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jage die ängste fort



Rezept

Jage die Ängste fort
Und die Angst vor den Ängsten.
Für die paar Jahre
Wird wohl alles noch reichen.
Das Brot im Kasten
Und der Anzug im Schrank.

Sage nicht mein.
Es ist dir alles geliehen.
Lebe auf Zeit und sieh,
Wie wenig du brauchst.
Richte dich ein.
Und halte den Koffer bereit.

Es ist wahr, was sie sagen:
Was kommen muß, kommt.
Geh dem Leid nicht entgegen.
Und ist es da,
Sieh ihm still ins Gesicht.
Es ist vergänglich wie Glück.

Erwarte nichts.
Und hüte besorgt dein Geheimnis.
Auch der Bruder verrät,
Geht es um dich oder ihn.
Den eignen Schatten nimm
Zum Weggefährten.

Feg deine Stube wohl.
Und tausche den Gruß mit dem Nachbarn.
Flicke heiter den Zaun
Und auch die Glocke am Tor.
Die Wunde in dir halte wach
Unter dem Dach im Einstweilen.

Zerreiß deine Pläne. Sei klug
Und halte dich an Wunder.
Sie sind lang schon verzeichnet
Im grossen Plan.
Jage die Ängste fort
Und die Angst vor den Ängsten.

(Mascha Kaléko . aus: Die paar leuchtenden Jahre)

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der #corona-lockdown trifft die kunst- & kulturschaffenden bis tief ins mark, denn hier wird begegnung, austausch, nähe, das publikum und der applaus zum (über)leben benötigt.

die kultur-staatsministerin monika grütters hat jetzt in einem interview mit der süddeutschen zeitung fragen beantwortet zur derzeitigen lage dieses "elementaren lebensbedürfnisses" der menschen in allen facetten und erscheinungsformen. kunst & kultur sind eben nicht "verzichtbar", sondern "lebensnotwendig".

Das interview, das du hier lesen kannst, endet mit folgendem passus:

SZ: Es gab in den letzten zehn Jahren so viel Theater, Oper, Kunst, Preise wie noch nie. Vielleicht lernen wir das jetzt erst zu schätzen. Oder könnte man umgekehrt fragen: Brauchen wir das wirklich alles?

Grütters: Kennen Sie das Gedicht "Rezept" von Mascha Kaléko? Da schreibt sie: "Jage die Ängste fort. / Und die Angst vor den Ängsten. / Für die paar Jahre / Wird wohl alles noch reichen. / Das Brot im Kasten / Und der Anzug im Schrank. // Sage nicht mein. / Es ist dir alles geliehen. / Lebe auf Zeit und sieh, / Wie wenig du brauchst. / Richte dich ein. / Und halte den Koffer bereit." Kaléko war Jüdin und musste sich in ihrem Leben immer wieder woanders einrichten. Die Erfahrung dieser Menschen müsste man sich viel häufiger vergegenwärtigen. Oft merkt man erst dann, wenn man sich diese Frage stellen muss, wie viel einem etwas wirklich wert ist. Wie viel ist uns die Kultur wert? Das ist eine Frage für die ganze Gesellschaft - und vielleicht eher in schwierigen als in satten Zeiten, dann, wenn die Kultur konkurriert mit elementaren Bedürfnissen: Gesundheit, Unterkunft, Heizung, Nahrung. Ist auch die Kultur ein elementares Bedürfnis? Das ist eine spannende philosophische Betrachtung. Ich persönlich beantworte diese Frage eindeutig mit "Ja".


sinedi.mach@rt: rochade