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ulay ist tot

ulay - bildbearbeitung: sinedi.@rt


Ulay 

hat auf der Suche nach der Identität Kunstgeschichte geschrieben. Mit seiner langjährigen Partnerin Marina Abramovic und ohne sie.

Jetzt ist der nomadische Performancekünstler mit 76 Jahren gestorben

Marina Abramović sagte einst: "Es braucht lange Zeit, vielleicht ein ganzes Leben, um Ulay zu verstehen." Ihr Abschied fand laut Ulay schon lange vor ihrer rituellen Trennung statt, bei der sie auf der Chinesischen Mauer drei Monate lang aufeinander zuliefen ("The Lovers", 1988). Er startete im Westen, sie im Osten. 15 Monate später wurde seine Tochter Luna geboren, die Mutter war seine chinesische Dolmetscherin Ding Xiao Song.

Er war ein Pionier der Performancekunst. Ein Künstler, der der Fotografie das Tanzen beibrachte. Ewiger Rebell. Performances wollte er keine mehr machen. "Ich bin nicht alt genug", antwortete er jedem, der ihn fragte warum. In gewisser Weise brachte ihn Abramović dazu, es doch wieder zu tun. Die Gründe sind jedoch weniger romantisch als ihr Zusammentreffen während Abramovićs Marathon-Performance im MoMA. Sie hatte sich zweieinhalb Monate lang Tag für Tag auf einen Stuhl gesetzt, um insgesamt 1565 Besuchern in die Augen zu schauen, still, der Körper unbewegt. Und dann saß ihr plötzlich Ulay gegenüber. Sie hatte Tränen in den Augen, nahm seine Hände. Ein intimer Moment. Über 17 Millionen Menschen haben ihn auf YouTube gesehen.



Er selbst hat immer weiter nach der Antwort auf die Frage gesucht, wer er sei – zuversichtlich, sie zu finden. "Ich könnte sagen, ich bin ein deutsches Kriegskind", antwortet er 2016 im Monopol-Interview. "Ich bin ein holländischer Entdecker, ein nicht sozialer Sozialist und ein nomadischer Autodidakt. Doch um der Antwort näher zu kommen, nach der ich suche, musst du all diese Dinge vergessen." Und dann: "Ich bin zu Gast. Zu Gast in dieser Welt." Wie seine Ateliermanagerin heute gegenüber Monopol bestätigte, ist Ulay in den frühen Morgenstunden am Montag im Alter von 76 Jahren gestorben.

Textbausteine: monopol-magazin 

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was ist das, wenn man aus einem stummen unvorbereiteten aufeinandertreffen und plötzlichem minutenlangen gegenübersitzen und nachdrücklich hintergründigen anschauen nach einer langen vor 22 jahren verflossenen und abgeschlossenen physischen und seelischen beziehung plötzlich eine öffentliche performance zelebriert, die inzwischen von 17 mio. zuschauern auf youtube betrachtet worden ist. ist das nicht auch dieser "seelen-striptease", den so viele verächtlich machen? ist das paar-exhibitionismus? sollten wir betrachter und konsumenten dieser szene uns nicht schämen für unseren voyeurismus?

ich habe diese sequenz bis heute vielleicht 5 x angschaut - und doch ist mir immer so, als sei diese stumme zwiesprache ein deutliches und lautes gespräch zwischen zwei sehr vertrauten menschen, die mit sich kommunikationskanäle aktivieren, die wir 17 mio. konsumenten nicht mal in ihrer gesamten intensität auch nur erahnen können.

da "sprechen" zwei öffentlich bekannte künstler miteinander über sich, über uns, über gott und die welt.

da weht ein nicht spürbarer windhauch zwischen den beiden hin und her - ein "odem" - und da fliegen zwei entschärfte virtuelle schuss-projektile aufeinander zu - alles zur gleichen zeit - aber die zündung bleibt aus - kein mündungsfeuer in sicht.

man sagt ja oft: "wenn blicke töten könnten" - oder man spricht "vom bösen blick" - aber davon liegt nichts in dieser be-gegn-ung, nichts in der luft, die nach turbulenten aktionen im miteinander mit schlimmen seelischen gegenseitigen verletzungen damals endete - und nun wie ein stummer sonnenstrahl durch das graue mehrschichtige gewölk blinzelt und brüllt und schreit(et) - ganz alt und ganz neu und ganz plötzlich und doch gewusst und herbeigesehnt, 1000 mal erträumt.

im wort "be-gegn-ung" steckt immer auch das implizite bild vom "gegner" - vom "gegen(!)-über". da hat man nach der trennung gelernt, mit sich zu sein und halt mit anderen, um zu vergessen - und im gemeinsamen augen-blick züngeln wieder die alten funken hoch - und wirbeln und tanzen und werden von tränen benetzt und abgelöscht, ehe womöglich noch ein flächenbrand entsteht.

es ist ein großartiges stück kunst in diesen gut 3 minuten enthalten. 

ulay ist nun an krebs gestorben, 76 jahre alt, in ljubljana, ohne marina. das ging. das hat er geschafft. jetzt geht er wieder jenseits der mauer. und marina geht auf dieser seite - und wieder gehen sie schritt für schritt aufeinander zu. und marina ist sichtbar hier und wird wahrgenommen - und ulay ist im backgrund "auf der anderen seite": ein "nomadischer autodidakt" - das ist sein karma, auch im jenseits. ulay ist "heimgekehrt", denn er war ja nur "zu gast auf dieser welt".