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Nicht mehr Pünktchen sondern Anton!

Freiheit trotz Corona-Pandemie

Wollt ihr alle nur kleine Pünktchen sein?

Was wir noch dürfen, entscheidet dieser Tage der Staat. Er sagt, er will uns das Leben retten. Aber mit denkenden, freien Menschen geht das so nicht.

Ein Gastbeitrag in der ZEIT von Alfred Nordmann

  • Alfred Nordmann ist Professor für Wissenschafts- und Technikphilosophie an der TU Darmstadt. Er ist zudem derzeit Gastprofessor an den Technischen Universitäten in Sankt Petersburg (SPbPU) und im südchinesischen Guangzhou (SCUT).
Jeder von uns ein Risikofaktor. Wenige Kontakte, seltene Ansteckung. Doch in einer Demokratie kann das nicht alles sein. © Klaus Vedfelt/​Getty Images



Wollt ihr alle nur kleine Pünktchen sein?

Was sind wir noch? Seitdem Corona die Welt im Griff hat, sind wir eine Anhäufung kleiner Punkte. Sie irren im Raum umher und kollidieren zufällig mit anderen Punkten. So jedenfalls stellt es eine Grafik der Washington Post dar. Einer dieser Punkte ist mit dem Virus infiziert und gibt die Infektion bei jedem Zusammenstoß weiter. In exponentieller Windeseile verbreitet sich die Seuche, und bald schon hat sie die ganze Population erfasst. Wenn nur die Bewegungsfreiheit der Punkte eingeschränkt wird, lässt sich die Ansteckungsrate unter Kontrolle bringen. So eindrucksvoll, so überzeugend. Und doch befremdlich.  

Dass Läden und Restaurants geschlossen sind und Menschen Kontakte meiden müssen, scheint bereits etwas zu verändern. Darum soll bald entschieden werden, wie es weitergehen soll. Das ist eine politische Entscheidung, die sich auf Wissen und Wissenschaft stützt. Dazu gehört das derzeit tonangebende Wissen um die kleinen Punkte, die jeden von uns als ein Risiko definieren, das es einzudämmen gilt.

Erkennen wir uns darin wirklich wieder? Sind wir nichts weiter als blind agierende Partikel, die sich scheinbar ohne Sinn und Verstand durchs Leben bewegen, beobachtet aus der Vogelperspektive einer Regierungskunst, die die Bevölkerung als Ganze schützen und kontrollieren will? Vielleicht gibt es ja ein anderes Wissen, das wir Bürgerinnen und Bürger ins Spiel bringen können. Schließlich verstehen wir das Problem inzwischen genauso gut wie die Epidemiologen und Politikerinnen und haben vielleicht auch Lösungen zu bieten.

Hier stehen verschiedene Wissensformen und Denkweisen in Konkurrenz: Einerseits die im 19. Jahrhundert geprägte Epidemiologie, andererseits die im 21. Jahrhundert aufkommenden Bürgerwissenschaften, hervorgegangen aus der Umweltbewegung und den Open-Source-Idealen der Hackerkultur. 

Der Statistik verdanken wir viel. Mit ihr tritt das Populationsdenken in die Wissenschaften des 19. Jahrhunderts – also die Betrachtung einer möglichst großen Anzahl von Teilchen oder Individuen. Dies kennen wir von den physikalischen Gasgesetzen, aus der Thermodynamik und der Evolutionsbiologie, der Demografie und eben auch der Epidemiologie, also der Wissenschaft der sich weit verbreitenden Krankheiten. 

Dabei repräsentiert die Ansammlung punktförmiger Teilchen die Wahrscheinlichkeiten der Sterblichkeit oder der Kriminalität, der Kollision oder Ansteckung. Der moderne Staat und der heutige Umgang mit der Corona-Krise beruhen hierauf.

Wir können selber denken und Verantwortung übernehmen

Das Wissen selbstverantwortlicher Bürgerinnen besteht darin, dass sie unterscheiden können und angemessene Verhaltensweisen entwickeln. Moralische Konsumenten kaufen fair produzierte Waren, Vereine organisieren Selbsthilfe, Kommunalpolitik schafft Modelle für Nachhaltigkeit. Tagtäglich trennen wir unseren Müll und üben uns dabei in sorgsame Umgangsweisen ein, stellen unsere Verantwortlichkeit unter Beweis. 

Die Chinesinnen führen uns eine ähnlich wissensbasierte Technik vor, wenn sie ihren Mundschutz vom Ohr streifen, behutsam ablegen und dann so wieder umlegen, dass sie die vielleicht infizierte Außenseite gewiss nicht berührt haben. Diese kleinen Alltagsrituale bedeuten viel. Wir können uns problemorientiert organisieren, effektiv handeln und mehr Verantwortung übernehmen, als einfach nur daheim zu bleiben: Wer Mülltrennung beherrscht, kriegt auch Abstandhalten hin. Maschinen können den Müll besser trennen als wir. Aber es ist gut für Gesellschaft und Umwelt, dass fehlbare Menschen das tun. Dies gilt ähnlich für die Maskenpflicht. Sie wäre vor allem ein Wachsamkeitsritual.

Die ausdrücklich so genannten Bürgerwissenschaften gehen weiter. An sie richtete sich kürzlich ein Aufruf der Bundesregierung: "Sei mit deinen Fähigkeiten dabei, wenn wir Lösungen aus der Gesellschaft für die Gesellschaft entwickeln." Innerhalb von 48 Stunden haben über 28.000 Teilnehmer und Teilnehmerinnen mit mehr als 1.500 Projektideen geantwortet. Im #WirVsVirus-Hackathon präsentieren sich schon die Corona-Tracking-Apps, Projekte zu Hilfsmittelverteilung, Krisenmanagement und Kinderbetreuung. 

Auch die Verbesserung von Schnelltests stand auf dem Plan. Nachbarschaftlich einfach einsetzbar sollen sie sein, global frei und schnell verfügbar. Dafür fanden sich nach wenigen Tagen schon internationale Partnerschaften mit Unternehmen und biochemischen Forschungslaboren, wurden Verwertungsrechte geklärt und Kostenpläne entwickelt. Vorbildliche Technik mit globaler Ausrichtung – aus dem Stand heraus?

Das eine tun, ohne das andere zu lassen

Hackathons schöpfen aus dem Überfluss guter Ideen. Um das Virus zu isolieren, können wir Abstand halten und selbstgemachten Mundschutz tragen und Risikogruppen separieren und flächendeckende Schnelltests anbieten und Fieber messen und gedrängte Menschenmengen vermeiden und Kapazitäten ausbauen und Apps entwickeln. Auf keine dieser Maßnahmen ist Verlass und nichts ist so wirksam wie Ladenschließung und Kontaktverbot. Im Zusammenspiel der unvollkommenen Maßnahmen entfaltet sich aber ein großes Instrumentarium, mit dem sich Ansteckungsrisiken fein abgestimmt deutlich reduzieren lassen.

Viel ist in den letzten Wochen passiert und scheint zu funktionieren. Dafür gibt es nun zwei Erklärungen. Es hat Schließungen und Kontaktverbote gegeben, gleichzeitig gehen Menschen jetzt anders, umsichtig miteinander um. Wenn wir die Ansteckungskurve weiterhin flach halten wollen: Muss es bei den Schließungen, den Kontaktverboten bleiben oder sind die neu geregelten Umgangsweisen und vielseitigen Vorkehrungen gegen eine Tröpfcheninfektion hinreichend? Die Epidemiologie hat eine Antwort darauf, das bürgerliche "Wir schaffen das" eine andere.

"Wie lange noch?" Die Antwort darauf gibt die Epidemiologie selbst. Sie wird gebraucht, solange es noch keinen Impfstoff und keine Therapie gibt. Nur in Abwesenheit eines besseren Wissens über Ursachen und Wirkungen, nur wenn ein fein abgestimmtes Handeln unmöglich ist, bieten statistische Bevölkerungsmodelle die beste Orientierung. Solange uns das Virus einfach nur fremd ist, müssen seine Träger ausgegrenzt und weggesperrt werden. Aber das Coronavirus ist uns nicht mehr fremd, keine unbekannte Gefahr. Es handelt sich bei ihm um Tröpfchen, die ganz gesund aussehende Mitmenschen beim Sprechen, Husten und Niesen absondern. Wir verfügen über viele und immer weitere Sozialtechniken, um uns und besonders Gefährdete vor dieser Gefahr zu schützen.

Auch dies ist eine bewährte Sozialtechnik: Um Menschen gefügig zu machen, müssen sie nicht gefoltert werden. Es reicht oft schon, ihnen die Folterwerkzeuge vorzuführen. So können wir unsere jetzige Situation verstehen: Wir durften uns die Kontaktverbote und Schließungen ein paar Wochen lang aus der Nähe anschauen. Lang genug. Das Angstbild des Risikofaktors Mensch aus der Washington Post im Hinterkopf, die Sozialtechniken verantwortlicher Mitgestaltung vor Augen, gehen wir gerne noch 18 Monate geduldig mit Mundschutz und abgezähltem Einkaufswagen in den Supermarkt, wenn sich dadurch ein funktionierendes Gemeinwesen erhalten lässt, einschließlich Theaterabend, Einkaufsparadies und Biergarten.

Oft heißt es, dass die Einschränkungen des öffentlichen Lebens einen Demokratieverlust bedeuten. Dieser wäre aber nicht vor allem der Selbstherrlichkeit plötzlich ermächtigter Politikerinnen und Politiker geschuldet. Vielmehr verdankt er sich der uneingeschränkten Geltung einer Wissenschaft, die Menschen auf Risikofaktoren reduziert und die Bevölkerung kontrollieren muss. Jetzt sollten wir uns fragen, ob eine bürgerwissenschaftlich demokratisierte Epidemiologie möglich ist. Eine Seuchenbekämpfung also, die nicht von oben herab regiert, sondern unsere geschulten Verhaltensweisen und wache Erfindungskraft mobilisiert.

Müssen wir zum Beispiel akzeptieren, dass wir per App im Namen der Gesundheit digital überwacht werden? So eine App sollte Nutzerinnen und Nutzern lieber helfen, selbstverantwortlich durch eine Welt zu navigieren, in der es das Coronavirus gibt. Es geht nicht darum, strenge Maßnahmen zu früh zu lockern. Aber es geht darum, mit dem Risiko gemeinsam umzugehen. Wir sind ein soziales und freies Land, wirtschaftlich stark, verantwortungsbewusst, kreativ und digitalisiert. Warum gehen wir nicht auch diese Krise nicht genauso an – wie eine Gesellschaft, die Zukunft hat?

das waren natürlich überzeugende grafiken zur pandemie: die mit den tanzenden pünktchen, die sich bei einem zusammenstoß alle verfärbten im verhältnis von ca. 1:3 - und die quasi grafisch bewiesen, wie recht doch die "obrigkeit" und virologen mit ihren rigorosen verfügungen und kontaktverboten hatten. mich hatte das wenigstens nach anfänglicher skepsis auch schweren herzens überzeugt - und ich bin - selbst zur risikogruppe gehörend - nun seit 3-4 wochen in selbstquarantäne zu hause und tippe hier in meinen blogs rum und bastele grafiken, die ich manchmal auch gern zumindest als "meine kunst" bezeichne.

ab und zu bin ich zwar einkaufen gewesen, obwohl wir genug toilettenpapier hatten, aber wir brauchten ja trotzdem noch das ein oder andere zu essen - aber mehr war da nicht: einmal bin ich ohne einkauf durch einen kurort hier in der gegend geschlendert, aber als ich die verbarrikadierte stammeisdiele dort sah, blutete mir das herz - also wieder ab nach hause...

und doch regte sich in mir hier und da bei allen aufgegebenen vehaltensmaßregelungen auch hin und wieder mein mir schon vor zig jahren von meiner mutter apostrophiertes "kritikastertum" - und ich dachte mir: das müsste doch auch alles anders gehen - der staat nimmt mir mit seinen verordnungen ja jegliche selbstverantwortung ab - und ich laufe - ganz im gegensatz zu meinem in den 68-er jahren ausgebildeten protestpotenzial - einfach so mit, schüttele mein weißgewordenes haupt - und staune über geradezu "zwanghafte" maskenträger im aldimarkt, denen die 2 m abstand immer noch zu wenig sind und die regelrecht flüchten vor mir im regalgang, der ich keine schutzmaske angelegt habe und auch nicht anlegen möchte - aber wo ich sowieso nicht weiß, woher ich die beziehen sollte.

ich habe beschlossen, solange man mir nicht amtlicherseits eine schutzmaske in den briefkasten wirft oder anderweitig überstellt, muss ich wohl auf diese "wohltat" angeblich für mich und andere verzichten.

und nun lese ich hier diesen hoffnungsvollen und erfrischenden artikel von professor nordmann, der mein unbestimmtes unbehagen der letzten tage gekonnt und mit umsicht und verantwortung in worte und eigentlich nicht zu wiederlegende argumentationen fasst.

und solange mir meine "obrigkeit" nicht vorschreiben muss, wen ich bei der nächsten wahl anzukreuzen habe und mir das als "mündigen bürger" überlässt, wo ich mein kreuz setze, kann er auch wirklich - solange ich kann  - mit mir rechnen, dass ich mich höchst (selbst-)verantwortlich im weiteren verlauf der krise mit rücksicht bewegen werde.

und vielleicht darf ich dann ja doch noch in ein paar wochen in mein für mich gesperrtes ferienbundesland schleswig-holstein fahren, um mich von dem ganzen trubel zu erholen: vergelt's gott...