwoher, obwohl sein todestag nun auch schon wieder 3 jahre zurückliegt - und so wie wir ihn ja irgendwie nicht "lassen" können, so kann er uns nicht lassen - und bringt uns mit seinen songs ja in die von ihm für und in uns angefachte seelenstimmung:

für mich ist das immer eine gehörige portion angenehmer traurigkeit vermixt mit einer diffusen sehnsucht  - die aber trotzdem nicht in die depression kippt - sondern immer in ein licht führt - wenn es auch manchmal nur ein greller spot ist, der da am ende des tunnels leuchtet und den weg hinaus weist, oder auch nur eine funzel, die da flackert.

und auch seine norwegische "muse" marianne von der griechischen insel hydra findet ja nach jahrzehnten kein schlechtes wort für ihren leonard, der sie ja in seinem song "so long, marianne" für immer verewigt hat. und als er von ihrer schweren erkrankung hörte, schickte er ihr einen abschiedsbief mit auf den weg hinüber auf die andere seite, dessen text sicherlich ein stück große abschieds-literatur ist:
„Marianne, wir sind nun beide in dem Alter angekommen, da unsere Körper langsam anfangen, zu vergehen – und ich denke, dass ich dir bald folgen werde. In dem Wissen, dass ich so nah bei dir bin, kannst du einfach deine Hand ausstrecken, und ich denke, du wirst meine erreichen. Du weißt, dass ich dich immer für deine Schönheit und deine Weisheit geliebt habe, aber ich muss gar keine Worte mehr darüber verlieren, denn du weißt das alles schon. Aber jetzt wünsche ich dir eine gute Reise. Good Bye, meine liebe Freundin. In unendlicher Liebe, ich sehe dich ganz bald.“ 
leonard überlebte marianne nur um 3 monate.

und selbst sein abschiedsalbum zu dieser anderen seite "you want is darker" zeigt ja einen gefassten menschen, der sich eigentlich voller zuversicht dem anderen, dem jenseitigen licht zuwendet. „hineni, hineni“ – singt er, den wohl mächtigsten ausdruck, den die hebräische sprache für die aufmerksamkeit und bereitschaft kennt, eine aufgabe mit viel hingabe zu übernehmen: „hier bin ich. ich bin bereit, o herr“.

also - ich finde das im wahrsten sinne des wortes einfach nur "groß-art-ig", wenn ein mensch so lebendig seinen weg geht - so lebendig in den tod - und noch darüber hinaus ganz multikonfessionell (leonard cohen war ja jahrelang in einer buddhistischen zen-schule) und hat viele christlich anmutende textzeilen hinterlassen in seinen songs - aber ganz am ende dieser ersten etappe ruft er als getaufter und gläubiger jude dieses starke „hineni, hineni“, dem gott entgegen: „hier bin ich. ich bin bereit": mach du jetzt mit mir, was du willst - mal sehen ...