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die jungen jahre der altmeister

mit diesem titelbild verweist "ART" auf die stuttgarter ausstellung


Kunst

Klebriger Stolz

In Stuttgart werden die Künstler Gerhard Richter, Anselm Kiefer, Georg Baselitz und Sigmar Polke zu Nationalhelden aufgepumpt. Sie sollen den Schatten der deutschen Geschichte überstrahlen.

Von Hanno Rauterberg | zeit [click]



Adrett und freundlich und vollkommen gegenwärtig: Sigmar Polkes Gemälde "Freundinnen" von 1965/66 © The Estate of Sigmar Polke, Cologne/VG Bild-Kunst, Bonn 2019


Das mit dem Weltruhm war anfangs nur ein Jux. So wie es mit der Kunst ein Jux war, meistens jedenfalls, und wie überhaupt damals, in den Sechzigerjahren, das Leben für Gerhard Richter und Sigmar Polke kaum anders auszuhalten war als auf dauerspöttelnde, herrlich blöde Weise. Für eine kleine Ausstellung in Hannover hatten die beiden eine Broschüre zusammengekleistert, die schickten sie ihrem Galeristen und schrieben, sie fänden, dieser "Katalog" sei "sehr gelungen", das werde ganz bestimmt "ein kulturpolitisches Ereignis ersten Ranges und von internationaler Bedeutung sein, richtungsweisend und progressiv. Ihre Galerie wird mit einem Schlag im Zenit der Kultursonne stehen ..." Nun ja, es sollte anders kommen, aber nicht sehr viel.

Ein halbes Jahrhundert später, am Donnerstag, den 11. April 2019, stand die Kultursonne dann nämlich sehr hoch, als im großen Saal der Staatsgalerie Stuttgart ein Mann die Bühne betrat, dessen Gesten und Worte stets so wohlgerundet sind, als sollte das ganze Land in ihm, diesem properen Menschen, jene Zufriedenheit finden, die es selbst nicht aufbringt. Es war Frank-Walter Steinmeier, der Bundespräsident, er war gekommen, um tatsächlich "ein kulturpolitisches Ereignis ersten Ranges" zu feiern. Gleich vier Künstler und ihr Frühwerk, neben Polke und Richter noch Anselm Kiefer und Georg Baselitz, wurden als "richtungsweisend und progressiv" besungen.

In dieser Hymne des Bundespräsidenten war viel von Verneigung die Rede, vom "unersetzlichen Beitrag" der Künstler, vom "Dank unseres Landes" und ganz zum Schluss, in stiller Ergriffenheit, auch davon, dass "wir stolz darauf sind, dass diese Kunst aus Deutschland ihren Weg in die Welt gemacht hat".

Stolz, sagten dann auch die anderen Redner an diesem frühen Abend, stolz seien sie natürlich ebenfalls. Und der Stolz sei überaus berechtigt, erklärte schließlich der Kurator Götz Adriani, denn seit Albrecht Dürer, seit Jahrhunderten also, habe die deutsche Kunst nie höher im internationalen Zenit gestanden als heute. Und das Beste: Gemeinsam mit der Kunst stehen auch wir, die Deutschen, nun im hellen Licht. Einst, sagte Adriani, habe der Tod als Meister aus Deutschland gegolten. Heute sei die Kunst ein Meister aus Deutschland.

Er sagte es wirklich so, er hat es auch im Katalog so geschrieben, mehrmals gleich, und zur Sicherheit steht es ebenfalls in der Pressemappe, damit bloß niemand die Botschaft dieser Ausstellung verpasse: dass die Todesfuge von Paul Celan, diese Erinnerung an die Schoah, verklungen sei und nun ein helleres Lied angestimmt, nein, längst in aller Welt gesungen werde, Deutschland, großes Künstlerland!

Vom Todes- zum Kunstweltmeister?

Niemand an diesem Abend, kein Bundes- und kein Ministerpräsident, keiner der Museumsleute schien das übermäßig seltsam zu finden. Auch Anselm Kiefer nicht, der als einziger der vier Künstler nach Stuttgart gekommen war, um sich ehren zu lassen, ohne aber selbst ein Wort zu sagen. Und so konnte Adriani, der große Um- und Neudeuter, seine Gedanken weiter entfalten, konnte schildern, wie piefig, verklemmt und geschichtsvergessen die Deutschen gewesen seien, bis am Ende das große "Kunstwunder" über sie kam. Ein Kunstwunder, das just jenen vier Künstlerhelden zu verdanken sei, die er, Adriani, nun zusammengeführt habe.

Mit Kiefer begann es 1988, mit dessen Ausstellungstournee durch die USA, dann folgten die anderen drei, die dort ebenfalls von sich reden machten – und auf diese Weise "das Schattendasein deutscher Kunst", so Adriani, überwanden und das der Deutschen gleich mit.

Wie genau man sich diese erlösende Verwandlung vom Todes- zum Kunstweltmeister vorzustellen habe, blieb in Stuttgart zwar im Vagen. Dass es aber gewiss an den Künstlern lag, dass es ihre "geschichtsbewusste und immer auch politisch zu verstehende Kunst" war, wie der Bundespräsident meinte, das klang aber immerhin plausibel. Diese Kunst, sagte Steinmeier noch, gehöre heute "zu unserer deutschen Seelenlandschaft" und habe damit "den Blick auf unser Land verändert und tief geprägt". Dann Applaus! Sekt! Zufriedenheit!

Schwelgen in der eigenen, überschäumenden Bedeutsamkeit

Einst hätten die vier Künstler, noch jung und verwegen, einen Abend wie diesen höhnisch johlend verlassen. Sie hatten nichts mit dem im Sinn, was ihnen jetzt, in einem Akt geschichtspolitischer Selbstverklärung, angetragen wurde. Keineswegs wollten sie sozialkritisch sein, keineswegs politisch, keine "Aufklärer", wie es in Stuttgart hieß. Ihre Kunst sollte kein Mittel eines irgendwie gesellschaftlichen Zwecks sein, denn davon, vom klebrigen Stolz des Staates, hatten zumindest drei von ihnen, Polke, Richter, Baselitz, mehr als genug. Sie waren der DDR entkommen, wo man größten Wert auf eine "immer auch politisch zu verstehende Kunst" legte – und also waren die Künstler emsig darum bemüht, jeden tieferen Sinn ins Lächerliche zu ziehen.

Nicht eine andere Welt, eher schon eine andere Kunst stand ihnen vor Augen, daraus machen die Künstler noch heute keinen Hehl. Im Katalog, der vor allem aus langen Interviews besteht, sagt Gerhard Richter: "Kritisch war meine Kunst nie." Georg Baselitz sagt: "Die Provokation, die ich meinte, betraf nur die interne kleine Welt des Kunstbetriebs." Ähnlich plädiert Anselm Kiefer für eine strikte "Trennung von Kunst und Politik". Und von Sigmar Polke, der vor neun Jahren starb, weiß man ebenfalls, dass er sich gegen jede Art von Indienstnahme sträubte. Egal wie sehr die Künstler nun heroisiert werden, sie selbst verstanden sich als Anti-Helden einer Anti-Kunst, niemandem verpflichtet als sich selbst.

Nichts von den Künstlern gelernt

Dennoch blieben sie Zeitgenossen, das belegen nicht zuletzt ihre Werke. In der Stuttgarter Ausstellung hängen sie auf sehr dichte, oft übermäßig gedrängte Weise, man sieht dort Kiefer, wie er in einer Performance den Hitlergruß entrichtet, man sieht Polke, der den Amüsierzwang der Nachkriegsdeutschen in lauter Pünktchen zerstieben ließ, man sieht Baselitz und seine zerlumpten Helden, Triebmenschen, so haltlos erregt wie die Kunst dieses Malers. Und Richter? Bei Richter taucht auf einem Bild, einem abgemalten Urlaubsfoto, sein Schwiegervater auf, ein Arzt, der zur SS gehörte und Menschen gegen ihren Willen sterilisierte.

Mit gehobenem Geschichtsbewusstsein, gar mit erinnerungspolitisch wertvoller Trauerarbeit hat das alles nichts zu tun. Bei seiner Bildauswahl, sagt Richter im Interview, habe er nicht zwischen Werbe- und Privatbildern unterschieden, einzig sei es ihm um das "Abgeschmackte und Epigonale" der Motive gegangen, um "die Banalität", denn allein so habe er sich "von einer im Dienste linker Politik stehenden Kunst" absetzen können. Überdies rückt seine glatte, alle Details verwischende Maltechnik das Bedeutungsvolle und das Bedeutungslose gleichermaßen in ein Jenseits der Geschichte. Alle Konkretion ist seinen Bildern entwichen. Es sind keine Zeugnisse, erst recht keine "politischen Ausrufezeichen", wie der Katalog meint. Wenn sich der frühe Richter überhaupt mit der Schoah befasste, dann mit ihrer Ästhetik: Er kombinierte pornografische Bilder mit den fotografierten Leichenbergen der Konzentrationslager, da er beides als voyeuristisch empfand (später verwarf er die Idee).

Auch Baselitz und Kiefer sind nicht gerade als Aufklärer bekannt, in ihren mal egomanisch-wühlenden, mal mythenreich-weihevollen Werken wird die deutsche Geschichte eher verklärt als erhellt. Dass die vier Künstler nun dennoch zu Lichtgestalten erhoben werden, die "etwas Urdeutsches" repräsentierten und als Vorkämpfer einer geläuterten Nation zu bestaunen seien, das kann man nur als krudes Missverständnis begreifen. Denn weit mehr als ihr später Erfolg verbindet diese sehr unterschiedlichen Maler ihr früher Zweifel: Zweifel am Sinn der Kunst, am Status der Künstler, an dem, was Malerei überhaupt noch sein könnte. "Das Zaudern, die Furcht vor dem Versagen – das bin ich." So sagt es Anselm Kiefer.

Vielleicht ist das die eigentliche Enttäuschung der Stuttgarter Ausstellung: Sie lernt nichts von den Künstlern. Sie gönnt sich keine Zweifel, kein Zaudern, erst recht keine anarchische Blödelei. Sie schwelgt in der eigenen, überschäumenden Bedeutsamkeit. Und verrät damit die Kunst, die sie rühmt.


  • Die Ausstellung "Die jungen Jahre der alten Meister" läuft bis zum 11. August; dann vom 13. September an in den Hamburger Deichtorhallen


vor lauter minderwertigkeitskomplexen ob früherer verfehlungen wird hier nun eine ausstellung gleich völlig überhöht und überkandidelt auf's "weltmeister"-podest gehoben. da war deutschland im fußball nun nach dem krieg 4 x weltmeister - und schon versucht man in diesen kategorien auch in der kunst ein ähnliches wettbewerbs-ranking zu suggerieren.

okay - baselitz-richter-kiefer-polke - das sind schon schwergewichte auch auf internationaler ebene, wenigstens wenn man ihre auktionserfolge dabei bewertet.

aber ein jeder dieser vier ist individualist geblieben - und von mannschafts"sport" war da höchstens etwas zu spüren, wenn ein galerist oder ein kurator alle vier mal zufällig zusammenbrachte - soviel haben diese nun nicht gemeinsam, dass sie etwa als deutsche "nationalmannschaft" auflaufen könnten.

auch sollte man sich hüten vor aller art "kulturnationalismus"... es gab schon einmal zeiten, als man "deutschsein" mit "beseeltem künstlertum" und "dichter und denker" gleichsetzte - aber dabei andere nationen abwertete, weil sie da "vom wesen her" nicht "heranreichten"...

alle vier hatten zu beginn immer große selbstzweifel, die sie anfangs nur mit spötteleien und viel schabernack aushalten konnten und wollten: da waren die drei aus der ddr: richter, baselitz und polke - polke war ja bereits 12-jährig in den westen gelangt, baselitz war in ost-berlin wegen „gesellschaftspolitischer unreife“ von der kunsthochschule geflogen, um in westberlin weiter zu studieren bei keinem geringeren als dem informel-künstler hann trier - und gerhard richter kam 1961 in den westen. einzig anselm kiefer war westdeutscher herkunft - und sein vater war ein spät anerkannter kunstpädagoge.

polke. "schwarze ecke"
und alle vier suchten ihre "visitenkarte" - ihren stil, denn sie wollten ja von ihrer kunst unverwechselbar leben: kiefer meditierte deutsche mythen und z.b. celan-gedichtzeilen mit ausgefallenen materialien nach (stroh - blei u.a.) - baselitz malte seine werke "auf den kopf", um eine ganz neue originelle betrachtungsweise zu erzeugen - richter fing im westen damit an, alte familien-kleinbildfotos aus der "agfa-box" vergrößert zu malen und durch eine eigenartige über-wischtechnik mit dem widdelquast zu verfremden und mit einer dadurch gewonnenen "aura"-schicht auszustaffieren und zu mythologisieren..., während sigmar polke stilistisch vielfach "zu hause" war - und oftmals fast satirisch-kabarettistisch arbeitete - z.b. ein heute sehr bedeutsames werk mit dem titel: "höhere wesen befahlen: rechte obere ecke schwarz malen! ..." - das heute auch als abstraktion eines hitler-porträts gesehen wird ... - polke hatte wohl von allen vieren am meisten "den schalk im nacken" - und nahm sich selbst nicht allzu ernst - hat aber
polke. kirchenfenster in zürich
auch mit viel selbstdisziplin beispielsweise ein großartiges kirchenfenster aus achatschnitten im "grossmünster zürich" als auftragsarbeit geschaffen.

bei aller genialen weltmeisterschafts-reife gab es bei allen vieren, aber auch durchhänger, die dann von publikum wohlwollend "übersehen" wurden.

alles in allem ist es eine interessante zusammenstellung der vier wohl bedeutsamsten künstler im nachkriegs-deutschland - mit viel genie und oft gleichzeitig auch viel selbstironie ... - einfach nur schön...


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