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buchpreis: ist der ruf erst ruiniert - lebt es sich ganz ungeniert


Deutscher Buchpreis 
Fehl am Platz

Von Gerrit Bartels - Tagesspiegel

Am Montag wird der Deutsche Buchpreis verliehen - die Jury aber hat sich vorab diskreditiert. Ihre Devise: Bücher verhindern - oder gut verkaufen.

Die Jury für den Deutschen Buchpreis, der am Montag zum fünfzehnten Mal vergeben wird, hat es noch nie leicht gehabt. Sie setzt sich jedes Jahr aufs Neue aus Kritikerinnen, Buchhändlern und anderweitigen Literaturvermittlern zusammen, und jedes Jahr gibt es von der Literaturkritik und manchmal dem Buchhandel Gemosere an den nominierten Romanen.

Das gehört sich so, das ist schon Ritual, das macht ein bisschen den Reiz dieses Preises aus, der den Anspruch hat, den „besten Roman des Jahres“ zu küren.

In diesem Jahr sorgen jedoch nicht nur Longlist- und Shortlist-Auswahl für Stirnrunzeln und noch mehr Bedenken hinsichtlich der Bedeutung dieses Preises. Da waren einfach zu viele gute und wichtige Romane übergangen worden.

Am vergangenen Wochenende hat dann auch noch eins der Jury-Mitglieder, die Wiener Buchhändlerin und Schriftstellerin Petra Hartlieb, in der österreichischen Tageszeitung „Die Presse“ einen Text über ihre Arbeit als Jurorin des Deutschen Buchpreises veröffentlicht.

Literarische Qualität scheint Hartlieb egal zu sein

Und der lässt leider tief blicken und die Frage stellen, ob Hartlieb und womöglich gleich die gesamte diesjährige Jury sich ihrer Verantwortung, diesen Preis angemessen zu repräsentieren, bewusst ist.

Schon dass dieser Text vor der Preisverleihung und sogar der letzten Jury-Sitzung erschienen ist, macht keinen guten Eindruck. Wie es in einer Jury zugeht, ist danach noch interessant genug.

Doch was Hartlieb schreibt, weckt genau die Zweifel an ihrer Befähigung, Mitglied der Buchpreis-Jury zu sein, die sie selbst artikuliert. „Bin ich deswegen in einer so wichtigen Jury fehl am Platz?“ fragt sie, weil sie als Buchhändlerin eine andere Herangehensweise als Germanisten oder Literaturkritikerinnen habe, ihr Referenztitel, Bezüge zu Klassikern oder gar Selbstbewusstsein fehlen würden.

Nur gut, beruhigt sie sich, und da wird es problematisch, „dass es hier um den Preis des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels geht, nicht um den Büchner- oder Bachmannpreis.“ Schließlich solle der Roman, der hier gekürt wird, „in großen Mengen über den Ladentisch“ gehen.

So etwas wie literarische Qualität oder gar literarische Kühnheit, scheint ihr egal zu sein.
Sie gesteht offen, manches Buch nicht lesen zu können, „ich kann das nicht verstehen, ich kann das vermutlich nicht verkaufen“ – und zitiert zu allem problematischen Überfluss aus einer Mail des anderen Buchhändlers in der Jury an sie, Björn Lauer: „Wir müssen das verhindern“.

Das sei ein „rettender Anker“ für sie gewesen, so Hartlieb. Ihre Freude ist dann auch groß darüber, dass vor allem ihre Kollegen und Kolleginnen im Buchhandel die Longlist mit ihren „gut verkäuflichen“ Titeln loben.

Der Buchhandel freute sich über „gut verkäufliche“ Titel der Longlist

Aus all dem lässt sich ableiten, dass für Börsenverein und Jury der beste Roman des Jahres nur der potentiell am besten zu verkaufende Roman sein kann. Und dass alle anderen Kriterien eine, wenn überhaupt, eine untergeordnete Rolle spielen, literaturkritische zumal.

Es wird am Montagabend also Saša Stanišics Buch „Herkunft“ gewinnen, das verkauft sich gut. Oder nein, das hat sich schon viel zu gut verkauft, wir wollen doch noch einen zweiten kommerzielle erfolgreichen Roman des Jahres haben – so dürften die Diskussionen in der diesjährigen Jury mitunter verlaufen sein.

Dem Renommee des Deutschen Buchpreises ist Hartliebs öffentliche Offenbarung nicht förderlich. Ein Segen für die Buchhändlerin, dass sie, wie sie ebenfalls schrieb, vor ihrer Juryarbeit wenigstens noch schnell T.C. Boyles jüngsten Roman „verschlingen“ konnte – und der neue von Stephen King schon auf sie wartet.

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dass in einer neoliberalen kapitalismusgesellschaft der buchhandel keine insel ist, und es offensichtlich um verkauf und knete geht, statt um literatur oder gar poetik oder linguistik oder gar kunst, war ja eigentlich zu erwarten. 

aber ich hatte mir 2015 auch den romen vom preisträger frank witzel erstanden mit dem gar nicht so verkaufsträchtigen "68-er"-titel:
  • Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969.
voll großer und stolzer erwartungshaltung (...ich lese hier das beste in deutscher sprache - das was derzeitig "in" ist...) begann ich heißhungrig mit der lektüre in der hoffnung, dass es eine arbeit ist über meine lebenszeit (ich bin jahrgang 1947 - war 1968 folglich 21 jahre alt - und hatte ja die raf und rudi dutschke von ferne aber manch "manisch-depressiven teenager" leibhaftig kennengelernt.

aber nach ca. 168 seiten habe ich dann aufgegeben - und festgestellt, dass "hohe literatur" doch etwas komplizierter ist, um es einfach so wegzulesen oder mal gerade "echt reinzuziehen"...

von daher kann ich die einlassungen im kern wenigstens hier und da von petra hartlieb in der "presse" durchaus verstehen ("wir müssen das verhindern") - aber: vor vier jahren war also scheinbar im börsenverband eine jury für den buchpreis berufen, die durchaus linguistisch-poetisch verschwurbelte sprachpurzelbäume und verästelungen und fast beatliteraturmäßige cut-up storyinszenierungsschritte zu schätzen wussten.

insgesamt wird aber ein spitzenverband des deutschen buchhandels heutzutage schon auf verkaufsauflagen blinzeln müssen - für seine einzahlenden migliedsverlage. denn er betreibt ja in frankfurt zur buchmesse mit das geschäft der international zu vergebenen lizenzen für verlage, film, funk und fernsehen, hinter denen ja auch wieder weltweite wirtschaftliche interessen stehen - und die werbeindustrie und amazon und thalia und und und.

wenn ich heutzutage eine buchhandlung betrete, finde ich - egal wo - auf den angebotstischen auch nur den derzeitigen "mainstream" einer "bewährten" gängigen überall gleichen angebots-kollektion, die dadurch aber ihre auflagen immer mehr steigern kann. die wirklichen und tatsächlichen "entdeckungen" und "schmankerl" sind nicht mal mehr unter dem ladentisch oder hinter dem thresen oder in der leseecke zu finden, die finde ich vielleicht zufällig im netz, oder noch in den kleinen ums überleben kämpfenden wohlsortierten buchhandlungen, die sich um den verlags-"mainstream" nicht scheren, aber dafür auf lockrabatte der großen verlagsvertriebe verzichten müssen.

die bestseller, preisträger und der verlags-"mainstream" insgesamt wird aus markttechnischen überlegungen heraus "gemacht" und werbemäßig hochgepowert und gesponsert in die feuilletons - und auch die besprechungen sind auftragsarbeiten und werden gegen honorar geschrieben und werden nicht etwa "selbstlos" veröffentlicht.

aber auf die diesjährige preisjury zurückzukommen: mir scheint ganz ehrlich die lesbarkeit für ein großes otto-und-liesel-normalverbraucher-publikum schon auch ein qualitätsmerkmal für "große literatur" sein zu dürfen - ob ich das nun vorab auf einer ganzen seite als jurymitglied aber der österreichischen "presse" frank und frei "stecken" muss - das sei mal dahingestellt.

mit der abgebildeten aber ehrlichen grundmeinung von petra hartlieb hätte sie vielleicht die berufung in das hehre bewertungsgremium für den deutschen buchpreis 2019 ablehnen sollen - oder es war bewusst eine ihr zugeschriebene marketing-rolle, die sie damit ausgefüllt und mit bravour erfüllt hat: denn seit trump wissen wir ja - auch negative schlagzeilen sind schlagzeilen und füllen den raum: und alle bedeutenden feuilletons in diesem unserem lande haben ja pünktlich zur preisverleihung von diesem vielleicht nur vermeintlichen lapsus der frau hartlieb berichtet ... das wertet den preis insgesamt nicht nur ab, sondern untermauert die freien und hehren aspekte einer jury - vielleicht gibt im nächsten jahr ein top-linguist irgendeiner uni aus der jury ein vorab-interview, vielleicht besser der f.a.z. vielleicht auch der literaturbeilage in der "welt", wo dann auch gleichzeitig der siegerroman als fortsetzung mit abgedruckt wird - oder so...