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die basis ist längst gelegt - hanau auf den grund gehen

Rassistische Anschläge

Sie sind wieder da, sie waren nie weg

Die Historikerin Barbara Manthe erforscht die Geschichte rechtsterroristischer Gewalt in der Bundesrepublik. Ein Gespräch über Kontinuitäten und Unterschiede, über "einsame Wölfe" und Vernetzung - und über das Fehlen ausreichender Forschungsförderung auf diesem Feld.


INTERVIEW VON ALEX RÜHLE | SUEDDEUTSCHE ZEITUNG, 28.02.2020, Feuilleton


Trotz aller Mahnwachen und aller polizeilichen Maßnahmen steht zu befürchten, dass die rassistischen Anschläge in Hanau nicht die letzten in Deutschland sein werden. Vor allem aber sind sie nicht die ersten Verbrechen dieser Art. Die Düsseldorfer Historikerin Barbara Manthe forscht über rechtsterroristische Gewalt in der Bundesrepublik. Sie erkennt Kontinuitäten – aber auch Unterschiede.

SZ: Ist die These gerechtfertigt, dass der Terrorismus von rechts in der BRD in der Politik, aber auch in der Geschichtswissenschaft unterschätzt wurde?

Barbara Manthe: Ich forsche seit sechs Jahren zu dem Thema Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik. Als ich anfing, gab es zu den Siebziger- und Achtzigerjahren kaum aktuelle Forschung. Viele Gruppen waren unbekannt und sind es bis heute.

Bei einem Schusswechsel zwischen Rechtsradikalen und der Polizei kamen zwei Terroristen ums Leben: Spurensuche in München im Jahr 1981. Foto: Fritz Neuwirth/SZ Photo



Welche?

Etwa die Gruppe um Paul Otte, einen Neonazi und Rechtsterroristen aus Braunschweig, die sich ab 1977 mit Neonazis aus Hamburg, Hannover und Schleswig-Holstein vernetzt hat und zwei Anschläge auf Justizgebäude in Flensburg und Hannover verübte. Der Staat und speziell Justizbehörden waren damals häufige Angriffsziele ebenso wie Symbole oder Repräsentanten der NS-Vergangenheitsbewältigung. Es wird wenig bedacht, dass und wie stark sich die Ziele gewandelt haben.

Björn Höcke sagt offen, dass die Zivilgesellschaft und die momentane Staatsform verschwinden müssen.

Stimmt. In den ersten Jahren der BRD war das vielleicht stärkste Motiv für den Rechtsterrorismus der Antikommunismus. Es gab viele Anschläge und Übergriffe gegen Einrichtungen der DDR und der Sowjetunion, aber auch gegen vermeintliche „innere Feinde“ wie DKP-Geschäftsstellen oder Juso-Büros. Die vermeintliche Rettung der BRD vor dem Kommunismus war auch in den Originaltexten jener Zeit der Hauptmotor für die meisten Attentate.

Was sind das für „Originaltexte“?

Rechte Bekennerschreiben waren meist nur ganz knapp. Handbücher waren sehr wichtig. Es gab ja noch kein Internet oder soziale Netzwerke, in denen Wissenstransfer hätte stattfinden können. Wichtig war etwa „Werwolf – Winke für Jagdeinheiten“, ein Ausbildungsheft, das Arthur Ehrhardt erarbeitet hatte, ein Alt-Nazi und SS-Mann, der in der Neonaziszene der BRD aktiv war. Ebenfalls weit verbreitet war „Der totale Widerstand – Kleinkriegsanleitungen“, eine siebenbändige Lehrbroschüre eines Schweizer Majors, für den Fall, dass die Sowjetunion die Schweiz angreift. Für Rechtsterroristen war dies von unschätzbarem Wert, weil man lernte, wie man Sabotageakte begeht oder welche Taktiken man im Guerillakrieg anwenden muss.

Waren die Amerikaner auch Feinde?

Die Agitation gegen die alliierte „Besatzung“ Deutschlands gab es schon länger. Das Narrativ vom Widerstand gegen den amerikanischen Imperialismus führte in der rechtsterroristischen Szene jedoch erst Ende der Siebzigerjahre zu konkreten terroristischen Taten. Da ist besonders die Hepp-Kexel-Gruppe zu nennen, benannt nach den Neonazis Odfried Hepp und Walther Kexel, die den Abzug der US-Truppen erzwingen wollten. 1982 haben sie Anschläge gegen Einrichtungen der U.S. Army in der Bundesrepublik verübt. Die entsprechen am ehesten einer gängigen Vorstellung vom „Untergrund“.

Inwiefern?

Sie waren bereit, alle Verbindungen ins bürgerliche Leben zu kappen. Viele Rechtsterroristen sind aus ihrem legalen Leben heraus aktiv geworden und hatten weiterhin bürgerliche Berufe. Die rechtsterroristische Szene war sehr dynamisch. Es war eher selten so, dass feste Gruppen über einen langen Zeitraum hinweg aktiv waren.

Welche Rolle spielte Antisemitismus?

Die allermeisten Gruppen, die ich untersucht habe, vertraten einen offenen Antisemitismus. 1980 wurden in Erlangen der jüdische Verleger Shlomo Lewin und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke ermordet. Und gerade war der 50. Jahrestag des Brandanschlags auf das jüdische Altersheim in München, bei dem sieben Menschen gestorben sind. Die Täter dieses zweiten Anschlags wurden nie gefunden.

Ab wann gab es rassistisch motivierte Attentate?

Das fing früher an, als man heute denkt. Ende der Siebzigerjahre wurde der rassistische Diskurs immer lauter, ab 1980 gab es die ersten organisierten Anschläge gegen Flüchtlinge. Die „Deutschen Aktionsgruppen“ um den Rechtsextremisten und Holocaustleugner Manfred Roeder sind 1980 ebenso wie andere in den Untergrund gegangen. Die haben erst Anschläge verübt gegen Orte, an denen NS-Vergangenheitsbewältigung betrieben wurde – so etwa ein Bombenanschlag gegen eine Auschwitz-Ausstellung. Dann folgten vier Anschläge auf Asylbewerber- und Flüchtlingsunterkünfte. Bei einem Anschlag in Hamburg am 22. August 1980 sind zwei junge Vietnamesen ums Leben gekommen.

Beziehen sich heutige Gruppen auf die damaligen Terroristen?

Manfred Roeder wurde zu 13 Jahren Haft verurteilt nach seinem „Aktionsgruppen“-Terror. Als er rauskam, wurde er wieder aktiv. Als er nach einem Farbanschlag auf die Wehrmachtsausstellung in Erfurt 1996 vor Gericht kam, haben die späteren NSU-Terroristen Mundlos und Böhnhardt und mehrere ihrer Helfer die Gerichtsverhandlung besucht. Da sieht man bildlich die Verbindung zwischen alten und neuen Rechtsterroristen.

Welche Gruppen gingen neben HeppKexel und den Deutschen Aktionsgruppen damals noch in den Untergrund?

Beispielsweise eine Gruppe um Nikolaus Uhl und Kurt Wolfgram, zwei junge hochgradig radikalisierte Männer, die 1980/81 in den Untergrund gegangen und in Frankreich abgetaucht sind. Andere Neonazis sind ihnen gefolgt. Die haben von dort aus Aktionen und Attentate geplant, einen Banküberfall durchgeführt.

Wussten die Behörden, dass sie sich nach Frankreich abgesetzt hatten?

Ja, aber es gab anscheinend nicht den Willen, aktiv nach ihnen zu fahnden. Es war ein wenig wie beim NSU, sie waren zwar zur Fahndung ausgeschrieben, aber richtig effektiv war diese Fahndung nicht. Es existiert etwa ein Fernsehinterview mit Nikolaus Uhl in Frankreich, aus einer „Monitor“-Sendung vom Oktober 1980. WDR, beste Sendezeit.

Man hätte sie finden können?

Ja. Dann gab es eine Gruppe von Rechtsterroristen, die nach dem Verbot der Wehrsportgruppe Hoffmann 1980/81 unter der Führung Hoffmanns in den Libanon gegangen sind um dort ein PLO-Camp zu besuchen. Sie nannte sich Wehrsportgruppe Ausland.

Um eine Ausbildung dort zu absolvieren?

Ja, und um dort ungestört ihre Vorstellung einer bewaffneten Kampfgruppe zu realisieren. Das waren rund ein Dutzend Leute, unter ihnen Odfried Hepp, die sollten dort trainiert werden. Das hat aber nicht wirklich geklappt. Die Campleitung der PLO hatte wenig Interesse an einem direkten Kontakt mit den Rechtsterroristen; sie wurden zwar im Camp geduldet, aber auch nicht mehr. Und die Gruppe war so zerstritten, dass sie gar nicht handlungsfähig war. Die internen Konflikte führten sogar zu einem Mord an einem deutschen Gruppenmitglied, weil er das Camp verlassen und nach Deutschland zurückkehren wollte.

Wie gut waren diese Gruppen untereinander vernetzt?

Teilweise sehr eng, Paul Otte hatte Kontakt zum Neonazifunktionär Michael Kühnen in Hamburg, der 1977/78 einer rechtsterroristischen Gruppe angehörte. Und Hoffmann kannte jeder; er hatte aber einen absoluten Führungsanspruch, mit dem die anderen nicht klarkamen. Es gab einige, die isoliert gehandelt haben, etwa ein Mann, der 1971 den damaligen Bundespräsidenten Heinemann umbringen wollte.

Waren das einsame Wölfe?

Es gab immer wieder welche, die alleine gehandelt haben. Ein Rechtsterrorist, Frank Schubert, hat 1980 an der deutsch-schweizerischen Grenze zwei Schweizer Grenzbeamte erschossen. 1982 ist der Neonazi Helmut Oxner, ähnlich wie jetzt in Hanau, in eine Nürnberger Diskothek gestürmt, die bei Afroamerikanern beliebt war, und hat dort zwei schwarze US-Bürger umgebracht und mehrere schwer verletzt. Oxner hatte nationalsozialistische Sticker in der Tasche, auf denen stand „Wir sind wieder da“, er hat während der Tat gerufen: „Es lebe der Nationalsozialismus.“ Er ist dann auf die Straße und hat Passanten gesagt, dass er ja „nur Türken“ erschießen möchte und Deutsche keine Angst zu haben brauchen. Dann hat er auch noch einen Ägypter erschossen und einen weiteren Mann verletzt.

Wurden diese Taten öffentlich als rassistische Verbrechen diskutiert oder als Einzeltat eines Irren abmoderiert?

Gerade wenn der Täter die Tat alleine ausgeführt hatte, konzentrierte sich die Öffentlichkeit auf seine Persönlichkeit, insbesondere auf vermeintlich „krankhafte“ Züge. Das hatte zur Folge, dass die Einbettung des Täters in die Neonaziszene und ihr politisches Weltbild nicht ausreichend beachtet wurden. Oxner ist ein gutes Beispiel: Er war vor seiner Tat als neonazistischer Straftäter polizeibekannt und hatte Kontakt zu extrem rechten Führungspersonen; aus seinem rassistischen und antisemitischen Weltbild machte er kein Hehl. Und obwohl auch die Ermittler damals von einem politischen Motiv ausgingen und schrieben, dass von einem Amoklauf nicht die Rede sein könne, wurde und wird Oxners Tat in der Öffentlichkeit als „Amoklauf“ gewertet. Das suggeriert, dass die Gründe für die Morde vorrangig in Oxners Persönlichkeit zu suchen seien.

Wie viele Rechtsterroristen gab es in den Siebziger- und Achtzigerjahren?

Schwer zu sagen, weil es keine verlässlichen Statistiken gibt. Und es fehlen weitgehend soziologische Untersuchungen über die Täter. Ich mache gerade eine qualitative Untersuchung über den Aufbau der Gruppen und ihre Ziele. Ich habe etwa 250 Personen identifiziert, von denen aber viele eher Sympathisanten waren. Der harte Kern, das waren in diesen zwei Jahrzehnten rund 25 Gruppen, die zwischen zwei und 20 Mitglieder hatten.

Hat sich die Forschung zu wenig mit den historischen Kontinuitäten beschäftigt?

Es gab in den Achtzigerjahren Forschungen zum Rechtsterrorismus und in den Neunzigern viele Untersuchungen zur vermeintlich plötzlich aufbrechenden rechten Gewalt und Ideologie. Da hat man vielleicht die Kontinuitäten aus dem Blick verloren. Wichtiger erscheint mir aber, dass es keine ausreichende Forschungsstruktur zur Geschichte des Rechtsterrorismus in Deutschland gibt. Es gibt zwar engagierte Wissenschaftler, die sich mit dem Thema beschäftigen, aber eine langfristige institutionelle Förderung fehlt.

War für die Erforschung des Linksterrorismus mehr Geld da?

Oh, da gab es sehr große und ausgesprochen produktive Forschungsverbünde. So hat beispielsweise das Münchner Institut für Zeitgeschichte in einem jahrelangen historischen Projekt den Linksterrorismus erforscht. Aber für die Erforschung des Rechtsterrorismus gibt es sehr wenige Institute und noch weniger Geld, gerade im Vergleich zur Extremismus- oder Dschihadismusforschung. Von einem großen Institut wie dem norwegischen Center for Research on Extremism: The Extreme Right, Hate Crime and Political Violence in Oslo, das nach Breiviks Anschlägen gegründet wurde, können wir hier nur träumen.

  • Barbara Manthe ist Historikerin und leitet am Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/Neonazismus an der Hochschule Düsseldorf das DFG-Projekt „Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik Deutschland, 1970 – 1990“. 
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es ist doch gut, dass es historikerinnen an unis, hochschulen und instituten gibt, die auch dieses "randthema" der geschichte, des rechtsterrorismus in der bundesrepublik in ost und west, untersuchen, festhalten und auflisten.

ich habe ja neulich hier schon geschrieben, dass es auch schon vor pegida und afd und den anschlägen von halle und hanau eine vielzahl rechtsterroristischer übergriffe gegeben hat, aber wie frau manthe ja herausgefunden hat, haben die fahndungsbehörden anscheinend "nicht immer den notwendigen willen aufgebracht, aktiv nach ihnen zu fahnden". 

da verlief und verläuft fiel im sande - und man kann nach diesem historisch fundierten artikel ja zu recht behaupten, dass diese behörden insgesamt "auf dem rechten auge" recht blind zu werke gehen, während sie im linksextremen milieu dank größerer fahndungsmittel auch viel entschlossener zu werke gingen bzw. gehen mussten, weil das politische großklima das anscheinend so vorgab.

und rechtslastige soldaten und beamte und sogar ganze netzwerke hat man ja in letzter zeit einige bei bundeswehr und polizeibehörden ausfindig gemacht.  

vielleicht hat sich da ja nun inzwischen etwas geändert, besonders anscheinend auch nach der ermordung von walter lübcke, dem regierungspräsidenten von kassel.

denn nun traf es einen politiker und repräsentanten des staates selbst - genau wie damals bei der raf - und da erwacht man endlich aus dem dornröschenschlaf, der sich ja noch bei der "aufklärung" der nsu-morde an schlendrian und vertuschung offenbarte.

viele fahndungsakten zum nsu-komplex sollen anscheinend für 120 jahre unter verschluss bleiben - und die behörden tun so, als sei das nun und für alle zeit einfach mal unumstößliches recht, an dem niemand rühren dürfe. aber angesichts der rechtsterroristischen "hochkonjunktur" dieser wochen sollte man schleunigst diese verfügung bedenken.

das sind für mich reine staatliche willkürakte, die in einer demokratischen verfassten gesellschaft nichts zu suchen haben. hier hat die öffentlichkeit ein recht auf volle aufklärung - und auch aufklärung der fehler und falsch-entscheidungen, schlecht-leistungen und der missgriffe von den beteiligten staats"schutz"-abteilungen.

wenn man mit solchen verfügungen aber eventuelle informanten aus dem rechtsradikalen milieu auf lebenszeit schützen will (ein anderer grund fällt mir dazu nicht ein), so wäre es mit einer entsprechenden indentitätsänderungsmaßnahme getan - denn die rechten organisationen sind ja nicht dumm - sie werden ihre pappenheimer ebenso kennen - und vielleicht gibt es ja auch auf diesen ebenen ein ("il-")"legales" geben und nehmen und einige unbotmäßige zweifelhafte strafbefreiungs- und strafminderungszusagen, die dem selbstverständnis und den regeln eines "rechtsstaats" nicht ganz entsprechen - ein kuhhandel mit infos hinüber und hernüber.

dies ist alo schon der fünfte beitrag zu meiner kleinen serie: "hanau auf den grund gehen", und bildet vielleicht die basis für das tatsächliche "grund"klima in diesem unserem lande, auf dem kassel, halle und hanau gedeihen konnten und vielleicht nur die derzeitige spitze eines eisbergs sind.

hoffentlich schüttet nun der neue weltweite panik-"hype" um die corona-viren alle mühsam ausgehobenen gräben zum thema und zu den erscheinungsbildern der rechtsradikalen übergriffe und attentate nicht wieder zu, dass man danach vielleicht nicht mehr "den rechten willen" aufbringt, diese scene zu beleuchten und mit allen rechtsstaalichen mitteln auch auszuhebeln...

man kümmert sich ja meist nur um die just aktuelle "sau", die gerade durchs globale "dorf" medienmäßig gejagt wird - und blendet das was war und vielleicht "unangenehm" ist, gern aus ...