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zeitgeist - geistzeit: „may you live in interesting times“

der eine so - die andere so - soso (sinedi: wege)



Milieus

»Alles ganz heimelig«

Dass Rechtspopulisten so beliebt sind, sei die Folge weitverbreiteter Lebenslügen, meint die Soziologin Cornelia Koppetsch.

  • Kop­petsch, 52, ist Pro­fes­so­rin an der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät Darm­stadt und un­ter­sucht die Ängs­te der Mit­tel­schicht und den Auf­stieg der rechts­po­pu­lis­ti­schen Par­tei­en. Für ihr neu­es Buch hat sie In­ter­views mit AfD-An­hän­gern ge­führt so­wie Fei­ern und Tref­fen der Par­tei be­sucht*).

SPIEGEL: Bei den Eu­ro­pa­wah­len wird das rechts­po­pu­lis­ti­sche La­ger ver­mut­lich er­neut an Stim­men ge­win­nen. Wie er­klä­ren Sie sich den un­ge­bro­che­nen Er­folg?

Kop­petsch: Die Ur­sa­chen sind kom­ple­xer, als es in Talk­shows und Wahl­ana­ly­sen oft na­he­ge­legt wird. We­der der so­ge­nann­te Flücht­lings­strom noch die wach­sen­de Kluft zwi­schen ar­men Ver­lie­rern und rei­chen Ge­win­nern der Glo­ba­li­sie­rung rei­chen als Er­klä­run­gen aus. Wir be­fin­den uns viel­mehr in­mit­ten ei­nes epo­cha­len welt­wei­ten Um­bruchs.

alles nur sprudel (sodastream)


SPIEGEL: Wie mei­nen Sie das?

Kop­petsch: Seit dem Fall der Mau­er be­stim­men nicht mehr zwei ideo­lo­gisch ver­fein­de­te Blö­cke das Welt­ge­sche­hen, son­dern gren­zen­los ope­rie­ren­de Groß­un­ter­neh­men. Die Na­tio­nal­staa­ten ha­ben ei­nen Groß­teil ih­rer Sou­ve­rä­ni­tät ver­lo­ren, weil sie das welt­wei­te Ge­schäft nicht re­gu­lie­ren kön­nen; der Ein­fluss ih­rer Po­li­ti­ker und Be­hör­den reicht trotz al­ler in­ter­na­tio­na­len Ab­kom­men nicht weit ge­nug. Es wird da­durch auch im­mer schwie­ri­ger, be­frie­di­gen­de Lö­sun­gen für so­zia­le Fra­gen zu fin­den.

SPIEGEL: War­um?

Kop­petsch: Da ist ei­ner­seits eine glo­ba­le Ober­schicht, die durch die Welt fliegt oder per Vi­deo­kon­fe­renz in al­len Län­dern mit­be­rät, mit­ent­schei­det und mit­ver­dient, ohne dass sie eine glo­ba­le Ver­ant­wor­tung über­neh­men müss­te. Und an­de­rer­seits ge­langt die Mas­se der Men­schen nicht ein­mal zu be­schei­de­nem Wohl­stand, weil der Ein­fluss von Volks­par­tei­en, Ge­werk­schaf­ten und Ta­rif­ver­trä­gen an den Lan­des­gren­zen en­det und oh­ne­hin schwin­det.

SPIEGEL: War­um stärkt die­se Ent­wick­lung zwangs­läu­fig Rechts­po­pu­lis­ten? Denk­bar wäre doch, dass die Lin­ken mit ih­rer his­to­risch ge­wach­se­nen Idee ei­ner schlag­kräf­ti­gen In­ter­na­tio­na­le da­von pro­fi­tie­ren.

Kop­petsch: Aber ihre Ide­en ge­hö­ren der ver­gan­ge­nen Epo­che an. Die neu­en Rechts­po­pu­lis­ten hin­ge­gen ge­ben sich den An­schein, als sei­en ihre Ide­en un­ver­brauch­te Al­ter­na­ti­ven. Die AfD trägt die­ses Ver­spre­chen so­gar im Na­men. Sie löst es nicht ein, aber dass wir neue und an­de­re Kon­zep­te brau­chen, um mit den tek­to­ni­schen Ver­schie­bun­gen un­se­rer Zeit um­zu­ge­hen, ist un­strit­tig. Auch kul­tu­rell ver­schwim­men ge­ra­de jene ein­deu­ti­gen Zu­ord­nun­gen, die uns frü­her beim Ver­ständ­nis der Welt ge­hol­fen ha­ben. Un­se­re Ge­sell­schaft löst sich aus ih­ren bis­he­ri­gen Ver­an­ke­run­gen.

SPIEGEL: Wor­an den­ken Sie?

Kop­petsch: Es exis­tiert kein ein­deu­ti­ger Ka­non ei­ner hu­ma­nis­tisch ge­präg­ten Hoch­kul­tur mehr, aus dem sich ver­bind­li­che Wer­te ab­lei­ten lie­ßen. Über­haupt scheint das west­li­che Ge­sell­schafts­mo­dell sei­ne Vor­rang­stel­lung ein­ge­büßt zu ha­ben, denn öko­no­mi­scher Fort­schritt ist nicht mehr un­be­dingt an de­mo­kra­ti­sche Wer­te ge­bun­den. Die kul­tu­rel­len Iden­ti­tä­ten, die ei­nem Men­schen mög­lich sind, ha­ben sich ver­viel­fäl­tigt, die Ge­schlech­ter­fra­ge zeigt das bei­spiel­haft: Ne­ben dem männ­li­chen und weib­li­chen gibt es nun ein drit­tes, das »di­vers« heißt und da­mit zahl­rei­che Ge­schlech­ter­kon­zep­te ein­schließt. Doch ob­wohl wir die Welt zu­neh­mend un­ein­deu­tig wahr­neh­men, be­herr­schen lau­ter ein­deu­ti­ge und schein­bar al­ter­na­tiv­lo­se An­sich­ten die öf­fent­li­che De­bat­te. Die li­be­ra­len, ver­meint­lich auf­ge­klär­ten Mi­lieus, die den Ton an­ge­ben, er­tei­len Denk­ver­bo­te.

SPIEGEL: Das ist ein har­ter Vor­wurf – was mei­nen Sie da­mit?

Kop­petsch: Wenn der so­ge­nann­te Otto Nor­mal­ver­brau­cher wäh­rend der Eu­ro­kri­se die Fra­ge stell­te, war­um die EU ei­gent­lich Grie­chen­land ret­ten müs­se, lief er Ge­fahr, als Ver­rä­ter da­zu­ste­hen. Und wer kri­ti­siert, dass die Eu­ro­päi­sche Kom­mis­si­on wie eine Re­gie­rung ar­bei­tet, aber nicht un­mit­tel­bar durch Wah­len le­gi­ti­miert ist, gilt als Feind Eu­ro­pas. Da­bei ver­die­nen sol­che Fra­gen eine sach­li­che Dis­kus­si­on. Aber vie­le der ton­an­ge­ben­den Kos­mo­po­li­ten, wie ich die aka­de­misch ge­bil­de­te und kul­tu­rell do­mi­nie­ren­de Klas­se nen­nen möch­te, mei­nen, dass al­lein ihr Blick auf die Welt zu­läs­sig ist. Auch des­halb ha­ben vie­le bis zu­letzt ge­dacht, dass das bri­ti­sche Volk nie­mals ei­nen Brex­it be­schlie­ßen könn­te. Die Kos­mo­po­li­ten ver­ren­nen sich in Le­bens­lü­gen. Selbst je­nen Ras­sis­mus, den sie den Rechts­po­pu­lis­ten vor­wer­fen, ha­ben sie oft ver­in­ner­licht.

SPIEGEL: Noch so ein har­ter Vor­wurf.

»Viele Kosmopoliten meinen, dass allein ihr Blick auf die Welt zulässig ist.«
Kop­petsch: Es ist eine Spiel­art von Ras­sis­mus, der we­ni­ger of­fen­kun­dig ist, weil er in den In­sti­tu­tio­nen und un­se­rem Wirt­schafts­sys­tem struk­tu­rell tief ver­an­kert ist. Kos­mo­po­li­ten fah­ren eine post­ko­lo­nia­le Di­vi­den­de ein.

SPIEGEL: Was mei­nen Sie denn da­mit?

Kop­petsch: Vie­le hal­ten es letzt­lich für nor­mal, dass sie von den nied­ri­gen Löh­nen der Men­schen aus so­ge­nann­ten Dritt­welt­län­dern pro­fi­tie­ren. Sie er­klä­ren das Ge­fäl­le da­mit, dass de­ren Kul­tur nun ein­mal nicht so weit ent­wi­ckelt ist, und sind mit sich im Rei­nen, wenn sie dem Pa­ket­bo­ten von Ama­zon ein an­stän­di­ges Trink­geld ge­ben. Und na­tür­lich ist es eine Form von Ras­sis­mus, wenn man das ei­ge­ne Kind nicht in ei­ner Schu­le mit zahl­rei­chen Mi­gran­ten wis­sen will. Sich sol­che Denk­mus­ter nicht ein­zu­ge­ste­hen und sich statt­des­sen für aus­län­der­freund­lich und to­le­rant zu hal­ten ist auch so eine Le­bens­lü­ge.

SPIEGEL: Wel­che an­de­ren Selbst­täu­schun­gen mei­nen Sie er­kannt zu ha­ben?

Kop­petsch: Vie­le Kos­mo­po­li­ten ana­ly­sie­ren kri­tisch die Miss­stän­de die­ser Welt. Sie se­hen Mil­lio­nen­ver­die­ner, In­ter­net­fir­men oder das Ma­nage­ment in Groß­un­ter­neh­men als Strip­pen­zie­her an, ma­chen sich aber nicht be­wusst, dass sie die Lage mit­ver­ant­wor­ten, weil sie den neo­li­be­ra­len Wett­be­werb als An­wäl­te, Wis­sen­schaft­ler, Ärzte oder Leh­rer hin­neh­men. Sie zah­len be­reit­wil­lig im­men­se Sum­men für Woh­nun­gen in ge­frag­ten Vier­teln und be­för­dern da­mit die so­zia­le Spal­tung; sie gau­keln ein­an­der vor, mit Stra­te­gi­en der Selbst­op­ti­mie­rung und Wohl­fühl­kost für jede Stim­mungs­la­ge kön­ne je­der sein Le­ben meis­tern. Das ver­stärkt bei je­nen, die be­reits ih­ren All­tag nur mü­he­voll be­wäl­ti­gen, den Ein­druck, sie leb­ten in ei­nem par­al­le­len Uni­ver­sum. Und das Band, das sie emo­tio­nal in der Ge­sell­schaft hält, reißt.

sprachspiele (jonas burgert: spiel)


SPIEGEL: Ha­ben Sie Vor­schlä­ge, wie sich Ab­hil­fe schaf­fen lie­ße?

Kop­petsch: Wir ha­ben nicht vie­le Mög­lich­kei­ten. Wir müs­sen sach­li­cher dis­ku­tie­ren und die ideo­lo­gi­schen Deu­tungs­kämp­fe in der Po­li­tik ein­däm­men. Wir müs­sen uns zu­ge­ste­hen, dass jede Wahr­heit re­la­tiv ist, auch die ei­ge­ne. Und die Orte der ge­sell­schaft­li­chen De­bat­te müss­ten sich öff­nen: Un­ter den Ab­ge­ord­ne­ten im Bun­des­tag hat eine über­wäl­ti­gen­de Mehr­heit stu­diert, un­ter den neu be­ru­fe­nen Pro­fes­so­ren fin­den sich zu­neh­mend aus­schließ­lich Aka­de­mi­ker­kin­der. Wä­ren die Mi­lieus durch­läs­si­ger, lie­ße die At­trak­ti­vi­tät der Rechts­po­pu­lis­ten als Sam­mel­be­cken für al­ler­lei Un­mut nach.

SPIEGEL: Zur Rhe­to­rik der Rechts­po­pu­lis­ten ge­hört men­schen­ver­ach­ten­de Pro­pa­gan­da. Macht das ei­nen un­be­fan­ge­nen Dia­log nicht von vorn­her­ein un­mög­lich?

Kop­petsch: Die Men­schen­wür­de ist un­an­tast­bar, das steht na­tür­lich über al­lem. Ich will die Ex­tre­me in ei­ner Par­tei wie der AfD nicht ver­harm­lo­sen, sie sind in­ak­zep­ta­bel. Aber die Par­tei ist auf vie­len Ebe­nen lei­der ex­trem an­schluss­fä­hig. Ich habe für mei­ne For­schung an Tref­fen des li­be­ra­len Flü­gels teil­ge­nom­men, die sich von de­nen links­li­be­ra­ler Uni­do­zen­ten kaum un­ter­schie­den. Auf ei­nem Fest in der Ad­vents­zeit wur­den Weih­nachts­lie­der ge­sun­gen, al­les ganz hei­me­lig, ich fühl­te mich an mein El­tern­haus er­in­nert. Wenn wir die­se An­schluss­fä­hig­keit un­ter­schät­zen, in­dem wir sie mo­ra­lisch dif­fa­mie­ren, trei­ben wir die Spal­tung un­se­rer Ge­sell­schaft vor­an.

In­ter­view: Kat­ja Thimm | SPIEGEL +

  • *) Cor­ne­lia Kop­petsch: »Die Ge­sell­schaft des Zorns. Rechts­po­pu­lis­mus im glo­ba­len Zeit­al­ter«. tran­script; 288 Sei­ten; 19,99 Euro.
die dem interview beigefügten abbildungen sind teil des kommentars von "sinedi"

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biennale-pavillon in venedig



ja - dieses soziologie-interview - oben - könnte besser nicht platziert sein - hier - als kommentar - direkt über der konzeption des deutschen biennale-pavillons, von dem hier gestern die rede war - oder unter einem ersten biennale rundgang von "vernissage tv" - denn: so isses.

da gibt es diese ganz in echt jetzt ernstgemeinten zusammengepappten identitäten - vor denen wir in ehrfurcht - ja - und sogar wertschätzung - erschauern müss(t)en: wir sind so frei: man nehme.

und in den regalen der virtuellen discounter liegt das zeugs herum: nimm es mit - stopf es dir in die taschen oder in den hals, den du nicht voll genug kriegen kannst: ist dein ruf erst ruiniert - lebt es sich ganz ungeniert ...

und das hatten wir ja da schon - andernorts: "anythings goes" - und alles ist im miteinander kompatibel: passt - wackelt und hat luft ...: die neoliberalen ideen eines ominösen afd-flügels hören sich so an wie das geseiere linksliberaler unidozenten: ich meine, wer ist mit dieser fraglos unzweifelhaften feststellung denn nun blamiert oder gar kompromittiert ???

du musst nur darauf kommen.... den seinen gibt's der herr im schlaf.

und mach dir nichts draus - andern geht es ebenso ... - und nix für ungut - und chuat choan - und lies dazu auch hier ...