Die zitternde Frau – provokant und amüsant, umfassend und niemals abgehoben – erzählt von ihren Bemühungen um eine Antwort darauf. So entsteht eine außergewöhnliche Doppelgeschichte: zum einen die ihrer verschlungenen Erkenntnissuche, zum anderen die der großen Fragen, die sich der Neuropsychiatrie heute stellen. Siri Hustvedts kluges Buch verstärkt unser Erstaunen über das Zusammenspiel von Körper und Geist.» Oliver Sacks
«Siri Hustvedt beweist trotz oder gerade angesichts des autobiographischen Themas einmal mehr, was für eine großartige Erzählerin sie ist.» Süddeutsche Zeitung
Die zitternde Frau: Eine Geschichte meiner Nerven
von Siri Hustvedt
Taschenbuch, rororo 2011, 10,00 €
»Es war ein Rätsel«
Psyche Die Schriftstellerin Siri Hustvedt litt unter Zitterattacken. Sie sagt: Es gibt Zittern bei voller Gesundheit.
Jetzt, da es das dritte Mal innerhalb weniger Wochen passiert ist, werden einige Journalisten ungehalten. Die Kanzlerin möge sich doch endlich erklären, schreibt Bild.de, nachdem Angela Merkel am Mittwoch wieder bei einem öffentlichen Auftritt gezittert hat, und holt zum Vorwurf aus: »Den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg scheint sie verpasst zu haben. Das unkontrollierte Zittern ist ein hässliches Sinnbild dafür.« »Die Kanzlerin ist krank«, hatte der »Stern« schon nach dem zweiten Zitteranfall geschrieben. »Da ist etwas. Mehr als sie zugeben möchte. Ernst jedenfalls.«
Die Einschätzungen klingen, als seien Gesundheit und Krankheit absolute Zustände, die den ganzen Menschen erfassten. Als gäbe es nicht Zustände, in denen ein Mensch im Prinzip gesund ist, aber mit einer kleinen Einschränkung zu leben hat.
Angela Merkel »schweigt« auch gar nicht zu ihrem Zustand, sie sagt, es gehe ihr gut, mit dem Zittern werde sie eine Weile leben müssen. Auszuschließen, dass das wahr sein könnte, wäre genauso naiv wie sofort anzunehmen, dass es wahr sei.
die zitternde frau hustvedt - sinedi.bildbearbeitung |
Jedenfalls gibt es dieses Phänomen: Zittern bei voller Gesundheit. Die New Yorker Schriftstellerin Siri Hustvedt, 64, hat es erlebt. Die Romanautorin (»Was ich liebte«) hat 2009 ein autobiografisches Sachbuch publiziert: »Die zitternde Frau. Eine Geschichte meiner Nerven« (Rowohlt; 240 Seiten; 10 Euro) (s.0.)
Hustvedt beschreibt, wie sie viermal, unter anderem bei Reden, am ganzen Körper gezittert habe, obwohl sie sich gesund gefühlt habe. In ihrem Buch sucht sie nach Ursachen.
SPIEGEL: Frau Hustvedt, die Kanzlerin hat am Mittwoch das dritte Mal öffentlich gezittert. Sie beschreiben in Ihrem Buch eigene Anfälle, die ähnlich wirken. Sehen Sie Parallelen?
Hustvedt: Mir kommt es sehr ähnlich vor. Man sieht ja bei Vorträgen oft, wie die Hände von Rednern zittern, aber bei der Kanzlerin zittert der gesamte Körper – es ist übrigens ein Zittern, das ich heute nicht noch einmal nachmachen könnte.
SPIEGEL: Wie lautete bei Ihnen die Diagnose?
Hustvedt: Es gab keine. Ich war bei drei Ärzten, einem Psychiater, einem Neurologen, einem Allgemeinmediziner, sie konnten nichts finden. Bei mir war es auch keine Panikstörung, denn ich konnte während des Zitterns meine Reden weiterhalten, mir ging es danach wieder gut. Es war ein Rätsel. Auch deswegen habe ich mich mit Hirnforschung und Psychoanalyse befasst, in meinem Buch bin ich Patientin und Ärztin zugleich.
SPIEGEL: Sie hatten Ihren ersten Anfall etwa zwei Jahre nach dem Tod Ihres Vaters während einer Rede über ihn. Merkel hat in diesem Jahr ihre Mutter verloren, und sie stand möglicherweise unter dem Eindruck des Mordes an einem Parteifreund. Wir können hier nicht in die Psyche der Kanzlerin sehen – aber bei sich selbst vermuten Sie psychische Auslöser?
Hustvedt: So etwas bleibt eine Vermutung, aber ja, diesen Zusammenhang kann es gegeben haben. Natürlich ist diese alte abendländische Idee, Körper und Psyche seien getrennt voneinander zu betrachten, Unsinn. Unsere Erfahrungen verändern unser Gehirn. Gedanken können körperliche Funktionen beeinflussen. Ein Beispiel: Jemand denkt an Sex, automatisch füllen sich die Geschlechtsorgane mit Blut.
SPIEGEL: Und doch sind die Zusammenhänge zwischen Körper und Psyche schwer zu durchschauen, deswegen ist auch Abhilfe kompliziert. Wie sind Sie das Zittern losgeworden?
Hustvedt: Tja, jedenfalls habe ich nicht mehr gezittert, seitdem ich mich in dem Buch mit dem Phänomen und auch mit mir selbst beschäftigt habe, ich habe, weil es so interessant war, eine Psychoanalyse gemacht. Aber auch wenn ich hier nur über mich sprechen möchte, habe ich doch einen einzigen Rat an die Kanzlerin. Ihre Ärzte sollten über Betablocker nachdenken: Propranolol. Viele Musiker nehmen es vor ihren Auftritten.
SPIEGEL: Ohnmacht und Zittern werden spätestens seit dem 19. Jahrhundert mit Weiblichkeit in Zusammenhang gebracht. Warum?
Hustvedt: Es liegt an dem schon erwähnten Dualismus von Körper und Geist, an den ich überhaupt nicht glaube. Auch wegen der Schwangerschaften hat man Frauen eher als körperlich wahrgenommen, Männer als Verstandesmenschen. Es wäre schade, wenn Frau Merkel noch unter diesem Topos zu leiden hätte. Wir brauchen sie wirklich in dieser krisenhaften Welt. Und es ist ja das Drama öffentlicher Figuren, dass sie immer angeschaut werden. Das Problem beim Zittern ist: Wenn es einmal passiert, kann es immer wieder kommen. Durch meine eigene Erfahrung blicke ich auf Merkel ohne Arroganz und voller Sympathie. Es ist schrecklich, in der Öffentlichkeit zu zittern, aber es muss überhaupt nicht heißen, dass sie nun ihre Rolle nicht mehr ausfüllen kann.
SPIEGEL: Wie blicken Sie auf die öffentliche Wahrnehmung?
Hustvedt: Es kann sein, dass es für die Deutschen besonders schwierig ist, damit umzugehen. Während meiner Interviews in Deutschland bin ich immer wieder gefragt worden, wie ich so etwas überhaupt schreiben könne, ob ich mich nicht schämte. Wie soll ich mich für etwas schämen, worauf ich keinerlei Einfluss habe?
Foto: Wolfgang Kumm/DPA - WELT kompakt |
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ich möchte mich nicht an der grassierenden sensationshascherei hier zum "zittern" der kanzlerin beteiligen. ich möchte nur als eine art handreichung für "erklärungs"suchende auf das buch von siri hustvedt hinweisen, wenn man sich mit diesem kanzlerinnen-zittern seriös und vernünftig auseinandersetzen will - und vielleicht eine "spur" - auch für sich selbst vielleicht als eine art selbstschutz auftun möchte.
eine solche spurensuche bis in die psyche und in die psychosomatik hinein ist auch immer ein kleines wagnis, denn automatisch ist man/frau mit seiner/ihrer psyche immer beim studieren und nachlesen mitbeteiligt.
man kann diese miteinbeziehung nicht einfach abstreifen: das beweist ja schon dieser simple aufforderungssatz: "denke nicht an blau", denn um nicht an blau zu denken, muss man blau erst einmal als gedankenfetzen und als kurzvorstellung in sich aufrufen.
und so wird es auch geschehen, wenn man sich "ganz neutral und unbeteiligt" mit dem "zittern" von frau hustvedt oder der kanzlerin auseinandersetzen möchte. das sind immer texte und zustände, in denen man sich bzw. der eigenen psyche selbst mit auf die schliche kommt.
und auch diese "unkonkreten" - nach außen "verschleiernd" wirkenden auskünfte der kanzlerin zu ihren zitterattacken zeigen im grunde nur das menschliche und an sich uns unser staunen abringende unvermögen vor der unendlichen diversität all der psychosomatisch in betracht zu ziehenden und eventuell beteiligten systeme und fakten in unserem körper im zusammenspiel mit unserer seele...
die schulmedizin suggeriert da immer, völlig kompetent in allen belangen zu sein und damit umgehen zu können - und auf jeden pott den deckel bereithalten zu können - und rümpft über die homöopathie mit ihrem angeblich "unwissenschaftlichen" getue die nase: in wirklichkeit steht sie aber auch bei solchen symptomen zunächst mal völlig hilflos und ohne antwort da: denn beim stillstehen zittert frau merkel ja und im nächsten moment geht sie schnurstracks und im vollbesitz ihrer geistigen kräfte ohne zu straucheln mit einem schritt nach dem anderen voran.
vielleicht sprechen wir eines tages von einem "morbus merkel" - und setzen uns beim abspielen der hymne auch lieber in den fernsehsessel, wenn wir uns das nächste länderspiel anschauen - denn angela merkel ist auch nur ein mensch - wie du und ich...