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... dann geh mit ihm zwei meilen

 DER DICHTER UND DER NEONAZI

„Sie werden Fanatiker nicht überzeugen können“

Von Thomas Wagner | DIE WELT - Kultur - Donnerstag, 21.01.2021


Wollte mit Rechten reden: Erich Fried (1921 bis 1988) - Quelle: picture alliance / Karl Schöndorfer / picturedesk.com


Warum lässt sich ein Jude, dessen Familie vergast wurde, mit einem Neonazi ein? Die seltsame Freundschaft zwischen dem linken Dichter Erich Fried und dem rechtsextremen Michael Kühnen wirft bis heute Fragen auf. Sie begann 1983 mit einer Talkshow-Ausladung.

Hatte er das gerade wirklich gesagt? Michael Kühnen konnte kaum fassen, was sich gerade im Fernsehen vor seinen Augen abspielte. Da beklagte sich der prominente Dichter Erich Fried – Linker, Jude und entschiedener Antifaschist –, dass man ihn – Deutschlands bekanntesten Neonazi – von der Teilnahme an der gerade laufenden TV-Diskussion kurzfristig wieder ausgeschlossen hatte. „Ob man den einladen soll oder nicht“, so Fried, „darüber kann man streiten. Wenn man ihn eingeladen hat, ihn auszuladen, ist ganz bestimmt falsch und kleinkariert.“

Dass seine Person in der Talkshow „III nach 9“ unerwünscht war, hatte Kühnen erst erfahren, als er bereits vor den Studio-Türen in Bremen-Osterholz stand. Das war am 21. Januar 1983. Mobiltelefone für den Privatgebrauch gab es noch nicht. Der verhinderte Talkshow-Gast ließ sich seine Ausladung schriftlich bestätigen, verlangte eine Aufwandsentschädigung in Höhe von etwa 300 DM und trat gemeinsam mit den beiden ihn begleitenden Kameraden die Heimreise an. Nun saß er mit einem kleinen Kreis von Gesinnungsgenossen, darunter sein enger Mitstreiter Thomas Brehl, in einer Wohnung im hessischen Städtchen Rodgau und schaute sich die Sendung im Fernsehen an.

Die Entscheidung, den Neonazi auszuladen, war am Tag zuvor gefällt und von Fernsehprogrammdirektor Hans-Werner Conrad intern kommuniziert worden. Vorhergegangen war eine rund eineinhalbstündige Debatte im Rundfunkrat. Der Beschluss veränderte den Charakter der Sendung: Ursprünglich hatte man über die Gefahr eines neu aufflammenden Rechtsextremismus diskutieren wollen. Doch jetzt stand das Für und Wider von Kühnens Teilnahme als Talkshow-Gast im Mittelpunkt der Debatte.

Kein Rederecht für Neonazis

Vor dem Sender-Gebäude hatte sich eine Gruppe von Frauen und Männern jeden Alters versammelt, um zu demonstrieren. Während ein Sprecher der ‚Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten‘ (VVN-BdA) begrüßte, dass Kühnen „fünfzig Jahre nach der In-die-Macht-Setzung der Nazis kein Rederecht“ bekam, erklärte Programmdirektor Conrad, er sei persönlich und im Prinzip nach wie vor ein Befürworter der Diskussion mit einem Neonazi.

Er habe mit der Ausladung Kühnens jedoch dem Umstand Rechnung tragen wollen, dass es eine richtige „Angst davor gibt, dass solche Leute wieder in die Öffentlichkeit treten“. Eine klare und in sich stimmigere Position bezog Moderatorin Lea Rosh. Sie erklärte, von Anfang an gegen die Einladung Kühnens gewesen zu sein. Die Journalistin zeigte sich erleichtert, dass es genügend Menschen gebe, die verhinderten, „dass diese Leute sich überall artikulieren können“.

Ein gewichtiges Argument gegen die Einladung Kühnens in eine Sendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens brachte der Talkshow-Gast Dietrich Güstrow vor. „Hitler wäre gar nicht der geworden, wenn er nicht das Radio zur Verfügung gehabt hätte“, sagte der Wahlverteidiger von Angeklagten des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944. Nun hege er eine gewisse Sorge, solchen wegen Volksverhetzung und neonazistischer Umtriebe verurteilten Fanatikern „das Medium des Fernsehens zur Verfügung zu stellen“. Sie werden, hielt er Fried entgegen, „Fanatiker nicht überzeugen können und zu Geständnissen bewegen, sich zur Menschlichkeit zu bekennen. Das ist nicht möglich.“

Der Dichter wiederum machte deutlich, nun seinerseits keinesfalls irgendwelche Sympathien für den Hitler-Faschismus oder sonst irgendeinen Faschismus zu hegen. Er sei durch die Nazis zum Flüchtling gemacht und seine halbe Familie von diesen vergast worden. Das Erstarken nationalistischer Kräfte hatte Fried seit seiner Vorschulzeit als hochbegabtes und politisch außergewöhnlich interessiertes Kind in Wien als Abfolge blutiger Gewalttaten erlebt, die von einem Abbau demokratischer Rechte von Seiten der Regierung begleitet war Den nachfolgenden Terror der Naziherrschaft hat er im Nachhinein weder vergessen können noch in irgendeiner Weise relativieren wollen. Ganz im Gegenteil: Er stellte seine Arbeit als Schriftsteller ausdrücklich in den Dienst der Erinnerung an diese Schreckenszeit. Nie wieder sollte so etwas geschehen. Dazu wollte er seinen Beitrag leisten.

Im Eingangsbereich seines Londoner Hauses erinnerte eine Reproduktion von Picassos Gemälde „Guernica“ an die Zerstörung der baskischen Stadt durch die Faschisten. Sie war von den Bomben der deutschen Legion Condor zerstört worden, die an der Seite des rechtsgerichteten Putschisten General Francisco Franco im Spanischen Bürgerkrieg gegen die Verteidiger der Republik kämpften.

Über dem Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer an der Wand war eine Fotografie des Vaters zu sehen. Hinter der Glastüre eines Bücherschranks wiederum bewahrte er ein Stück rostigen Stacheldraht aus dem KZ Esterwegen und eine Messerklinge auf, die er bei einem Besuch der Gedenkstätte in Auschwitz aufgesammelt hatte. Hier war seine Großmutter ermordet worden.

Kampf gegen die Barbarei

Fried sah es als seine Aufgabe an, „gegen diese Barbarei und alles vom gleichen Schlag zu kämpfen, solange ich lebe“, wie er am 5. Juli 1972 in einem Brief an den Schriftsteller Heinrich Böll schrieb. Den Entschluss hatte er gefasst, kurz nachdem sein Vater an den Folgen seiner Misshandlung in der Gestapo-Haft verstorben war. Daran, dass der Dichter ein entschlossener Antifaschist war, kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Er wollte den Feind aber nicht nur bekämpfen, sondern – um gegen die in seinen Augen längst nicht gebannte faschistische Gefahr besser gewappnet zu sein – auch verstehen.

Wie hatte es geschehen können, dass aus ganz normalen Jugendlichen überzeugte Nazis wurden? Das war eine der Fragen, die den Schriftsteller bis zum Ende seines Lebens beschäftigten. In der Fernsehsendung „III nach 9“ erzählte er von Mitschülern, die seinerzeit zum großen Teil Mitglieder der von der austrofaschistischen Regierung verbotenen Nazi-Partei waren. Dann sagte er etwas Überraschendes: „Ich glaube, dass das nicht wesentlich schlechtere oder dümmere Jungen waren als ihre jüdischen oder antifaschistischen Mitschüler. Was einer geworden ist, das hing von unwägbaren Dingen ab. Der Nazismus und der Neonazismus ist eine der gefährlichsten Irrlehren und unmenschlichsten Lehren. Aber deswegen würde ich noch lange nicht sagen, dass ich mit einem, der darauf hereingefallen ist, mich nicht an einen Tisch setze. Wenn ich hoffen kann, dadurch diese Dinge zu desavouieren oder ihn vielleicht zweifeln zu machen.“

Michael Kühnen, so erinnert sich der Neonazi Thomas Brehl, war von den Worten des Dichters wie elektrisiert. Als die Talkshow zu Ende war, habe Kühnen ausgerufen: „Und jetzt setz’ ich noch einen drauf, ich ruf’ im Sender an!“ An diesem Abend wurden die Weichen für eine selbst für Eingeweihte nur schwer zu verstehende Beziehung gestellt.

Rasch wird sich eine so große emotionale Nähe zwischen dem linken jüdischen Dichter und dem Neonazi entwickeln, dass das Wort „Freund“ – so abwegig es zunächst erscheinen mag – als eine angemessene Bezeichnung für ihr außergewöhnliches Verhältnis erscheint. Beide Männer suchten den Freund im jeweils anderen und haben ihn – trotz ihres für Fried wohl schwer erträglichen Disputs über das Thema Holocaust und die angebliche „Auschwitz-Lüge“ – in der nie aufgegebenen gegenseitigen Zuwendung wohl auch gefunden.

Ein Briefwechsel

Deutlich wird das in den Briefen, die sie einander schrieben, nachdem Kühnen, der bereits mehrere Jahre Knasterfahrungen gesammelt hatte, erneut inhaftiert worden war. Ihr Inhalt ist der breiten Öffentlichkeit bis heute weitgehend unbekannt geblieben. Nur eines der sechzehn überlieferten Schreiben, ein Brief aus der Feder Frieds, wurde posthum im Rahmen eines schmalen Auswahlbands aus der Korrespondenz des Dichters in Gänze veröffentlicht – und dies erst 2009, also zwanzig Jahre nach dem Tod des Schriftstellers.

Doch allein dieser eine Brief vom 18. Januar 1985 hat es in sich – und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Geht es doch um die von Kühnen stets bestrittene Vernichtung der europäischen Juden durch die Nazis, ihre Helfer und Helfershelfer sowie um die glühende Verehrung, die der nachgeborene Jungfaschist ausgerechnet Adolf Hitler entgegenbrachte. Angesichts dieses für Fried schwer verdaulichen Inhalts überrascht der behutsame und zugewandte Ton, mit dem sich der Dichter darum sorgt, ob er dem als „lieber Michael“ angesprochenen Neonazi die „inhaltlichen Diskussionen zumuten darf“, wo dieser doch jetzt alle Kraft zusammenhalten müsse für seinen Prozess.

Erich Fried an Michael Kühnen

Man könnte zunächst meinen, dass es sich dabei um eine ironische Bemerkung handelt, durch die Fried eine Distanz zwischen sich und Kühnen aufzubauen versucht, um von diesem nicht verletzt zu werden. Das wäre verständlich, trifft aber nicht zu. Ganz im Gegenteil. Er bietet Kühnen seine offene Flanke, zeigt sich ihm als verwundbarer Mensch.

„Es wäre mir sehr schmerzlich“, schreibt der dem Tod im Vernichtungslager nur knapp entronnene Antifaschist, „etwas zu sagen, was Deine Empfindungen mir gegenüber in Abneigung verwandelte. Und doch schulde ich Dir, gerade Dir, weniges so sehr als wirkliche Aufrichtigkeit, wirkliches Dich-Ernstnehmen. Und da habe ich so vieles zu sagen, darunter auch, was für Dich schwer zu hören, zu lesen, zu ertragen sein kann. Und doch schulde ich Dir das, wenn das Gespräch nicht zur bloßen Konversation herunterkommen soll.“ Seinen Brief beendet Fried mit guten Wünschen für Kühnen: „Einstweilen nur alles Gute für Dein persönliches Schicksal, das mir trotz aller ideologischen Fragen doch keineswegs unwichtig ist!“

Diese mehr als nur höfliche Geste irritiert zweifelsohne und ist daher erklärungsbedürftig. Fast ein Vierteljahrhundert später ist es an der Zeit, endlich Licht auf diese lange Zeit vernachlässigte Episode in Frieds Leben zu werfen. Im Zentrum steht dabei eine Frage, die schon die mit Fried befreundete Theologin Dorothee Sölle beschäftigt hat: „Wie konnte ein so scharfsinniger Kopf wie Erich Fried idealistisch und blind auf die Vernunftfähigkeit, die Menschlichkeit eines Verblendeten setzen?“

Ich werde versuchen, dem Rätsel auf die Spur zu kommen. War es wirklich nur ein Tick, eine Verschrobenheit, die Fried dazu brachte, die persönliche Nähe zum Neonazi Kühnen zu suchen? Für politisch naiv wird man den seit frühester Jugend im Kampf gegen den Faschismus engagierten Schriftsteller nicht halten dürfen. Die tödliche Gefahr, die von dieser Ideologie und ihren Anhängern ausging, war ihm jederzeit bewusst. „Feindesliebe“, so betont er 1978 in einer Rede, „heißt freilich auch nicht, vergessen, dass Feinde– oder doch viele von ihnen– immer noch Feinde sind … und ihrerseits oft gar nicht beseelt von Feindesliebe.“

Redet so jemand, der sich „aus Furcht vor weiterer Viktimisierung vorbeugend bei den Tätern anbiedert“, wie Henryk M. Broder 1987 in seiner damals im „Spiegel“ publizierten und in weiten Kreisen wahrgenommenen Generalabrechnung mit dem Linksintellektuellen polemisierte? Haben wir es, wie der Journalist meinte, mit der „Psychopathologie eines Opfers“ zu tun, das sich auf diese Weise erhoffte, dass die Täter ihn beim nächsten Aufräumen aus Güte und Einsicht verschonen würden?

Oder steckt etwas anderes dahinter? Dass die Gewalt, die er und seine Familie im Faschismus erfahren haben, keinerlei Spuren in der Seele des Dichters hinterlassen hätte, ist zweifelsohne auszuschließen. Insofern waren Broders mit spitzer Feder notierte Mutmaßungen nicht völlig aus der Luft gegriffen. Andererseits muss eines doch auch klar sein: Wenn jemand wie Fried, der den Aufstieg des Faschismus als politisch wacher Heranwachsender erlebt und schon damals nach Kräften bekämpft hatte, nun meinte, mit einem Neonazi reden zu müssen, wird sicher mehr dahintergesteckt haben als vorauseilender Gehorsam gegenüber einem als übermächtig erscheinenden Feind oder gar ein psychischer Defekt. Zumindest darf unterstellt werden, dass jemand wie er, der als Schriftsteller die Reflexion schon früh zum Beruf gewählt hatte, sich darüber gründlich Gedanken machte und ganz genau zu wissen glaubte, was er tat und warum er es tat.

  • Der voranstehende Text ist das gekürzte Anfangskapitel aus Thomas Wagners Buch „Der Dichter und der Neonazi. Erich Fried und Michael Kühnen – eine deutsche Freundschaft“. Es erscheint am 23. Januar bei Klett-Cotta (176 S., 20 €).

S.3 meiner 114-seitigen XXL-Leidensbiografie von Erna Kronshage "ERNA'S STORY" mit einem Gedicht von Erich Fried

tja - seit fast 10 jahren begleitet dieses gedicht "wegzeichen" die ausführliche bebilderte leidensbiografie meiner tante erna kronshage - sozusagen als "präambel" - als "prolog". 

und da musste ich schon schlucken als ich jetzt auf dieses verhältnis des autors erich fried mit dem bekannten neonazi michael kühnen gestoßen wurde.

da frage ich mich natürlich: warum? - warum gibt sich ein so lauterer allseits bekannter überlebender des nazi-terrors mit so einem typen wie michael kühnen ab? - in dieser offensichtlichen nähe, in dieser intensität - wohl immer in der hoffnung, gegen den längst noch nicht gebannten faschismus besser gewappnet zu sein – und ihn in einem jeweiligen neuen individuellen menschenverachtenden entstehen auch zu verstehen.

diese entstehung konnte er an einem jungen deutschen mitläufer in michael kühnen in sachen neonazismus nun auch quasi "miterleben" - sozusagen von der pieke auf: was treibt diesen jungen mann an - und warum suhlt der sich so knapp nach den "68er" jahren mit den linken studentenrevolten nun in so einem braun-rechten milieu - und verehrt diesen ungebildeten massenmörder adolf hitler - gut 40 jahre nach all dem spuk - ganz ausdrücklich?

das ist schon ein echter trip in die denke der gegenseite mit allen inneren und äußeren konsequenzen - und mich erinnert es an die aufsätze und den briefwechsel zwischen dem deutsch-amerikanischen journalisten paul moor mit dem kindermörder jürgen bartsch, um sich so gewissermaßen authentisch in die verirrte kranke und verkorkste denke dieses menschen und gleichzeitigen opfers der eigenen brüchigen biografie hineinzudenken.

es war ja die zeit, als man jeweils in verhuschten kindheits-erlebnissen die dadurch verursachten im erwachsenenalter auftretenden bleibenden innerpsychischen schäden als so ein für allemal gegründet konstatierte. natürlich ist an diesem "automatismus" etwas dran, aber inzwischen ist man da doch auch etwas nüchterner geworden und räumt immer und allzeit jedem menschen entwicklungspsychologisch die kehrtwende und umorientierung ein: allerdings in der lesart der gestaltpsychologie eines fritz perls: "... im jetzt unseres seins tragen wir vieles aus der vergangenheit mit uns ... was in der vergangenheit geschah, wurde entweder assimiliert und zu einem teil von uns, oder wir tragen es als unerledigte situation, als unvollendete gestalt, mit uns herum ..." - und können uns nun diese definierten päckchen integrieren, wenn wir sie bearbeiten wollen, sie dingfest machen und uns mit ihnen auseinandersetzen - oft genug reicht dazu ein leben gar nicht aus - und die lasten werden in die nachfolgenden generationen mit "eingetragen".

ob nun diese tiefenpsychologischen überlegungen erich fried dazu getrieben haben, sich mit kühnen "an einen tisch zu setzen" und in einen durchaus engen briefkontakt zu treten, ist nicht klar überliefert.

inzwischen entnahm ich der "sueddeutschen", erich fried sei schon gut gewesen, ehe der "gutmensch" erfunden war, er war der fleißigste und deshalb zeitweise der bekannteste deutsche dichter und zugleich berüchtigt für seine im wahrsten sinne "grenzenlose" selbstlosigkeit - und seine manchmal nur flüchtig hingeworfenen oft nicht immer sehr durchkomponierten "gedichte", die oft dann nur hehre "widmungen" und zuschreibungen wurden.
 
in seinem londoner haus in hampstead nahm fried politische flüchtlinge aller couleur auf, wie rudi dutschke, und auch als terroristen gesuchte gewalttäter wie astrid proll. 1975 verteidigte er sogar albert speer, den mit hochfliegenden gigantischen plänen befassten architekten im hitler-nationalsozialismus und gleichzeitigen reichsminister für bewaffnung und munition. 

das credo von erich fried lautete: "ich glaube außerdem, um menschlichkeit, recht und gerechtigkeit steht es leider nicht so gut, daß wir irgendeinem menschen raten sollten, nur in einsamkeit zu bereuen und zu sühnen."

fried und kühnen duzten und sie schrieben sich, aber insgesamt waren es nur sechzehn briefe. er besuchte kühnen im gefängnis und wollte vom glauben an das gute auch im nazi nicht lassen:
 
"michael, deine arbeit, das sind die auffassungen eines menschen, der zu wenig liebe und wärme gehabt hat." 

aber kühnen ist diese küchenpsychologie ein graus. fried widmete kühnen gar ein eigens hingworfenes gedicht 

"für m.k.":

Um Klarheit

Aber am Steilrand der Hoffnungslosigkeit
lebt noch das Andere weiter 
und kann leuchten
nun da es Abend wird
sogar durch Mauern und Gitter
vielleicht auch aus denen
die irren
verwirrt von der Zeit
die aber den Blick ins Weite
und ihren Hunger nach Schönheit
und ihre Liebe
nicht ganz von sich abgetan haben
und auch nicht vergessen im Taumel
die gute Sehnsucht
zu bejahen das Bejahende
auch als Gejagte
auch als Gefangene nicht". 

und kühnen meinte dann, nach dem ableben frieds 1989 - und zwei jahre vor seinem aids-tod, fried sei "fair und aufrichtig" gewesen, "ein ausnahmejude."  

aber - trotz der zweifel ausgerechnet einer dorothee sölle - etwas von so einem solch ambivalenten und paradoxen verhalten wie das, was erich frieds menschenfreundlichkeit ausmachte, hat uns ja auch die jesuanische bergpredigt mit ihrem liebesgebot als möglichkeit menschlichen und überlegten verhaltens mitgegeben - in etwa so: "liebe deinen nächsten - wie dich selbst! zahle das böse (oder: dem, der dir böses getan hat) nicht mit gleicher münze heim! setz auf den groben klotz keinen groben keil! vergelte nicht gewalt mit gewalt! und wenn dich einer nötigt, eine meile mit ihm zu gehen, dann geh mit ihm zwei meilen!"

vielleicht war es ganz schlicht dieses jesuanische liebesgebot der mitmenschlichkeit, dass der jude erich fried in bezug auf den neonazi michael kühnen leben - ja - und ethisch für sich - "ausprobieren" wollte und aus innerlicher überzeugung musste ... - nicht mehr und nicht weniger: offen - ohne jedes vorurteil auf den anderen zugehen ... - komisch, dass das einem so fremd vorkommt - und das liebesgebot der bergpredigt - die nächstenliebe und feindesliebe - halten ja auch viele - wahrscheinlich die meisten menschen - geradezu für "unmenschlich" und feige und unterwürfig - und fassen sich an den kopf. 

während unsere menschliche logik meint, wir müssten unsere feinde besiegen, ausschalten - und andersdenkende quasi per gehirnwäsche überzeugen, rechnet jesu logik mit der verständigung und versöhnung ... ... si