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todesfuge - paul celan

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Die Geschichte eines Jahrhundertgedichts


Ein Buch über die „Todesfuge“ Paul Celans, der sich vor 50 Jahren das Leben nahm.

von Rolf Birkholz  in der NW

Ende der 50er Jahre hatte ein damals einflussreicher Kritiker die „Todesfuge“ wirklichkeitsferne „kontrapunktische Exerzitien auf dem Notenpapier“ genannt. Doch Paul Celan schwebte nicht über dem Boden, wenn er „Schwarze Milch der Frühe“ sah, wenn er „dann steigt ihr als Rauch in die Luft“ formulierte, „dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng“.

Dem 1920 im noch österreichisch-ungarisch geprägten rumänischen, heute zur Ukraine gehörenden Czernowitz geborenen Dichter, der seine Eltern in der Shoah verloren hatte und der sich vor 50 Jahren, wohl am 20. April 1970, in der Seine das Leben nahm, war dieses Gedicht eine Anklage an den Tod als „Meister aus Deutschland“ und ein bitter ernster Totengesang. „Auch meine Mutter hatte nur dieses Grab“, schreibt er angesichts jener Kritik an die befreundete Dichterin Ingeborg Bachmann.

In seinem Band „Todesfuge“ zeichnet Thomas Sparr die „Biographie eines Gedichts“ auf, jener 1945 erstmals in Bukarest gedruckten Verse, die heute als deutsches Grundgedicht nach dem Kulturbruch des „Dritten Reichs“ gelten dürfen. Es ist die Geschichte eines Gedichts, dessen Vortrag durch den Autor 1952 bei der legendären Gruppe 47 auf entlarvendes Missverständnis stieß, das später kanonisiert, nach Celans Ansicht schon „lesebuchreif gedroschen“, 1988 schließlich zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht von der Schauspielerin Ida Ehre im Bundestag rezitiert wurde.

„Die ’Todesfuge’ ist ein Störenfried der deutschen Literaturgeschichte“, stellt Sparr fest. „Den einen war sie zu schön, den anderen zu schlicht; mal wurde sie als Plagiat eingestuft, dann wieder als surrealistisch.“

Mit der wechselvollen Geschichte dieses Gedichts samt der Aufnahme in anderen Sprachkreisen skizziert Sparr aber auch das Leben Celans in vielen Facetten, sein gespanntes, gestörtes Verhältnis zu dem Land, mit dem ihn die Muttersprache verband, über dem er jedoch auch noch den Schatten jenes Meisters wahrnahm. Gerade indem es das objektiv aufbereitete Material zu dem Jahrhundertgedicht „Todesfuge“ eng mit der Existenz dieses Dichters verknüpft, erschließt das Buch ein gutes Stück weit die Welt, das Werk Paul Celans, das so hermetisch gar nicht ist, wie es oft scheint.

Text: Neue Westfälische, 20.04.2020, S.6 Kultur/Medien

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Todesfuge - Biographie eines Gedichts: Paul Celan 1920-1970 - Mit zahlreichen Abbildungen und Faksimiles
von Thomas Sparr - DVA

Zum Celan-Jahr 2020

Kein anderes Gedicht hat nach 1945 solche Berühmtheit erlangt wie Paul Celans »Todesfuge«. Entstanden unter dem unmittelbaren Eindruck der Ermordung seiner Eltern durch die Nationalsozialisten, gilt es als eines der frühesten literarischen Zeugnisse im Angesicht der Shoah. Thomas Sparr zeichnet die Geschichte dieses Gedichts nach, das wie kein zweites deutschsprachiges Werk in der Nachkriegszeit eine ganze Epoche ins Bild setzt und eine enorme, bis heute andauernde internationale Wirkungsgeschichte entfaltet. Er spannt den Bogen von seiner Entstehung über seine zunächst kontroverse Aufnahme in den 1950er Jahren bis hin zu den Literaten und Künstlern, die sich bis in unsere Tage davon inspirieren lassen. Seine Erzählung zeigt auch, dass das Gedicht auf besondere Weise die Biographie Celans birgt. Bedruckter Vorsatz, Lesebändchen, Abbildungen.

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Paul Celan


Todesfuge
1944/1945

Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland
dein goldenes Haar Margarete

er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne
er pfeift seine Rüden herbei
er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland
dein goldenes Haar Margarete
Dein aschenes Haar Sulamith

wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng

Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau
stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr anderen spielt weiter zum Tanz auf

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen

Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus  Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus
Deutschland  
dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith

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Immanuel Weißglas


ER
1944

Wir heben Gräber in die Luft und siedeln
Mit Weib und Kind an dem gebotnen Ort.
Wir schaufeln fleißig, und die andern fiedeln,
Man schafft ein Grab und fährt im Tanzen fort.

ER will, dass über diese Därme dreister
Der Bogen strenge wie sein Antlitz streicht:
Spielt sanft vom Tod, er ist ein deutscher Meister,
Der durch die Lande als ein Nebel schleicht.

Und wenn die Dämmrung blutig quillt am Abend,
Öffn’ ich nachzehrend den verbissnen Mund,
Ein Haus für alle in die Lüfte grabend:
Breit wie der Sarg, schmal wie die Todesstund.

ER spielt im Haus mit Schlangen, dräut und dichtet,
In Deutschland dämmert es wie Gretchens Haar.
Das Grab in Wolken wird nicht eng gerichtet:
Da weit der Tod ein deutscher Meister war.

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3Sat - Paul Celan zum 50. Todestag Die Erfahrung, als Jude den Holocaust überlebt zu haben und die Ermordung seiner Eltern, war für Paul Celan zentral. Zwischen den Lagern der deutschen Intellektuellen fand sich der Dichter nie zurecht.

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ja - dieses jahr 2020 ist "celan-jahr": in diesen tagen um den 18./19. april, vor 50 jahren, ertränkte sich paul celan in der seine bei paris - und am 23. november jährt sich sein geburtstag zum 100. mal. und deshalb gibt es eben eine ganz reihe von rezensionen, nachrufen und artikeln.

in der aufzählung aller relevanten neuerscheinungen zu paul celan, die hier vor ein paar tagen bereits aufgezählt und angekündigt wurden, kommt nun dieses buch hinzu: zur "todesfuge", dem wohl bekanntesten lyrischen werk celans.

wenn ich die "todesfuge" lese, habe ich immer schnurstracks die stimme celans im ohr, wie er es vorträgt (höre oben). und da beeindruckt mich immer dieser vers-duktus, dieser fast mechanisch maschinell abspulende rhythmus all dieses unsagbaren, all dieser lyrisch verpackten metapher für tod und verwesen und vergehen und verwehen...

und so hatte deutschland damals ja auch diese schnöden millionenfachen massenmorde an jüdischen, kranken, an tippelbrüdern, zwangsarbeitern, an homosexuell orientierten männern, "unnützen"  und nicht "(kriegs-)verwendungsfähigen" mitmenschen industriell und fast maschinell durchorganisiert in vernichtungsanstalten und kz's - mit gas, giftinjektionen und durch systematischen nahrungsentzug, vorher akribisch "wissenschaftlich" mit ärzten und laboren durchgetestet.

und dieser perfide massenmord lief als background-sound zum entfachten vom zaun gebrochenen krieg an vielen fronten einfach mit: im unbarmherzigen stakkato einer riesigen unsäglichen vernichtungsmaschinerie - und unterfütterte das kettenrasseln der panzer, den kanonendonner und die schusssalven und kampfhandlungen an den fronten.

wir erleben ja zur zeit in unserem lockdown in der coronakrise mit sicherheit nur einen hauch von bewegungseinschränkungen gegenüber damals, aber wir können uns ja vielleicht trotzdem in etwa hineinfühlen, wie sich ungewissheit anfühlt und plötzliche unberechenbare hereinbrechende bedrohung und tod - heutzutage zwar flankiert vom weltweiten überlebenskampf mit dem tödlichen virus, dem einsatz von wissenschaft und intensivpflege und atemschutz und beatmungsmaschinen und billionen und aber billionen an kapital, sowie einem täglichen bulletin für die allmählichen maßnahmen zur überwindung des ganzen - aber damals geschah vielfach das gegenteil, wenn "wissenschaft" und "ärzte" und "pflegepersonal", sowie die "ordnungskräfte" und die "wehrmacht" mitbeteiligt waren und hand anlegten zum massenhaften töten. damals gab es kein virtuell tödliches "virus" (seuchen und ansteckungen begleiteten den krieg erst in den allerletzten kriegsmonaten) - ja, es waren die menschen selbst, menschen wie du und ich, die sich aus weltanschaulichen, nationalistischen und falsch verstandenen erbgesundheits-"gesetzen" gegenseitig liqui-dierten - und mensch & leben waren ein nichts...