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die jungen jahre der altmeister

mit diesem titelbild verweist "ART" auf die stuttgarter ausstellung


Kunst

Klebriger Stolz

In Stuttgart werden die Künstler Gerhard Richter, Anselm Kiefer, Georg Baselitz und Sigmar Polke zu Nationalhelden aufgepumpt. Sie sollen den Schatten der deutschen Geschichte überstrahlen.

Von Hanno Rauterberg | zeit [click]



Adrett und freundlich und vollkommen gegenwärtig: Sigmar Polkes Gemälde "Freundinnen" von 1965/66 © The Estate of Sigmar Polke, Cologne/VG Bild-Kunst, Bonn 2019


Das mit dem Weltruhm war anfangs nur ein Jux. So wie es mit der Kunst ein Jux war, meistens jedenfalls, und wie überhaupt damals, in den Sechzigerjahren, das Leben für Gerhard Richter und Sigmar Polke kaum anders auszuhalten war als auf dauerspöttelnde, herrlich blöde Weise. Für eine kleine Ausstellung in Hannover hatten die beiden eine Broschüre zusammengekleistert, die schickten sie ihrem Galeristen und schrieben, sie fänden, dieser "Katalog" sei "sehr gelungen", das werde ganz bestimmt "ein kulturpolitisches Ereignis ersten Ranges und von internationaler Bedeutung sein, richtungsweisend und progressiv. Ihre Galerie wird mit einem Schlag im Zenit der Kultursonne stehen ..." Nun ja, es sollte anders kommen, aber nicht sehr viel.

Ein halbes Jahrhundert später, am Donnerstag, den 11. April 2019, stand die Kultursonne dann nämlich sehr hoch, als im großen Saal der Staatsgalerie Stuttgart ein Mann die Bühne betrat, dessen Gesten und Worte stets so wohlgerundet sind, als sollte das ganze Land in ihm, diesem properen Menschen, jene Zufriedenheit finden, die es selbst nicht aufbringt. Es war Frank-Walter Steinmeier, der Bundespräsident, er war gekommen, um tatsächlich "ein kulturpolitisches Ereignis ersten Ranges" zu feiern. Gleich vier Künstler und ihr Frühwerk, neben Polke und Richter noch Anselm Kiefer und Georg Baselitz, wurden als "richtungsweisend und progressiv" besungen.

In dieser Hymne des Bundespräsidenten war viel von Verneigung die Rede, vom "unersetzlichen Beitrag" der Künstler, vom "Dank unseres Landes" und ganz zum Schluss, in stiller Ergriffenheit, auch davon, dass "wir stolz darauf sind, dass diese Kunst aus Deutschland ihren Weg in die Welt gemacht hat".

Stolz, sagten dann auch die anderen Redner an diesem frühen Abend, stolz seien sie natürlich ebenfalls. Und der Stolz sei überaus berechtigt, erklärte schließlich der Kurator Götz Adriani, denn seit Albrecht Dürer, seit Jahrhunderten also, habe die deutsche Kunst nie höher im internationalen Zenit gestanden als heute. Und das Beste: Gemeinsam mit der Kunst stehen auch wir, die Deutschen, nun im hellen Licht. Einst, sagte Adriani, habe der Tod als Meister aus Deutschland gegolten. Heute sei die Kunst ein Meister aus Deutschland.

Er sagte es wirklich so, er hat es auch im Katalog so geschrieben, mehrmals gleich, und zur Sicherheit steht es ebenfalls in der Pressemappe, damit bloß niemand die Botschaft dieser Ausstellung verpasse: dass die Todesfuge von Paul Celan, diese Erinnerung an die Schoah, verklungen sei und nun ein helleres Lied angestimmt, nein, längst in aller Welt gesungen werde, Deutschland, großes Künstlerland!

Vom Todes- zum Kunstweltmeister?

Niemand an diesem Abend, kein Bundes- und kein Ministerpräsident, keiner der Museumsleute schien das übermäßig seltsam zu finden. Auch Anselm Kiefer nicht, der als einziger der vier Künstler nach Stuttgart gekommen war, um sich ehren zu lassen, ohne aber selbst ein Wort zu sagen. Und so konnte Adriani, der große Um- und Neudeuter, seine Gedanken weiter entfalten, konnte schildern, wie piefig, verklemmt und geschichtsvergessen die Deutschen gewesen seien, bis am Ende das große "Kunstwunder" über sie kam. Ein Kunstwunder, das just jenen vier Künstlerhelden zu verdanken sei, die er, Adriani, nun zusammengeführt habe.

Mit Kiefer begann es 1988, mit dessen Ausstellungstournee durch die USA, dann folgten die anderen drei, die dort ebenfalls von sich reden machten – und auf diese Weise "das Schattendasein deutscher Kunst", so Adriani, überwanden und das der Deutschen gleich mit.

Wie genau man sich diese erlösende Verwandlung vom Todes- zum Kunstweltmeister vorzustellen habe, blieb in Stuttgart zwar im Vagen. Dass es aber gewiss an den Künstlern lag, dass es ihre "geschichtsbewusste und immer auch politisch zu verstehende Kunst" war, wie der Bundespräsident meinte, das klang aber immerhin plausibel. Diese Kunst, sagte Steinmeier noch, gehöre heute "zu unserer deutschen Seelenlandschaft" und habe damit "den Blick auf unser Land verändert und tief geprägt". Dann Applaus! Sekt! Zufriedenheit!

Schwelgen in der eigenen, überschäumenden Bedeutsamkeit

Einst hätten die vier Künstler, noch jung und verwegen, einen Abend wie diesen höhnisch johlend verlassen. Sie hatten nichts mit dem im Sinn, was ihnen jetzt, in einem Akt geschichtspolitischer Selbstverklärung, angetragen wurde. Keineswegs wollten sie sozialkritisch sein, keineswegs politisch, keine "Aufklärer", wie es in Stuttgart hieß. Ihre Kunst sollte kein Mittel eines irgendwie gesellschaftlichen Zwecks sein, denn davon, vom klebrigen Stolz des Staates, hatten zumindest drei von ihnen, Polke, Richter, Baselitz, mehr als genug. Sie waren der DDR entkommen, wo man größten Wert auf eine "immer auch politisch zu verstehende Kunst" legte – und also waren die Künstler emsig darum bemüht, jeden tieferen Sinn ins Lächerliche zu ziehen.

Nicht eine andere Welt, eher schon eine andere Kunst stand ihnen vor Augen, daraus machen die Künstler noch heute keinen Hehl. Im Katalog, der vor allem aus langen Interviews besteht, sagt Gerhard Richter: "Kritisch war meine Kunst nie." Georg Baselitz sagt: "Die Provokation, die ich meinte, betraf nur die interne kleine Welt des Kunstbetriebs." Ähnlich plädiert Anselm Kiefer für eine strikte "Trennung von Kunst und Politik". Und von Sigmar Polke, der vor neun Jahren starb, weiß man ebenfalls, dass er sich gegen jede Art von Indienstnahme sträubte. Egal wie sehr die Künstler nun heroisiert werden, sie selbst verstanden sich als Anti-Helden einer Anti-Kunst, niemandem verpflichtet als sich selbst.

Nichts von den Künstlern gelernt

Dennoch blieben sie Zeitgenossen, das belegen nicht zuletzt ihre Werke. In der Stuttgarter Ausstellung hängen sie auf sehr dichte, oft übermäßig gedrängte Weise, man sieht dort Kiefer, wie er in einer Performance den Hitlergruß entrichtet, man sieht Polke, der den Amüsierzwang der Nachkriegsdeutschen in lauter Pünktchen zerstieben ließ, man sieht Baselitz und seine zerlumpten Helden, Triebmenschen, so haltlos erregt wie die Kunst dieses Malers. Und Richter? Bei Richter taucht auf einem Bild, einem abgemalten Urlaubsfoto, sein Schwiegervater auf, ein Arzt, der zur SS gehörte und Menschen gegen ihren Willen sterilisierte.

Mit gehobenem Geschichtsbewusstsein, gar mit erinnerungspolitisch wertvoller Trauerarbeit hat das alles nichts zu tun. Bei seiner Bildauswahl, sagt Richter im Interview, habe er nicht zwischen Werbe- und Privatbildern unterschieden, einzig sei es ihm um das "Abgeschmackte und Epigonale" der Motive gegangen, um "die Banalität", denn allein so habe er sich "von einer im Dienste linker Politik stehenden Kunst" absetzen können. Überdies rückt seine glatte, alle Details verwischende Maltechnik das Bedeutungsvolle und das Bedeutungslose gleichermaßen in ein Jenseits der Geschichte. Alle Konkretion ist seinen Bildern entwichen. Es sind keine Zeugnisse, erst recht keine "politischen Ausrufezeichen", wie der Katalog meint. Wenn sich der frühe Richter überhaupt mit der Schoah befasste, dann mit ihrer Ästhetik: Er kombinierte pornografische Bilder mit den fotografierten Leichenbergen der Konzentrationslager, da er beides als voyeuristisch empfand (später verwarf er die Idee).

Auch Baselitz und Kiefer sind nicht gerade als Aufklärer bekannt, in ihren mal egomanisch-wühlenden, mal mythenreich-weihevollen Werken wird die deutsche Geschichte eher verklärt als erhellt. Dass die vier Künstler nun dennoch zu Lichtgestalten erhoben werden, die "etwas Urdeutsches" repräsentierten und als Vorkämpfer einer geläuterten Nation zu bestaunen seien, das kann man nur als krudes Missverständnis begreifen. Denn weit mehr als ihr später Erfolg verbindet diese sehr unterschiedlichen Maler ihr früher Zweifel: Zweifel am Sinn der Kunst, am Status der Künstler, an dem, was Malerei überhaupt noch sein könnte. "Das Zaudern, die Furcht vor dem Versagen – das bin ich." So sagt es Anselm Kiefer.

Vielleicht ist das die eigentliche Enttäuschung der Stuttgarter Ausstellung: Sie lernt nichts von den Künstlern. Sie gönnt sich keine Zweifel, kein Zaudern, erst recht keine anarchische Blödelei. Sie schwelgt in der eigenen, überschäumenden Bedeutsamkeit. Und verrät damit die Kunst, die sie rühmt.


  • Die Ausstellung "Die jungen Jahre der alten Meister" läuft bis zum 11. August; dann vom 13. September an in den Hamburger Deichtorhallen


vor lauter minderwertigkeitskomplexen ob früherer verfehlungen wird hier nun eine ausstellung gleich völlig überhöht und überkandidelt auf's "weltmeister"-podest gehoben. da war deutschland im fußball nun nach dem krieg 4 x weltmeister - und schon versucht man in diesen kategorien auch in der kunst ein ähnliches wettbewerbs-ranking zu suggerieren.

okay - baselitz-richter-kiefer-polke - das sind schon schwergewichte auch auf internationaler ebene, wenigstens wenn man ihre auktionserfolge dabei bewertet.

aber ein jeder dieser vier ist individualist geblieben - und von mannschafts"sport" war da höchstens etwas zu spüren, wenn ein galerist oder ein kurator alle vier mal zufällig zusammenbrachte - soviel haben diese nun nicht gemeinsam, dass sie etwa als deutsche "nationalmannschaft" auflaufen könnten.

auch sollte man sich hüten vor aller art "kulturnationalismus"... es gab schon einmal zeiten, als man "deutschsein" mit "beseeltem künstlertum" und "dichter und denker" gleichsetzte - aber dabei andere nationen abwertete, weil sie da "vom wesen her" nicht "heranreichten"...

alle vier hatten zu beginn immer große selbstzweifel, die sie anfangs nur mit spötteleien und viel schabernack aushalten konnten und wollten: da waren die drei aus der ddr: richter, baselitz und polke - polke war ja bereits 12-jährig in den westen gelangt, baselitz war in ost-berlin wegen „gesellschaftspolitischer unreife“ von der kunsthochschule geflogen, um in westberlin weiter zu studieren bei keinem geringeren als dem informel-künstler hann trier - und gerhard richter kam 1961 in den westen. einzig anselm kiefer war westdeutscher herkunft - und sein vater war ein spät anerkannter kunstpädagoge.

polke. "schwarze ecke"
und alle vier suchten ihre "visitenkarte" - ihren stil, denn sie wollten ja von ihrer kunst unverwechselbar leben: kiefer meditierte deutsche mythen und z.b. celan-gedichtzeilen mit ausgefallenen materialien nach (stroh - blei u.a.) - baselitz malte seine werke "auf den kopf", um eine ganz neue originelle betrachtungsweise zu erzeugen - richter fing im westen damit an, alte familien-kleinbildfotos aus der "agfa-box" vergrößert zu malen und durch eine eigenartige über-wischtechnik mit dem widdelquast zu verfremden und mit einer dadurch gewonnenen "aura"-schicht auszustaffieren und zu mythologisieren..., während sigmar polke stilistisch vielfach "zu hause" war - und oftmals fast satirisch-kabarettistisch arbeitete - z.b. ein heute sehr bedeutsames werk mit dem titel: "höhere wesen befahlen: rechte obere ecke schwarz malen! ..." - das heute auch als abstraktion eines hitler-porträts gesehen wird ... - polke hatte wohl von allen vieren am meisten "den schalk im nacken" - und nahm sich selbst nicht allzu ernst - hat aber
polke. kirchenfenster in zürich
auch mit viel selbstdisziplin beispielsweise ein großartiges kirchenfenster aus achatschnitten im "grossmünster zürich" als auftragsarbeit geschaffen.

bei aller genialen weltmeisterschafts-reife gab es bei allen vieren, aber auch durchhänger, die dann von publikum wohlwollend "übersehen" wurden.

alles in allem ist es eine interessante zusammenstellung der vier wohl bedeutsamsten künstler im nachkriegs-deutschland - mit viel genie und oft gleichzeitig auch viel selbstironie ... - einfach nur schön...


mehrwert: banksys schredder-bild seit heute für immer in deutschland




click zum 6-min. ttt-video

Banksys Schredderbild

„Banksys Fragen haben auch schon die alten Meister gestellt“



Von Geraldine Oetken / RND - RedaktionsNetzwerk Deutschland

Christiane Lange ist die Direktorin der Staatsgalerie Stuttgart. Hier wird das legendäre Schredderbild des Street-Art-Künstlers Banksy, „Love is in the bin“, ab März dauerhaft zu sehen sein. Zuerst ist es im Burda-Museum Baden-Baden zu sehen. Ein Gespräch über Street Art, alte Meister und den Kunstmarkt. 
Es war spektakulär: Nachdem im Oktober 2018 ein Bild von Banksy für 1,2 Millionen Euro versteigert wurde, lief es durch einen Schredder. Nun lässt die anonyme Sammlerin das Bild im Burda-Museum Baden-Baden ausstellen und gibt es als Dauerleihgabe in die Staatsgalerie Stuttgart. Ein Gespräch über den Kunstmarkt mit der Stuttgarter Direktorin Christiane Lange.

Sie erhalten die legendäre halb geschredderte Banksy-Arbeit „Love Is in the Bin“ für die Staatsgalerie Stuttgart nach der spektakulären Auktion im vergangenen Oktober von der Sammlerin als Dauerleihgabe. Haben Sie es schon einmal in echt gesehen?

Nein. Wie die Mehrheit der Weltbevölkerung werde ich es zum ersten Mal im Original bei der Präsentation im Frieder-Burda-Museum in Baden-Baden am 5. Februar sehen. Ab dem 7. März ist es dann bei uns als Dauerleihgabe zu sehen.

Wie kam es dazu, dass das Bild nun bei Ihnen in der Sammlung ausgestellt wird?

Das ist ein absoluter Glücksfall. Ich kenne die Eigentümerin, die das Bild bei der Auktion ersteigert hat. Sie tritt öffentlich nicht als Eigentümerin in Erscheinung. Kurz nach der Auktion im Oktober kam ich mit ihr über das Bild zufällig ins Gespräch, und ich konnte ihr ein Angebot mit unserem Ausstellungskonzept machen. Dann lag die Planung etwas auf Eis. Jetzt hat das Ganze vor wenigen Wochen an Fahrt aufgenommen, und ich freue mich sehr, dass wir das Bild nun in Stuttgart zeigen können.

Welches Konzept haben Sie für das Bild in Stuttgart?

Bei uns ist ein sinnlich erlebbarer Dialog zwischen Banksy und den Meisterwerken der Kunstgeschichte geplant. Wir wollen das Werk in der Dauerausstellung wandern lassen, immer wieder in einem neuen Raum und Kontext zeigen. Banksys Fragen haben sich auch schon die alten Meister gestellt. Was bedeutet der Kunstmarkt für mich? Auch Dürer hat sich überlegt, wie ein Künstler zu einer Marke werden kann.

Warum hat sich die Sammlerin entschieden, das Werk der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen?

Zum einen denke ich, weil es sie reizt, das Werk in so einem Dialog zu sehen. Als privater Sammler lebt man mit seinen Bildern. Ein Museum aber kann die Chance geben, das Werk aus der eigenen Sammlung Hauptwerken aus der Kunstgeschichte gegenüberzustellen und zu erleben, wie die Kunst aus der Kunst kommt, wie die Stile voneinander abhängen und wie die Künstler auch Impulse der Vorgängergeneration aufnehmen.

Wie ordnen Sie die Arbeit ein?

Die Auktion war ein Mediencoup. Die Arbeit ist durch diesen Moment im Auktionssaal erst vollendet worden. Sie ist jetzt auch ein Aktionsrelikt von einer Performance.

Hätte sich die Staatsgalerie Stuttgart für 1,2 Millionen Euro „Love Is in the Bin“ – oder damals „Girl with Balloon“ – ersteigern können?

Wir kaufen natürlich Werke an, allerdings nicht auf Auktionen. Wenn wir Werke in dieser Größenordnung erwerben, brauchen wir Allianzen und damit eine sorgfältige Planung. So eine spontane Entscheidung für einen zeitgenössischen Künstler wie in einer Auktion wäre für ein Museum ein Ding der Unmöglichkeit.

Wird es für Museen zunehmend zu einem Problem, dass sie heutzutage so stark auf Dauerleihgaben angewiesen sind?

Die Idee von Dauerleihgaben ist so alt wie die Institution Museum, die ja ursprünglich aus fürstlichen Sammlungen entstanden ist.

„Love Is in the Bin“ steht mit seinem Mediencoup für den Eventcharakter der Kunstauktionen. Nun erfährt die Arbeit aber eine museale Aufbereitung. Was bedeutet das für Sie?

Es zeigt, dass das Museum der Ort für das kollektive Kunsterleben ist. Da kann jeder rein. Um das Werk von Banksy zu sehen, muss ich jetzt nicht der Millionär sein, der 1,2 Millionen Euro für die Kunst ausgeben kann. Im Museum ist ein Werk dem Kunstmarkt entzogen – und für jeden zugänglich. Hier kann sich ein Besucher an Dingen erfreuen, die sich sonst nur die ganz Reichen dieser Erde leisten können. Vor lauter Eventhype vergessen die Menschen Bilder in den Dauerausstellungen ihrer Museen. Dabei können sie dort über Jahre Kunst so erleben, als würde sie ihnen gehören.


Hannoversche Allgemeine - 04.02.2019 - Kultur/interview


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INTERVIEW MIT KUNSTHISTORIKER DR. BLANCHÉ

"Banksy hat das Museum nicht nötig, das Museum hat ihn nötig"

Banksys berühmtes - und mittlerweile geschreddertes - Bild "Mädchen mit Ballon" ist jetzt in Baden-Baden zu sehen. Woher kommt all der Hype? Kunsthistoriker Dr. Blanché erklärt das Phänomen Banksy im Interview.

Weshalb wird ein kaputtes Bild so gehypt? Darüber hat SWR Aktuell Redakteur Stefan Eich mit dem Kunsthistoriker Dr. Ulrich Blanché gesprochen.

Würden wir heute über das Bild reden, wenn es nicht geschreddert worden wäre?

Kann sein. Das Bild war ja auch schon vor der Schredder-Aktion bekannt. Es hat sich als Tattoo auf dem Unterarm von Justin Biber befunden. Es kam in einem Film von Woody Allen "Matchpoint" von 2005 vor. Es wurde zum beliebtesten Kunstwerk 2017 von den Briten gewählt. Es ist auch ohne die Schredder-Aktion ein sehr bekanntes Werk gewesen.

Banksy, so heißt es, wollte mit dieser Schredder-Aktion gegen die Kommerzialisierung der Kunst protestieren. Nun ist das Bild genau dadurch viel wertvoller geworden. Wird ihn das ärgern?

Das kann sein. Aber gegen den Kunstmarkt kann man letztendlich gar nicht so viel machen. Wenn Banksy eine Feuerexplosion in den Rahmen gebaut hätte, dann könnte man vielleicht nachher bei Sotheby’s für zwei Millionen ein Säckchen Asche mit einem Video zusammen versteigern.
Man entkommt dem Markt gar nicht, aber man kann das nicht alles dem Künstler anlasten. Der Künstler richtet sich nicht unbedingt gegen Museen, sondern er richtet sich gegen den privaten Kunstmarkt, also gegen Privatsammler, die zunehmend sozusagen als Gefahr gerade für öffentliche Sammlungen wahrgenommen werden.
Das liegt daran, dass die öffentlichen Sammlungen selbst nicht mehr diese Preise für Gegenwartskunst zahlen können, für möglicherweise auch relevante Gegenwartskunst. Weil der Privatmarkt die Preise so in die Höhe treibt, dass sich das kein Museum mehr leisten kann.

Jetzt könnte Banksy, wenn er das kritisiert, auch ein Bild machen und dieses dann einfach an ein öffentliches Museum geben und sagen: "Hier, schenke ich euch, macht was draus."

Das könnte er machen, das stimmt. Aber das ist generell nicht seine Art. Diese Schredder-Aktion ist jetzt geschehen, doch was danach mit dem Bild passiert, das ist für ihn gar nicht so interessant. Er hat das Museum nicht wirklich nötig, das Museum hat ihn nötig.
Er hat auch den Kunstkritiker oder den Kunsthistoriker wie mich nicht nötig. Er hat auch die Institutionen nicht nötig. Banksy ist ein weltbekannter Künstler, der nicht von einer Galerie vertreten wird. Der hat die Aufmerksamkeit, der braucht das Museum nicht.

Könnte es sein, dass wir irgendwann von Banksy hören: "So, jetzt habe ich genug gemacht, jetzt gehe ich in Rente, ihr hört nie wieder was von mir?"

Bei einem Künstler, über den es zwar Spekulationen gibt; Welche Person dahinter steht, welches Gesicht, aber über den das nie hunderprozentig aufgeklärt wurde, da kann das ohne Weiteres passieren. Aber ich könnte mir vorstellen, dass er jetzt, mit Mitte 40, noch nicht in den Ruhestand geht. Stattdessen werden wir vielleicht noch weitere Filme sehen, noch weitere tolle Medienstunts erleben.

Wenn Sie an Banksy denken, was für einen Menschen haben Sie da vor Augen? Wie stellen Sie sich den körperlich vor?

Banksy ist ein weißer Mann, der einen Drachen auf dem Unterarm tätowiert hat vielleicht, der eine Brille trägt, der ein unauffälliges Aussehen hat. Er ist von Geburt an rothaarig, sein Vorname ist wahrscheinlich Robin. Robin ist Englisch für das Rotkehlchen, deshalb hat er auch eine große Vorliebe für die Farbe Rot.
Banksy ist, denke ich, um die 45 heute, mittlerweile vielleicht schon ein bisschen angegraut. Er ist ein sehr witziger, aber eher ruhiger Mensch. Im Englischen würde man "grumpy" sagen, also jemand, der ein bisschen mürrisch ist, ein bisschen paranoid - also nicht unbedingt der einfachste Mensch.

Aber Sie selbst sind es nicht?

Nö.

Das würde Banksy auch sagen.

Das würde Banksy auch sagen, das stimmt.

Zur Person: 
Dr. Ulrich Blanché ist wissenschaftlicher Assistent für Neuere und Neueste Kunstgeschichte am Institut für Europäische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg. Er hat mehrere Bücher über Banksy geschrieben und war bei der Eröffnung der Ausstellung im Museum Frieder Burda in Baden-Baden dabei.

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aber so richtig spinnerte und überkandidelte kunstwerke hatten wir als "marketing" ja schon ab und zu - und ich möchte mal behaupten: für die jeweiligen zeitgenossen gab es die wahrscheinlich in jeder kunstepoche seit der antike - heutzutage waren das u.a.: 

  • yves klein beispielsweise hat 11 gleiche monochrom-blaue bilder ausgestellt (click here);  
  • josef beuys hat badewannen besudelt und zu kunst deklariert - (bekannter markenslogan: "ist das kunst - oder kann das weg?"); 
  • jonathan meese schmiert leinwände etwas unorthodox auch mal mit nem hakenkreuz voll; 
  • john cage hat 4'33 min. stille als orchesterwerk "komponiert"
 ...und all diese sachen waren z.t. ja origineller und raffinierter und provozierender als dieses zerschnittene "werk" des streetart-künstlers banksy:


apropos "virales marketing" [siehe dort]: dieser riesengroße coup von banksy mit dem teilweise automatisch geschredderten schablonen-abzug eines seiner hübschen postkarten-motive: "mädchen mit ballon" erzielte ca. 20 mio. clicks/hits in den netzwerken rund um die welt - und diese ganze aktion geschah nach meinem empfinden in trauter zusammenarbeit mit dem auktionshaus sotheby's und der käuferin dieses zerschnipselten werkes - wohl aus dem dunstkreis der burda-familie wie wir in dem ttt-filmchen erfahren dürfen - und die jetzt das halb geschredderte "kunstwerk" der "stuttgarter staatsgalerie" als dauerleihgabe [sic!] übergeben wird [hört-hört!] ... - na toll ...

na ja - in dem zustand würde ich es mir zuhause auch nicht an die wand hängen - und wenn da zunächst das museum frieder burda für 4 wochen das schnipselbild ausstellt und dann gar die staatsgalerie, dann ist das ja ehre und ansehen und reputation satt, und wieviel an knete bzw. "aufwandsentschädigung" da hin & her fließen - das sei mal dahingestellt ...


ja - und auch das gab es ja schon öfters: das abfall und schrott neu drapiert kurzerhand zum "kunstwerk" hochstilisiert wurden: jean tinguely's zusammengelötete quietschende maschinenteile zu einer art "endlos-maschine" zum beispiel ...

aber wie banksy dauerhaft, so bleibt ja auch die käuferin gepflegt im hintergrund - denn die identitäten kennen wir nicht ...

aber das sich nun alles so schön und glatt und wundersam ineinander und miteinander fügt - mit einem durchdachten wanderkonzept des bildes - zunächst vom burda-museum in die staatsgalerie und dort von raum zu raum "im dialog" vielleicht mit nem alten dürer und nach und nach weiteren klassikern - "das hat schon was", sagt man dann wohl als wohlerzogener kunstliebhaber ...

und wie man es in baden-baden oder dann in stuttgart auch benennt: die ausstellung nun just dieses millionen-kunst-torsos "love is in the bin" von banksy & sotheby's & der sammlerin gleichermaßen hat für mich sicherlich ein "gschmäckle": zunächst für vier wochen holt man sich dieses äußerst umstrittene "corpus delicti" ins ehrwürdige frieder-burda-museum - bei freiem eintritt zum bild - zum zeichen der "demokratisierung der kunst", wie sie banksy so gern publiziert ... 

aber: was sollen denn junge menschen von diesem angeblich misslungenen zerstörungsakt um himmelswillen an "kunst-demokratisierung" lernen ??? - eben außer einem crash-course in "viralem marketing" ???

aber das wäre ja wieder das wirtschafts-ressort und weniger die ehrbare kunst - aber das lässt sich ja sowieso heutzutage bei den marktstrategien der künstler, der auktionshäuser, der museen, der sammler und geldanleger kaum auseinanderhalten: es geht auch hier wieder um einen "markt" - und darin um das "spektakuläre" - das aber auch mal irgendwann staub ansetzt und in die jahre kommt - und was kann oder soll dann eine solche action mit dem geschredderten bild noch toppen ???

besonders interessiert mich ja auch, wer jetzt den kaufpreis erhält: an wen hat sotheby's die 1,2 mio. übergeben ??? denn - wohlgemerkt - der zutritt zum "werk" ist "im sinne des künstlers" frei ... 

jedenfalls ist der gag mit dem umständliche schreddermechanismus in einem überdimensionierten bilderrahmen nun auch schon wieder ein alter hut - ein mechanismus in einem rahmen, der dadurch eigentlich so schwer wird, dass die auktionatoren und deren angestellte das angeblich nicht mal merken konnten - aber ausgerechnet besagtes bild an die wand hängen - während fast alle anderen auktionsobjekte dieser größen- und preiserwartungs-ordnung auf ein sockelpodest drappiert werden ... (aber dann hätte ja der "überraschende" schreddervorgang soooo nicht funktioniert ...)

ich bleibe dabei - das ganze ist/war ein abgekartetes spiel - im schnodderigen streetart-slang: "eine ganz große verarsche" - eine verarsche die für alle beteiligten mehrwert schafft - und deshalb machen alle mit - und deshalb halten alle still ...

also - lasst euch nicht für dumm verkaufen ...

nix für ungut - und chuat choan