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alle gleich in diversität

Wissen: Das Ende aller menschlicher "Rassen"


Gleicher geht’s nicht!

Von Andreas Sentker | DIE ZEIT

In Jena, dem Geburtsort der NS-Rassenideologie, treffen sich in dieser Woche die deutschen Zoologen. Ihre Botschaft: Rassen gibt es nicht

Jena, 15. November 1930. Hans F. K. Günther hält seine Antrittsvorlesung. Für den nicht habilitierten Publizisten, Hauptwerk: Rassenkunde des deutschen Volkes, ist gegen den Willen der Universität ein Lehrstuhl für Sozialanthropologie eingerichtet worden. In der überfüllten Aula erscheinen Adolf Hitler, Hermann Göring und Rudolf Heß. Es ist das erste Mal, dass Hitler eine Universität betritt, und es ist das letzte Mal. Ein deutliches Signal an die verhasste akademische Elite.

Jena, 10. September 2019. Martin Fischer spricht auf der 112. Jahrestagung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft. Er stellt die Jenaer Erklärung vor. Monatelang haben vier Professoren an den dreieinhalb Seiten gearbeitet: die Zoologen Martin Fischer und Stefan Richter, der Genetiker Johannes Krause und der Wissenschaftshistoriker Uwe Hoßfeld. Ihre Erklärung sollte so kurz wie möglich sein und doch vollständig in ihrer Argumentation. Die Botschaft: Rassen gibt es nicht. Oder, so die Überschrift des Papiers: »Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung«.

Die Begründung ist streng biologisch: »Es gibt im menschlichen Genom unter den 3,2 Milliarden Basenpaaren keinen einzigen fixierten Unterschied, der zum Beispiel Afrikaner von Nicht-Afrikanern trennt. Es gibt – um es explizit zu sagen – somit nicht nur kein einziges Gen, welches ›rassische‹ Unterschiede begründet, sondern noch nicht mal ein einziges Basenpaar.« Die Erklärung, so genau sie wissenschaftlich argumentiert, ist vor allem ein politisches Zeichen: ein Signal an eine Gesellschaft, in der rassistisches Gedankengut in den vergangenen Jahren immer weiter in die Mitte gerückt ist.

Jena, 1865. Ernst Haeckel erhält eine ordentliche Professur für Zoologie. Der studierte Mediziner ist glühender Verehrer von Charles Darwin. Doch den »deutschen Darwin« unterscheidet etwas vom britischen Original: »Darwin will Diversität verstehen«, sagt Martin Fischer, »sein Schlüsselbegriff ist Variabilität. Haeckel denkt dagegen kategorial. Variabilität stört da nur.« Diese Frage sorgt in der Biologie bis heute für Streit: Sind die Unterschiede oder die Gemeinsamkeiten der Organismen wichtiger?

Haeckel ist blind für Zwischenformen und Übergänge. Er will eine quasi göttliche Ordnung schaffen, Arten entdecken und einsortieren.

Viele Jahre beschäftigt sich Haeckel mit der Evolutionstheorie. Stammesgeschichte, Phylogenese, nennt er die Entwicklung des Lebens. Und diese Entwicklung kennt nur eine Richtung: Fortschritt. Folgerichtig präsentiert er 1874 einen Stammbaum in Form einer knorrigen Eiche. Oben, auf der Spitze der gewaltigen Krone, thront der Mensch.

Haeckels Ordnungssinn treibt ihn weiter. So wie er Strahlentierchen sortiert oder Quallen, so beginnt er auch die Menschen einzuteilen. Er unterscheidet die Wollhaarigen von den Schlichthaarigen, die Schiefzähnigen von den Gradzähnigen.

Zwölf lebende Menschenarten identifiziert der Zoologe. Und wie der Mensch über viele Entwicklungsschritte – über Würmer und Lurchfische – schließlich eine höchste Stufe der Entwicklung erklommen haben soll, macht Haeckel auch unter Menschenarten Abstufungen. Ganz unten stehen die Papua aus Neuguinea und die »Hottentotten« aus dem südlichen Afrika. »Hottentotten gab es nie«, sagt Martin Fischer. »Das war von Anfang an ein diskriminierender Begriff für ethnisch sehr unterschiedliche Menschen im südlichen Afrika.«

Haeckels Ordnungsprinzip macht ihn zum Wegbereiter der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland. »Nationalsozialismus ist nichts anderes als angewandte Biologie«, hat Rudolf Heß 1934 gesagt. Haeckel ist der erste Wissenschaftler, der Menschenrassen konsequent in einen Stammbaum einfügt. Die »Neger« und »Kaffern« ganz unten. Die »Mittelländer« mit den Indogermanen und Kaukasiern ganz oben.

»Ernst Haeckel merkte gar nicht, dass er längst eine Grenze überschritten hatte, dass er nicht Schnecken sortierte oder Quallen, sondern Menschen«, sagt Zoologe Martin Fischer. »Dabei überschreitet er eine Grenze, die keine biologische ist: Es ist die zwischen Wissenschaft und Ideologie.«

Diese Ideologie wird vor allem in Jena sehr erfolgreich werden. Hier wird eine nationalsozialistische Eliteuniversität entstehen, mit gleich vier Professuren für menschliche Rassenkunde. Hans Günther, genannt »Rasse-Günther«, gilt als einer der Urheber der nationalsozialistischen Ideologie.

Karl Astel, Sportarzt mit, wie Nazis ihn beschrieben, »tierzüchterischen Neigungen und Erfahrungen«, wird zunächst Präsident des Thüringischen Landesamtes für Rassewesen in Weimar und dann 1934 Professor für menschliche Züchtungslehre und Vererbungsforschung in Jena. Titel seiner Antrittsvorlesung: »Rassendämmerung und ihre Meisterung durch Geist und Tat als Schicksalsfrage der weißen Völker«. Nach Protesten von Professorenkollegen, die sich am Begriff der Menschenzüchtung stoßen, wird der Lehrstuhl umbenannt in eine Professur für »menschliche Erbforschung und Rassenpolitik«.

1938 wird der SS-Hauptsturmführer Gerhard Heberer in Jena Professor für »Allgemeine Biologie und Anthropogenie«. Heinrich Himmler hat sich zuvor persönlich für ihn eingesetzt. Schon seit 1919 lehrt Victor Julius Franz in Jena, zunächst als Inhaber der Ritter-Professur für Phylogenie, ab 1936 als Professor für Zoologie, er sieht sich als legitimen Erben Haeckels.

Vier Professuren für 2000 bis 2500 Studenten – der Wissenschaftshistoriker Uwe Hoßfeld spricht von einer Rassen-Quadriga. Er hat als wissenschaftlicher Assistent in einer Senatskommission der Universität die Geschichte von Jena aufgearbeitet. »Biologische Anthropologie zwischen Politik, Ideologie und Wissenschaft, 1861–1945 unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklungen an der Jenaer Universität« ist seine Habilitation überschrieben. »In Jena gab es mehr als 80 Jahre Kontinuität im Rassedenken. Das gab es nur hier.«

Dieses historisch kontaminierte Erbe macht die Jenaer Erklärung so besonders. Sie ist nicht nur eine wissenschaftliche und wissenschaftshistorische Selbstvergewisserung, sie hat eine höchst aktuelle politische Botschaft: »Ernst Haeckel (...) hat in fataler Weise zu einem angeblich wissenschaftlich begründeten Rassismus beigetragen«, lautet ihr historisches Fazit. »Die Einteilung der Menschen in Rassen war und ist zuerst eine gesellschaftliche und politische Typenbildung, gefolgt und unterstützt durch eine anthropologische Konstruktion auf der Grundlage willkürlich gewählter Eigenschaften wie Haar- und Hautfarbe.«

Aber bleiben bei so viel Klarheit nicht doch offene Fragen? »Die Negerrasse ist eine Menschenart, die sich von der unseren so unterscheidet wie die Rasse der Spaniels von der der Windhunde«, hatte Voltaire schon 1763 in seinem Essay über die Weltgeschichte geschrieben. Noch 2002 war der große Biologe Ernst Mayr mit Verweis auf die »taxonomischen Unterschiede« überzeugt, Menschenrassen seien ein biologisches Faktum.

Dass es Unterschiede zwischen Menschen gibt, leugnen auch die Jenaer Autoren nicht. Aber wie groß müssen sie sein, um Rassen zu definieren? Egal, welches Merkmal Biologen untersuchen, sie sehen ein Kontinuum von Ausprägungen. Festzulegen, wie viel Unterschiedlichkeit ausreichend wäre, um Rassen zu unterscheiden, »sei rein willkürlich«, schreiben die Autoren. Das mache das Konzept von Rassen »zu einem reinen Konstrukt des menschlichen Geistes«.

Aber dieser Gedankengang reicht noch nicht aus, das Konzept endgültig zu widerlegen. »Erst durch die wissenschaftliche Erforschung der genetischen Vielfalt der Menschen wurden die Rassenkonzepte endgültig als typologische Konstrukte entlarvt«, schreiben die Autoren. Zur Auflösung der Begriffe Art und Rasse tragen gegenwärtig vor allem Genetiker wie Johannes Krause bei. Deren Forschungen zeigen, dass sich ein Thüringer genetisch mehr von einem anderen Thüringer unterscheiden kann als von einem nordafrikanischen Migranten. Und die Arbeiten von Johannes Krause am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena halten noch eine wichtige Botschaft bereit: In unserer Geschichte ist Migration die Regel, nicht die Ausnahme.

Walter Rosenthal, amtierender Präsident der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, verbindet mit der Erklärung große Hoffnungen: »In Jena hat die unheilvolle biologische Begründung von Rassen ihren Anfang genommen, und in Jena wird sie nun enden«, sagt er.

Aber Rosenthal bleibt auch Realist. »Wir sind uns dessen bewusst, dass eine bloße Streichung des Wortes ›Rasse‹ aus dem Sprachgebrauch Rassismus nicht verhindern kann.«

Der Wissenschaftshistoriker Uwe Hoßfeld aber findet dennoch, dass der Begriff Rasse aus dem öffentlichen Sprachgebrauch verschwinden sollte. Finnland, Schweden und Österreich haben den Begriff der Rasse aus ihren Verfassungen gestrichen, die französische Nationalversammlung tat dies am 12. Juli 2018.


  • In Artikel 3 des deutschen Grundgesetzes aber, zwischen Abstammung und Sprache, steht das Wort noch immer.
Eine für das 19. Jahrhundert typische systematische Einteilung der Menschen in Rassen (nach Karl Ernst von Baer, 1862) - schon im Negativ-Abzug sind sie sich ziemlich ähnlich ... - WIKIPEDIA - neg. von sinedi



Ausgewählte Quellen und Links zu diesem Thema finden Sie unter zeit.de/wq/2019-38

Text aus: DIE ZEIT - 38/2019 - S. 33/34 - WISSEN - Link

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ja - hitler und konsorten und mit ihnen die gesamte "wissenschaftliche" erbsenzähler-welt der eugeniklehre gingen ja noch weiter: sie wollten ja auch innerhalb der "rasse" noch unterschiede aussortieren: wer ist wirtschaftlich brauchbar und kriegsverwendungsfähig - und wer ist ein "typischer" "minderwertiger", ein "faulenzer", ein "unnützer esser" und "lau-malocher". 

und wer vielleicht sogar einen entsprechend "belasteten" familien-stammbaum hatte, wurde zur zwangssterilisation auserkoren - mit einem hoppla-hopp-"stammbaum", der ja wohl von allen menschen zumindest bei der heirat oder der einbürgerung oder bei bestimmten erkrankungen erhoben wurde.

so wollte man in einem art "erb-kataster" des "deutschen volkes" die "guten" von den "schlechten" unterscheiden - und so die "minderwertigen" ausmerzen und "niederführen", nach dem damaligen sprachgebrauch und damaligem wissenschaftlich abgedeckten gutdünken.

ja - man bestimmt mit den jüdischen mitbürgern sogar ihre bestimmte glaubensüberzeugung zum genetisch menschlichen "erbgut", und meinte, ein solcher spezieller glaube an gott sei rassistisch-genetisch geprägt und würde mit den genen weitergetragen: und auch wer als protestant beispielsweise zum judentum konvertiert war, war ja nun plötzlich gefährdet und bedroht... - und wenn juden zum christlichen glauben konvertierten wurden sie trotzdem weiter verfolgt...: das judentum war für die nazis und für große teile der bevölkerung ein glaube, der mit im blut verankert war - so unsinnig das auch bei näherer betrachtung ja ist...

ein völlig verrückter - ja geradezu "rassistisch" überdrehter zeitgeist hatte sich etabliert und galt damals seit fast einem dreiviertel jahrhundert bereits als wissenschaftlich opportun - und das auch mit dem schriftgut des gelehrten haeckel und später mit den einschlägigen untermauerungsschriften auf allen gebieten - z.b. der soziologie und des strafrechts usw. usf.: wie eine unaufhaltsame seuche eroberte diese irrtümliche absurde denke weite teile des gesellschaftlichen lebens und des alltags.

und das alles wurde goutiert von den professoren und ärzten der psychiatrie, die das kritiklos so in ihrem studium aufgesogen hatten - und nun dabeigingen, in absprache mit den nazis, einen "gesunden teutschen volkskörper" zu "züchten": genauso wie man ja leider immer noch traurigerweise auch hunderassen züchtet mit ganz bestimmten "süßen" oder auch aggressiven oder besonders schmusigen merkmalen und bestimmten fellfarben...

und auch heutzutage in bezug auf menschen ist diese denke noch nicht verschwunden. sie scheint sich durch direkte und indirekte erziehungs- und mentalitätsmaßnahmen und -bemerkungen und -erfahrungen fortzusetzen von generation zu generation in unterschiedlichen ausprägungen.

zur zeit jedenfalls sind immer noch - ich schätze mal - 20 % unserer gesellschaft in diesen "überzeugungen" mehr oder weniger gefangen und leben in einer entsprechenden "blase", die diese denke weiterhin befördert und befruchtet.

deshalb dürfen wir mit aller inbrunst beten: 
  • o herr - lass bitte hirn vom himmel regnen ... - und lass uns nicht in diesem verkorksten rest-rassismus verdorren. bitte ...