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Bildersturm

ERINNERUNGSKULTUR

Warum Bilderstürmerei nie zu Aufklärung führt


Von Dankwart Guratzsch | WELT


Berlins ehemaliger Stadtentwicklungssenator Peter Strieder will das Olympiastadion entnazifizieren. Der Denkmalsturzwahn pseudoreligiöser Eiferer trifft damit auch die Architektur. Erreichen werden sie nichts.

Für Peter Strieder, den einstigen Stadtentwicklungssenator von Berlin, gibt es kein Wenn und Aber. Über das Berliner Olympiastadion sagt er: „Die Skulpturen, Wandgemälde, Reliefs müssen weg. Das Maifeld samt Führertribüne sollte abgeräumt und nutzbar gemacht werden für neue Sportfelder, Trainingsplätze, Spielwiesen. Alle Namen der Gebäude und Straßen und Trainingsplätze aus der Zeit der Nazis gehören revidiert, künftig sollten sie beispielsweise nach Opfern der jüngsten rechtsterroristischen Gewalttaten benannt werden.“

Ja, so einfach ist es. Aber so einfach ist es nicht.

Es trifft ja zu, dass die NS-Propaganda exakt auf die überwältigende ideologische Wirkung der von den Brüdern March zwischen 1932 und 1936 errichteten Olympiabauten spekulierte. Aber 75 Jahre nach dem Ende der Hitler-Diktatur sollte man davor nicht mehr in die Knie gehen und zwischen Architektur und Politik unterscheiden können.

Architektur ist gut oder schlecht, aber jenseits von Propaganda und Gegenpropaganda erst einmal unpolitisch. Dass sie politisch instrumentalisiert werden kann, steht auf einem anderen Blatt.

Über das Berliner Olympiagelände sagt der Hamburger Architekt Volkwin Marg: „Olympiapark, Olympiastadion, Schwimmstadion, Sporthochschule, Maifeld, Langemarckhalle und Waldbühne sind Teile eines stadtlandschaftlichen Ensembles, das als Gesamtkunstwerk bewundert wurde. Es erhielt vom Olympischen Komitee 1936 die Goldmedaille für Architektur.“

Damit nicht genug, zur Architektur, so Marg, „gehörten nebenbei die bildenden und darstellenden Künste, wie Skulpturen, Reliefs, Malerei, steinerne Texte, die erste Inszenierung des Olympischen Fackellaufs, der gewaltige Lichtdom der Scheinwerfer zur Abschlussveranstaltung, die weltweit erste Telefunken-Fernsehübertragung für das Public Viewing sowie danach Leni Riefenstahls Filmopus ‚Olympia‘“.

Bilderstürmerei führt nie zur Aufklärung

Marg plädiert für die Erhaltung der Bautengruppe und ein Dokumentationszentrum vor Ort. Mit seinem Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner hat er dem Stadion ein transluzentes Dach hinzugefügt und unter der „Führerloge“ eine ökumenische Andachtskapelle eingebaut, die innen mit dem Vaterunser in allen Sprachen und außen mit dem Luther-Text aus dem Matthäusevangelium beschriftet ist: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele.“

Tut man Peter Strieder Unrecht, wenn man darauf hinweist, dass Exorzismus gegen Kunstwerke eine Praxis von Diktatoren ist? Bilderstürmerei, die gerade wieder in Mode kommt, hat ja tatsächlich noch nie zur Aufklärung beigetragen.

Man betrachte den Furor der Selbstgerechtigkeit, mit dem sich die Revolutionäre von 1789 wie in Selbsthypnose gegenseitig aufs Schafott befördert haben. Über Geschichte wächst kein Gras. Wer sich mit dem Brecheisen an ihr zu schaffen macht, rührt sie auf.

Auch der Tugendterror der Französischen Revolution hat nichts beendet, keinen Frieden gestiftet, keine Erinnerung beerdigt. Die Magie des leeren Ortes besagt, dass Architektur auch dort ist, wo keine ist. Auch das Nicht-Denkmal, das gestürzte Denkmal, das gesprengte Denkmal gestaltet Raum – indem es Blickbeziehungen eröffnet, in die Korrespondenz von Bauwerken eingreift, als Landschaftswunde schwärt.

Sind die Denkmäler von Kolonialherren, Rassisten, Generälen erst mal beseitigt, ist eine andere Öffentlichkeit, ein anderer öffentlicher Raum, ein anderer Bewegungsraum des Menschen hergestellt. Aber die Lücke gibt keine Ruhe. Man braucht sich nur bewusst zu machen, in welchem großem zeitlichem Abstand immer neue Wiederaufbauprojekte entstehen und von den Menschen wie ein Lebensrecht eingefordert werden.

Die Einrede und Widerrede von Gegnern feuert sie nur an. In seiner hygienisch sterilen, geradlinigen, rechteckigen, geschichtsleeren Behausung giert der entwurzelte Weltbürger nach nichts so sehr wie nach Bindung, Relevanz, Aufklärung über sich selbst.

Das abgeschaltete Denkmal redet weiter

Es gibt einen Rückstoßeffekt, der jeden Bildersturm konterkariert. Das liegt an der Sprachfähigkeit der Monumente, die sich durch Eingriffe nicht verkürzen, nicht auf leise stellen, nicht unterdrücken lässt. Das abgeschaltete, minimierte Denkmal redet weiter, doch es gibt die Botschaft der Geschichte verharmlosend wieder, zoomt nicht nur das Große, sondern auch das Böse auf ein Normalmaß herunter.

So schafft man Bilder eines glücklichen Gestern, dessen Stigma man gerade abtöten wollte. Auch die Totalrevision, die Ausmerzung und Nivellierung löscht nichts aus, markiert aber die Handlung. Niemals konnte das Feuer der Bücherverbrennung ausgetreten, nie die „entartete Kunst“ zum Schweigen gebracht werden.

Die Bücher und die Kunstwerke leben ein zweites, unauslöschliches Leben. Bloßgestellt und gezeichnet für alle Zeiten sind die Brandstifter und Scharfrichter, die es ersticken wollten.

Es ist das Paradox, dass das heroische Manichäertum, dessen Zeuge wir gerade sind, zur Farce macht. Die pseudoreligiösen Eiferer, die Dichter wie Ernst Moritz Arndt und Eugen Gomringer, Philosophen wie Immanuel Kant, Maler wie Emil Nolde, Eroberer und Entdecker wie Christoph Columbus, Politiker wie Winston Churchill als Rassisten vom Sockel stürzen, tappen in die Falle der Selbstkarikierung.

Was sie betreiben, ist vergleichbar dem Abschlagen der Nasen von antiken Skulpturen, mit dem die frühen Christen die Magie der alten Götter zu brechen suchten.

Die wirksamste, dauerhafteste Korrektur der Überlieferung leistet die Geschichte selbst. Während die stehen gebliebenen Monumente in ihrem Heroismus und martialischen Gestus immer komischere, zeitfremdere Züge annehmen, bleiben die beseitigten wie Untote lebendig.

Kein Bauwerk der Antike redet noch von den Schrecken und Blutopfern, unter denen und für die es errichtet worden ist. Die Pyramiden stellen sich wie Himmelszeichen dar, die den Enthusiasmus glaubensseliger Völker durch die Jahrtausende tragen. Ihr finsteres Gottkönigtum bringen sie nicht zurück.

Bauhaus-Architektur in Tel Aviv, errichtet von zum größten Teil deutschstämmige Juden, die nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten im Jahr 1933 aus Deutschland "ausgewandert" waren. (Archiv)
Wer zu ergründen sucht, woraus sich die neue Mordlust am Alten herleitet, stößt auf ein weiteres Paradox. Hinter ihr steht kein gefestigtes kulturelles Selbstbewusstsein, keine gesättigte, weitgespannte historische Erfahrung, sondern das Gegenteil: tiefe Zukunftsangst, Versagensangst vor Entwicklung, Wandel, Werden, das die armseligen Errungenschaften einer sang- und klanglosen Gegenwart infrage stellen, überholen oder relativieren könnte.

Das Bemühen, die Sprache zu säubern, den eigenen Standpunkt als „wissenschaftlich“ und „alternativlos“ darzustellen, das für „wahr“ Erkannte als ewig, unteilbar, unanfechtbar zum Gesetz zu machen, will nichts als einen eigenen, neuen Denkmalkult etablieren. Der Denkmalsturz soll Bildern und Denkmälern Platz machen, die keinen Widerspruch mehr dulden.

Der Philosoph Hermann Lübbe hat die Zeit, die wir durchleben, eine Zeit der „Gegenwartsschrumpfung“ genannt, in der sich das Neue selbst überholt und das Alte immer jünger wird. Wir erleben den Umschlag der Gegenwartsschrumpfung in Gegenwartsverewigung, ein Lebensgefühl, das der Vergangenheit seine Überzeugungen, seine Urteile und seine Wahrheit überzustülpen, das seine Gesetze zum Muster für alle Völker und Kulturen zu machen versucht.

In der manifestesten aller Künste, der Architektur, hat diese Vorstellung in den Werken der Revolutionsarchitekten monumentalen Ausdruck gefunden, Werken, die das Ewiggültige gefeiert und als unantastbar dargestellt haben. In der Gestalt der Kugel und der Pyramide, gesteigert zu übermenschlicher Größe und unfassbarer Monumentalität, suchten diese Werke die Politik und den Einsturz aller irdischen Ordnungen als Vollstreckung der ehernen Gesetze des Kosmos auf Erden unverrückbar zu verankern.

Der Totalitarismus der elementaren Form

Die reine Geometrie als das schlechthin Unüberbietbare, Unbezweifelbare, die Berufung auf Newton, die Wissenschaft, den „mechanischen Ursprung“ des Alls, die Feier der vergöttlichten Vernunft sollten eine Moral des Bauens und Gestaltens exekutieren, die nichts neben sich duldete und alles je Erschaffene nur noch als unvollkommen, wertlos und marginal gegenüber dem selbsterschaffenen Einzigwahren, Höchstvollkommenen und Ewiggültigen erscheinen ließ.

Es war der Totalitarismus der reinen elementaren Form. Und an ihm haben sich die Diktatoren des 20. Jahrhunderts orientiert.

Der Chauvinismus gegenüber dem Alten, der sich in den Wiederaufbaujahren in Deutschland Bahn gebrochen hat, dem unzählige unersetzbare Städtebilder und Monumente zum Opfer gefallen sind, war von sehr ähnlicher Qualität. Auch wenn er nicht mit fantastischen Konstrukten wie die Revolutionsarchitekten hervorgetreten ist, bediente doch auch er sich der elementaren Grundform als Waffe, um sein neues Ordnungsschema der Welt als ewig zu deklarieren.

Mit dem Rückgriff auf den alten lateinischen Lehrsatz: „simplex sigillum veri“, das Einfache ist das Siegel des Wahren, bemächtigte sich eine ernüchterte, bilderarme Gegenwart des schönen Alten, um es unter der Verdächtigung, es sei nichts anderes als des „Schrecklichen Anfang“ gewesen, klanglos zu entsorgen.

Dieser Geist ist wieder auferstanden. Wir erleben gerade am Beispiel des Kreuzes auf der Kuppel des Humboldtforums und am Streit über die Potsdamer Garnisonkirche, am Säuberungsfeldzug gegen das Berliner Olympiastadion und gegen alte und neue vermeintlich rechte Räume, an der Korrektur von Straßennamen und an der Absolutsetzung eines gendergerechten Sprachgebrauchs, am Ausmisten von Filmarchiven und Bibliotheken, an der Verstümmelung und Retusche von Biografien und Ehrentiteln, welche Blüten die Bereinigungsraserei treibt.

In ihr liegt eine seltsame, unfreiwillige, paradoxe Logik, die uns erst die neue Physik sehen gelehrt hat: Je weiter wir in dem sich immer schneller ausdehnenden Universum blicken, desto tiefer sehen wir in die Vergangenheit, je weniger wir von dieser Kenntnis nehmen, desto beschränkter unser Horizont.

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also - auch für mich ist es quatsch, den "negerhäuptling" aus pippi langstrumpf in einen "südseehäuptling" political correct umzubiegen. oder etwa kirchenglocken mit einem eingegossenen hakenkreuz einschmelzen zu müssen - oder mit der flex daran handanlegen zu wollen.

solche relikte aus der nazi-zeit sind nun nicht besonders erhaltenswert - quasi zum "neuwert" zu restaurieren etwa.

nein - ein hinweisschild - eine erklärung - eine schriftliche distanzierung - reicht völlig aus. ansonsten muss man ja gerade die allmählich zu bruch gehende gigantomanie des "dritten reiches" vor augen führen und als irrtum gebrandmarkt festhalten.

nur weil einige "privatgelehrte" und spinner irgendetwas in die externsteine hineingeheimnissen wollen, darf man dieses naturdenkmal doch nicht in gänze in frage stellen.

oder stonehenge - ja- und auch die pyramiden.

die bilderstürmerei der protestanten nach der reformation verhindert heute immer noch ein unbelastetes ökumenisches aufeinander zugehen und zeitigte den verlust unschätzbarer kunstwerke.

und die jeweilige bedeutung "politisch" wechselhaft interpretierbarer bauwerke und archäologie-fundstücke kann man in israel erkunden: wo man alte mauerreste als "herodianisch" oder "muslimisch" oder "römisch" oder "ur-christlich" oder "kanaanitisch" oder "ägyptisch" usw. einordnet, um es morgen vielleicht doch auch anders zu interpretieren, je nach gusto der jeweiligen regierungen und der jeweiligen "deutungshoheiten" - aber niemand würde wohl auf die idee kommen, diese artefakte gänzlich zu zerstören.

das machten der totalitäre islamische "is" und die taliban mit alten götterstatuen aus der vormuslimischen zeit - und es gab völlig zu recht einen weltweiten aufschrei der empörung...

kunstwerke und kultur-artefakte vernichtet haben zumeist nur pur totalitäre ideologie-regime: die nazis und all ihre deutschen helfershelfer haben synagogen angesteckt und bücher verbrannt - sie sollten in keinster weise irgendwie ein vorbild sein in ihrem völkischen wahn.

ach so - auch das original-wort "rassismus" sollte unserem grundgesetz auch aus nostalgischen gründen in artikel 3 erhalten bleiben, als reines wort - nicht als sinn ...

und heute morgen hörte ich den rest eines gottesdienstes im autoradio, als der zelebrant dazu aufrief, den glauben "mit den worten unserer väter" zu bekennen...: ich kritisiere ja immer, dass das apostolische christliche glaubensbekenntnis nur sehr knappe angaben zur biografie jesu beinhaltet - und nichts von seiner botschaft, seiner message, nichts von seinem frieden, seiner demut, seiner bergpredigt ... - aber "mit den worten unserer väter" konnte ich es sogar wieder innerlich mitsprechen.