"Deutschland war der Dieb, Deutschland sollte Verantwortung übernehmen"
Die Familie des US-Anwalts Peter Toren wurde von der Gestapo um ihre Kunstsammlung gebracht. Jetzt will sie die deutsche Regierung verklagen.
Ein Interview von Ulrike Knöfel | Der Spiegel
"Zwei Reiter am Strand" von Max Liebermann: Das Gemälde erhielt Toren aus Gurlitts Nachlass - Auktionserlös 2,6 mio € nach einem Foto von REUTERS |
Der US-Anwalt Peter Toren ist der Sohn des gebürtigen Deutschen David Toren, 94, der die deutsche Regierung verklagen will – er will entschädigt werden für die Kunst, die die Nazis seiner Familie raubten und die heute viele Millionen Euro wert wäre. 2016 bereits wurde die Klage eingereicht, doch die Deutschen versuchten den Fortgang immer wieder zu verhindern. Am 6. Februar wird das zuständige Gericht in Washington voraussichtlich darüber entscheiden, ob es die Klage annimmt und einen Prozess erlaubt.
SPIEGEL: Herr Toren, warum will Ihr Vater den deutschen Staat verklagen?
Peter Toren: Weil mein Vater viel Unrecht erlitten hat – und wenigstens ein Teil davon wiedergutgemacht werden sollte. Sein Großonkel wurde von den Deutschen um seinen Besitz, auch um seine Kunstsammlung gebracht. Wir haben alte Dokumente gefunden und wissen, was die Gestapo 1941 aus seinem schönen Haus in der Ahornallee in Breslau mitnahm, darunter Bilder von Gustave Courbet und Camille Pissarro. Nach amerikanischem Recht ist ein Dieb zur Rückgabe an das Opfer verpflichtet. Deutschland war dieser Dieb. Deutschland sollte Verantwortung übernehmen.
SPIEGEL: Eines der Gemälde aus dem Haus in der Ahornallee wurde mehr als 70 Jahre nach der Beschlagnahmung wiederentdeckt. Es gehörte zu den Werken, die der Kunsthändlersohn Cornelius Gurlitt in seiner Schwabinger Wohnung gelagert hatte. Fast alle anderen Bilder und Objekte aber sind verschollen, eine Rückgabe ist also nicht möglich.
Toren: Aber es sollte nicht die Aufgabe der Opfer sein, die vermissten Kunstwerke aufzuspüren. Und wenn Deutschland die Werke nicht findet, sollte eine Entschädigung bezahlt werden. Die Bundesrepublik ist der Nachfolger des NS-Staates. Wir sagen nur, gebt uns zurück, was uns gehört. Oder leistet eine Entschädigung.
SPIEGEL: Bei einer Anhörung vor einem Gericht in Washington betonte der Anwalt der deutschen Regierung vor wenigen Wochen, Ihr Vater sei gar kein Opfer, er sei auch "keiner dieser alten Holocaust-Überlebenden, die auf Gerechtigkeit warten". Wie haben diese Worte auf Sie gewirkt?
Toren: Unser Anwalt hat im Gerichtsaal deutlich gemacht, wie beleidigend diese Aussagen sind. Wie kann ein von der deutschen Regierung beauftragter Jurist so etwas sagen? Wie kann man so etwas von einem alten Mann sagen, der als Kind die Verfolgung erleben musste und dessen gesamtes weiteres Leben davon geprägt war? Mein Vater verlor nahezu seine gesamte Familie, seine Eltern wurden 1943 im KZ ermordet. Er und sein Bruder überlebten, weil sie als Kinder flüchteten. Nichts kann uns unsere Verwandten zurückbringen, ich hatte keine Chance, meine Großeltern kennenzulernen. Die Deutschen haben mir das genommen, sie haben uns zu Opfern gemacht und machen uns heute wieder zu Opfern.
SPIEGEL: Inwiefern?
Toren: Weil sie uns und unsere Ansprüche nicht ernst nehmen, uns schon gar nicht bei der Suche unterstützen. Es könnte sein, dass sich eines der vermissten Bilder in einem polnischen Museum befindet, wir haben viele Indizien. Aber dort ist das Interesse an Aufklärung gering. Warum müssen die Opfer solche Kämpfe kämpfen?
SPIEGEL: Nicht nur der Großonkel Ihres Vaters, auch der Vater Ihres Vaters sammelte Kunst. Auch sie dürfte von den Nazis geraubt worden sein.
Toren: Ja, mein Großvater besaß unter anderem Werke von Käthe Kollwitz, auch von dem hervorragenden deutschen Impressionisten Lesser Ury. Aber wir haben keine schriftlichen Dokumente, aus denen hervorgeht, welche konkreten Werke meinem Großvater gehörten, wie sie abhandenkamen. Über solche Papiere verfügen wir aber im Falle der Bilder aus der Ahornallee, im Falle des Großonkels meines Vaters.
SPIEGEL: In Deutschland dürfte die Sorge vor einem Präzedenzfall groß sein, die Sorge vor weiteren ähnlichen Klagen.
Toren: Ich fürchte eher, dass es nicht viele Fälle gibt, in denen die Beschlagnahmung und der Umfang der geraubten Sammlung so gut dokumentiert sind wie in unserem. Aber unabhängig davon, ob es ein Präzedenzfall wäre oder nicht, es geht darum, das Richtige zu tun.
SPIEGEL: Sie nennen in der Klage vor allem die fehlenden Gemälde, nicht die Antiquitäten und weitere Objekte. Von welchem Wert dieser Bilder gehen Sie aus?
Toren: Diesen Wert müsste man ermitteln. Das Bild, das wir aus Gurlitts Nachlass erhielten, wurde für 2,6 Millionen Euro versteigert. Auf der Beschlagnahmungsliste standen mehr als 50 Bilder, viele von Bedeutung.
SPIEGEL: Ihr Vater reichte die Klage 2016 ein, er war bereits über 90 Jahre alt, aber er wirkte noch kämpferisch und sogar ein wenig zuversichtlich. Nun sind Jahre vergangen – und es ist noch nicht entschieden, ob es zu einem Prozess kommen wird. Woran liegt das?
Toren: Auf jeden Fall nicht nur daran, dass amerikanische Gerichte oft wenig effizient arbeiten. Nein, es liegt vor allem an den immer neuen Versuchen der deutschen Regierung, diesen Prozess zu verhindern.
SPIEGEL: Wie hat die Regierung in Berlin das versucht?
Toren: Sie hat zuerst alles verzögert, indem sie zunächst die Zustellung der Klageschrift nach der Haager Konvention ohne triftigen Grund verweigerte. Wir mussten daher das US-Außenministerium um Hilfe bitten, das hat alles verlangsamt, wir haben ein Jahr verloren. Dann versuchte die deutsche Seite den Prozess mit einer Behauptung zu verhindern: Als ausländischer Souverän sei Deutschland immun, hieß es, obwohl es so einfach nicht ist. Man versteckt sich also hinter verfahrensrechtlichen Hürden. Diese ganze Haltung sagt viel über das heutige Deutschland aus.
SPIEGEL: Was meinen Sie?
Toren: Was Menschen, Verfolgte wie mein Vater, durchmachen mussten, wurde nach dem Krieg nie wirklich anerkannt, es wird bis heute verdrängt, ignoriert.
SPIEGEL: Deutschland wird oft gelobt für seine Aufarbeitung der Vergangenheit.
Toren: Für deutsche Politiker ist es leicht, ihr Bedauern zum Ausdruck zu bringen und zu erklären, dass sich solche Gräueltaten nie wieder ereignen dürfen. Aber wenn es um das einzelne Schicksal, das einzelne Opfer geht, scheint das Bekenntnis zur Reue nicht mehr zu gelten. Vielleicht ist es auch zu schmerzhaft, sich mit dem Verbrechen an einem Individuum, mit dem einzelnen Schicksal auseinanderzusetzen. Ironischerweise ist es also offenbar leichter, die Verantwortung für den Tod von sechs Millionen Juden zu übernehmen als für die Verfolgung des einzelnen Menschen. Doch jeder dieser sechs Millionen war eine einzelne, reale Person mit einer realen Familie.
SPIEGEL: Beobachten Sie, wie sich in Europa, auch in Deutschland, der Antisemitismus wieder verstärkt?
Toren: Natürlich, und leider nimmt er auch in den Vereinigten Staaten zu. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich wirklich besorgt um meine Sicherheit, weil ich Jude bin. Und ich sorge mich noch mehr um die Sicherheit meiner Kinder. Wenn es Deutschland mit der Bekämpfung des Antisemitismus wirklich ernst meint, dann müssen die Politiker mehr tun, als Reden zu halten. Ohne echte Taten sind diese Worte hohl und bedeutungslos.
SPIEGEL: Sie sind selbst Anwalt, Ihr Vater ist Anwalt. Vertrauen Sie der Gesetzgebung, wird sie in diesem Fall für Gerechtigkeit sorgen?
Toren: Auch mein Großvater in Breslau war ja Anwalt, ein sehr renommierter sogar. Ich bin also Anwalt in der dritten Generation, aber ich habe mit zunehmendem Alter gelernt, dass die Gesetze dem Einzelnen nicht immer so helfen, wie sie es tun sollten. In diesem Fall glaube ich immer noch, dass wir uns gegen Deutschland durchsetzen werden. Aber wann wird das sein? Mein Vater wird im April 95 Jahre alt, und es ist unwahrscheinlich, dass er jemals Gerechtigkeit erfahren wird.
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ich finde, in diesem interview sind einige ganz wichtige zukunftsansätze für die "gedenk-" und "erinnerungskultur" zu den ns- verbrechen "aller deutschen" enthalten - und da will ich gerne und voll überzeugung "nestbeschmutzer" sein:
es geht zukünftig weniger um zahlen und aufrechnen und statistik und bürokratie, um das erschauern vor den opferzahlen und dem dazu unweigerlichen einsetzen des "kopfschüttelns" - immer unter der prämisse: "da haben die nazis ... xx menschen vergast, umgebracht, erschossen, vergiftet, verhungern lassen, gemälde geklaut und weiterverhökert, teile der zeitgenössischen kunst für "entartet" erklärt usw. -
und dann taucht bei den meisten menschen heutzutage eine imaginäre "täterbande" im "hinterstübchen" des kopfes auf - aber das war keine "gang", keine "täterbande": diese ungeheuerlichkeiten sind von allen deutschen mit begangen worden.
sie waren konsens auch für lange zeit nach dem 08. mai 1945, denn man dachte gar nicht daran, das unrecht unverzüglich als solches zu benennen und entsprechende anklagen in die wege zu leiten.
das überließ man für lange zeit zunächst den alliierten siegermächten - und trickste sich mit verschweigen und vertuschen zurück ins "neue" seriöse leben: "ärmel aufkrempeln - aufbauen" war angesagt. und das lenkte erst einmal ab.
der 08. mai 1945 wurde lange zeit - auch von meiner mutter immerzu - als "zusammenbruch" bezeichnet. das "deutsche reich" als täter war mitsamt seinem tätervolk zusammengebrochen - und mit der eigennützigen kohle der siegermächte wollte man in einem neoliberalen wirtschaftssystem rasch wieder handel und wandel treiben.
"watt juckt misch mine jeschwätz vun jestern", wird dem ersten bundeskanzler adenauer als kalauer zugeschrieben.
hier nun sagt ein neu-amerikanischer jude dazu folgende sätze:
- Was Menschen, Verfolgte wie mein Vater, durchmachen mussten, wurde nach dem Krieg nie wirklich anerkannt, es wird bis heute verdrängt, ignoriert.
- Wenn es um das einzelne Schicksal, das einzelne Opfer geht, scheint das Bekenntnis zur Reue nicht mehr zu gelten.
- Vielleicht ist es auch zu schmerzhaft, sich mit dem Verbrechen an einem Individuum, mit dem einzelnen Schicksal auseinanderzusetzen.
- Ironischerweise ist es also offenbar leichter, die Verantwortung für den Tod von sechs Millionen Juden zu übernehmen als für die Verfolgung des einzelnen Menschen.
- Doch jeder dieser sechs Millionen war eine einzelne, reale Person mit einer realen Familie.
- Deutschland war der Dieb, Deutschland sollte Verantwortung übernehmen.
- Wenn es Deutschland mit der Bekämpfung des Antisemitismus wirklich ernst meint, dann müssen die Politiker mehr tun, als Reden zu halten. Ohne echte Taten sind diese Worte hohl und bedeutungslos.
- Bei einer Anhörung vor einem Gericht in Washington betonte der Anwalt der deutschen Regierung vor wenigen Wochen, Ihr Vater sei gar kein Opfer, er sei auch "keiner dieser alten Holocaust-Überlebenden, die auf Gerechtigkeit warten"...
- schon 1990 gegenüber den organen und bei der "abwicklung" der pleitegegangenen ddr -
- meines erachtens auch gegenüber den viel zu spät als über 90-jährige greise vor gericht zitierten ehemaligen security-männern in den zwangs- und todeslagern heutzutage,
- während man andere, eindeutigere mittäter ungeschoren mit viel "eine-hand-wäscht-die-andere" davonkommen ließ in den 50er bis 80er jahren, wo es angebrachter gewesen wäre, sich der "befreiung" am 08.mai 1945 zu stellen - und gründlich "klar schiff" zu machen, mit alten haupttätern.
und auch in deiner familie wird es zusammenhänge und mittäter und nicht nur schweiger und opfer geben, wenn du richtig und kritisch nachschaust in den alten kisten - oder dich mal ins örtliche archiv und in die familienannalen begibst, um zu hören und zu lesen, was (ur-)opa und -oma im krieg gemacht - und noch spannender ist vielleicht - gedacht - haben ...
das weitet den blick - und öffnet der "täterbande" im "hinterstübchen" vielleicht tür und tor, in der heutigen realität, im hier & jetzt, mit anzukommen - und hilft vielleicht einer gewissen deutschen "demut" mit auf die sprünge ...
ein paar mal fußball-weltmeister bei den frauen und den männern - und ein paar olympiamedaillen, manche davon sicherlich auch mit verbotenen substanzen erzielt - das bleibt von unserer "sieger-pose" - und dem heimlich immer mal wieder angestimmten "deutschland, deutschland, über alles"... - mehr war da nicht ...