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Es ist ernst ... Die Corona-Ansprache der Bundeskanzlerin




Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger,

das Coronavirus verändert zurzeit das Leben in unserem Land dramatisch. Unsere Vorstellung von Normalität, von öffentlichem Leben, von sozialem Miteinander - all das wird auf die Probe gestellt wie nie zuvor. Millionen von Ihnen können nicht zur Arbeit, Ihre Kinder können nicht zur Schule oder in die Kita, Theater und Kinos und Geschäfte sind geschlossen, und, was vielleicht das Schwerste ist: uns allen fehlen die Begegnungen, die sonst selbstverständlich sind.

Natürlich ist jeder von uns in solch einer Situation voller Fragen und voller Sorgen, wie es weitergeht. Ich wende mich heute auf diesem ungewöhnlichen Weg an Sie, weil ich Ihnen sagen will, was mich als Bundeskanzlerin und alle meine Kollegen in der Bundesregierung in dieser Situation leitet. Das gehört zu einer offenen Demokratie: dass wir die politischen Entscheidungen auch transparent machen und erläutern. Dass wir unser Handeln möglichst gut begründen und kommunizieren, damit es nachvollziehbar wird. Ich glaube fest daran, dass wir diese Aufgabe bestehen, wenn wirklich alle Bürgerinnen und Bürger sie als IHRE Aufgabe begreifen.

Deswegen lassen Sie mich sagen: Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst. Seit der Deutschen Einheit, nein, seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt. Ich möchte Ihnen erklären, wo wir aktuell stehen in der Epidemie, was die Bundesregierung und die staatlichen Ebenen tun, um alle in unserer Gemeinschaft zu schützen und den ökonomischen, sozialen, kulturellen Schaden zu begrenzen. Aber ich möchte Ihnen auch vermitteln, warum es Sie dafür braucht, und was jeder und jede Einzelne dazu beitragen kann.

Zur Epidemie - und alles was ich Ihnen dazu sage, kommt aus den ständigen Beratungen der Bundesregierung mit den Experten des Robert Koch-Instituts und anderen Wissenschaftlern und Virologen: Es wird weltweit unter Hochdruck geforscht, aber noch gibt es weder eine Therapie gegen das Coronavirus noch einen Impfstoff. Solange das so ist, gibt es nur eines, und das ist die Richtschnur all unseren Handelns: die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, sie über die Monate zu strecken und so Zeit zu gewinnen. Zeit, damit die Forschung ein Medikament und einen Impfstoff entwickeln kann. Aber vor allem auch Zeit, damit diejenigen, die erkranken, bestmöglich versorgt werden können.

Deutschland hat ein exzellentes Gesundheitssystem, vielleicht eines der besten der Welt. Das kann uns Zuversicht geben. Aber auch unsere Krankenhäuser wären völlig überfordert, wenn in kürzester Zeit zu viele Patienten eingeliefert würden, die einen schweren Verlauf der Coronainfektion erleiden. Das sind nicht einfach abstrakte Zahlen in einer Statistik, sondern das ist ein Vater oder Großvater, eine Mutter oder Großmutter, eine Partnerin oder Partner, es sind Menschen. Und wir sind eine Gemeinschaft, in der jedes Leben und jeder Mensch zählt.

Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit zu allererst an alle wenden, die als Ärzte oder Ärztinnen, im Pflegedienst oder in einer sonstigen Funktion in unseren Krankenhäusern und überhaupt im Gesundheitswesen arbeiten. Sie stehen für uns in diesem Kampf in der vordersten Linie. Sie sehen als erste die Kranken und wie schwer manche Verläufe der Infektion sind. Und jeden Tag gehen Sie aufs Neue an Ihre Arbeit und sind für die Menschen da. Was Sie leisten, ist gewaltig, und ich danke Ihnen von ganzem Herzen dafür.

Also: Es geht darum, das Virus auf seinem Weg durch Deutschland zu verlangsamen. Und dabei müssen wir, das ist existentiell, auf eines setzen: das öffentliche Leben soweit es geht herunterzufahren. Natürlich mit Vernunft und Augenmaß, denn der Staat wird weiter funktionieren, die Versorgung wird selbstverständlich weiter gesichert sein und wir wollen so viel wirtschaftliche Tätigkeit wie möglich bewahren. Aber alles, was Menschen gefährden könnte, alles, was dem Einzelnen, aber auch der Gemeinschaft schaden könnte, das müssen wir jetzt reduzieren.

Wir müssen das Risiko, dass der eine den anderen ansteckt, so begrenzen, wie wir nur können. Ich weiß, wie dramatisch schon jetzt die Einschränkungen sind: keine Veranstaltungen mehr, keine Messen, keine Konzerte und vorerst auch keine Schule mehr, keine Universität, kein Kindergarten, kein Spiel auf einem Spielplatz. Ich weiß, wie hart die Schließungen, auf die sich Bund und Länder geeinigt haben, in unser Leben und auch unser demokratisches Selbstverständnis eingreifen.

Es sind Einschränkungen, wie es sie in der Bundesrepublik noch nie gab. Lassen Sie mich versichern: Für jemandem wie mich, für die Reise- und Bewegungsfreiheit ein schwer erkämpftes Recht waren, sind solche Einschränkungen nur in der absoluten Notwendigkeit zu rechtfertigen. Sie sollten in einer Demokratie nie leichtfertig und nur temporär beschlossen werden - aber sie sind im Moment unverzichtbar, um Leben zu retten. Deswegen sind seit Anfang der Woche die verschärften Grenzkontrollen und Einreisebeschränkungen zu einigen unserer wichtigsten Nachbarländer in Kraft. Für die Wirtschaft, die großen Unternehmen genau wie die kleinen Betriebe, für Geschäfte, Restaurants, Freiberufler ist es jetzt schon sehr schwer. Die nächsten Wochen werden noch schwerer.

Ich versichere Ihnen: Die Bundesregierung tut alles, was sie kann, um die wirtschaftlichen Auswirkungen abzufedern - und vor allem um Arbeitsplätze zu bewahren. Wir können und werden alles einsetzen, was es braucht, um unseren Unternehmern und Arbeitnehmern durch diese schwere Prüfung zu helfen.

Und alle können sich darauf verlassen, dass die Lebensmittelversorgung jederzeit gesichert ist, und wenn Regale einen Tag mal leergeräumt sind, so werden sie nachgefüllt. Jedem, der in den Supermärkten unterwegs ist, möchte ich sagen: Vorratshaltung ist sinnvoll, war es im Übrigen immer schon. Aber mit Maß; Hamstern, als würde es nie wieder etwas geben, ist sinnlos und letztlich vollkommen unsolidarisch.

Und lassen Sie mich auch hier Dank aussprechen an Menschen, denen zu selten gedankt wird. Wer in diesen Tagen an einer Supermarktkasse sitzt oder Regale befüllt, der macht einen der schwersten Jobs, die es zurzeit gibt. Danke, dass Sie da sind für Ihre Mitbürger und buchstäblich den Laden am Laufen halten. Jetzt zu dem, was mir heute das Dringendste ist: Alle staatlichen Maßnahmen gingen ins Leere, wenn wir nicht das wirksamste Mittel gegen die zu schnelle Ausbreitung des Virus einsetzen würden: Und das sind wir selbst. So wie unterschiedslos jeder von uns von dem Virus betroffen sein kann, so muss jetzt auch jede und jeder helfen.

Zu allererst, indem wir ernst nehmen, worum es heute geht. Nicht in Panik verfallen, aber auch nicht einen Moment denken, auf ihn oder sie komme es doch nicht wirklich an. Niemand ist verzichtbar. Alle zählen, es braucht unser aller Anstrengung. Das ist, was eine Epidemie uns zeigt: wie verwundbar wir alle sind, wie abhängig von dem rücksichtsvollen Verhalten anderer, aber damit eben auch: wie wir durch gemeinsames Handeln uns schützen und gegenseitig stärken können.

Es kommt auf jeden an. Wir sind nicht verdammt, die Ausbreitung des Virus passiv hinzunehmen. Wir haben ein Mittel dagegen: Wir müssen aus Rücksicht voneinander Abstand halten. Der Rat der Virologen ist ja eindeutig: Kein Handschlag mehr, gründlich und oft die Hände waschen, mindestens eineinhalb Meter Abstand zum Nächsten und am besten kaum noch Kontakte zu den ganz Alten, weil sie eben besonders gefährdet sind. Ich weiß, wie schwer das ist, was da von uns verlangt wird. Wir möchten, gerade in Zeiten der Not, einander nah sein.

Wir kennen Zuwendung als körperliche Nähe oder Berührung. Doch im Augenblick ist leider das Gegenteil richtig. Und das müssen wirklich alle begreifen: Im Moment ist nur Abstand Ausdruck von Fürsorge. Der gutgemeinte Besuch, die Reise, die nicht hätte sein müssen, das alles kann Ansteckung bedeuten und sollte jetzt wirklich nicht mehr stattfinden. Es hat seinen Grund, warum die Experten sagen: Großeltern und Enkel sollten jetzt nicht zusammenkommen.

Wer unnötige Begegnungen vermeidet, hilft allen, die sich in den Krankenhäusern um täglich mehr Fälle kümmern müssen. So retten wir Leben. Das wird für viele schwer, und auch darauf wird es ankommen: niemanden allein zu lassen, sich um die zu kümmern, die Zuspruch und Zuversicht brauchen. Wir werden als Familien und als Gesellschaft andere Formen finden, einander beizustehen. Schon jetzt gibt es viele kreative Formen, die dem Virus und seinen sozialen Folgen trotzen.

Schon jetzt gibt es Enkel, die ihren Großeltern einen Podcast aufnehmen, damit sie nicht einsam sind. Wir allen müssen Wege finden, um Zuneigung und Freundschaft zu zeigen: Skypen, Telefonate, Mails und vielleicht mal wieder Briefe schreiben. Die Post wird ja ausgeliefert. Man hört jetzt von wunderbaren Beispielen von Nachbarschaftshilfe für die Älteren, die nicht selbst zum Einkaufen gehen können. Ich bin sicher, da geht noch viel mehr und wir werden als Gemeinschaft zeigen, dass wir einander nicht allein lassen.

Ich appelliere an Sie: Halten Sie sich an die Regeln, die nun für die nächste Zeit gelten. Wir werden als Regierung stets neu prüfen, was sich wieder korrigieren lässt, aber auch: was womöglich noch nötig ist. Dies ist eine dynamische Situation, und wir werden in ihr lernfähig bleiben, um jederzeit umdenken und mit anderen Instrumenten reagieren zu können. Auch das werden wir dann erklären. Deswegen bitte ich Sie: Glauben Sie keinen Gerüchten, sondern nur den offiziellen Mitteilungen, die wir immer auch in viele Sprachen übersetzen lassen.

Wir sind eine Demokratie. Wir leben nicht von Zwang, sondern von geteiltem Wissen und Mitwirkung. Dies ist eine historische Aufgabe und sie ist nur gemeinsam zu bewältigen. Dass wir diese Krise überwinden werden, dessen bin ich vollkommen sicher. Aber wie hoch werden die Opfer sein? Wie viele geliebte Menschen werden wir verlieren? Wir haben es zu einem großen Teil selbst in der Hand. Wir können jetzt, entschlossen, alle miteinander reagieren. Wir können die aktuellen Einschränkungen annehmen und einander beistehen.

Diese Situation ist ernst und sie ist offen. Das heißt: Es wird nicht nur, aber auch davon abhängen, wie diszipliniert jeder und jede die Regeln befolgt und umsetzt. Wir müssen, auch wenn wir so etwas noch nie erlebt haben, zeigen, dass wir herzlich und vernünftig handeln und so Leben retten. Es kommt ohne Ausnahme auf jeden Einzelnen und damit auf uns alle an.

Passen Sie gut auf sich und auf Ihre Liebsten auf. Ich danke Ihnen.

Danke - lies hier einen Kommentar zur Rede...

Doku: Merkel-Rede in Auschwitz

foto: tagesschau



Rede von Bundeskanzlerin Merkel zum zehnjährigen Bestehen der Stiftung Auschwitz-Birkenau am 6. Dezember 2019 in Auschwitz

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr geehrter Herr Direktor,
Exzellenzen,
vor allem: sehr geehrte Zeitzeuginnen und Zeitzeugen,
sehr geehrte Damen und Herren,

heute hier zu stehen und als deutsche Bundeskanzlerin zu Ihnen zu sprechen, fällt mir alles andere als leicht. Ich empfinde tiefe Scham angesichts der barbarischen Verbrechen, die hier von Deutschen verübt wurden ‑ Verbrechen, die die Grenzen alles Fassbaren überschreiten. Vor Entsetzen über das, was Frauen, Männern und Kindern an diesem Ort angetan wurde, muss man eigentlich verstummen. Denn welche Worte könnten der Trauer gerecht werden ‑ der Trauer um all die vielen Menschen, die hier gedemütigt, gequält und ermordet wurden? Und dennoch: So schwer es an diesem Ort, der wie kein anderer für das größte Menschheitsverbrechen steht, auch fällt: Schweigen darf nicht unsere einzige Antwort sein. Dieser Ort verpflichtet uns, die Erinnerung wachzuhalten. Wir müssen uns an die Verbrechen erinnern, die hier begangen wurden, und sie klar benennen.

Auschwitz ‑ dieser Name steht für den millionenfachen Mord an den Jüdinnen und Juden Europas, für den Zivilisationsbruch der Shoa, dem sämtliche menschlichen Werte zum Opfer fielen. Auschwitz steht auch für den Völkermord an den Sinti und Roma Europas, für das Leid und die Ermordung von politischen Gefangenen und Vertretern der Intelligenz in Polen, von Widerstandskämpfern, von Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion und anderen Ländern, von Homosexuellen, von Menschen mit Behinderungen sowie unzähligen anderen Menschen aus ganz Europa. Das Leiden der Menschen in Auschwitz, ihr Tod in den Gaskammern, Hunger, Kälte, Seuchen, qualvolle pseudomedizinische Versuche, Zwangsarbeit bis zur völligen Erschöpfung ‑ was hier geschah, lässt sich mit Menschenverstand nicht erfassen.

Allein im Lagerkomplex Auschwitz wurden mindestens 1,1 Millionen Menschen, die meisten von ihnen Juden, planvoll und mit kalter Systematik ermordet. Jeder dieser Menschen hatte einen Namen, eine unveräußerliche Würde, eine Herkunft, eine Geschichte. Schon die Deportation hierher, eingepfercht in Viehwaggons, die Prozedur bei der Ankunft und die sogenannte Selektion an der Rampe zielten darauf, diese Menschen zu entmenschlichen, sie ihrer Würde und Individualität zu berauben.

Offiziell trägt dieser Ort als Teil des UNESCO-Welterbes heute den Namen „Auschwitz-Birkenau ‑ deutsches nationalsozialistisches Konzentrations- und Vernichtungslager (1940–1945)“. Dieser Name als voller Name ist wichtig. Oświęcim liegt in Polen, aber im Oktober 1939 wurde Auschwitz als Teil des Deutschen Reichs annektiert. Auschwitz war ein deutsches, von Deutschen betriebenes Vernichtungslager. Es ist mir wichtig, diese Tatsache zu betonen. Es ist wichtig, die Täter deutlich zu benennen. Das sind wir Deutschen den Opfern schuldig und uns selbst.

An die Verbrechen zu erinnern, die Täter zu nennen und den Opfern ein würdiges Gedenken zu bewahren ‑ das ist eine Verantwortung, die nicht endet. Sie ist nicht verhandelbar; und sie gehört untrennbar zu unserem Land. Uns dieser Verantwortung bewusst zu sein, ist fester Teil unserer nationalen Identität, unseres Selbstverständnisses als aufgeklärte und freiheitliche Gesellschaft, als Demokratie und Rechtsstaat.

Heute haben wir in Deutschland wieder ein blühendes jüdisches Leben. Mit Israel verbinden uns vielfältige und freundschaftliche Beziehungen. Das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Das ist ein großes Geschenk. Es gleicht gar einem Wunder. Aber es kann Geschehenes nicht ungeschehen machen. Es kann die ermordeten Jüdinnen und Juden nicht zurückbringen. In unserer Gesellschaft wird immer eine Lücke klaffen.

Vor 70 Jahren trat das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Darin flossen die Lehren aus den Schrecken der Vergangenheit ein. Aber wir wissen auch: Die unantastbare Würde des Menschen, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ‑ so kostbar diese Werte auch sind, so verletzlich sind sie auch. Deshalb müssen wir diese grundlegenden Werte immer wieder aufs Neue festigen und verbessern, schützen und verteidigen ‑ im täglichen Zusammenleben ebenso wie im staatlichen Wirken und politischen Diskurs.

In diesen Tagen ist das keine Rhetorik. In diesen Tagen ist es nötig, das deutlich zu sagen. Denn wir erleben einen besorgniserregenden Rassismus, eine zunehmende Intoleranz, eine Welle von Hassdelikten. Wir erleben einen Angriff auf die Grundwerte der liberalen Demokratie und einen gefährlichen Geschichtsrevisionismus im Dienste einer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Besonders richten wir unser Augenmerk auf den Antisemitismus, der jüdisches Leben in Deutschland, in Europa und darüber hinaus bedroht.

Umso klarer und deutlicher müssen wir bekunden: Wir dulden keinen Antisemitismus. Alle Menschen müssen sich bei uns in Deutschland, in Europa, sicher und zu Hause fühlen. Gerade Auschwitz mahnt und verpflichtet jeden Einzelnen von uns, täglich wachsam zu sein, Menschlichkeit zu bewahren und die Würde unseres Nächsten zu schützen.

Denn es ist so, wie es Primo Levi, der vor 100 Jahren in Turin geboren wurde und der Auschwitz als Zwangsarbeiter in Monowitz überlebte, später schrieb: „Es ist geschehen. Folglich kann es wieder geschehen.“ Daher dürfen wir unsere Augen und Ohren nicht verschließen, wenn Menschen angepöbelt, erniedrigt oder ausgegrenzt werden. Wir müssen denen widersprechen, die gegen Menschen anderen Glaubens oder anderer Herkunft Vorurteile und Hass schüren.

Wir alle tragen Verantwortung. Und zu dieser Verantwortung gehört auch das Gedenken. Wir dürfen niemals vergessen. Einen Schlussstrich kann es nicht geben ‑ und auch keine Relativierung.

Oder um es mit Worten des Auschwitz-Überlebenden und ehemaligen Präsidenten des Internationalen Auschwitz Komitees Noach Flug auszudrücken: „Die Erinnerung […] ist wie das Wasser. Sie ist lebensnotwendig und sie sucht sich ihre eigenen Wege in neue Räume und zu anderen Menschen. […] Sie hat kein Verfallsdatum und sie ist nicht per Beschluss für bearbeitet oder für beendet zu erklären.“

Dass sich diese lebensnotwendige Erinnerung Wege sucht, wie Noach Flug sagte, und auch findet, das haben wir in besonderer Weise vielen Zeitzeugen zu verdanken. Es freut mich deshalb sehr, hier einige von ihnen begrüßen zu dürfen. Sie haben in den vergangenen Jahren wieder und wieder und auch für uns heute aus ihrer Leidenszeit berichtet. Wer kann sich vorstellen, wie viel Kraft es kostet, sich diese schmerzhaften Erfahrungen immer wieder vor Augen zu führen oder gar wieder an diesen Ort zurückzukehren? Sie teilen ihre Geschichte, damit jüngere Menschen daraus lernen. Sie bringen den Mut und die Kraft zur Versöhnung auf. Sie zeigen wahrhaft menschliche Größe. Ich bin sehr dankbar, dass wir von ihnen hören und lernen dürfen.

Es ist bald 75 Jahre her, dass Auschwitz befreit wurde. Immer weniger Menschen können ihre Geschichte aus dieser Zeit erzählen. Dies veranlasste den Schriftsteller Navid Kermani, sehr zutreffend festzuhalten: „[…] Damit sich überhaupt eine Erinnerung ins Herz brennt, auf die sich die Mahnmale, Stolpersteine, Gedenkrituale beziehen, wird es für künftige Generationen noch wichtiger sein, mit eigenen Augen die Orte zu sehen, an denen Deutschland die Würde des Menschen zermalmte, jene Länder zu bereisen, die es in Blut ertränkte.“

An vielen Orten hatten die Täter versucht, ihre Spuren zu verwischen ‑ sei es in Vernichtungslagern wie Bełżec, Sobibór und Treblinka, sei es an Orten wie Malyj Trostenez, Babyn Jar oder an den Tausenden anderen Orten in Europa, an denen Juden, Sinti und Roma, viele andere Menschen und sogar ganze Dorfgemeinschaften ermordet wurden.

Hier in Auschwitz hingegen haben es die SS und ihre Schergen nicht geschafft, ihre Spuren zu verwischen. Dieser Ort legt Zeugnis ab. Und dieses Zeugnis gilt es zu erhalten. Wer nach Auschwitz kommt und die Wachtürme und den Stacheldraht, die Baracken und die Gefängniszellen, die Reste der Gaskammern und Krematorien sieht, den wird die Erinnerung nicht mehr loslassen. Sie wird sich, wie Kermani schreibt, „ins Herz brennen“.

Vor zehn Jahren hatte der frühere polnische Außenminister Władysław Bartoszewski, der selbst politischer Häftling in Auschwitz war, die Gründung der Stiftung Auschwitz-Birkenau angestoßen.

Lieber Herr Cywínski, Ihnen und allen, die sich in der Stiftung den Erhalt dieser Gedenkstätte als Mahnmal und Dokumentationszentrum zur Aufgabe gemacht haben, danke ich von Herzen. Ich danke auch allen Beteiligten an den Restaurierungs- und Konservierungsprojekten. Mit großem Engagement wurde und wird dafür gesorgt, dass dieser Ort weiter Zeugnis ablegt. Ziegelsteinbaracken wurden dauerhaft gesichert, Ausgrabungen durchgeführt, Stützmauern errichtet, Schutzzelte aufgebaut, die geraubten Kleider und Habseligkeiten der Opfer restauriert und konserviert.

Die Konservierungspläne erfordern für die nächsten 25 Jahre eine deutlich höhere Summe für das Stiftungskapital. Deutschland wird sich wesentlich an diesen Mitteln beteiligen. Das haben wir gestern gemeinsam mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer beschlossen.

Dank der Stiftung sowie der vielen internationalen Fremdenführer ist diese Gedenkstätte ein Ort des Lernens, des Innehaltens und des Bewusstwerdens ‑ ein Ort, der die Botschaft des „Nie wieder“ so eindrucksvoll ausspricht. Dafür bin ich sehr dankbar.

Doch nichts kann die Menschen, die hier ermordet wurden, zurückbringen. Nichts kann diese präzedenzlosen Verbrechen ungeschehen machen. Diese Verbrechen sind und bleiben Teil der deutschen Geschichte. Diese Geschichte muss erzählt werden, immer und immer wieder, damit wir aufmerksam bleiben, damit sich solche Verbrechen auch nicht in Ansätzen wiederholen können, damit wir gegen Rassismus und Antisemitismus in all ihren widerwärtigen Erscheinungen entschlossen vorgehen. Diese Geschichte muss erzählt werden, damit wir heute und morgen die Würde eines jeden Menschen bewahren ‑ und damit wir den Opfern ein ehrendes Andenken bewahren.

Wir erinnern an die Menschen, die aus den verschiedenen Ländern ganz Europas nach Auschwitz deportiert wurden. Wir erinnern an diesem Ort insbesondere an die vielen polnischen Opfer ‑ auch politische Gefangene ‑, für die das KZ Auschwitz zunächst errichtet worden war. Wir erinnern an die sechs Millionen ermordeten Juden und hier vor allem an die etwa eine Million Juden, die in Auschwitz-Birkenau ermordet wurden. Wir erinnern an die Sinti und Roma, die deportiert, gequält und ermordet wurden. Wir erinnern an die Opfer des Massenmords durch Erschießungen. Wir erinnern an jene, die in Ghettos deportiert wurden, sich in Todesangst versteckt hielten, und an die, die aus ihrer Heimat fliehen mussten. Wir erinnern an alle, die alles verloren hatten: ihre Familien und Freunde, ihre Heimat und ihr Zuhause, ihre Hoffnungen und Pläne, ihr Vertrauen und ihre Lebensfreude ‑ und ihre Würde. Wir erinnern an diejenigen, die auch nach dem Krieg noch jahrelang umherirrten ‑ an die, die in Lagern für „displaced persons“ ausharren mussten.


Wer überlebt hatte, war von den widerfahrenen Schrecken schwer gezeichnet. Margot Friedländer schrieb in ihren Erinnerungen über sie: „Sie mussten erst wieder lernen, dass sie Menschen waren. Menschen, die einen Namen hatten.“

Viele fragten sich, warum gerade sie überlebt hatten. Warum nicht die kleine Schwester? Warum nicht der beste Freund? Warum nicht die eigene Mutter oder der Ehemann? Viele fanden lange nicht oder auch nie heraus, wie und wo ihre nächsten Angehörigen ermordet worden waren. Diese Wunden heilen nie.

Umso mehr danke ich jedem, der es schafft, darüber zu sprechen, um Schmerz und Erinnerung zu teilen und um Versöhnung zu stiften. Ich verneige mich tief vor jedem dieser Menschen. Ich verneige mich vor den Opfern der Shoa. Ich verneige mich vor ihren Familien.

Vielen Dank, dass ich heute hier dabei sein darf.

Freitag, 06. Dezember 2019

Quelle: click


die schmutzige kehrseite der medaillen und nobelpreise

jugendlicher "fährt in die kobalt-grube ein" ... getty images /spiegel+



Kobalt
Die schmutzige Seite der sauberen Mobilität

Der Treibstoff der Elektro-Revolution sind Rohstoffe: Neben Lithium ist Kobalt entscheidend für den Siegeszug der E-Mobilität. Der wird aber aktuell vor allem in Krisenregionen gefördert - und könnte bald knapp werden. 

Auszug eines SPIEGEL plus-Artikels von Christoph Seidler (click)

Wer Akkus bauen will, braucht neben Lithium auch Nickel, Mangan, Graphit und Kobalt, zumindest beim heutigen Stand der Batterietechnologie. Vor allem bei Kobalt hat es bereits Versorgungsprobleme gegeben: "Eine unzureichende Bergwerksförderung hat in der Vergangenheit mehrfach zu einer Angebotsverknappung auf dem Weltmarkt und damit verbundenen kurzfristigen Preisspitzen geführt", sagt Siyamend Al Barazi von der Deutschen Rohstoffagentur (Dera). Zuletzt war das im März 2018 der Fall, seitdem hat sich der Preis allerdings wieder beruhigt.

Ähnlich also wie bei Lithium geben nicht unbedingt die Vorkommen Anlass zur Sorge. Vielmehr ist die Förderung oft mit Problemen behaftet. In der DR Kongo, von Krisen geschüttelt und alles andere als ein stabiles Land, arbeiten nach Angaben von Amnesty International auch Kinder, zum Teil ab einem Alter von sieben Jahren in den Kobaltminen. Überall kommen sie in Kleinbergwerken zum Einsatz. Arbeitsschutz? Umweltstandards? Darum kümmert sich dort niemand.

Skeptiker der Mobilitätswende führen genau das als Argument gegen Elektroautos ins Felde: Hinter dem schönen Bild des lokal emissionsfreien Fahrens, der vermeintlich weißen Öko-Weste, verbirgt sich ein hässliches Geschäft, bei dem Mensch und Natur gleichermaßen ausgebeutet und geschunden werden.

Batterieforscher arbeiten deswegen daran, den Kobaltgehalt der Akkus zu reduzieren und stattdessen eher auf Alternativen wie Nickel zu setzen. Panasonic hat das zum Beispiel getan, als Hersteller der Akkumulatoren für Tesla. Mit mehr Nickel kann man höhere Reichweiten erzielen - aber dummerweise steigt auch das Brandrisiko. Das hat Tesla leidvoll zu spüren bekommen. Selbst bei sinkenden Kobaltgehalten in den Batterien wird man also auch in Zukunft nicht ganz um das Element herumkommen.

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vor einigen jahrzehnten meinte man bereits, das erdöl ginge bald zur neige - und verbrennungsmotoren müssten rasch durch antriebsarten aus "erneuerbarer energie" abgelöst werden - da schürte man regelrecht panik - und das nicht nur von den "grünen" - da gab es 1973 "autofreie" sonntage und man durfte nur mit ausnahmegenehmigungen fahren...

und in den thekengesprächen damals war eigentlich klar, dass dazu jede autofirma einen plan b bereits in der schublade habe.

und nun nachdem einige jahrzehnte seitdem ins land gezogen sind, scheint es zwar immer noch genügend mengen an erdölvorkommen zu geben, doch jetzt sind die verbrennungsemissionen der springende punkt: der co²-ausstoß auf der welt muss dringend eingedämmt werden, ansonsten betreiben wir hier mit unserem "blauen planten" eine form von harakiri.

als lösung wurden dann hybrid- und elektroantriebe für autos favorisiert - doch nun stellt sich heraus, dass auch bei den dafür benötigten akkus alles andere als erneuerbare enrgien verbaut werden - und die gewinnung der erden und rohstoffe für diese wohl erst allmählich an reichweite gewinnenden akkus noch sehr problemanhaftend stattfindet - und wenn kobalt und lithium und die edel-erden abgebaut sind, ist guter rat sowieso teuer: wie receycelt man massenhaft solche akkus?

auch die vielgepriesenen e-roller in den metropolen als alternative für eine rasche individuelle innerstädtische entfernungsüberwindung liegen inzwischen nach gebrauch auf den gehwegen herum - und eine ausgelutschte batterie darin ist eben kaum recyclefähig: da werden also rohstoffe im grunde für ein paar rasche "quickies" vergeudet.

ich bin von der forschung und den ingenieursleistungen weltweit dazu sehr enttäuscht. und es ist fast ein hohn, den schöpfern dieser nicht recyclefähigen batterien den nobelpreis zu geben. 

eben in all diesen zurückliegenden jahrzehnten, wo man aber das problem längst erkannt hatte, hätte geforscht und entwickelt und gebaut werden können - umweltfreundlich und ökologisch und eben bitteschön mit tatsächlich erneuerbarer energie - doch das schnelle geld und das rasche teilpatent waren eben wichtiger: was juckt uns denn die welt von morgen oder gar übermorgen - man hat sich stattdessen hinter dem alltäglichen klein-klein versteckt und zur ablenkung leute wie trump und johnson und orban und erdogan an die macht verholfen als nützliche marionetten der großfinanz - und in syrien einen immerwährenden kriegsschauplatz installiert - und im mittelmeer einen genozid vor aller augen tagtäglich inszeniert mit vereinten kräften - ein jeglicher nach seiner art... - und die großen lenker dieser welt zucken dazu mit den schultern: tja - da kann man nichts machen ... - hätte-hätte-fahrradkette.

aber über diese göre greta thunberg wird die nase gerümpft bei all den "fachleuten", ökonomen und "experten" in der politik. man hat zwar keine seriösen lösungen parat gegen ihre befürchtungen und knallharten argumente und forderungen - so kramt man lieber in der krankengeschichte der jungen frau herum und betrachtet ihr umfeld kritisch... 

und frau merkel fragt die 16-jährige schülerin doch allen ernstes „in welcher weise technologie, innovation gerade im energiebereich, aber auch im energieeinsparbereich uns möglichkeiten eröffnen, die ziele zu erreichen“ - dieses sei ihr an den emotionalen forderungen von greta "nicht deutlich geworden"... - und das ist ja vielleicht eine retorisch geschickte verdrehung der aufgaben- und rollenzuschreibungen in diesem konflikten - aber auch eine bankrotterklärung der physikerin, die auch noch bundeskanzlerin ist... - frau merkel hat sich nämlich  mit ihrem gefolge genau darum zu kümmern - greta thunberg kann und muss da der kanzlerin nichts "deutlich machen" und auch keine lösungen vorschlagen...


mit der von merkel und anderen mantraähnlich auch hier implizit abermals propagierten "marktgerechten demokratur", nämlich forschung muss einhergehen mit wirtschaftlichem wachstum um jeden preis, dazu ist eigentlich keine zeit mehr, diese "innovativen überlegungen" hat die ära merkel mit ihren wirtschaftsweisen im schlepptau schlichtweg verpennt.

ein paar externe extra-beratungen bei mc|kinsey-trainern, wahrscheinlich für ein paar millionen euros aus der portokasse, könnten da erst einmal wieder etwas luft verschaffen und auf die sprünge helfen. 

na denn - chuat choan - und nix für ungut 

ein paar zeilen und ein buch zum zittern - aus besonderem anlass

«Siri Hustvedt, eine unserer herausragenden Schriftstellerinnen, gehört seit langem zu den brillantesten Erforschern von Gehirn und Geist. Kürzlich jedoch wandte sie ihr Forschungsinteresse sich selbst zu: Knapp drei Jahre nach dem Tod ihres Vaters, während einer Gedenkrede auf ihn, fand sie sich plötzlich von Konvulsionen geschüttelt. War das Hysterie, eine Übertragung, ein zufälliger epileptischer Anfall? 

Die zitternde Frau – provokant und amüsant, umfassend und niemals abgehoben – erzählt von ihren Bemühungen um eine Antwort darauf. So entsteht eine außergewöhnliche Doppelgeschichte: zum einen die ihrer verschlungenen Erkenntnissuche, zum anderen die der großen Fragen, die sich der Neuropsychiatrie heute stellen. Siri Hustvedts kluges Buch verstärkt unser Erstaunen über das Zusammenspiel von Körper und Geist.» Oliver Sacks

«Siri Hustvedt beweist trotz oder gerade angesichts des autobiographischen Themas einmal mehr, was für eine großartige Erzählerin sie ist.» Süddeutsche Zeitung

Die zitternde Frau: Eine Geschichte meiner Nerven
von Siri Hustvedt 
Taschenbuch, rororo 2011, 10,00 €






»Es war ein Rätsel«

Psyche  Die Schriftstellerin Siri Hustvedt litt unter Zitterattacken. Sie sagt: Es gibt Zittern bei voller Gesundheit.


Jetzt, da es das drit­te Mal in­ner­halb we­ni­ger Wo­chen pas­siert ist, wer­den ei­ni­ge Jour­na­lis­ten un­ge­hal­ten. Die Kanz­le­rin möge sich doch end­lich er­klä­ren, schreibt Bild.de, nach­dem An­ge­la Mer­kel am Mitt­woch wie­der bei ei­nem öf­fent­li­chen Auf­tritt ge­zit­tert hat, und holt zum Vor­wurf aus: »Den rich­ti­gen Zeit­punkt für den Aus­stieg scheint sie ver­passt zu ha­ben. Das un­kon­trol­lier­te Zit­tern ist ein häss­li­ches Sinn­bild da­für.« »Die Kanz­le­rin ist krank«, hat­te der »Stern« schon nach dem zwei­ten Zit­ter­an­fall ge­schrie­ben. »Da ist et­was. Mehr als sie zu­ge­ben möch­te. Ernst je­den­falls.«

Die Ein­schät­zun­gen klin­gen, als sei­en Ge­sund­heit und Krank­heit ab­so­lu­te Zu­stän­de, die den gan­zen Men­schen er­fass­ten. Als gäbe es nicht Zu­stän­de, in de­nen ein Mensch im Prin­zip ge­sund ist, aber mit ei­ner klei­nen Ein­schrän­kung zu le­ben hat.

An­ge­la Mer­kel »schweigt« auch gar nicht zu ih­rem Zu­stand, sie sagt, es gehe ihr gut, mit dem Zit­tern wer­de sie eine Wei­le le­ben müs­sen. Aus­zu­schlie­ßen, dass das wahr sein könn­te, wäre ge­nau­so naiv wie so­fort an­zu­neh­men, dass es wahr sei.

die zitternde frau hustvedt - sinedi.bildbearbeitung


Je­den­falls gibt es die­ses Phä­no­men: Zit­tern bei vol­ler Ge­sund­heit. Die New Yor­ker Schrift­stel­le­rin Siri Hust­ve­dt, 64, hat es er­lebt. Die Ro­man­au­to­rin (»Was ich lieb­te«) hat 2009 ein au­to­bio­gra­fi­sches Sach­buch pu­bli­ziert: »Die zit­tern­de Frau. Eine Ge­schich­te mei­ner Ner­ven« (Ro­wohlt; 240 Sei­ten; 10 Euro) (s.0.)

Hust­ve­dt be­schreibt, wie sie vier­mal, un­ter an­de­rem bei Re­den, am gan­zen Kör­per ge­zit­tert habe, ob­wohl sie sich ge­sund ge­fühlt habe. In ih­rem Buch sucht sie nach Ur­sa­chen.

SPIEGEL: Frau Hust­ve­dt, die Kanz­le­rin hat am Mitt­woch das drit­te Mal öf­fent­lich ge­zit­tert. Sie be­schrei­ben in Ih­rem Buch ei­ge­ne An­fäl­le, die ähn­lich wir­ken. Se­hen Sie Par­al­le­len?

Hust­ve­dt: Mir kommt es sehr ähn­lich vor. Man sieht ja bei Vor­trä­gen oft, wie die Hän­de von Red­nern zit­tern, aber bei der Kanz­le­rin zit­tert der ge­sam­te Kör­per – es ist üb­ri­gens ein Zit­tern, das ich heu­te nicht noch ein­mal nach­ma­chen könn­te.

SPIEGEL: Wie lau­te­te bei Ih­nen die Dia­gno­se?

Hust­ve­dt: Es gab kei­ne. Ich war bei drei Ärz­ten, ei­nem Psych­ia­ter, ei­nem Neu­ro­lo­gen, ei­nem All­ge­mein­me­di­zi­ner, sie konn­ten nichts fin­den. Bei mir war es auch kei­ne Pa­nik­stö­rung, denn ich konn­te wäh­rend des Zit­terns mei­ne Re­den wei­ter­hal­ten, mir ging es da­nach wie­der gut. Es war ein Rät­sel. Auch des­we­gen habe ich mich mit Hirn­for­schung und Psy­cho­ana­ly­se be­fasst, in mei­nem Buch bin ich Pa­ti­en­tin und Ärz­tin zu­gleich.

SPIEGEL: Sie hat­ten Ih­ren ers­ten An­fall etwa zwei Jah­re nach dem Tod Ih­res Va­ters wäh­rend ei­ner Rede über ihn. Mer­kel hat in die­sem Jahr ihre Mut­ter ver­lo­ren, und sie stand mög­li­cher­wei­se un­ter dem Ein­druck des Mor­des an ei­nem Par­tei­freund. Wir kön­nen hier nicht in die Psy­che der Kanz­le­rin se­hen – aber bei sich selbst ver­mu­ten Sie psy­chi­sche Aus­lö­ser?

Hust­ve­dt: So et­was bleibt eine Ver­mu­tung, aber ja, die­sen Zu­sam­men­hang kann es ge­ge­ben ha­ben. Na­tür­lich ist die­se alte abend­län­di­sche Idee, Kör­per und Psy­che sei­en ge­trennt von­ein­an­der zu be­trach­ten, Un­sinn. Un­se­re Er­fah­run­gen ver­än­dern un­ser Ge­hirn. Ge­dan­ken kön­nen kör­per­li­che Funk­tio­nen be­ein­flus­sen. Ein Bei­spiel: Je­mand denkt an Sex, au­to­ma­tisch fül­len sich die Ge­schlechts­or­ga­ne mit Blut.

SPIEGEL: Und doch sind die Zu­sam­men­hän­ge zwi­schen Kör­per und Psy­che schwer zu durch­schau­en, des­we­gen ist auch Ab­hil­fe kom­pli­ziert. Wie sind Sie das Zit­tern los­ge­wor­den?

Hust­ve­dt: Tja, je­den­falls habe ich nicht mehr ge­zit­tert, seit­dem ich mich in dem Buch mit dem Phä­no­men und auch mit mir selbst be­schäf­tigt habe, ich habe, weil es so in­ter­es­sant war, eine Psy­cho­ana­ly­se ge­macht. Aber auch wenn ich hier nur über mich spre­chen möch­te, habe ich doch ei­nen ein­zi­gen Rat an die Kanz­le­rin. Ihre Ärzte soll­ten über Be­ta­blo­cker nach­den­ken: Pro­pra­no­lol. Vie­le Mu­si­ker neh­men es vor ih­ren Auf­trit­ten.

SPIEGEL: Ohn­macht und Zit­tern wer­den spä­tes­tens seit dem 19. Jahr­hun­dert mit Weib­lich­keit in Zu­sam­men­hang ge­bracht. War­um?

Hust­ve­dt: Es liegt an dem schon er­wähn­ten Dua­lis­mus von Kör­per und Geist, an den ich über­haupt nicht glau­be. Auch we­gen der Schwan­ger­schaf­ten hat man Frau­en eher als kör­per­lich wahr­ge­nom­men, Män­ner als Ver­stan­des­men­schen. Es wäre scha­de, wenn Frau Mer­kel noch un­ter die­sem To­pos zu lei­den hät­te. Wir brau­chen sie wirk­lich in die­ser kri­sen­haf­ten Welt. Und es ist ja das Dra­ma öf­fent­li­cher Fi­gu­ren, dass sie im­mer an­ge­schaut wer­den. Das Pro­blem beim Zit­tern ist: Wenn es ein­mal pas­siert, kann es im­mer wie­der kom­men. Durch mei­ne ei­ge­ne Er­fah­rung bli­cke ich auf Mer­kel ohne Ar­ro­ganz und vol­ler Sym­pa­thie. Es ist schreck­lich, in der Öffent­lich­keit zu zit­tern, aber es muss über­haupt nicht hei­ßen, dass sie nun ihre Rol­le nicht mehr aus­fül­len kann.

SPIEGEL: Wie bli­cken Sie auf die öf­fent­li­che Wahr­neh­mung?

Hust­ve­dt: Es kann sein, dass es für die Deut­schen be­son­ders schwie­rig ist, da­mit um­zu­ge­hen. Wäh­rend mei­ner In­ter­views in Deutsch­land bin ich im­mer wie­der ge­fragt wor­den, wie ich so et­was über­haupt schrei­ben kön­ne, ob ich mich nicht schäm­te. Wie soll ich mich für et­was schä­men, wor­auf ich kei­ner­lei Ein­fluss habe?

Foto: Wolfgang Kumm/DPA - WELT kompakt


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ich möchte mich nicht an der grassierenden sensationshascherei hier zum "zittern" der kanzlerin beteiligen. ich möchte nur als eine art handreichung für "erklärungs"suchende auf das buch von siri hustvedt hinweisen, wenn man sich mit diesem kanzlerinnen-zittern seriös und vernünftig auseinandersetzen will - und vielleicht eine "spur" - auch für sich selbst vielleicht als eine art selbstschutz auftun möchte.

eine solche spurensuche bis in die psyche und in die psychosomatik hinein ist auch immer ein kleines wagnis, denn automatisch ist man/frau mit seiner/ihrer psyche immer beim studieren und nachlesen mitbeteiligt.

man kann diese miteinbeziehung nicht einfach abstreifen: das beweist ja schon dieser simple aufforderungssatz: "denke nicht an blau", denn um nicht an blau zu denken, muss man blau erst einmal als gedankenfetzen und als kurzvorstellung in sich aufrufen.

und so wird es auch geschehen, wenn man sich "ganz neutral und unbeteiligt" mit dem "zittern" von frau hustvedt oder der kanzlerin auseinandersetzen möchte. das sind immer texte und zustände, in denen man sich bzw. der eigenen psyche selbst mit auf die schliche kommt.

und auch diese "unkonkreten" - nach außen "verschleiernd" wirkenden auskünfte der kanzlerin zu ihren zitterattacken zeigen im grunde nur das menschliche und an sich uns unser staunen abringende unvermögen vor der unendlichen diversität all der psychosomatisch in betracht zu ziehenden und eventuell beteiligten systeme und fakten in unserem körper im zusammenspiel mit unserer seele...

die schulmedizin suggeriert da immer, völlig kompetent in allen belangen zu sein und damit umgehen zu können - und auf jeden pott den deckel bereithalten zu können - und rümpft über die homöopathie mit ihrem angeblich "unwissenschaftlichen" getue die nase: in wirklichkeit steht sie aber auch bei solchen symptomen zunächst mal völlig hilflos und ohne antwort da: denn beim stillstehen zittert frau merkel ja und im nächsten moment geht sie schnurstracks und im vollbesitz ihrer geistigen kräfte ohne zu straucheln mit einem schritt nach dem anderen voran.

vielleicht sprechen wir eines tages von einem "morbus merkel" - und setzen uns beim abspielen der hymne auch lieber in den fernsehsessel, wenn wir uns das nächste länderspiel anschauen - denn angela merkel ist auch nur ein mensch - wie du und ich...

auf dem rechten auge blind



Was den Mord an Herrn Lübcke, an dem Regierungspräsidenten, anbelangt, so ist das nicht nur eine furchtbare Tat, sondern für uns auch eine große Aufforderung, in allen Ebenen noch einmal zu schauen, wo es rechtextreme Tendenzen oder Verwebungen geben könnte. Wir müssen hier ganz klar hingucken. Und ich bin schon bedrückt – ich habe mich sehr viel mit dem NSU-Verrechen auseinandergesetzt. Wir haben den Betroffenen damals Versprechungen gegeben. Und manches zeigt jetzt wieder, dass eben auch wir genau hingucken müssen. Ich sage das in aller Vorsicht, weil ja die Ermittlungen noch laufen. Gibt es eben aus diesen Zeiten auch hier Verbindungen? Und es muss in den Anfängen bekämpft werden und ohne jedes Tabu, sonst haben wir einen vollkommenen Verlust der Glaubwürdigkeit. Und der ist natürlich das Gegenteil von dem, was wir brauchen: Vertrauen. Deshalb ist der Staat hier auf allen Ebenen gefordert. Und die Bundesregierung nimmt das sehr, sehr ernst.” - quelle: reuters




heute hat also der rechtsradikale stephan ernst endlich die ausführung des kaltblütigen politmord-attentats auf den liberal gesinnten cdu-regierungspräsidenten lübcke gestanden - und immer mehr indizien bestätigen dieses geständnis. stephan ernst ist in der rechten gewaltbereiten scene bestens vernetzt - den die polizei und die verfassungsschützer aber einfach mal "aus den augen verloren" hatten, obwohl er bereits zuvor einige einschlägige taten ausgeführt hatte - und obwohl der hessische verfassungsschutz einige männer aus dem direkten umfeld von stephan ernst als v-männer "beschäftigte" und entlohnte... (click)

auch die fahndung nach dem mörder von walter lübcke begann nach meinem empfinden zunächst recht zögerlich und unter großen vorbehalten. 

zunächst dachte man wohl eher an einen suizid, dann an eine tat aus einem dubiosen umfeld mit zumeist "jungen männern", die u.a. die originalen tatort-spuren verändert haben sollen, an eine "beziehungstat" - und man suchte in diesem zusammenhang auch nach motiven aus dem familiären umfeld - ehe dann eine winzige schuppe von stephan ernst die richtige spur legte. jedoch fand in unmittelbarer nähe zum tatort ein volksfest statt - und zeugen meinten, einen caddy und ein weiteres fahrzeug nach einem schussgeräusch wahrgenommen zu haben.

und nicht nur die sicherheitsbehörden haben ja schon seit mindestens 80 bis 100 jahren bereits eine starke sehschwäche auf ihrem rechten auge - auch die union insgesamt hat sich immer schwer getan in ihrer geschichte mit der abgrenzung nach rechts: erst heute lese ich in der "zeit": "nach dem mord an walter lübcke grenzt sich die unionsführung mit neuer härte ab. doch nicht alle wollen folgen – besonders im osten nähern sich die christdemokraten den rechtsaußen" ...

und das alte strauß-credo: "rechts von der union darf es keine demokratisch legitimierte partei geben" führte ja auch noch dazu, eine ganze reihe von rechtem gedankengut in die eigenen reihen zu integrieren und aufzusaugen, was ja auch jahrelang ganz selbstverständlich gang und gäbe war. 

erst recht fand das direkt in der aufbauphase der bundesrepublik unter konrad adenauer statt, was diese unsägliche "tradition" geradezu begründet hat: da ist - als nur ein beispiel - der staatssekretär hans globke zu nennen. wikipedia schreibt unwidersprochen dazu:
Hans Josef Maria Globke (* 10. September 1898 in Düsseldorf; † 13. Februar 1973 in Bonn) war Verwaltungsjurist im preußischen und im Reichsinnenministerium, Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassegesetze und Hauptverantwortlicher für die judenfeindliche Namensänderungsverordnung in der Zeit des Nationalsozialismus sowie von 1953 bis 1963 Chef des Bundeskanzleramts unter Bundeskanzler Konrad Adenauer.
Globke ist das prominenteste Beispiel für die Kontinuität der Verwaltungseliten vom „Dritten Reich“ zur frühen Bundesrepublik Deutschland. In der Adenauer-Ära war er als „graue Eminenz“ und engster Vertrauter des Kanzlers verantwortlich für Personalpolitik, Kabinettsarbeit, die Einrichtung und Kontrolle von BND und Verfassungsschutz sowie für Fragen der CDU-Parteiführung. Zu seinen Lebzeiten wurde sein Einsatz für die nationalsozialistische Diktatur nur teilweise bekannt. Im In- und Ausland immer wieder scharf angegriffen, wurde er von der Regierung, dem BND und der CIA aber immer geschützt.

und auch der landtags-wahlkampf in bayern zeigte ja, dass man die rechts außen anwachsende popularität der afd dort mit noch stringenteren rechten inhalten besonders im flüchtlingsdilemma kleinhalten wollte: man nannte das dann verschämt "die union muss sich breiter aufstellen" ... - und so wollte man diese afd eben an die wand drücken: mit kompromissen und augen-zu-und-durch gegenüber der rechten denke.

da war eben nichts von der jetzt von frau merkel apostrophierten "tabulosigkeit" bei der aufdeckung rechter gräueltaten zu spüren - auch nicht schon direkt nach dem krieg bei der aufklärung der nazi-verbrechen. erst jetzt zerrt man 95-jährige unmaßgebliche mitläufer in den kz-wachmannschaften vor den kadi, die sich nun nach 80 jahren als kriegsverbrecher bekennen sollen.

auch im nsu-prozess gibt es nach wie vor viele blinde angeblich unaufgeklärte flecken und geschwärzte verfassungsschützer-dokumente und dunkle schatten, die mit vereinten kräften verschwiegen werden. 

und die abservierung des verfassungsschützers maaßen - nach wie vor cdu-genosse und dort mitglied des sogenannten "wert-konservativen" flügels, der "werte-union" - geschah ja auch erst nach vielen winkelzügen des ministers seehofers: "rin inne karturbeln - rut ut de karturbeln", wie man früher gern bei einem solchen hin und her auf platt sagte.

frau merkel spricht ja noch davon "sonst (!) haben wir einen vollkommenen verlust der glaubwürdigkeit"... und ich finde, dazu ist mein bonus bereits zerschlissen: die glaubwürdigkeit wurde bereits in die tonne getreten. auch frau akk beschäftigt sich lieber recht fragwürdig mit der rezo-kritik und lässt die "neuen besen" zum auskehren in der ecke stehen ... 


karikatur: reiner schwalme - tagesspiegel