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Birkenau - ein Gerhard-Richter-Zyklus im Berliner Reichstagsgebäude - eine Er-innerung

aus: DIE ZEIT - CHRIST & WELT Nr. 26 v. 18.Juni 2020 - S. 6

Feuilleton

SAMMLUNG EIN BILD, EIN SATZ, EIN WUNDER
Fotos: © Gerhard Richter 2020 (0087), Bernd von Jutrczenka/Picture Alliance/DPA, Ruprecht Stempell, Privat (2); Illustration: Alfred Schüssler/dieKleinert.de [M]
Norbert Lammert
Heute kuratiert von Norbert Lammert

Seine Empfehlung:
Gerhard Richter: 937-3 Birkenau (2014), Berliner Reichstagsgebäude

Warum haben Sie dieses Bild ausgewählt?

»Der prominente Ort verdeutlicht, dass wir uns vor der Erinnerung an die grauenvollste Phase unserer deutschen Geschichte nicht wegducken dürfen, sondern wir sie uns bewusst vor Augen führen müssen.«

Kurator im Monat Juni ist Norbert Lammert, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung und ehemaliger Bundestagspräsident. Im August 2020 erscheint sein Buch »Christlich-Demokratische Union. Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU« im Siedler Verlag.
ja - mit diesem beitrag aus der neuesten "christ & welt" kam ich wieder in kontakt mit meinem blog-beitrag aus 2017, wo ich die schenkungs-übergabe gerhard richters seines eindrücklichen zyklus "birkenau" in den blick genommen und dokumentiert habe.ich will hier jetzt nicht viel heruminterpretieren, sondern diesen damaligen beitrag mit den entwurfs-vorlagen hier nochmals wiedergeben...
für mich ist diese doku auch ein authentischer einblick in eine "kunst"-werdung: wie menschlich zähes wollen & streben mit allen mitteln ein eigentlich unvorstellbares und unaussprechliches geschehen gegen alle widerstände festhalten und dokumentieren will und muss - und wie ein künstler jahrzehnte später sich dieser original-fotos annimmt und sie interpretiert mit seinen ureigenen stilmitteln - und sie zum gestus für eine erinnerungs- und gedenkkultur macht. 

Gerhard Richters "Birkenau-Zyklus"

September 5, 2017


Gerhard Richters Zyklus "Birkenau"im Bundestags-Foyer im Reichstag in Berlin - mit dpa-bildmaterial (rechts)







"Birkenau" von Gerhard Richter

Der Blick der Opfer

Geschichte freilegen: Der Maler Gerhard Richter übergibt seinen „Birkenau“-Zyklus dem Deutschen Bundestag. VON SIMONE REBER | Tagesspiegel

Aschgrau, Lichtweiß, dazu schrilles Rot, grelles Grün. Die Farben tun weh. Und das ist Absicht. Der eigentliche Schmerz liegt jedoch unter der Oberfläche der Malerei. Denn für seinen „Birkenau“-Zyklus hat sich Gerhard Richter malerisch an Fotografien abgearbeitet, die Häftlinge 1944 im Krematorium von Birkenau aufgenommen haben.


 Undarstellbarer Schrecken. Gerhard Richter – hier im Museum Frieder Burda Baden-Baden – vor den vier Bildern des „Birkenau“-Zyklus.FOTO: ULI DECK/DPA


Am Montag übergibt der Künstler die fotografische Version des vierteiligen Zyklus als Schenkung an den Bundestag. Die vier abstrakten Großformate, die Gerhard Richter als ein einziges Werk betrachtet, hängen dann im Reichstagsgebäude an der Südwand der Eingangshalle, gegenüber von Gerhard Richters hoher Hinterglasmalerei „Schwarz, Rot, Gold“.


So hingen die Original-Fotos in der Burda-Ausstellung 2012.




Richter hatte die historischen Fotografien 2008 in der Zeitung gesehen und sich noch im gleichen Jahr an die Arbeit gemacht, die ersten Versuche aber wieder zur Seite gestellt. Zwei der vier Fotos zeigen, wie Männer auf dem Hof des Krematoriums mit nackten Oberkörpern zwischen den Toten balancieren. Es sind Häftlinge, die zum sogenannten Sonderkommando gehörten. Ihre Aufgabe war es, die Leichen der Ermordeten im Freien zu verbrennen, wenn im Krematorium kein Platz mehr war. Im Hintergrund sieht man dicken Rauch aufsteigen.

Richter hat sich immer wieder mit der NS-Zeit befasst

Der Fotograf muss sich hinter der Tür der Gaskammer versteckt haben. Der schwarze Rahmen bestimmt den Bildausschnitt und belegt die Position des heimlichen Beobachters. Die Bilder sind seine Botschaften aus Birkenau.

Mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und der unscharfen Grauzone der Verdrängung hat sich Gerhard Richter immer wieder beschäftigt. Er hat seinen Onkel Rudi, wie er in Wehrmachtsuniform lächelt, gemalt. Und er hat seine Tante Marianne gemalt, die von den Nationalsozialisten ausgelöscht wurde, weil sie an Schizophrenie litt. Der „Birkenau“- Zyklus aber ist nach zwei Anläufen Richters erste fertiggestellte Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Schicht um Schicht legt der Maler in den Abstraktionen seine Farben über die Perspektive des Fotografen, die Gemälde bergen den Blick der Opfer wie eine schwere Fracht in sich.

Inzwischen ist die Entstehung der Vorlagen weitgehend erforscht. Eine polnische Widerstandsgruppe schmuggelte Film und Kamera ins Konzentrationslager. Alberto Errera, ein griechischer Marineoffizier jüdischen Glaubens, soll auf den Auslöser gedrückt haben, während andere Häftlinge des Sonderkommandos Wache standen. So gelang es Errera im August 1944, den Massenmord zu dokumentieren.

Gerhard Richters vier Gemälde wurden 2015, ein Jahr nach ihrer Fertigstellung, erstmals im Dresdner Albertinum ausgestellt. Ihre Entstehung ist akribisch protokolliert. Nachdem Richter die Schwarzweiß-Fotos auf die Leinwand übertragen hatte, übermalte er sie. Erst braun, wie die nackte Erde, dann rot wie das Leiden, grün wie die perfide Waldidylle im Hintergrund, schließlich anthrazit wie die Asche und weiß wie der Tod.

Gerhard Richter malt die dunkle Trauer, aber auch die schwärende Wunde. Mit dem Rakel kratzt er die Farbe, öffnet die Oberfläche, verschließt sie wieder, lässt die Schlieren verlaufen und schabt die Krusten ab. Aus den beunruhigenden Dissonanzen ist ein malerisches Requiem für Millionen Tote entstanden und eine Hommage an eine Handvoll Häftlinge, die an die Wirkungskraft von Bildern glaubte.

Die Fotos wurden in einer Zahnpastatube aus dem KZ geschmuggelt

Neben den beiden Fotos aus der Tür der Gaskammer gelangen Alberto Errera auf dem offenen Hof des Krematoriums noch zwei weitere Bilder. Eins zerriss er, es zeigt nur Bäume und Himmel. In dem zweiten ist eine Gruppe nackter Frauen zu sehen, die auf die Gaskammer warten, wie der Fotograf von seiner Arbeit im Sonderkommando weiß. Die Fotos konnten in einer Zahnpastatube aus dem Konzentrationslager geschmuggelt werden, gelangten aber vor Kriegsende nicht an die Öffentlichkeit. Alberto Errera kam nach einem Fluchtversuch ums Leben.

Schon in seiner ersten Arbeit für das 1999 wieder eröffnete Reichstagsgebäude experimentierte Gerhard Richter mit Fotografien aus Konzentrationslagern. In seinem Bildarchiv, dem „Atlas“, ist ein Entwurf für die über dreißig Meter hohe Wand dokumentiert. Doch der Blick der anderen auf die Opfer entrückt diese. Am Ende entschied er sich für den Dreiklang „Schwarz, Rot, Gold“.

Seine vier Gemälde für den "Birkenau"-Zyklus ließ der Künstler fotografieren und hinter Acrylglas versiegeln. Eine der beiden fotografischen Weiterverarbeitungen seiner Malerei wird jetzt im Bundestag hängen.

Die schmerzenden Farben der „Birkenau“-Bilder werden sich beißen mit dem „Schwarz, Rot, Gold“. Und auch das ist sicherlich Absicht.





  • Einäscherung Vergaster in den Verbrennungsgräben unter freiem Himmel vor der Gaskammer des Krematoriums 5 in Auschwitz. August 1944. Oswiecim, Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau (Negative Nr. 280-281) - 
  • und Frauen auf dem Weg in die Gaskammer des Krematoriums 5 von Auschwitz. August 1944. Oswiecim, Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau (Negative Nr. 282-283).

Die Bilder wurden innerhalb von 15-30 Minuten von einem Insassen in Auschwitz-Birkenau, dem Vernichtungslager im Auschwitz-Komplex, aufgenommen. In der Regel nannte man ihn nur als Alex, ein jüdischer Gefangener aus Griechenland, der ein Mitglied des Sonderkommandos war, das in und um den Gaskammern Zwangsdienste ausführen musste.

Mehrere Quellen identifizierten ihn als Alberto Errera, ein griechischer Marineoffizier.  Er nahm zwei Fotografien aus einer der Gaskammern auf und zwei draußen. Er fotografierte aus der Hüfte, unfähig, die Kamera mit Präzision auf das Motiv auszurichten. Der polnische Widerstand schmuggelte den Film aus dem Lager in einer Zahnpasta-Tube.
Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Sonderkommando_photographs

harte schale - weicher kern

KUNST

GESCHICHTE EINER IKONE

Wer Gerhard Richter die geniale Idee zu seinem berühmten Bild von Ulrike Meinhof schenkte


Von Dagmar von Taube | WELT.de

Ihr Foto von Ulrike Meinhof wurde zum weltberühmten Kunstwerk. Gerhard Richter entdeckte das Porträt der RAF-Terroristin in einer Zeitschrift – und malte es ab. Hier spricht Inge-Maria Peters zum ersten Mal über den Weg und Wert ihres Bildes und darüber, wie sie den Künstler erlebte.

Zwölf Uhr mittags, das Corona-Läuten der Alsterdorfer Martin Luther-Kirche ertönt, als wir Inge-Maria Peters, 78, am Telefon erreichen. „Heute kommt aber auch wieder alles zusammen“, entschuldigt sich die Hamburger Fotografin. „Der Rohrprüfer steht vor der Tür, und auf dem Herd brennt gerade meine Tomatensoße an. Aber schießen Sie los.“

WELT: Frau Peters, Sie haben 1966 ein Foto von Ulrike Meinhof gemacht. Wie kam es dazu?

Inge-Maria Peters: Es war im Oktober 1966, ich war freie Fotografin. Ulrike Meinhof schrieb damals für das Magazin „konkret“, mit dessen Herausgeber Klaus Rainer Röhl sie ja verheiratet war. Ich fotografierte die ganzen 68er-Tumulte, all die Leute, Rudi Dutschke, Peggy Parnass, die damals „in“ waren, und sollte für Stefan Aust, den damaligen geschäftsführenden Redakteur von „konkret“, die Meinhof-Familie porträtieren. Wir trafen uns in ihrer Villa in Hamburg-Blankenese, ein sehr schönes Rotklinkerhaus. Es gab viele Bücher. Ich hab meine schwarze Wand ausgerollt und mit meiner Hasselblad mehrere Aufnahmen gemacht, auch von ihr allein. Eine wurde oft als Autorenfoto verwendet. Es war einfach ein Kopf, wie ein Passbild, schwarz-weiß.

WELT: Dreieinhalb Jahre später, im Mai 1970, war Meinhof an der gewaltsamen Befreiung Andreas Baaders aus der Haft beteiligt. Die Aktion galt als Geburtsstunde der linksterroristischen „Rote Armee Fraktion“ (RAF). Wie haben Sie die damals 32-Jährige erlebt?

Peters: Damals, hatte ich das Gefühl, agierte sie eher noch so als brave Hausfrau und Mutter. Sie war ein bisschen verschlossen für mich, trotzdem sehr liebenswürdig, ein weicher, fraulicher Typ. Sie sprach eher leise, aber wir haben auch nicht viel geplaudert. Wir haben die Fotos gemacht, und das war’s.

WELT: Ein Foto ist weltberühmt geworden.

Peters: Ja, durch Herrn Richter. Schon lustig irgendwie.

WELT: Einen der berühmtesten Künstler der Welt und nebenbei: einen der teuersten. Aber erzählen Sie.

Peters: Ich bin sehr kunstinteressiert. 2004 war in der Neuen Nationalgalerie in Berlin die große MoMA-Ausstellung, da bin ich mit meinem Mann hingefahren. Ich weiß noch, wir standen Stunden in der Schlange an, um reinzukommen. Das Museum war proppenvoll. In einem Raum hing dann Richters RAF-Zyklus: alles Schwarz-Weiß-Bilder, deren Thema der kollektive Selbstmord der in Stammheim inhaftierten Terroristen war. Eins von den Bildern war „meine“ Ulrike. Ach, guck mal, dachte ich, das ist ja eigentlich mein Foto. Ich fand diesen Zusammenhang interessant.

Gerhard Richter: Jugendbildnis - Youth Portrait - 1988, 67 cm x 62 cm - Werkverzeichnis: 672-1 - Öl auf Leinwand -
„nach einer Fotografie von Inge-Maria Peters“...


WELT: Waren Sie nicht auch überrascht?

Peters: Nee, mein Foto hat mich weiter nicht groß tangiert. Ich hatte damals den Kopf voll mit so vielen anderen Dingen. Also, ich habe mich überhaupt nicht damit befasst oder darüber nachgedacht, dass das ja dieser berühmte Herr Richter war. Ich war vom Zyklus als Ganzes berührt.

WELT: Die 15 Bilder des RAF-Zyklus hat Richter 1988 gemalt. Haben Sie wirklich erst 2004 und zufällig erfahren, dass er Ihr Foto verwendet hat?

Peters: Ja. Das Bild war ja vorher nie zu sehen, das hing ja in New York. Und wie hätte er es mir mitteilen sollen, er wusste ja gar nicht, dass es von mir war.

WELT: Richter hat sich, wie oft in seiner Arbeit, ein Foto aus einem Printmedium als Vorlage für sein Bild genommen. Das war für Sie als Urheberin des Originals in Ordnung?

Peters: Absolut. Es gibt Fotografen, die sich als Fotokünstler sehen – das tue ich nicht. Es war ja auch nicht mehr 1:1 mein Foto. Richter hat es ja, wie es so seine Art ist, ein bisschen weicher gemacht.

WELT: Für die Bearbeitung eines bestehenden Werks braucht man normalerweise die Zustimmung des Urhebers. Nach Auffassung des Berliner Kunstrechtlers Christian Bauschke ist Richters Verwendung durch das Grundrecht der Kunstfreiheit gedeckt. Der Künstler habe ein eigenständiges Werk geschaffen. Sehen Sie das auch so?

Peters: Man sieht natürlich, dass mein Foto die Vorlage für sein Bild war. Aber es gibt gewisse Veränderungen in den Gesichtszügen. Ulrike Meinhof sieht bei ihm etwas lieblicher aus, fast kindlich, verträumt. Da ist eben dieses Verwischte – seine Handschrift.

WELT: Im Richter-Archiv kann man nachlesen, dass er Meinhof jünger darstellt, weniger entschlossen. Als Laie könnte man sich aber schon fragen, was bei Richter jetzt so anders ist als auf Ihrem Foto.

Peters: Das ist für mich nicht entscheidend. Es ist doch so: Ich habe Meinhof als nette junge Frau fotografiert, die intellektuelle Artikel geschrieben hat, bevor sie im Untergrund verschwand, aber mir ansonsten nicht viel bedeutet hat. Ihr Selbstmord und das, was Richter danach daraus gemacht hat, das ist für mich die spannende Geschichte. Ich habe ein Pressefoto gemacht, jetzt ist es ein Kunstwerk, ein Gemälde.

WELT: Ist Ihre Fotografie dadurch zur Kunst geworden, weil ein bedeutender Künstler wie Richter es in ein anderes Medium erhoben hat?

Peters: Richter ist ein Star, klar. Es wäre allerdings traurig, wenn nur die Prominenz eines Künstlers dazu führte, dass das, was er macht, künstlerisch wertvoll ist.

WELT: Das wird schon auch mit reinspielen.

Peters: Richter ist halt Richter und im Zusammenhang des Zyklus hat er meinem Bild eine ganz neue Dimension und viel mehr Aussage gegeben. Also, ich könnte so was nicht. Das ist hohe Kunst für mich.

WELT: Erst viele Jahre später haben Sie Gerhard Richter in Köln persönlich kennengelernt. Wie kam es zum Kontakt?

Peters: 2012 war Richters 80. Geburtstag. Aus diesem Anlass wurde die Ausstellung „Gerhard Richter: Panorama“ in der Neuen Nationalgalerie in Berlin gezeigt. Und zeitgleich der RAF-Zyklus „18. Oktober 1977“ in der Alten Nationalgalerie. Da hing die Meinhof dann ganz allein an einer Wand, dieses eine Bild. Ich war mit einer Freundin, der Journalistin Helga Vierkant, da und sagte: „Helga, ich stell mich mal kurz davor, fotografier mich mal. Das will ich doch mal Herrn Richter schicken.“ Ich dachte, es interessiert ihn vielleicht, zu erfahren, woher sein Gemälde kommt. Darauf meldete er sich recht bald, wie berührt er sei, und dass er interessiert sei, in Kontakt mit mir zu treten. Wir haben dann sogar mal telefoniert.

WELT: Wie ging es dann weiter?

Peters: Ich weiß nicht mehr, ob er schrieb oder anrief, jedenfalls fragte er irgendwann nach dem Negativ meines Fotos. Das habe ich ihm geschickt. Darauf bedankte er sich in einem Brief für mein „wunderbares Foto der Ulrike Meinhof“. Und schrieb, dass er so von der „Schönheit“ und dem „Aussagenreichtum“ meines Bildes überrascht sei, da er es ja nur als kleine Abbildung kannte, dass er es sich sofort rahmen ließ.

WELT: Er hatte sich einen Abzug gemacht?

Peters: Genau, und er war so begeistert, dass meine Aufnahme eine so andere Qualität als sein, so Richter, „unscharfes Gemälde“ hatte, dass er fand, sie sollte verkäuflich sein – in einer limitierten Auflage, fertig gerahmt. „Vielleicht bin ich jetzt zu voreilig, und Sie finden die Idee ganz abwegig“, schrieb er noch, „aber bedenken sollte man so was schon.“

WELT: Hatte Richter ein schlechtes Gewissen?

Peters: Weiß ich nicht. Das möchte ich ihm nicht unterstellen. Ich denke einfach, als Künstler hat er viele Ideen. Er hat dann noch gesagt, dass er bei allen künftigen Veröffentlichungen meines Bildes stets den Zusatz „nach einer Fotografie von Inge-Maria Peters“ hinzufügen wolle und er hoffe, dass mir das recht sei. Da war ich dann natürlich schon stolz.

WELT: 2015 hat er Ihr Foto dann also noch einmal verwendet – für eine Edition der Zeitschrift „Texte zur Kunst“.

Peters: Die unterstützt er, ja. Er unterstützt ja vieles. Gerade stand im „Hamburger Abendblatt“, dass er 30 Drucke signiert hat, die sind für 650.000 Euro weggegangen – für Obdachlose. Unsere Edition damals, die wir gemeinsam signiert haben, erschien in einer 120er-Auflage. Sie war sofort verkauft. Einen Druck habe ich noch behalten, zur Erinnerung. Der steht hier gerahmt hinterm Sessel.

WELT: Auf dem Fußboden?

Peters: Ich mag mir Frau Meinhof nicht an die Wand hängen. Ich fand das alles toll, aber was mir rückblickend wirklich am meisten bedeutet, ist, dass ich diesen faszinierenden Mann kennenlernen durfte.

WELT: Wie war Richter denn? Er gilt ja als sehr scheu.

Peters: Ist er auch, er war fast schüchtern, aber wir haben uns gut verstanden. Ich habe ihn als sehr liebenswerten, zuvorkommenden Menschen erlebt. Er hat zum Beispiel immer selbst angerufen, nie über seine Sekretärin. Meistens war ich beim Rasensprengen oder irgendwo im Garten am Rumtüdeln. „Guten Tag, hier ist Richter“, hat er sich direkt gemeldet – das fand ich immer so niedlich. Einmal lud er mich nach Köln ein, in seine großen Atelierräume.

WELT: Was heißt eingeladen, hat er Ihnen einen Flug geschenkt?

Peters: Nein, wir sind mit dem Auto gefahren. Ich habe gesagt, ich bring eine Freundin mit. Ich hatte keine Lust, die ganze Strecke allein zu fahren.

WELT:Das finde ich schon erstaunlich. Hätten Sie es nicht angemessen gefunden, dass er zumindest anbietet, für die Reisekosten aufzukommen?

Peters: Ach, nö. Was bringen wir mit, haben wir überlegt. Richter hatte immer eine Keksdose auf seinem Schreibtisch stehen. Ich kann gut Cantuccini backen, diese italienischen Mandelkekse. Die hat er dann gleich in seine Dose gefüllt. Dazu haben wir ihm einen „Ursprung“ auf den Tisch gestellt, unseren Lieblingswein.

WELT: Haben Sie den dann zusammen getrunken?

Peters: Nein, es gab Kaffee. Ich glaube, Herr Richter trinkt tagsüber nicht, und abends waren wir ja allein in unserem Hotel.

WELT: Haben Sie sich nicht irgendwann geduzt?

Peters: Nein! Nein, nein. Ich war ja auch nur zwei oder drei Mal bei ihm. Einmal kam ich allein zum Signieren, das wollte er schnell hinter sich bringen – und einmal eben mit meiner Freundin, Helga Vierkant. Die beiden haben sich wunderbar verstanden. Ich habe damals Fotos von Herrn Richter gemacht, auf denen lacht er, so kennt man ihn gar nicht. Er war so amüsiert, ganz locker. Das war plötzlich ein ganz anderer Mann.

WELT: Hat er Ihnen mal erklärt, warum ihm gerade Ihr Meinhof-Foto auffiel?

Peters: Stimmt, er hätte zig andere wählen können. Hab ich nie nach gefragt. Aber ich habe ohnehin nie viel gefragt. Wenn ich allein bei ihm war, sind wir recht ernsthaft miteinander umgegangen. Ich weiß noch, alles war sehr aufgeräumt. Er ist ja auch ein sehr exakter Arbeiter, nicht so künstlerisch schlampig. Er wollte genau wissen, wie mein Foto damals entstanden ist und wie sie denn so war. Vor allem auch, wie alt sie damals wirklich war. Ich glaube nicht, dass ihr Alter grundsätzlich eine Rolle für ihn gespielt hat, ihm war einfach wichtig, dass alle Angaben korrekt waren.

WELT: Hat es Sie nie beschäftigt, dass Ihr Foto die Vorlage für ein Bild wurde, das ein Vermögen wert ist?

Peters: Nein, um Geld ging es mir nie, wenn Sie das meinen. Daran habe ich nie gedacht. Das stand mir auch gar nicht zu, ich hatte ja mein Honorar von der Redaktion bekommen. Ich glaube, es waren 50 Mark damals. Ich freue mich einfach, dass wir diesen wahnsinnig netten Austausch hatten. Bis vor ein paar Jahren hat er mir noch Postkarten geschickt, wenn ich ihm zum Beispiel zu Ostern geschrieben habe. Dann schrieb er persönlich zurück, handschriftlich. Ich meine, wer macht das noch? Jetzt habe ich länger nichts mehr von ihm gehört.

WELT: Was ist denn aus Ihrem Negativ geworden, das Sie ihm geschickt haben?

Peters: Das hat er mir wieder zurückgegeben. Er hatte eine Weile überlegt, ob und wie er aus meinem Negativ noch irgendetwas machen oder verändern könnte, und mir mehrere Entwürfe geschickt. Aber er hat dann gesagt, dass mein Bild so perfekt für ihn sei und es ihn so berühre, dass er da nichts mehr ändern oder hinzufügen wollte. Zwei seiner „Bilder eines vergeblichen Versuchs“, wie er sie nannte, hat er mir überlassen – handsigniert. Ich hatte sie mal an der Wand hängen, aber dann kriegte ich ein großes Ölbild von einer lieben Freundin geschenkt, da passte das nicht mehr. Meine Wände sind voll.

WELT: Hat sich Ihre Stellung als Fotografin je dadurch verändert, dass Richter eines Ihrer Bilder für seinen zentralen Werkzyklus verwendet hat?

Peters: Als das bekannt wurde durch unsere gemeinsame Edition 2015, war ich ja nicht mehr berufstätig. Ich mach jetzt Fotobücher. Das letzte hieß: „Mein Freund, der Baum“.
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was hat richter nur bewogen, diese weichen unscharfen züge von ulrike meinhof, der "top-terroristin", herauszuarbeiten - ihn, den künstler, dem es um ein ölgemälde nach seiner art von einem kleinen zeitschriftenbild ging, der dann aber die klaren kontraste mit seiner berühmten wischtechnik bearbeitete - und damit sicherlich auch eine aussage zu dem gesamtkomplex "raf" macht. als er 1988 gerade dieses bild wählte, war ihm der weitere lebensweg der porträtierten frau ja bekannt und bewusst.

und ulrike meinhofs tochter zieht durch die lande, und veröffentlichte 2018 zum 50. der "68-er" ein buch, wozu dann auch prompt ein purer pr-text in der "welt" erschien. 

und wo schon die überschrift genau das gegenteil dieser von richter in das porträt hineinkomponierten "weichheit" beschreibt: „sie wollte ihre kinder mit in den abgrund reißen“, schreibt da bettina röhl, die tochter meinhofs. ihre mutter sei ein „verlogenes miststück“, das sich „für mord und betrug und selbstbetrug“ entschieden habe ...

okay - bettina röhl war damals, als ihre mutter in den untergrund abtauchte, gerade mal 8 jahre und konnte all die beweggründe zu dieser wahrhaft end-gültigen entscheidung sicherlich nicht überblicken und heute immer noch nicht nachvollziehen. und sie fühlt sich eben 50 jahre später als tochter und als kind "verraten & verkauft", zuerst von diesem "intellektuell-politisierenden" herumgehampel der mutter - und dann von dem konsequenten verschwinden und dem abschließenden suizid.

am 15. juni 1972 wird ulrike meinhof in hannover-langenhagen festgenommen. dieses foto stammt wohl von einer vernehmung am 18. juni. - quelle: picture-alliance / dpa


ganze 6 jahre liegen also zwischen dem foto von 1966 von inge-maria peters, das dann die vorlage zum richterschen porträt-gemälde wurde, und dem foto ihres zwangsverhörs von 1972, aus dem für mich wenigstens dann auch verzweiflung und resignation und eine portion jähzorn und letzter widerstand spricht - und diese von richter so verwischt-weiche etwas herablassende, fast zynische intellektualität in den zügen entgleisen zu ohnmacht und niederlage und dem abrupten ende eines kurzen lebenstraumes.

die worte und urteile der tochter müssen wir sicherlich so stehen lassen und zur kenntnis nehmen - aber so ist das ja oftmals im leben eines menschen, das hinter den weichen sympathischen überlegenen zügen dann auch nach langen durchdiskutierten, ideologisierenden und durchgeschriebenen nächten und manuskripten ein ganz neuer widerspenstiger kern hervortritt: und eben auch da galt dann diese einfache binsenwahrheit: "auf einer schiefen ebene, auf die man sich, aus welchen beweggründen auch immer, begeben hat, gibt es je nach neigungswinkel irgendwann einfach kein 'zurück' mehr - man rutscht ab und fällt - ganz tief ...

ich würde der tochter bettina röhl von ganzem herzen wünschen, dass auch sie etwas von der weichheit aus dem richter-bild für ihre mutter irgendwann vielleicht auch zu empfinden vermag und aus dem bild ziehen kann - um einzuordnen: so war - trotz allem - meine mama auch ... - im kern vielleicht - unter der später warum auch immer verhärteten schale...

ist das kunst - oder kann das weg ???

symbol-bild richter-skizzen: gerhard richter: bühler höhe (skizze) - bühler höhe (sketch) - 1991 52 cm x 62 cm werkverzeichnis: 749-2 - öl auf leinwand - by www.gerhard-richter.com


Geldstrafe für Diebstahl von Richter-Skizzen

Prozess: Zwischen weggeworfenem Altpapier vor Gerhard Richters Haus entdeckt ein Mann Skizzen des Malers – und versucht, sie zu Geld zu machen. Sind die entsorgten Entwürfe überhaupt etwas wert?

Die Bilder, um die es geht, sind dick mit Pappe, Folie und Klebestreifen verpackt. „Jetzt muss ich aber ganz vorsichtig sein“, sagt Richterin Katharina Potthoff, als sie sich mit einer Schere an dem flachen Päckchen abmüht.

Schließlich befinden sich darin Originale des Malers Gerhard Richter, der einer der teuersten lebenden Künstler ist. Nur, dass die Bilder nach dessen Ansicht misslungen sind. Darum hat er sie nicht signiert, sondern in seine Altpapiertonne geworfen. Und von dort hat ein Mann sie mitgenommen. Dafür verurteilte das Kölner Amtsgericht ihn wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe.

Der Angeklagte schweigt im Prozess zu den Vorwürfen. Manchmal zieht der 49-Jährige die Stirn spöttisch in Falten oder schüttelt den Kopf. Gerhard Richter ist nicht erschienen. Bei der polizeilichen Vernehmung war der Angeklagte nicht so schweigsam wie im Gerichtssaal. „Er sagte, der Müllcontainer sei durch einen Sturm umgeweht worden“, schildert ein Polizeibeamter. Der Angeklagte habe nach eigenen Angaben „etwas Gutes tun wollen“, indem er im Juli 2016 die herausgefallenen Papiere einsammeln und wieder in die Tonne legen wollte. Dabei habe er die vier Werke – postkartengroße, mit Öl übermalte Fotos – gefunden.

Der Angeklagte sei an Richters Kölner Villa gewesen, um ihm eine Kunstmappe zum Kauf anzubieten. Doch der Maler habe abgelehnt. Auch über die Skizzen aus dem Altpapier hätte er sich – so erklärte der Angeklagte es der Polizei – später gerne mit Richter „geeinigt“, aber er habe ja kein Gehör gefunden. So bot der arbeitslose Angeklagte zwei der Bilder einem Münchner
Auktionshaus an. Für das Gericht steht laut Urteil außer Frage, dass die eigentlich unverkäuflichen Bilder dennoch einen guten Preis erzielen könnten, würde man einen Käufer finden. Der genaue Wert könne aber nicht geschätzt werden – in der Anklage ist die Rede von 60.000 Euro. Am Ende verurteilt das Gericht den Mann zu einer Geldstrafe von 3.150 Euro – 90 Tagessätze zu je 35 Euro.

Die Bilder sollen eingezogen werden. „Auch wenn die Skizzen neben der Papiertonne lagen, waren sie noch Eigentum des Künstlers“, sagt Richterin Potthoff in der Urteilsbegründung. Indem der Maler die Bilder in den Müll warf, habe er sie „an einen Entsorgungsbetrieb zum Zwecke der Entsorgung übereignet“.

Richter selbst hat nach Angaben seines Ateliers an einer Strafverfolgung des Angeklagten kein Interesse, sondern wolle nur, dass die Arbeiten vernichtet werden.



symbolbild richter-skizzen: gerhard richter: skizzen blatt - sketch sheet: 1967 29.7 cm x 40 cm zeichnungen-wvz: 67/7 - graphit und kugelschreiber auf papier - by www.gerhard-richter.com 



Text: NEUE WESTFÄLISCHE, 25.04.2019, Kultur/Medien

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tja - ist das kunst - oder kann das weg ??? - ab wann wird kunst zur kunst: jetzt gerade in der diskussion um die nazi-vergangenheit von emil nolde, und auch bei der diskussion um die missbrauchsvorwürfe gegen michael jackson, sagen die fans, es komme einzig und allein auf die "kunst" an: also bei nolde sein expressiver einzigartiger malstil und bei michael jackson seine einzigartigen songs und performances - es komme nicht so sehr auf den künstler an, der das jeweilige werk geschaffen hat: das kunst-"produkt", seine ureigene kreation ist das entscheidende.

der künstler / die künstlerin hat wie alle menschen brüche in der biographie - und musste sich oft auch durch prekäre phasen - wie alle menschen im leben - durchschlagen: erst gestern las ich diese toll und treffend formulierte zeile vom "ambivalenten material gelebten lebens" ...- das es in jedem fall zu konstatieren gilt.

der kunstbetrieb selbst sieht das anders: da kommt es auf die signatur auf dem werk an, auf seine "autorisierung", damit etwas zur kunst wird: das werk selbst ist nicht soooo wichtig (stichwort: "das kann mein vierjähriger auch" ...)

bei gerhard richter ist es nun so, dass der oft übermalte photographien zur unverwechselbaren kunst kreiert, die auch seinen "stil" mit ausmachen. und natürlich "verwirft" der künstler auch entwürfe, die ihm nicht "gelungen" erscheinen - er verwirft sie nach gutdünken - und genauso erhebt er andere - für den außenstehenden fast verwechselbare gleiche exemplare - zu seiner "kunst", durch seine signatur und nimmt sie in sein werkverzeichnis auf (s. abb. hier...)

und den schäbigen rest legt er in die abfallkiste, die dann irgendwann ein entsorgungsbetrieb abholt und (hoffentlich) gewissenhaft vernichtet.

also: kunst / keine kunst - signatur / keine signatur ...

und bei dem streetart-künstler banksy wird das ganze prozedere noch komplizierter: der schuf den abzug eines bildes auf leinen aus einer seiner unverwechselbaren genial gestalteten schablonen - hier mit dem titel: "the girl with balloon", das er sonst als graffiti an hauswände drappiert - er signiert das bild dann als echten "banksy" - liefert es in einem von ihm selbst mechanisch präparierten rahmen in ein auktionshaus ein - und just, als sich der auktionshammer nach dem gebot von 1,2 mio. gesenkt hat, zerschreddert die vom künstler eingebrachte mechanik im bildrahmen das werk in streifen - aber nur bis zur hälfte ...- was eine panne darstellte, denn banksy wollte es ganz zerstören und so gegen den kunstmarkt-wahnsinn protestieren.

die käuferin ist eine "europäische sammlerin und langjährige kundin von sotheby's", teilt nun das auktionshaus mit -  und nehme es auch zerschreddert an: dies sei das "erste kunstwerk der geschichte, das während einer auktion live entstanden" sei - so ein sprecher dazu von "sotheby's".

die käuferin ersteht also nun das bis zur hälfte zerschnittene bild trotzdem - eben zum aufgerufenen auktionspreis - und flugs steigen die werte nochmal - nun für diesen bildtorso - und selbst das ehrwürdige burda-museum ist sich nicht zu schade, diesen kunstfetzen nun anzupreisen und auszustellen ...

"love is in the bin§
da will also ein künstler sein werk bei seiner millionenschweren veräußerung gleichzeitig in schnipsel zerstückeln, aber die mechanik versagt bei der hälfte - und schnipsel und restbild bilden nun ein neues kunstwerk, dem banksy den titel: "love is in the bin" - die liebe ist im eimer gibt...

und diesen banksy-akt insgesamt nun mit dem restefund von richter zu vergleichen zeigt ja auch, wie schwer es ist, kunst-(aktionen) tatsächlich richterlich zu bewerten - das ist juristisch sicherlich ein drahtseilakt.

denn da geht es doch nur noch um die reine sache: wer hat wann wem zu welchem zweck etwas "übereignet"... - und sogar unverdorbene speisereste aus dem müllcontainer eines discounters werden ja als "diebstahl" geahndet...

die jungen jahre der altmeister

mit diesem titelbild verweist "ART" auf die stuttgarter ausstellung


Kunst

Klebriger Stolz

In Stuttgart werden die Künstler Gerhard Richter, Anselm Kiefer, Georg Baselitz und Sigmar Polke zu Nationalhelden aufgepumpt. Sie sollen den Schatten der deutschen Geschichte überstrahlen.

Von Hanno Rauterberg | zeit [click]



Adrett und freundlich und vollkommen gegenwärtig: Sigmar Polkes Gemälde "Freundinnen" von 1965/66 © The Estate of Sigmar Polke, Cologne/VG Bild-Kunst, Bonn 2019


Das mit dem Weltruhm war anfangs nur ein Jux. So wie es mit der Kunst ein Jux war, meistens jedenfalls, und wie überhaupt damals, in den Sechzigerjahren, das Leben für Gerhard Richter und Sigmar Polke kaum anders auszuhalten war als auf dauerspöttelnde, herrlich blöde Weise. Für eine kleine Ausstellung in Hannover hatten die beiden eine Broschüre zusammengekleistert, die schickten sie ihrem Galeristen und schrieben, sie fänden, dieser "Katalog" sei "sehr gelungen", das werde ganz bestimmt "ein kulturpolitisches Ereignis ersten Ranges und von internationaler Bedeutung sein, richtungsweisend und progressiv. Ihre Galerie wird mit einem Schlag im Zenit der Kultursonne stehen ..." Nun ja, es sollte anders kommen, aber nicht sehr viel.

Ein halbes Jahrhundert später, am Donnerstag, den 11. April 2019, stand die Kultursonne dann nämlich sehr hoch, als im großen Saal der Staatsgalerie Stuttgart ein Mann die Bühne betrat, dessen Gesten und Worte stets so wohlgerundet sind, als sollte das ganze Land in ihm, diesem properen Menschen, jene Zufriedenheit finden, die es selbst nicht aufbringt. Es war Frank-Walter Steinmeier, der Bundespräsident, er war gekommen, um tatsächlich "ein kulturpolitisches Ereignis ersten Ranges" zu feiern. Gleich vier Künstler und ihr Frühwerk, neben Polke und Richter noch Anselm Kiefer und Georg Baselitz, wurden als "richtungsweisend und progressiv" besungen.

In dieser Hymne des Bundespräsidenten war viel von Verneigung die Rede, vom "unersetzlichen Beitrag" der Künstler, vom "Dank unseres Landes" und ganz zum Schluss, in stiller Ergriffenheit, auch davon, dass "wir stolz darauf sind, dass diese Kunst aus Deutschland ihren Weg in die Welt gemacht hat".

Stolz, sagten dann auch die anderen Redner an diesem frühen Abend, stolz seien sie natürlich ebenfalls. Und der Stolz sei überaus berechtigt, erklärte schließlich der Kurator Götz Adriani, denn seit Albrecht Dürer, seit Jahrhunderten also, habe die deutsche Kunst nie höher im internationalen Zenit gestanden als heute. Und das Beste: Gemeinsam mit der Kunst stehen auch wir, die Deutschen, nun im hellen Licht. Einst, sagte Adriani, habe der Tod als Meister aus Deutschland gegolten. Heute sei die Kunst ein Meister aus Deutschland.

Er sagte es wirklich so, er hat es auch im Katalog so geschrieben, mehrmals gleich, und zur Sicherheit steht es ebenfalls in der Pressemappe, damit bloß niemand die Botschaft dieser Ausstellung verpasse: dass die Todesfuge von Paul Celan, diese Erinnerung an die Schoah, verklungen sei und nun ein helleres Lied angestimmt, nein, längst in aller Welt gesungen werde, Deutschland, großes Künstlerland!

Vom Todes- zum Kunstweltmeister?

Niemand an diesem Abend, kein Bundes- und kein Ministerpräsident, keiner der Museumsleute schien das übermäßig seltsam zu finden. Auch Anselm Kiefer nicht, der als einziger der vier Künstler nach Stuttgart gekommen war, um sich ehren zu lassen, ohne aber selbst ein Wort zu sagen. Und so konnte Adriani, der große Um- und Neudeuter, seine Gedanken weiter entfalten, konnte schildern, wie piefig, verklemmt und geschichtsvergessen die Deutschen gewesen seien, bis am Ende das große "Kunstwunder" über sie kam. Ein Kunstwunder, das just jenen vier Künstlerhelden zu verdanken sei, die er, Adriani, nun zusammengeführt habe.

Mit Kiefer begann es 1988, mit dessen Ausstellungstournee durch die USA, dann folgten die anderen drei, die dort ebenfalls von sich reden machten – und auf diese Weise "das Schattendasein deutscher Kunst", so Adriani, überwanden und das der Deutschen gleich mit.

Wie genau man sich diese erlösende Verwandlung vom Todes- zum Kunstweltmeister vorzustellen habe, blieb in Stuttgart zwar im Vagen. Dass es aber gewiss an den Künstlern lag, dass es ihre "geschichtsbewusste und immer auch politisch zu verstehende Kunst" war, wie der Bundespräsident meinte, das klang aber immerhin plausibel. Diese Kunst, sagte Steinmeier noch, gehöre heute "zu unserer deutschen Seelenlandschaft" und habe damit "den Blick auf unser Land verändert und tief geprägt". Dann Applaus! Sekt! Zufriedenheit!

Schwelgen in der eigenen, überschäumenden Bedeutsamkeit

Einst hätten die vier Künstler, noch jung und verwegen, einen Abend wie diesen höhnisch johlend verlassen. Sie hatten nichts mit dem im Sinn, was ihnen jetzt, in einem Akt geschichtspolitischer Selbstverklärung, angetragen wurde. Keineswegs wollten sie sozialkritisch sein, keineswegs politisch, keine "Aufklärer", wie es in Stuttgart hieß. Ihre Kunst sollte kein Mittel eines irgendwie gesellschaftlichen Zwecks sein, denn davon, vom klebrigen Stolz des Staates, hatten zumindest drei von ihnen, Polke, Richter, Baselitz, mehr als genug. Sie waren der DDR entkommen, wo man größten Wert auf eine "immer auch politisch zu verstehende Kunst" legte – und also waren die Künstler emsig darum bemüht, jeden tieferen Sinn ins Lächerliche zu ziehen.

Nicht eine andere Welt, eher schon eine andere Kunst stand ihnen vor Augen, daraus machen die Künstler noch heute keinen Hehl. Im Katalog, der vor allem aus langen Interviews besteht, sagt Gerhard Richter: "Kritisch war meine Kunst nie." Georg Baselitz sagt: "Die Provokation, die ich meinte, betraf nur die interne kleine Welt des Kunstbetriebs." Ähnlich plädiert Anselm Kiefer für eine strikte "Trennung von Kunst und Politik". Und von Sigmar Polke, der vor neun Jahren starb, weiß man ebenfalls, dass er sich gegen jede Art von Indienstnahme sträubte. Egal wie sehr die Künstler nun heroisiert werden, sie selbst verstanden sich als Anti-Helden einer Anti-Kunst, niemandem verpflichtet als sich selbst.

Nichts von den Künstlern gelernt

Dennoch blieben sie Zeitgenossen, das belegen nicht zuletzt ihre Werke. In der Stuttgarter Ausstellung hängen sie auf sehr dichte, oft übermäßig gedrängte Weise, man sieht dort Kiefer, wie er in einer Performance den Hitlergruß entrichtet, man sieht Polke, der den Amüsierzwang der Nachkriegsdeutschen in lauter Pünktchen zerstieben ließ, man sieht Baselitz und seine zerlumpten Helden, Triebmenschen, so haltlos erregt wie die Kunst dieses Malers. Und Richter? Bei Richter taucht auf einem Bild, einem abgemalten Urlaubsfoto, sein Schwiegervater auf, ein Arzt, der zur SS gehörte und Menschen gegen ihren Willen sterilisierte.

Mit gehobenem Geschichtsbewusstsein, gar mit erinnerungspolitisch wertvoller Trauerarbeit hat das alles nichts zu tun. Bei seiner Bildauswahl, sagt Richter im Interview, habe er nicht zwischen Werbe- und Privatbildern unterschieden, einzig sei es ihm um das "Abgeschmackte und Epigonale" der Motive gegangen, um "die Banalität", denn allein so habe er sich "von einer im Dienste linker Politik stehenden Kunst" absetzen können. Überdies rückt seine glatte, alle Details verwischende Maltechnik das Bedeutungsvolle und das Bedeutungslose gleichermaßen in ein Jenseits der Geschichte. Alle Konkretion ist seinen Bildern entwichen. Es sind keine Zeugnisse, erst recht keine "politischen Ausrufezeichen", wie der Katalog meint. Wenn sich der frühe Richter überhaupt mit der Schoah befasste, dann mit ihrer Ästhetik: Er kombinierte pornografische Bilder mit den fotografierten Leichenbergen der Konzentrationslager, da er beides als voyeuristisch empfand (später verwarf er die Idee).

Auch Baselitz und Kiefer sind nicht gerade als Aufklärer bekannt, in ihren mal egomanisch-wühlenden, mal mythenreich-weihevollen Werken wird die deutsche Geschichte eher verklärt als erhellt. Dass die vier Künstler nun dennoch zu Lichtgestalten erhoben werden, die "etwas Urdeutsches" repräsentierten und als Vorkämpfer einer geläuterten Nation zu bestaunen seien, das kann man nur als krudes Missverständnis begreifen. Denn weit mehr als ihr später Erfolg verbindet diese sehr unterschiedlichen Maler ihr früher Zweifel: Zweifel am Sinn der Kunst, am Status der Künstler, an dem, was Malerei überhaupt noch sein könnte. "Das Zaudern, die Furcht vor dem Versagen – das bin ich." So sagt es Anselm Kiefer.

Vielleicht ist das die eigentliche Enttäuschung der Stuttgarter Ausstellung: Sie lernt nichts von den Künstlern. Sie gönnt sich keine Zweifel, kein Zaudern, erst recht keine anarchische Blödelei. Sie schwelgt in der eigenen, überschäumenden Bedeutsamkeit. Und verrät damit die Kunst, die sie rühmt.


  • Die Ausstellung "Die jungen Jahre der alten Meister" läuft bis zum 11. August; dann vom 13. September an in den Hamburger Deichtorhallen


vor lauter minderwertigkeitskomplexen ob früherer verfehlungen wird hier nun eine ausstellung gleich völlig überhöht und überkandidelt auf's "weltmeister"-podest gehoben. da war deutschland im fußball nun nach dem krieg 4 x weltmeister - und schon versucht man in diesen kategorien auch in der kunst ein ähnliches wettbewerbs-ranking zu suggerieren.

okay - baselitz-richter-kiefer-polke - das sind schon schwergewichte auch auf internationaler ebene, wenigstens wenn man ihre auktionserfolge dabei bewertet.

aber ein jeder dieser vier ist individualist geblieben - und von mannschafts"sport" war da höchstens etwas zu spüren, wenn ein galerist oder ein kurator alle vier mal zufällig zusammenbrachte - soviel haben diese nun nicht gemeinsam, dass sie etwa als deutsche "nationalmannschaft" auflaufen könnten.

auch sollte man sich hüten vor aller art "kulturnationalismus"... es gab schon einmal zeiten, als man "deutschsein" mit "beseeltem künstlertum" und "dichter und denker" gleichsetzte - aber dabei andere nationen abwertete, weil sie da "vom wesen her" nicht "heranreichten"...

alle vier hatten zu beginn immer große selbstzweifel, die sie anfangs nur mit spötteleien und viel schabernack aushalten konnten und wollten: da waren die drei aus der ddr: richter, baselitz und polke - polke war ja bereits 12-jährig in den westen gelangt, baselitz war in ost-berlin wegen „gesellschaftspolitischer unreife“ von der kunsthochschule geflogen, um in westberlin weiter zu studieren bei keinem geringeren als dem informel-künstler hann trier - und gerhard richter kam 1961 in den westen. einzig anselm kiefer war westdeutscher herkunft - und sein vater war ein spät anerkannter kunstpädagoge.

polke. "schwarze ecke"
und alle vier suchten ihre "visitenkarte" - ihren stil, denn sie wollten ja von ihrer kunst unverwechselbar leben: kiefer meditierte deutsche mythen und z.b. celan-gedichtzeilen mit ausgefallenen materialien nach (stroh - blei u.a.) - baselitz malte seine werke "auf den kopf", um eine ganz neue originelle betrachtungsweise zu erzeugen - richter fing im westen damit an, alte familien-kleinbildfotos aus der "agfa-box" vergrößert zu malen und durch eine eigenartige über-wischtechnik mit dem widdelquast zu verfremden und mit einer dadurch gewonnenen "aura"-schicht auszustaffieren und zu mythologisieren..., während sigmar polke stilistisch vielfach "zu hause" war - und oftmals fast satirisch-kabarettistisch arbeitete - z.b. ein heute sehr bedeutsames werk mit dem titel: "höhere wesen befahlen: rechte obere ecke schwarz malen! ..." - das heute auch als abstraktion eines hitler-porträts gesehen wird ... - polke hatte wohl von allen vieren am meisten "den schalk im nacken" - und nahm sich selbst nicht allzu ernst - hat aber
polke. kirchenfenster in zürich
auch mit viel selbstdisziplin beispielsweise ein großartiges kirchenfenster aus achatschnitten im "grossmünster zürich" als auftragsarbeit geschaffen.

bei aller genialen weltmeisterschafts-reife gab es bei allen vieren, aber auch durchhänger, die dann von publikum wohlwollend "übersehen" wurden.

alles in allem ist es eine interessante zusammenstellung der vier wohl bedeutsamsten künstler im nachkriegs-deutschland - mit viel genie und oft gleichzeitig auch viel selbstironie ... - einfach nur schön...