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erinnern & frieren im februar -

 


denn diese "Z | ze.tt" spoken-word-performance über das erinnern allgemein & zu den morden in hanau & anderswo - erschließt fast zeile für zeile das geschehen um erna kronshage mit: diese morde in hanau am 19. februar [2020] - & die ermordung erna kronshages am 20. februar [1944] - also - es passt schon:
"du musst in einem februar frieren..."

... und deshalb ist diese Performance auch Teil meines Website-Titels 

***

Tanasgol Sabbagh hat ein Gedicht über Hanau geschrieben. Eine Spoken-Words-Performance, begleitet von Drummerin Linda-Philomène Tsoungui.

Neun Menschen starben in der Nacht vom 19. Februar 2020 in Hanau:

  • Ferhat Unvar
  • Gökhan Gültekin
  • Hamza Kurtović
  • Said Nesar Hashemi
  • Mercedes Kierpacz
  • Sedat Gürbüz
  • Kaloyan Velkov
  • Vili Viorel Păun und
  • Fatih Saraçoğlu.

 Der rechtsextreme Täter erschoss sie in und vor Bars, auf einem Parkplatz und in einem Kiosk. Später tötete er seine Mutter und anschließend sich selbst.

 Dieser Anschlag reiht sich ein in die Geschichte rechtsextremer und rassistischer Gewalt in der Bundesrepublik. Der Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke, der rechtsextreme, antisemitische Anschlag in Halle, die Mordserie des NSU oder die Morddrohungen des sogenannten NSU 2.0 sind Beispiele der jüngeren deutschen Geschichte.

Ein Jahr nach dem Anschlag von Hanau hat die Lyrikerin Tanasgol Sabbagh ein Gedicht geschrieben. Für ZEIT ONLINE performt sie den Text im Video mit Linda-Philomène Tsoungui. 

Hier gibt es den gesamten Text zum Nachlesen: 

***

Du musst in einem Februar frieren

Die Nacht, die Namen 

Du sprichst es Erinnern aus
als würdest du Entrinnen meinen
ist mir aufgefallen.
Du sagst: Erinnern und schon fließt es aus dem Kopf und durch die Finger

Stimmt es: Ein Jahr muss vergangen sein

Was lag in der Nacht
was nahm sich die Nacht heraus

Stimmt es: Du musst in einem Februar frieren

Lange sagten sie: Integration, wenn sie an den Tüchern zerrten und an der Sprache
lange sagten sie: Multikulti, wenn wir für sie singen durften und tanzen
lange sagten sie: Allen Menschen steht alles offen – wenn sie denn nur wollen –
 

Doch wir kennen die Grenzen, die sich durch Viertel, durch Schul- und Arbeitswege,
durch die Architektur der Wohnsiedlungen ziehen
wir kennen die Statistik
vielleicht nicht ihre genaue Zahl, aber wir kennen ihre Wahrheit

Wir zählen die Städte seit den Neunzigern
in den neuen Bundesländern und den alten
zählen Einzelfall nach Einzelfall nach Einzelfall

Du sprichst Erinnern aus.

Du sagst: Errrinern und schon fließt es aus dem (Kopf)

 Du kannst es kaum fassen:

Die Nacht die Schüsse die Namen
Die Nacht die Schüsse die Namen
Die Nacht die Schüsse die Namen
Die Nacht

Wir sagen: Das Problem liegt im System
wir buchstabieren i n s t i t u t i o n e l l
und warten geduldig, bis unser Antrag bearbeitet wird

Uns überraschen keine Talkshows
wir kennen sie alle
wir wissen, wie sie konzipiert sind,
worauf sie abzielen
wir kennen den Preis der Einschaltquoten
wir wissen, wer ihn bezahlt
wir kleben an unseren Handys und sprechen seit einem Jahr von einer Nacht und neun Namen –
wir kennen auch die anderen
wir kennen die davor. Und die danach
wir vergessen nicht

wir erkennen uns an dem Maß, das voll ist
an dem Gras, das nicht mehr wachsen wird
über diese Vergangenheit,
die uns noch immer in die Augen starrt in der Bahn
oder im Park
dort, wo wir durch Haut und Haar auffallen,
erkennen wir sie an ihrem Atem
wir müssen nicht erst nach der Farbe der Schnürsenkel suchen

Wir kennen alle Namen.
Die, die sie uns geben,
so gut
wie die, die sie uns nehmen

Neun Namen,
wir denken an sie und ihre Familien
wir stellen ihre ungelösten Fragen
hier: Wo die Geschichte schon zu vielen Nächten einen Namen gab
hier: Kein Errrrinnern, kein Entrinnen mehr.

W i r  e r i n n e r n.


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  • ZEIT ONLINE Dokus & Reportagen | YouTube-Kanal

 

hanau auf den grund gehen: schau und hör dir diese rede an - danke

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Gedenken in Hanau

"Ich habe Angst gehabt in meiner eigenen Wohnung"

Die Rede von Kemal Kocak, der viele der Ermordeten persönlich kannte.

Hanau auf den Grund gehen: Das tödliche Rezept für einen "point of no return"

Projektil in Hanau - Foto: Michael Probst/ AP

Die Zutaten zum "point of no return"

Es gibt Täter wie Stephan Balliet aus Halle oder mutmaßlich Tobias Rathjen aus Hanau, die als sogenannte einsame Wölfe ihren tödlichen Plan aushecken, ohne ein Netzwerk Verbündeter. Die sich aus Verschwörungstheorien und rechten Parolen ihre Gedankenwelt zusammenbauen und irgendwann glauben, handeln zu müssen, da es kein anderer tue.

Da gibt es aber auch Gruppen wie die "Revolution Chemnitz" oder die "Gruppe S.", von deren mutmaßlichen Mitgliedern und Helfern seit vergangener Woche zwölf in Untersuchungshaft sitzen, weil sie Waffen gehortet, einen Bürgerkrieg herbeigesehnt haben und angeblich Muslime töten wollten. Sie tauschen sich im Netz aus, schaukeln sich in ihrem Hass auf alles Fremde hoch und bereiten sich gemeinsam auf den Tag X vor, an dem es in der Bundesrepublik einen Umsturz geben soll. Auch in ihren Schilderungen scheinen Wahn und Wirklichkeit oft nah beieinanderzuliegen.

Gefährlich an dieser Situation ist, dass auch Menschen zu Tätern werden, die keine erkennbare Vorgeschichte in der rechtsextremen Szene haben. Die nach außen vielleicht als schwierige Persönlichkeiten gelten, deren tödliche Gedankenwelt aber höchstens im Netz zu finden ist. Und bei denen Wahn und Ideologie, Verschwörungsdenken und Rassenhass kaum noch zu unterscheiden sind. Es ist deshalb schwer zu sagen, ob Tobias Rathjen irre gefährlich oder gefährlich irre war.

Rathjens Gedankenwelt speist sich aus Verschwörungsforen im Netz, er habe dort Informationen gefunden, "mit Wissen, das uns vorsätzlich vorenthalten wird". Vor allem in rechten US-Foren dürfte sich Rathjen aufgehalten haben, darauf zumindest lassen sein Vokabular und sein Weltbild schließen.

So kursiert unter dem Kürzel "D.u.m.bs" im Netz seit Längerem eine Verschwörungstheorie, wonach die US-Armee unterirdische Städte baue, die alle mit einem Tunnelsystem verbunden seien. Rathjen erwähnt angebliche heimliche Militärbasen in den USA. Seine Behauptung, dort würden Kinder missbraucht, gefoltert und in großer Zahl ermordet, erinnern an "Pizzagate", jene Falschnachricht, wonach ein elitärer satanischer Zirkel im Hinterzimmer einer Washingtoner Pizzeria Kinder vergewaltige. Im Dezember 2016 kam ein Mann aus North Carolina mit Gewehr und Revolver bewaffnet in das Lokal und schoss einmal, "um die Sache aufzuklären". Zu Schaden kam niemand.

In der Folge griff eine Bewegung namens QAnon die Theorie auf und spann sie fort. Deren Anhänger glauben, dass Donald Trump gegen einen mächtigen "tiefen Staat" kämpft, dessen Vertreter einen Kinderhändlerring betreiben. Die irren Ideen diffundieren aus abgeschiedenen Netzforen zunehmend in die reale Welt. Auf Trumps Wahlkampfveranstaltungen tragen immer wieder Besucher QAnon-Shirts.

"Der Täter von Hanau argumentiert klar rassistisch, dazu finden sich esoterische Elemente und Fragmente der QAnon-Bewegung", sagt Miro Dittrich von der Amadeu Antonio Stiftung, der sich dort um rechtsextreme Onlinephänomene kümmert. "Diese Vorstellung eines geheimen satanischen Netzwerkes, das die Welt beherrscht, teilte der Täter."

Rathjen greift auch Motive der "Incel"-Subkultur auf. Hier tauschen sich Männer aus, die unfreiwillig ohne Sex leben, weil sie keine Frauen finden. Ihrem Hass auf alles Weibliche lassen sie dabei freien Lauf.

Der Attentäter von Halle, Stephan Balliet, der am 9. Oktober vergangenen Jahres beim vergeblichen Versuch, die Synagoge zu stürmen, zwei Menschen tötete, stand solchem Gedankengut ebenfalls nahe. Er sah seine Chancen, eine Frau zu finden, vor allem deshalb als gering an, weil so viele Männer als Migranten nach Deutschland gekommen seien. Es ist ein klassisches Argument der Ultrarechten.

Unklar ist, ob sich Tobias Rathjen direkt auf andere Attentäter bezog. Es gibt aber Parallelen zu Anders Breivik, der 2011 in Oslo und auf der Insel Utøya 77 Menschen tötete. Wie bei Breivik dürfte es sich bei Rathjen um eine narzisstische Persönlichkeit gehandelt haben, die es als ihre Mission ansah, einen Teil der Welt auszulöschen, um das Ganze zu retten.

Bei beiden handelt es sich um den Typus des einsamen Wolfes, der den Entschluss zur Tat allein fasst und diese dann umfassend vorbereitet, mitsamt einer "PR-Strategie". Tobias Rathjen hat seine Selbsterklärungen als PDF-Dateien auf der eigenen Website hinterlegt. Er versah sie ordentlich mit einem Impressum und einer Kurzbiografie. Die Adresse seiner Website wurde in der Nähe eines Tatorts mit schwarzer Farbe an eine Hauswand gesprüht.

Seine Schriften richtete er "an das gesamte deutsche Volk", sein englischsprachiges Video an die US-Bürger. Er wollte offenkundig ein möglichst großes Publikum erreichen. Und wie viele seiner Vorgänger sendete er Appelle an mögliche Nachahmer. "Wacht auf und kämpft jetzt", heißt es in einem der Videos.

Im extrem rechten Milieu stieß Rathjens Tat sogar auf gewisses Verständnis. "Dank Merkels Politik liegen bei etlichen Menschen im Lande die Nerven blank", twitterte Daniel Rödding, ein AfD-Mitglied aus Berlin, der im Bundesfachausschuss Digitalisierung sitzt. "Dass da gelegentlich dann mal jemand richtig ausrastet, verwundert irgendwie nicht wirklich."

"Hanau ist Teil eines transnationalen Phänomens, das in den letzten Jahren stärker geworden ist, nicht nur in Deutschland, sondern global", sagt der Terrorismusexperte Peter Neumann vom Londoner King's College. Der Killer von Hanau stehe "in einer Reihe mit El Paso, Christchurch, Halle. Es sind immer sozial isolierte Männer, die sich hauptsächlich im Internet radikalisieren und dann ihre Ideologien auf eigene Faust zusammenbasteln". Im Fall von Rathjen bestehe diese Ideologie aus "einer unglaublichen Gemengelage von vor allem rechtsextremen Ideen, Verschwörungstheorien und Frauenhass".

Die Frage, warum ein Mann, der solche Ideen und Wahnvorstellungen in sich trägt, legal Waffen besitzen konnte, wird die Politik und die zuständigen Behörden noch beschäftigen.

Textausschnitt aus der SPIEGEL-Titelstory (spiegel +) "Irre gefährlich"  vom 21.02.2020 -

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da haben sich ein paar typen aus dem internet ihre denk- und wahrnehmungs"blase" angelesen und jegliche eigenkritik dazu verloren und verantwortung ausgeschaltet. ihre gedankenwelt ist in ihrer jeweiligen zusammensetzung sicherlich individuell gefärbt und setzt sich aus verschiedenen intensitätsdosen jeweils hochexplosiv zusammen. sie sind aber aus der metaebene betrachtet nicht nur einmalig "einsame streunende wölfe", sondern über das netz kommunizieren sie mit ähnlich gesinnten und finden ja in ihrer "lektüre" auch immer wieder andockpunkte, die ihnen persönlich "recht"geben und sie bestärken.

und die sprache im rechten milieu und was da an anstachelungen und befeuerungen von afd- und pegida-funktionären kommt, ergibt dann das initialzündungsmoment: den endgültigen entschluss - jetzt muss ich - ich ganz allein - handeln - es tut ja sonst niemand etwas - und es wird jetzt höchste zeit, endlich ein fanal zu setzen.

und dieser moment bringt dann den verseuchten inhalt im "fass" zum überlaufen: dann gibt es kein zurück mehr (man will ja nicht "feige" sein - sondern ein held), man schließt mit sich ab (macht also die tür nach "draußen" ins real-life zu) und geht und fährt mit tunnelblick-fokussierung im hochgradigen adrenalin-rausch den weg zu den opfern, die man im visier hat.

und wenn stephan balliet dann an der eingangstür von der synagoge in halle scheitert, ist er aber innerlich so aufgepusht und in rage, dass er sein vorhaben nicht mehr abbrechen kann und vor wut eben ein paar zufällig vorbeikommende opfer sucht - aus rache für das eigene versagen.

solche situationen sind ja immer im graubereich von wahn und psychiatrischem ausnahmezustand und verschrobener "logik" angesiedelt - und in solchen momenten funktioniert nur noch der "zombi"-apparatschik im menschen. man hört nichts, ist konzentriert auf kimme und korn und ziel, und alles läuft fast automatisch aus dem unbewussten ab - eckig und ohne reflexion - einfach so... - wie eine sturmwelle, die sich schäumend hochhebt und aufbäumt um dann auf dem zenit in sich zusammenzufallen, um auszulaufen und auszustrudeln - und nichts hält diesem wellendruck im augenblick des höhepunkts stand oder im zaum.

da sind elternhaus und schule und biografie einfach ausgeblendet, und man ist nur noch besessen von der eigenen "tat" ...: the point of no return...

aber diesem punkt ist man nicht tatenlos und unwillkürlich quasi automatisch ausgeliefert, sondern den hat man sich ja "erarbeitet" und anggeignet, auf den hat man ganz zielgerichtet hingearbeitet und seine schalter entsprechend umgelegt. 

wie jede scharfe waffe vor ihrem tatsächlichen gebrauch aktiv entsichert werden muss, so muss sich auch der mensch aktiv und in vollem bewusstsein "entsichern", um dann seine taten zu vollstrecken um diesen punkt zu erreichen, an dem es kein zurück mehr gibt.

da die zutaten zu solch einer (selbst-)(er)mordenden handlung immer bekannter werden, die mischung der komponenten, die dann zur "zündung" gelangen, ist auch eine "prophylaxe" gegeben, um gar nicht erst in diese selbstgefährdende zone einzudringen.

selbst diese sogenannten "erwachten einsamen wölfe" haben sich voll verantwortlich dieses fatale konglomerat der sozialen isolation und der radikalisierung mit den entsprechenden internetforen auf eigene faust zusammengebastelt. und diese selbstverantwortlichkeit kann man nicht einfach beiseite schieben, für die vermeintliche  "große sache", an der "man dran ist".

auch ein "einsamer wolf" hat immer viele "mittäter" und handelt nicht allein - da müssen schon ein paar zahnräder ineinander greifen.


  • zwischen 1933 bis 1945 gab es für die massenmordaktionen rechter gewalt weniger den typus "einsamer aufgestachelter wolf", sondern gerade die uniformierte propagandistisch hysterisierte masse bot den "schutz"rahmen für die morde - in dieser masse konnte sich der eigentliche täter verflüchtigen und sich selbst verleugnen - und konnte seine eigene persönlich menschliche verantwortung für sein tun quasi "an der garderobe abgeben": unters koppelschloss oder unter dem arztkittel oder unter der schwesternhaube verstecken: "haben doch alle gemacht" - "wir mussten den befehl ausführen" - "haben nur auf anweisung und nach damaligen recht & gesetz gehandelt" - "wir wussten nichts davon" ... die einzelperson verschwand - und auf fragen der ankläger antwortete immer ein chor ...