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sich selbst verdauen

"Und der Tod ist nichts anderes als eine Methode der Schöpfung, sich selbst zu verdauen."

Peter Kümmel (Die Zeit) [click] 
interpretiert Castorfs derzeitige "Galilei"-Inszenierung 
am "Berliner Ensemble" 2019


... Je tiefer Galilei in den Kosmos vordringt, desto genussvoller verkriecht sich allerdings Castorfs Inszenierung im Mikro-Gekröse, in Fäulnis und Verfall. So wie einst eine Figur in einem Roman Milan Kunderas gesagt hat, die Existenz des Kotes, das "Venedig der Scheiße unter unseren Füßen", mache es ihm unmöglich, an Gott zu glauben – so benutzt auch Castorf den Kot als einen Anti-Gottesbeweis, als Zeichen dafür, dass wir allein und nicht zu retten sind. Pompös gesagt:  
Die Scheiße ist das Fundament, auf dem Castorfs Inszenierung, vielleicht auch sein Weltbild ruht. 
Die Pest, die an diesem Abend ihr Werk tut, ist bei Castorf nur eine Spielart des großen Ausscheidungsapparates, in dem wir alle verschwinden. Und der Tod, so verrät sein Ensemble in jeder lüstern-lebensmüden Regung, ist nichts anderes als eine Methode der Schöpfung, sich selbst zu verdauen.
...


Der große Jürgen Holtz in der Rolle des Galileo Galilei © Matthias Horn - see more



aus der klugen rezension der castorf-inszenierung von zeit-autor peter kümmel möchte ich nur auf diesen einen aspekt eingehen: "der tod ist nichts anderes als eine methode der schöpfung, sich selbst zu verdauen."

also der gedanke - der satz - lässt mich innehalten. wir grübeln ja alle - wir alten weißen männer mit den fortschreitenden jahren immer stärker: was das wohl ist, dieser tod: etwas belastendes - oder etwas entlastendes/befreiendes - klumpen wir zusammen - oder entfalten wir uns in neuer diversität und transversalität - zu vielfältigen weisen des beobachtens von vergehen und entstehen... ???

in unseren exkrementen ist unsere
gestalt als ich nicht mehr erkennbar ...
und da kommt mir dieser "abführgedanke" bei castorf bzw. dem rezensenten herrn kümmel etwas abrupt und einfach simpel und "entladend" - fast tatsächlich erleichternd daher: schon assoziativ ist ja so ein haufen "scheiße" eben etwas, was die vielfalt und komplexität des nur im mikroskop erkennbaren tatsächlich "eigen-artigen" mikrobioms in unseren ausscheidungen mit seinen milliarden von klitze-kleinen ureigenen lebewesen nicht ohne weiteres preisgibt ...

wenn also die ewige "schöpfung(!) sich selbst zu verdauen hat" im prozess des ewigen todes, entsteht ja in diesem gedankengang ein gewisser "kreislauf": mit jedem kommen ein gewisses gehen - mit jedem hinführen und einverleiben ein abführen. insofern würde ja jeder tod durch immer neues (oder erneuertes) leben irgendwo und über-all "die waage halten", dessen quintessenz "ein ewiges sein im ständigen nehmen und geben" wäre ...

in der einfachen noch nicht industrialisierten landwirtschaft können wir diesen kreislauf ja noch beobachten: wie der kuhfladen zum dünger wird, auf dem neues grün heransprosst, was nach dem abschlachten 
modellzeichnung eines
perpetuum mobile (nach pinterest.de)
der düngerproduzierenden kuh vom kälbchen wieder aufgenommen wird ... - um erneut - usw. usf. ... ein hamsterrad-phänomen - oder ein "natürliches" perpetuum mobile.


ein persönliches ich ist aus der metaebene betrachtet natürlich nur ein verwechselbares und winziges sandkorn im großen und ganzen - ein massenprodukt - im ständigen kommen und gehen - in ständiger ebbe und flut - hin und her:
und darin läge der nächste erkenntnisgewinn: jede "dualität" ist bestandteil des beide teile zusammenführenden "monismus" - wie sogar jede drei-einigkeit (3-d = drei-dimensionalität) ja letztlich nur die betrachtungsweise ein und derselben einheit ausmacht: beispielsweise in unserer metapher von dem was wir als "gott" oder "allah" oder "brahman" bezeichnen ...
schon in meinem leben bin ich auch im kern "viele" - und doch bin ich eins - "ich" werde mit dem tod aus-scheiden (!) oder aus-geschieden aus diesem jetzt und diesem so-sein - aber die lücke meines hinscheidens füllt sich "anderweitig" im selben moment wieder auf: ein vakuum in diesem kreislauf kann und wird es nie geben ... 
[übrigens: ist ja die ähnlichkeit im sprachduktus bei (hin)"scheiden" und aus-"scheidung" und "scheiße" durchaus frappant. "der begriff geht auf das indogermanische Wort *skei-d = „spalten“, „trennen“ zurück" (wiki)]

dieser gedankengang insgesamt ist also nicht bloße abfällig primitive koprophilie und blasphemie, sondern hat auch etwas wesentlich tröstliches in sich - für mich jedenfalls ...

und irgendwie korrespondiert in meinem empfinden eine geschichte aus einem post  - einem "märchen" - von 2012 mit diesen grundsätzlichen "erkenntnissen" - aber urteile selbst: 

traummühle im sinedi-modell
Die Traummühle 

Die besten Einfälle habe ich immer zwischen Traum & Tag: beim Aufwachen ... Heute kam mir in den Sinn, dass nachts eine imaginäre Traummühle die Träume zusammenstellt und zusammenbröselt: 

Gefiltert durch einen indianischen Traumfänger ergießt sich von oben eine Auswahl von Sequenzen - oft auch numinosen Ursprungs - aus unserem bisherigen derzeitigen Leben und aus zurückliegenden Inkarnationskombinationen - sowie aus dem unerschöpflichen kollektiven Unbewussten des Menschseins überhaupt ...  

Und vor dessem geistigen Auge entstehen dann in der Nacht - zumeist während der REM-Schlafphase (REM = engl. Rapid Eye Movement; auch paradoxer Schlaf oder desynchronisierter Schlaf) diese Traumfilme und -szenen aus all den Beigaben - je nach Dosierung der einzelnen Sequenz- und Handlungszutaten - aber oft auch sogar tagsüber - in den sogenannten "Tagträumen" - erobern sie sich als Traumfetzen einen Platz im Focus des inneren Sehens und Denkens ...  sinedi 2012