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Birkenau - ein Gerhard-Richter-Zyklus im Berliner Reichstagsgebäude - eine Er-innerung

aus: DIE ZEIT - CHRIST & WELT Nr. 26 v. 18.Juni 2020 - S. 6

Feuilleton

SAMMLUNG EIN BILD, EIN SATZ, EIN WUNDER
Fotos: © Gerhard Richter 2020 (0087), Bernd von Jutrczenka/Picture Alliance/DPA, Ruprecht Stempell, Privat (2); Illustration: Alfred Schüssler/dieKleinert.de [M]
Norbert Lammert
Heute kuratiert von Norbert Lammert

Seine Empfehlung:
Gerhard Richter: 937-3 Birkenau (2014), Berliner Reichstagsgebäude

Warum haben Sie dieses Bild ausgewählt?

»Der prominente Ort verdeutlicht, dass wir uns vor der Erinnerung an die grauenvollste Phase unserer deutschen Geschichte nicht wegducken dürfen, sondern wir sie uns bewusst vor Augen führen müssen.«

Kurator im Monat Juni ist Norbert Lammert, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung und ehemaliger Bundestagspräsident. Im August 2020 erscheint sein Buch »Christlich-Demokratische Union. Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU« im Siedler Verlag.
ja - mit diesem beitrag aus der neuesten "christ & welt" kam ich wieder in kontakt mit meinem blog-beitrag aus 2017, wo ich die schenkungs-übergabe gerhard richters seines eindrücklichen zyklus "birkenau" in den blick genommen und dokumentiert habe.ich will hier jetzt nicht viel heruminterpretieren, sondern diesen damaligen beitrag mit den entwurfs-vorlagen hier nochmals wiedergeben...
für mich ist diese doku auch ein authentischer einblick in eine "kunst"-werdung: wie menschlich zähes wollen & streben mit allen mitteln ein eigentlich unvorstellbares und unaussprechliches geschehen gegen alle widerstände festhalten und dokumentieren will und muss - und wie ein künstler jahrzehnte später sich dieser original-fotos annimmt und sie interpretiert mit seinen ureigenen stilmitteln - und sie zum gestus für eine erinnerungs- und gedenkkultur macht. 

Gerhard Richters "Birkenau-Zyklus"

September 5, 2017


Gerhard Richters Zyklus "Birkenau"im Bundestags-Foyer im Reichstag in Berlin - mit dpa-bildmaterial (rechts)







"Birkenau" von Gerhard Richter

Der Blick der Opfer

Geschichte freilegen: Der Maler Gerhard Richter übergibt seinen „Birkenau“-Zyklus dem Deutschen Bundestag. VON SIMONE REBER | Tagesspiegel

Aschgrau, Lichtweiß, dazu schrilles Rot, grelles Grün. Die Farben tun weh. Und das ist Absicht. Der eigentliche Schmerz liegt jedoch unter der Oberfläche der Malerei. Denn für seinen „Birkenau“-Zyklus hat sich Gerhard Richter malerisch an Fotografien abgearbeitet, die Häftlinge 1944 im Krematorium von Birkenau aufgenommen haben.


 Undarstellbarer Schrecken. Gerhard Richter – hier im Museum Frieder Burda Baden-Baden – vor den vier Bildern des „Birkenau“-Zyklus.FOTO: ULI DECK/DPA


Am Montag übergibt der Künstler die fotografische Version des vierteiligen Zyklus als Schenkung an den Bundestag. Die vier abstrakten Großformate, die Gerhard Richter als ein einziges Werk betrachtet, hängen dann im Reichstagsgebäude an der Südwand der Eingangshalle, gegenüber von Gerhard Richters hoher Hinterglasmalerei „Schwarz, Rot, Gold“.


So hingen die Original-Fotos in der Burda-Ausstellung 2012.




Richter hatte die historischen Fotografien 2008 in der Zeitung gesehen und sich noch im gleichen Jahr an die Arbeit gemacht, die ersten Versuche aber wieder zur Seite gestellt. Zwei der vier Fotos zeigen, wie Männer auf dem Hof des Krematoriums mit nackten Oberkörpern zwischen den Toten balancieren. Es sind Häftlinge, die zum sogenannten Sonderkommando gehörten. Ihre Aufgabe war es, die Leichen der Ermordeten im Freien zu verbrennen, wenn im Krematorium kein Platz mehr war. Im Hintergrund sieht man dicken Rauch aufsteigen.

Richter hat sich immer wieder mit der NS-Zeit befasst

Der Fotograf muss sich hinter der Tür der Gaskammer versteckt haben. Der schwarze Rahmen bestimmt den Bildausschnitt und belegt die Position des heimlichen Beobachters. Die Bilder sind seine Botschaften aus Birkenau.

Mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und der unscharfen Grauzone der Verdrängung hat sich Gerhard Richter immer wieder beschäftigt. Er hat seinen Onkel Rudi, wie er in Wehrmachtsuniform lächelt, gemalt. Und er hat seine Tante Marianne gemalt, die von den Nationalsozialisten ausgelöscht wurde, weil sie an Schizophrenie litt. Der „Birkenau“- Zyklus aber ist nach zwei Anläufen Richters erste fertiggestellte Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Schicht um Schicht legt der Maler in den Abstraktionen seine Farben über die Perspektive des Fotografen, die Gemälde bergen den Blick der Opfer wie eine schwere Fracht in sich.

Inzwischen ist die Entstehung der Vorlagen weitgehend erforscht. Eine polnische Widerstandsgruppe schmuggelte Film und Kamera ins Konzentrationslager. Alberto Errera, ein griechischer Marineoffizier jüdischen Glaubens, soll auf den Auslöser gedrückt haben, während andere Häftlinge des Sonderkommandos Wache standen. So gelang es Errera im August 1944, den Massenmord zu dokumentieren.

Gerhard Richters vier Gemälde wurden 2015, ein Jahr nach ihrer Fertigstellung, erstmals im Dresdner Albertinum ausgestellt. Ihre Entstehung ist akribisch protokolliert. Nachdem Richter die Schwarzweiß-Fotos auf die Leinwand übertragen hatte, übermalte er sie. Erst braun, wie die nackte Erde, dann rot wie das Leiden, grün wie die perfide Waldidylle im Hintergrund, schließlich anthrazit wie die Asche und weiß wie der Tod.

Gerhard Richter malt die dunkle Trauer, aber auch die schwärende Wunde. Mit dem Rakel kratzt er die Farbe, öffnet die Oberfläche, verschließt sie wieder, lässt die Schlieren verlaufen und schabt die Krusten ab. Aus den beunruhigenden Dissonanzen ist ein malerisches Requiem für Millionen Tote entstanden und eine Hommage an eine Handvoll Häftlinge, die an die Wirkungskraft von Bildern glaubte.

Die Fotos wurden in einer Zahnpastatube aus dem KZ geschmuggelt

Neben den beiden Fotos aus der Tür der Gaskammer gelangen Alberto Errera auf dem offenen Hof des Krematoriums noch zwei weitere Bilder. Eins zerriss er, es zeigt nur Bäume und Himmel. In dem zweiten ist eine Gruppe nackter Frauen zu sehen, die auf die Gaskammer warten, wie der Fotograf von seiner Arbeit im Sonderkommando weiß. Die Fotos konnten in einer Zahnpastatube aus dem Konzentrationslager geschmuggelt werden, gelangten aber vor Kriegsende nicht an die Öffentlichkeit. Alberto Errera kam nach einem Fluchtversuch ums Leben.

Schon in seiner ersten Arbeit für das 1999 wieder eröffnete Reichstagsgebäude experimentierte Gerhard Richter mit Fotografien aus Konzentrationslagern. In seinem Bildarchiv, dem „Atlas“, ist ein Entwurf für die über dreißig Meter hohe Wand dokumentiert. Doch der Blick der anderen auf die Opfer entrückt diese. Am Ende entschied er sich für den Dreiklang „Schwarz, Rot, Gold“.

Seine vier Gemälde für den "Birkenau"-Zyklus ließ der Künstler fotografieren und hinter Acrylglas versiegeln. Eine der beiden fotografischen Weiterverarbeitungen seiner Malerei wird jetzt im Bundestag hängen.

Die schmerzenden Farben der „Birkenau“-Bilder werden sich beißen mit dem „Schwarz, Rot, Gold“. Und auch das ist sicherlich Absicht.





  • Einäscherung Vergaster in den Verbrennungsgräben unter freiem Himmel vor der Gaskammer des Krematoriums 5 in Auschwitz. August 1944. Oswiecim, Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau (Negative Nr. 280-281) - 
  • und Frauen auf dem Weg in die Gaskammer des Krematoriums 5 von Auschwitz. August 1944. Oswiecim, Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau (Negative Nr. 282-283).

Die Bilder wurden innerhalb von 15-30 Minuten von einem Insassen in Auschwitz-Birkenau, dem Vernichtungslager im Auschwitz-Komplex, aufgenommen. In der Regel nannte man ihn nur als Alex, ein jüdischer Gefangener aus Griechenland, der ein Mitglied des Sonderkommandos war, das in und um den Gaskammern Zwangsdienste ausführen musste.

Mehrere Quellen identifizierten ihn als Alberto Errera, ein griechischer Marineoffizier.  Er nahm zwei Fotografien aus einer der Gaskammern auf und zwei draußen. Er fotografierte aus der Hüfte, unfähig, die Kamera mit Präzision auf das Motiv auszurichten. Der polnische Widerstand schmuggelte den Film aus dem Lager in einer Zahnpasta-Tube.
Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Sonderkommando_photographs