GESCHICHTE EINER IKONE
Wer Gerhard Richter die geniale Idee zu seinem berühmten Bild von Ulrike Meinhof schenkte
Von Dagmar von Taube | WELT.de
Ihr Foto von Ulrike Meinhof wurde zum weltberühmten Kunstwerk. Gerhard Richter entdeckte das Porträt der RAF-Terroristin in einer Zeitschrift – und malte es ab. Hier spricht Inge-Maria Peters zum ersten Mal über den Weg und Wert ihres Bildes und darüber, wie sie den Künstler erlebte.
Zwölf Uhr mittags, das Corona-Läuten der Alsterdorfer Martin Luther-Kirche ertönt, als wir Inge-Maria Peters, 78, am Telefon erreichen. „Heute kommt aber auch wieder alles zusammen“, entschuldigt sich die Hamburger Fotografin. „Der Rohrprüfer steht vor der Tür, und auf dem Herd brennt gerade meine Tomatensoße an. Aber schießen Sie los.“
WELT: Frau Peters, Sie haben 1966 ein Foto von Ulrike Meinhof gemacht. Wie kam es dazu?
Inge-Maria Peters: Es war im Oktober 1966, ich war freie Fotografin. Ulrike Meinhof schrieb damals für das Magazin „konkret“, mit dessen Herausgeber Klaus Rainer Röhl sie ja verheiratet war. Ich fotografierte die ganzen 68er-Tumulte, all die Leute, Rudi Dutschke, Peggy Parnass, die damals „in“ waren, und sollte für Stefan Aust, den damaligen geschäftsführenden Redakteur von „konkret“, die Meinhof-Familie porträtieren. Wir trafen uns in ihrer Villa in Hamburg-Blankenese, ein sehr schönes Rotklinkerhaus. Es gab viele Bücher. Ich hab meine schwarze Wand ausgerollt und mit meiner Hasselblad mehrere Aufnahmen gemacht, auch von ihr allein. Eine wurde oft als Autorenfoto verwendet. Es war einfach ein Kopf, wie ein Passbild, schwarz-weiß.
WELT: Dreieinhalb Jahre später, im Mai 1970, war Meinhof an der gewaltsamen Befreiung Andreas Baaders aus der Haft beteiligt. Die Aktion galt als Geburtsstunde der linksterroristischen „Rote Armee Fraktion“ (RAF). Wie haben Sie die damals 32-Jährige erlebt?
Peters: Damals, hatte ich das Gefühl, agierte sie eher noch so als brave Hausfrau und Mutter. Sie war ein bisschen verschlossen für mich, trotzdem sehr liebenswürdig, ein weicher, fraulicher Typ. Sie sprach eher leise, aber wir haben auch nicht viel geplaudert. Wir haben die Fotos gemacht, und das war’s.
WELT: Ein Foto ist weltberühmt geworden.
Peters: Ja, durch Herrn Richter. Schon lustig irgendwie.
WELT: Einen der berühmtesten Künstler der Welt und nebenbei: einen der teuersten. Aber erzählen Sie.
Peters: Ich bin sehr kunstinteressiert. 2004 war in der Neuen Nationalgalerie in Berlin die große MoMA-Ausstellung, da bin ich mit meinem Mann hingefahren. Ich weiß noch, wir standen Stunden in der Schlange an, um reinzukommen. Das Museum war proppenvoll. In einem Raum hing dann Richters RAF-Zyklus: alles Schwarz-Weiß-Bilder, deren Thema der kollektive Selbstmord der in Stammheim inhaftierten Terroristen war. Eins von den Bildern war „meine“ Ulrike. Ach, guck mal, dachte ich, das ist ja eigentlich mein Foto. Ich fand diesen Zusammenhang interessant.
Gerhard Richter: Jugendbildnis - Youth Portrait - 1988, 67 cm x 62 cm - Werkverzeichnis: 672-1 - Öl auf Leinwand - „nach einer Fotografie von Inge-Maria Peters“... |
WELT: Waren Sie nicht auch überrascht?
Peters: Nee, mein Foto hat mich weiter nicht groß tangiert. Ich hatte damals den Kopf voll mit so vielen anderen Dingen. Also, ich habe mich überhaupt nicht damit befasst oder darüber nachgedacht, dass das ja dieser berühmte Herr Richter war. Ich war vom Zyklus als Ganzes berührt.
WELT: Die 15 Bilder des RAF-Zyklus hat Richter 1988 gemalt. Haben Sie wirklich erst 2004 und zufällig erfahren, dass er Ihr Foto verwendet hat?
Peters: Ja. Das Bild war ja vorher nie zu sehen, das hing ja in New York. Und wie hätte er es mir mitteilen sollen, er wusste ja gar nicht, dass es von mir war.
WELT: Richter hat sich, wie oft in seiner Arbeit, ein Foto aus einem Printmedium als Vorlage für sein Bild genommen. Das war für Sie als Urheberin des Originals in Ordnung?
Peters: Absolut. Es gibt Fotografen, die sich als Fotokünstler sehen – das tue ich nicht. Es war ja auch nicht mehr 1:1 mein Foto. Richter hat es ja, wie es so seine Art ist, ein bisschen weicher gemacht.
WELT: Für die Bearbeitung eines bestehenden Werks braucht man normalerweise die Zustimmung des Urhebers. Nach Auffassung des Berliner Kunstrechtlers Christian Bauschke ist Richters Verwendung durch das Grundrecht der Kunstfreiheit gedeckt. Der Künstler habe ein eigenständiges Werk geschaffen. Sehen Sie das auch so?
Peters: Man sieht natürlich, dass mein Foto die Vorlage für sein Bild war. Aber es gibt gewisse Veränderungen in den Gesichtszügen. Ulrike Meinhof sieht bei ihm etwas lieblicher aus, fast kindlich, verträumt. Da ist eben dieses Verwischte – seine Handschrift.
WELT: Im Richter-Archiv kann man nachlesen, dass er Meinhof jünger darstellt, weniger entschlossen. Als Laie könnte man sich aber schon fragen, was bei Richter jetzt so anders ist als auf Ihrem Foto.
Peters: Das ist für mich nicht entscheidend. Es ist doch so: Ich habe Meinhof als nette junge Frau fotografiert, die intellektuelle Artikel geschrieben hat, bevor sie im Untergrund verschwand, aber mir ansonsten nicht viel bedeutet hat. Ihr Selbstmord und das, was Richter danach daraus gemacht hat, das ist für mich die spannende Geschichte. Ich habe ein Pressefoto gemacht, jetzt ist es ein Kunstwerk, ein Gemälde.
WELT: Ist Ihre Fotografie dadurch zur Kunst geworden, weil ein bedeutender Künstler wie Richter es in ein anderes Medium erhoben hat?
Peters: Richter ist ein Star, klar. Es wäre allerdings traurig, wenn nur die Prominenz eines Künstlers dazu führte, dass das, was er macht, künstlerisch wertvoll ist.
WELT: Das wird schon auch mit reinspielen.
Peters: Richter ist halt Richter und im Zusammenhang des Zyklus hat er meinem Bild eine ganz neue Dimension und viel mehr Aussage gegeben. Also, ich könnte so was nicht. Das ist hohe Kunst für mich.
WELT: Erst viele Jahre später haben Sie Gerhard Richter in Köln persönlich kennengelernt. Wie kam es zum Kontakt?
Peters: 2012 war Richters 80. Geburtstag. Aus diesem Anlass wurde die Ausstellung „Gerhard Richter: Panorama“ in der Neuen Nationalgalerie in Berlin gezeigt. Und zeitgleich der RAF-Zyklus „18. Oktober 1977“ in der Alten Nationalgalerie. Da hing die Meinhof dann ganz allein an einer Wand, dieses eine Bild. Ich war mit einer Freundin, der Journalistin Helga Vierkant, da und sagte: „Helga, ich stell mich mal kurz davor, fotografier mich mal. Das will ich doch mal Herrn Richter schicken.“ Ich dachte, es interessiert ihn vielleicht, zu erfahren, woher sein Gemälde kommt. Darauf meldete er sich recht bald, wie berührt er sei, und dass er interessiert sei, in Kontakt mit mir zu treten. Wir haben dann sogar mal telefoniert.
WELT: Wie ging es dann weiter?
Peters: Ich weiß nicht mehr, ob er schrieb oder anrief, jedenfalls fragte er irgendwann nach dem Negativ meines Fotos. Das habe ich ihm geschickt. Darauf bedankte er sich in einem Brief für mein „wunderbares Foto der Ulrike Meinhof“. Und schrieb, dass er so von der „Schönheit“ und dem „Aussagenreichtum“ meines Bildes überrascht sei, da er es ja nur als kleine Abbildung kannte, dass er es sich sofort rahmen ließ.
WELT: Er hatte sich einen Abzug gemacht?
Peters: Genau, und er war so begeistert, dass meine Aufnahme eine so andere Qualität als sein, so Richter, „unscharfes Gemälde“ hatte, dass er fand, sie sollte verkäuflich sein – in einer limitierten Auflage, fertig gerahmt. „Vielleicht bin ich jetzt zu voreilig, und Sie finden die Idee ganz abwegig“, schrieb er noch, „aber bedenken sollte man so was schon.“
WELT: Hatte Richter ein schlechtes Gewissen?
Peters: Weiß ich nicht. Das möchte ich ihm nicht unterstellen. Ich denke einfach, als Künstler hat er viele Ideen. Er hat dann noch gesagt, dass er bei allen künftigen Veröffentlichungen meines Bildes stets den Zusatz „nach einer Fotografie von Inge-Maria Peters“ hinzufügen wolle und er hoffe, dass mir das recht sei. Da war ich dann natürlich schon stolz.
WELT: 2015 hat er Ihr Foto dann also noch einmal verwendet – für eine Edition der Zeitschrift „Texte zur Kunst“.
Peters: Die unterstützt er, ja. Er unterstützt ja vieles. Gerade stand im „Hamburger Abendblatt“, dass er 30 Drucke signiert hat, die sind für 650.000 Euro weggegangen – für Obdachlose. Unsere Edition damals, die wir gemeinsam signiert haben, erschien in einer 120er-Auflage. Sie war sofort verkauft. Einen Druck habe ich noch behalten, zur Erinnerung. Der steht hier gerahmt hinterm Sessel.
WELT: Auf dem Fußboden?
Peters: Ich mag mir Frau Meinhof nicht an die Wand hängen. Ich fand das alles toll, aber was mir rückblickend wirklich am meisten bedeutet, ist, dass ich diesen faszinierenden Mann kennenlernen durfte.
WELT: Wie war Richter denn? Er gilt ja als sehr scheu.
Peters: Ist er auch, er war fast schüchtern, aber wir haben uns gut verstanden. Ich habe ihn als sehr liebenswerten, zuvorkommenden Menschen erlebt. Er hat zum Beispiel immer selbst angerufen, nie über seine Sekretärin. Meistens war ich beim Rasensprengen oder irgendwo im Garten am Rumtüdeln. „Guten Tag, hier ist Richter“, hat er sich direkt gemeldet – das fand ich immer so niedlich. Einmal lud er mich nach Köln ein, in seine großen Atelierräume.
WELT: Was heißt eingeladen, hat er Ihnen einen Flug geschenkt?
Peters: Nein, wir sind mit dem Auto gefahren. Ich habe gesagt, ich bring eine Freundin mit. Ich hatte keine Lust, die ganze Strecke allein zu fahren.
WELT:Das finde ich schon erstaunlich. Hätten Sie es nicht angemessen gefunden, dass er zumindest anbietet, für die Reisekosten aufzukommen?
Peters: Ach, nö. Was bringen wir mit, haben wir überlegt. Richter hatte immer eine Keksdose auf seinem Schreibtisch stehen. Ich kann gut Cantuccini backen, diese italienischen Mandelkekse. Die hat er dann gleich in seine Dose gefüllt. Dazu haben wir ihm einen „Ursprung“ auf den Tisch gestellt, unseren Lieblingswein.
WELT: Haben Sie den dann zusammen getrunken?
Peters: Nein, es gab Kaffee. Ich glaube, Herr Richter trinkt tagsüber nicht, und abends waren wir ja allein in unserem Hotel.
WELT: Haben Sie sich nicht irgendwann geduzt?
Peters: Nein! Nein, nein. Ich war ja auch nur zwei oder drei Mal bei ihm. Einmal kam ich allein zum Signieren, das wollte er schnell hinter sich bringen – und einmal eben mit meiner Freundin, Helga Vierkant. Die beiden haben sich wunderbar verstanden. Ich habe damals Fotos von Herrn Richter gemacht, auf denen lacht er, so kennt man ihn gar nicht. Er war so amüsiert, ganz locker. Das war plötzlich ein ganz anderer Mann.
WELT: Hat er Ihnen mal erklärt, warum ihm gerade Ihr Meinhof-Foto auffiel?
Peters: Stimmt, er hätte zig andere wählen können. Hab ich nie nach gefragt. Aber ich habe ohnehin nie viel gefragt. Wenn ich allein bei ihm war, sind wir recht ernsthaft miteinander umgegangen. Ich weiß noch, alles war sehr aufgeräumt. Er ist ja auch ein sehr exakter Arbeiter, nicht so künstlerisch schlampig. Er wollte genau wissen, wie mein Foto damals entstanden ist und wie sie denn so war. Vor allem auch, wie alt sie damals wirklich war. Ich glaube nicht, dass ihr Alter grundsätzlich eine Rolle für ihn gespielt hat, ihm war einfach wichtig, dass alle Angaben korrekt waren.
WELT: Hat es Sie nie beschäftigt, dass Ihr Foto die Vorlage für ein Bild wurde, das ein Vermögen wert ist?
Peters: Nein, um Geld ging es mir nie, wenn Sie das meinen. Daran habe ich nie gedacht. Das stand mir auch gar nicht zu, ich hatte ja mein Honorar von der Redaktion bekommen. Ich glaube, es waren 50 Mark damals. Ich freue mich einfach, dass wir diesen wahnsinnig netten Austausch hatten. Bis vor ein paar Jahren hat er mir noch Postkarten geschickt, wenn ich ihm zum Beispiel zu Ostern geschrieben habe. Dann schrieb er persönlich zurück, handschriftlich. Ich meine, wer macht das noch? Jetzt habe ich länger nichts mehr von ihm gehört.
WELT: Was ist denn aus Ihrem Negativ geworden, das Sie ihm geschickt haben?
Peters: Das hat er mir wieder zurückgegeben. Er hatte eine Weile überlegt, ob und wie er aus meinem Negativ noch irgendetwas machen oder verändern könnte, und mir mehrere Entwürfe geschickt. Aber er hat dann gesagt, dass mein Bild so perfekt für ihn sei und es ihn so berühre, dass er da nichts mehr ändern oder hinzufügen wollte. Zwei seiner „Bilder eines vergeblichen Versuchs“, wie er sie nannte, hat er mir überlassen – handsigniert. Ich hatte sie mal an der Wand hängen, aber dann kriegte ich ein großes Ölbild von einer lieben Freundin geschenkt, da passte das nicht mehr. Meine Wände sind voll.
WELT: Hat sich Ihre Stellung als Fotografin je dadurch verändert, dass Richter eines Ihrer Bilder für seinen zentralen Werkzyklus verwendet hat?
Peters: Als das bekannt wurde durch unsere gemeinsame Edition 2015, war ich ja nicht mehr berufstätig. Ich mach jetzt Fotobücher. Das letzte hieß: „Mein Freund, der Baum“.
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was hat richter nur bewogen, diese weichen unscharfen züge von ulrike meinhof, der "top-terroristin", herauszuarbeiten - ihn, den künstler, dem es um ein ölgemälde nach seiner art von einem kleinen zeitschriftenbild ging, der dann aber die klaren kontraste mit seiner berühmten wischtechnik bearbeitete - und damit sicherlich auch eine aussage zu dem gesamtkomplex "raf" macht. als er 1988 gerade dieses bild wählte, war ihm der weitere lebensweg der porträtierten frau ja bekannt und bewusst.
und ulrike meinhofs tochter zieht durch die lande, und veröffentlichte 2018 zum 50. der "68-er" ein buch, wozu dann auch prompt ein purer pr-text in der "welt" erschien.
und wo schon die überschrift genau das gegenteil dieser von richter in das porträt hineinkomponierten "weichheit" beschreibt: „sie wollte ihre kinder mit in den abgrund reißen“, schreibt da bettina röhl, die tochter meinhofs. ihre mutter sei ein „verlogenes miststück“, das sich „für mord und betrug und selbstbetrug“ entschieden habe ...
okay - bettina röhl war damals, als ihre mutter in den untergrund abtauchte, gerade mal 8 jahre und konnte all die beweggründe zu dieser wahrhaft end-gültigen entscheidung sicherlich nicht überblicken und heute immer noch nicht nachvollziehen. und sie fühlt sich eben 50 jahre später als tochter und als kind "verraten & verkauft", zuerst von diesem "intellektuell-politisierenden" herumgehampel der mutter - und dann von dem konsequenten verschwinden und dem abschließenden suizid.