"
Posts mit dem Label anselm kiefer werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label anselm kiefer werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

corona - die globale herausforderung: alles ist mit allem verstrickt ...

FOTO: HAIDAR HAMDANI / AFP - TAGESSPIEGEL




Die dritte große Krise des Jahrhunderts? 

Die Coronavirus-Pandemie kann nur global bekämpft werden

Von Malte Lehming Tagesspiegel

Es gab einmal eine Zeit, als weltweit die Einsicht reifte, dass globale Probleme einer globalen Lösung bedürfen. Kein Land kann allein die Klimakrise bewältigen. Die Folgen der digitalen Revolution betreffen alle Menschen. Hunger, Elend und Krieg lösen Migration aus. Und dass ein Zusammenbruch der Finanzmärkte verheerende Kettenreaktionen in Gang setzt, wurde im Jahr 2008 offenkundig. Innerhalb kurzer Zeit kam es zu einer Hypotheken-, Finanz-, Banken- und Wirtschaftskrise, die niemand in dem Ausmaß prognostiziert hatte. „Wir haben in den Abgrund geschaut“, sagte Finanzminister Peer Steinbrück.

Damals resultierte aus dem Schock der Wille zum gemeinsamen Handeln.

Im November 2008 versammelten sich in Washington, zum ersten Mal auf Ebene der Regierungschefs, die G-20-Staaten zu einem Weltfinanzgipfel.

Bei der Folgekonferenz im April 2009 in London beschlossen sie ein Programm in Höhe von 1,1 Billionen US-Dollar – das sind 1100 Milliarden - zur Ankurbelung der Weltkonjunktur. Sie bekannten sich zu den Prinzipien des freien Marktes, dem Protektionismus wurde eine Absage erteilt.

Heute herrschen andere Regeln. Der Nationalismus feiert eine Renaissance. Multilaterale Vereinbarungen werden aufgekündigt, Handelskriege geführt. Jeder für sich, lautet die Devise. Abschottung und nationale Egoismen sollen ersetzen, was man früher „vertrauensbildende Maßnahmen“ genannt hat. Eklatant wird das im Umgang mit dem Coronavirus.

In Deutschland mindestens 100.000 Tote?

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und der Finanzkrise von 2008 könnte eine von Covid-19 verursachte Pandemie zur dritten großen Erschütterung in diesem Jahrhundert führen.

Viele Zahlen sind unsicher, aber allgemein wird davon ausgegangen, dass ohne massive Eingriffe, die die Ausbreitung begrenzen, in einem betroffenen Land die Ansteckungsrate zwischen 25 und 70 Prozent liegt. Etwa fünf Prozent der Infizierten müssen medizinisch betreut werden, an der Erkrankung sterben zwischen 0,5 und 3 Prozent. Das würde, heruntergerechnet auf Deutschland, mindestens 100.000 Tote bedeuten.

Wie viel dramatischer könnte die Lage etwa in Afrika werden? China ist Afrikas wichtigster Handelspartner, die Grenzen auf dem Kontinent sind durchlässig, häufiges Händewaschen ist bei knappem Wasser und oft fehlender Seife ein frommer Wunsch, die Laborkapazitäten sind äußerst begrenzt.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hilft zwar mit Geld und Expertise, an internationalen Flughäfen wird die Körpertemperatur der Passagiere gemessen. Auch wenn keiner weiß, wie sich das Virus in wärmeren Ländern verhält, wäre es fahrlässig, nicht jetzt bereits ein Notfallprogramm zu erarbeiten. Auf mögliche Katastrophen muss die Welt sich vorbereiten, bevor sie geschehen.

Umsatzeinbußen, Versorgungsengpässe, steigende Arbeitslosigkeit

Der Glaube, alle Verantwortung auf die WHO abwälzen zu können, wäre naiv. Deren Mittel sind beschränkt. Außerdem umfasst die mit dem Coronavirus verbundene Krise nicht allein die weltweiten Gesundheitssysteme, sondern auch die Wirtschaft der jeweiligen Länder. Das heißt Umsatzeinbußen, Versorgungsengpässe, steigende Arbeitslosigkeit.

Wer versucht, sein Heil dagegen in ausschließlich nationalen Maßnahmen zu finden, wird schnell merken, wie aussichtslos das ist. Die Weltwirtschaft ist verflochten. Das galt 2008, und es gilt heute.

In Deutschland kritisieren wir Hamsterkäufer, die ihre Individualinteressen über die der Gemeinschaft stellen. Ebenso berechtigt ist es, diesen Vorwurf an Nationen zu richten, die das Wohl der Menschheit außer Acht lassen. 

Das Coronavirus kennt keine Grenzen. Entsprechend grenzüberschreitend müssen die Antworten darauf sein.

Das aber setzt eine Kooperation auf höchster Ebene voraus. Die Lenker der Welt müssen ihre Strategien koordinieren. Sie müssen vermeiden helfen, dass es Verlierer ersten und zweiten Grades gibt. Leider kreisen Donald Trump, Emmanuel Macron, Boris Johnson und Angela Merkel derzeit vor allem um sich selbst. Die Dimensionen dieser Krise scheint keiner von ihnen verstanden zu haben. Es gab einmal eine Zeit, als weltweit die Einsicht reifte, dass globale Probleme einer globalen Lösung bedürfen. So lang ist sie noch gar nicht her. Zur Wehmut gesellt sich die Sehnsucht nach dieser Zeit.

_____________________________



ja - wo laufen sie denn? der eine so, die andere so: die grenzen zu - die grenzen auf...

zunächst einmal grundsätzlich: ich bin überzeugt davon, dass die angst vor dem virus viel schlimmer ist, als dieses kitzekleine noppenball-virus selbst. und die medien berichten und schreiben viel zu viel widersprücliches und befeuern die angst und den hype - vermutlich auch, weil es "online gut läuft" und "gut geclickt" wird, was die werbe-agenturen wiederum interessiert und wonach sie ordern und anpreisen und formulieren.

und dann diese auswertung der zahlen: in deutschland sind 700 menschen bis jetzt, 07.03.2020 - 11.27 uhr - erkrankt - zumeist ohne besondere schrecklichkeiten in den jeweiligen verläufen, wie ein mittelschwerer grippaler infekt - mehr ist es bisher nicht : 700 patienten - das sind, bezogen auf 80.000.000 einwohner tatsächlich nur 0,000875 % - praktisch ein nichts ... 

und gestern hat man gemeldet, dass kinder zwar angesteckt werden, aber fast keine symptome zeigen, aber das virus natürlich weitergeben können.

okay diese zahlen wird wahrscheinlich noch sprunghaft ansteigen und sich exponentiell vervielfachen: aber muss deswegen tatsächlich das öffentliche leben lahmgelegt werden und müssen deshalb hamsterkäufe getätigt werden, was die unterversorgung der "tafeln" für die bedürftigen in den städten zur folge hat.

und es werden nach einer vorübergehenden infektion auch menschen wieder gesund - wahrscheinlich um die 97 - 98 % aller infizierten...

aber all diese sich jetzt schon abzeichenenden kettenreaktionen zeigen einmal mehr, wie eine massenhysterie sich die bahn bricht - und wie das abgeht, wenn das erste dominosteinchen umgeschnipst wird.

und es zeigt ganz deutlich, dass die abkehr vom globalen denken nichts verbessern wird. ein virus kennt keine unnatürlichen nationalgrenzen - und schranke hoch oder runter, das virus springt einfach drüber weg oder kriecht unten durch: hopplahopp...

ja diesmal ist tatsächlich in china so etwas wie "ein sack reis umgefallen" - und hier bricht deshalb ein taifun aus, wie es schon in einer systemischen metapher seit wohl bald 50 jahren heißt.

ich hab noch gelesen, dass der künstler anselm kiefer dieser tage 75 jahre alt wird, und sein aktuelles werk sich (auch u.a.) mit der string-theory befasst.


Anselm Kiefer - Superstrings, Runes, The Norns, Gordian Knot"


die stringtheorie ist ein mathematisches modell, das versucht, die bekannten fundamentalen wechselwirkungen des universums und der formen der materie zu artikulieren. in diesem neuen werk hat anselm kiefer versucht,"theorien scheinbar fremder prinzipien aus verschiedenen kulturen und geschichten zusammenzuführen", so dass komplexe wissenschaftliche theorien mit themen aus der antiken mythologie verbunden sind. dabei macht kiefer die idee sichtbar: 
"alles hängt zusammen: die fehlenden buchstaben, die stringtheorie, die norns, der gordische knoten."

in all dem finden sich keine egoismen und nationalismen und grenzen: alles hängt zusammen und ist im miteinander verstrickt...

und genau das zeigt für mich die "bedrohung" durch das neue corona-virus: da hilft also kein abschotten und einigeln mehr.

und wenn jetzt die rechtspopulisten - übrigens "global" - unisono und miteinander jammern: "da sieht man mal, was dabei herauskommt: offene grenzen und globaler handel jeder mit jedem weltweit", dann zeigen sie nur ihre betonkopf-gestrigkeit und ihr kleinmütiges kästchendenken und ihren egoismus, ihre ich-bezogenheit - erstaunlicherweise weltweit: erdogan, trump, orbán, gauland, le pen, weidel - alle blubbern wie abgesprochen oder vom einflüsterer bennon übernommen die gleiche platte und haben die gleichen einigel-lösungen für ihre t(r)umpheit.

gerade die gleichzeitigen völlig unnötigen grenzzaun-attacken an der türkisch-griechischen küste mit den syrischen vertriebenen männern, frauen und kindern - und die herzlose und rechtswidrige abfuhr durch das vereinte uropa - irgendwie zusammengeschaltet mit der ausbreitung des corona-virus zeigen den herrschenden zeitgeist unmissverständlich an: 

nationale grenzziehungen und abschottungsversuche sind pure dummheit, sind weit verbreitete schon pathologisch zu nennende "fixe ideen", an denen man sich wider bessere vernunft festklammert, anstatt gemeinsam für gesundheit, wohlstand und frieden zu sorgen.
wir ersticken an unserer eigenen macke ... - und künstler wie anselm kiefer zeigen uns den weg...

gute künstler sind nicht unbedingt auch gute menschen

Ausstellung im Israel-Museum
Werke aus der Gurlitt-Sammlung in Jerusalem

Bei der Suche nach NS-Raubkunst spielt Israel seit Jahren eine aktive Rolle. In Jerusalem wird nun erstmals ein Teil des Gurlitt-Funds ausgestellt. Die dort gezeigten Werke speziell stehen aber nicht unter Raubkunstverdacht.

Mehr als 80 Werke aus dem Erbe des deutschen Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt (1895-1956) sind nun von Dienstag an erstmals in Israel zu sehen. Die Ausstellung mit dem Titel «Fateful choices» (etwa: Schicksalsentscheidungen) im Israel-Museum in Jerusalem zeigt Werke bekannter Künstler, darunter Otto Dix, Max Ernst, Erich Heckel, George Grosz, Pierre-Auguste Renoir, Claude Monet und Emil Nolde. Sie befasst sich auch mit der komplexen Figur Gurlitt, der einer der wichtigsten Kunsthändler der Nationalsozialisten war.


Im Besitz von Gurlitts Sohn Cornelius waren 2012 rund 1500 Werke, viele auf Papier, entdeckt worden. Große Teile der Sammlung standen im Verdacht, jüdischen Besitzern während der Nazi-Zeit geraubt worden zu sein. Bisher haben sich aber erst sieben der Kunstwerke eindeutig als NS-Raubkunst erwiesen. Cornelius Gurlitt starb 2014. Er vermachte die ganze Sammlung dem Kunstmuseum Bern. (aus: WESTFALEN-BLATT/dpa)

Direktor des Israel-Museums 

„Die Geschichte dieser Bilder wurde sehr gut erforscht“

Von Anja Reich

Als Kulturstaatsministerin Monika Grütters vor einem Jahr zu Regierungskonsultationen in Jerusalem war, vereinbarte sie mit dem israelischen Kulturministerium, die Gurlitt-Ausstellung nach Israel zu bringen. Nun ist es so weit. Im Israel-Museum in Jerusalem wird seit Mittwoch eine Auswahl der Werke gezeigt, die Cornelius Gurlitt, Sohn des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, in seiner Münchner Wohnung aufbewahrte. Die Ausstellung heißt „Schicksalswahlen“ und ist bis zum 24. Januar 2020 zu sehen. Mit Ido Bruno, dem Direktor des Israel-Museums, sprachen wir am Abend der Eröffnung.

Was bedeutet es Ihnen, diese Ausstellung hier in Jerusalem zu zeigen?

Wir sind ein Kunstmuseum und einfach sehr froh, diese wunderbaren Werke zeigen zu können. Da sind ein paar wirklich sehr schöne Stücke dabei.

Welches ist Ihr Lieblingsbild? 

Schwierige Frage. Von den zeitgenössischen Werken vielleicht die von Emil Nolde. Außerdem mag ich die Bilder von Cornelia Gurlitt, der Schwester von Hildebrand Gurlitt.

Emil Nolde - Mann und Weibchen, Holzschnitt 1912 - eins der Exponate in der Jerusalem-Ausstellung


Emil Nolde, ausgerechnet? 
Ich finde, er war ein sehr guter Künstler. 
Stört Sie nicht, dass er Antisemit war? 
Das hat mit seiner Kunst nichts zu tun.

In Deutschland wird diese Frage heftig diskutiert. Die deutsche Kanzlerin hat zwei Noldes abgehängt. 
Was Sie ansprechen, ist eine sehr große Frage, die nicht nur Nolde betrifft und die viele andere Fragen nach sich zieht: Müssen wir einen Künstler boykottieren, nur weil wir seine Einstellungen problematisch finden? Nach welchen Kriterien entscheiden wir, ob ein Künstler tragbar ist oder nicht? Wer legt diese Kriterien fest? Wer entscheidet, wer hält Gericht? 
Haben Sie Antworten darauf? 
Ich glaube, wenn wir uns einmal auf diese Diskussion einlassen, werden wir schnell feststellen, dass wir kaum noch auf die Kunst achten, sondern viel Zeit damit verbringen, Urteile über Künstler zu fällen und dass Politiker aus allen möglichen Richtungen sich diese Diskussion zu nutzen machen, um Kunst zu verhindern. Womöglich völlig ungerechtfertigt. Das ist ein sehr gefährliches Spiel, und deshalb finde ich, jeder sollte für sich selbst entscheiden, was er sich ansieht und was nicht. Wenn jemand meint, Nolde war ein Antisemit oder sogar aktiver Nazi und aus diesem Grund seine Kunst nicht sehen will, ist das zu akzeptieren.
Gibt es Künstler, die Sie in Ihrem Museum nicht zeigen würden?

Darüber habe ich noch nie nachgedacht.

Ist das eine sehr deutsche Diskussion?

In gewisser Weise schon. Aber sie wird auch hier geführt, im Bereich der Musik zum Beispiel.

Sie meinen, die Diskussion darüber, ob in Israel Richard-Wagner-Kompositionen gespielt werden dürfen oder nicht.


Genau. Die Diskussion über Komponisten, die von den Nazis bewundert wurden. Es geht um dieselbe Frage, und es ging eine Weile heiß her. Ob das bei Nolde auch so sein wird, weiß ich nicht.
Wenn Adolf Eichmann ein sehr guter Maler gewesen wäre, hätten wir seine Werke sicher nicht gezeigt. Oder wir würden sie gerade deshalb zeigen. Um den Riss zwischen Künstler und Person darzustellen und darüber zu diskutieren, warum gute Künstler nicht unbedingt gute Menschen sind.

Was haben Sie gedacht, als Sie das erste Mal vom Fall Gurlitt gehört haben?

Ich dachte, das ist eine ziemlich typische Geschichte, eine, die in diese Zeit passt. Aber diese hat einen besonderen Reiz, weil sie wie ein Kriminalfall ist, ein guter Kriminalfall.

Typisch inwiefern?

In dem Sinn, dass es viel Raubkunst in Nazideutschland gab und Kunsthändler, die das ausgenutzt haben. Wir im Israel-Museum hatten hier alleine zwei Ausstellungen dazu.

Wie bekannt ist der Fall Gurlitt in der israelischen Gesellschaft?

Er ist kaum bekannt. In Kunstkreisen natürlich schon. Unsere Kuratorin für europäische Kunst Schlomit Steinberg war Mitglied der Taskforce, die nach den ursprünglichen Besitzern der Gurlitt-Bilder geforscht hat. Aber für einen Großteil der Leute hier in Israel ist das alles sehr weit weg.

Obwohl es Teil der jüdischen Geschichte ist?

Nicht alle Israelis haben die gleiche Verbindung zu jedem Teil der jüdischen Geschichte. Natürlich hat jeder hier vom Holocaust gehört. Aber es gibt dabei so viele Nebengeschichten, und Raubkunst ist eine sehr kleine Nebengeschichte.

Wie sind die Reaktionen auf die Ausstellung?

Das müssen Sie mich in einer Woche noch einmal fragen.

Was erwarten Sie?

Ich denke, im Unterschied zu Europa können wir die Diskussion ein bisschen mehr öffnen. Wir sind freier, denn es ist nicht hier passiert und uns belastet keine Schuld.

Sind unter den sechs Familien, die bisher Werke rückerstattet bekamen, auch israelische?

Nein, davon ist mir nichts bekannt.

Könnte es passieren, dass Besucher durch die Ausstellung gehen und sagen: Guck mal, das Bild hing doch bei unserer Oma in Berlin?

Natürlich kann es sein, dass jemand im Familienalbum der Großmutter ein Foto findet, wie sie im Salon sitzt, und hinter ihr hängt ein Bild, das nun hier in der Ausstellung zu sehen ist. Sehr wahrscheinlich ist das jedoch nicht. Die Geschichte dieser Bilder wurde sehr gut erforscht.

Warum ist die Ausstellung so klein? Sie zeigen nur 100 von mehr als 1500 Werken.

Wir möchten die Geschichte auf einfache und klare Art erzählen, in vier Kapitel unterteilt, leicht zugänglich. Die Qualität der Kunstwerke ist sehr unterschiedlich. Wir haben uns vor allem für hochwertige Bilder entschieden. Außerdem ist es generell so, dass die meisten Besucher kleine Ausstellungen mehr schätzen als große. Sie fühlen sich weniger überfordert.

Waren Hildebrand oder Cornelius Gurlitt jemals in Israel?

Soweit ich weiß, nein.

Ist es möglich, dass es noch mehr versteckte Kunstsammlungen wie die von Gurlitt gibt? Irgendwo auf der Welt?

Klar, warum nicht? Wir wissen nur, was wir wissen, nicht, was wir nicht wissen. Niemand von uns hat mit einem Mann gerechnet, der in seiner Wohnung in München mehr als tausend Kunstwerke versteckt. Aber dass es Kunsthändler gab in der Nazi-Zeit, die zwielichtige Geschäfte betrieben, das wussten wir. Und die gesamte Kunstwelt stellt sich die Frage: Warum haben wir nicht schon vor 20 oder 50 Jahren nach dem Verbleib dieser Bilder geforscht?

Ido Bruno, 1963 in Jerusalem geboren, hat 25 Jahre lang an der Jerusalemer Bezalel Academy of Arts&Design unterrichtet, an der er selbst studiert hat, und eine Design-Firma geleitet. Zudem hat er zahlreiche Ausstellungen in Israel und international kuratiert. Seit November 2017 ist er Direktor des Israel-Museums. 
Das Israel-Museum in Jerusalem ist eines der größten Museen des Landes. Es beherbergt rund 500.000 Objekte, darunter die Schriftrollen vom Toten Meer.

Berliner Zeitung - click



da muss ausgerechnet der direktor des jerusalem-museums, professor bruno, zeigen, wie man die kunst vom künstler getrennt sehen sollte - aber dass das eine individuelle persönliche entscheidung ist.

ich habe in diesem blog schon einmal gesagt, dass emil nolde nun kein schlechterer künstler geworden ist, weil seine aktive nsdap-mitgliedschaft und -sympathie inzwischen auch von der nolde-stiftung offen kommuniziert wird - und der lack des sogenannten "deutschstunde"-nolde, den meine generation in der nachkriegszeit noch vom frühen fernsehen eingeimpft bekam, nun endgültig abgeplatzt ist (nach dem roman "deutschstunde" von siegfried lenz, der wohl unwissentlich nolde darin etwas zu sehr glorifiziert und ihm ein verfälschendes image verpasst hat in der hauptfigur nansen dort).

es ist schwierig, sich hierzu untadelig gerade mit einem deutschen personalausweis in der tasche zu verhalten - da ist man aufgrund der sogenannten "trangenerationalen traumaweitergabe" hin- und hergerissen: einerseits von noldes expressionistischer meisterschaft und andererseits von seiner nazi-anbiederei und seiner geschichtsklitterung nach dem krieg, obwohl das ja auch bei richtern, beamten und ärzten z.b. durchaus ein übliches verfahren der spurenöschung und des §neuanfangs" war.

da ist es gerade gut, wenn ein junger jüdischer museums-direktor hier seinen klaren standpunkt vertritt: die kunst kommt vor der moral des künstlers.

die me-too-bewegung hätte mit picasso heutzutage sicherlich auch ihre probleme - und wenn die deutsche elite aus politik und kultur jedes jahr auf den grünen hügel nach bayreuth zu den wagner-festspielen eilt,  dann hat das ja im hinblick auf wagners aktive empathie für die nazis zumindest auch insgesamt ein "gschmäckle".

dass frau merkel nun nach dem abhängen ihrer nolde-bilder aus dem büro nun auch nicht mehr nach bayreuth fährt, hab ich nun noch nicht gehört.

anselm kiefer: dein goldenes haar margarethe
(zeile aus der 'todesfuge' von celan)
und professor bruno schränkt ja auch ein, ob man gegebenenfalls gemälde von adolf eichmann präsentiert hätte - fügt dann aber an: vielleicht gerade - um deutlich zu machen: ein guter künstler muss nicht zwangsläufig auch ein guter mensch sein...

schon 1996 habe ich im jerusalem-museum werke von anselm kiefer hängen sehen, der mit seinen motivbearbeitungen zur "teutschen" mythenwelt auch oft in eine rechte ecke gedrängt wurde und noch wird. und auch heute kennt ihn das ausland insgesamt wesentlich besser und vorurteilsloser als seine landsleute hier...

aber bei kiefer muss man konstatieren, dass seine motive zu gedichtzeilen vom rumänien-deutschen juden paul celan (z.b. "todesfuge") den nachkriegsdeutschen genauso schwer im magen lagen wie ein etwaiges goutieren der diametral gegenüberstehenden seite alten national(sozial)istischen mythenkults...
...scham - schuld - schlechtes gewissen - und es ging den (west-)deutschen doch tatsächlich "unverdient" gut als "tätervolk" nach dem krieg, ver- und gekauft und finanziell gepuckert von den alliierten...
es ist ein typisch deutsches phänomen: dass wir künstler und kunst kaum voneinander unterscheiden wollen und können: auch weil wir immer etwas "hineininterpretieren" und hineigeheimnissen" wollen und fast zwanghaft müssen: und was soll das sein? - und was bringt mir das? - was will mir der künstler damit sagen - als seine persönliche unverbrüchliche botschaft. doch wir müssen lernen auf dem internationalen parkett im globalen dorf: manchem künstler ging und geht es um bloße ästhetik oder gefühlsduselei und meditation und manchmal nur um klamauk und knete.

tanzende bilder



Der mit den Bildern tanzt

dctpTV - Am 03.08.2016 veröffentlicht
News & Stories vom 29.06.2016

Alexanders Kluge zu Besuch bei Anselm Kiefer in Paris.

Direkt neben einem Flugplatz in einem Vorort von Paris liegen die riesigen Hallen, in denen Anselm Kiefer an seinen Bildwerken arbeitet. Er lebt inmitten seiner Bilder. Neue Werke haben sich im letzten Jahr gehäuft. Kiefer nennt diese Ateliers sein „Arsenal“: seine Waffenkammer. Die großen Flächen seiner Bilder empfindet der Künstler als „Bühne“. Er malt, sagt er, nicht nur mit dem Kopf und den Augen, sondern mit dem ganzen Körper, mit den Muskeln, der Haut und allen Sinnen. Im Grunde „tanze ich meine Bilder“.

Wenn er in der Frühe aufsteht, greift er zunächst zu Büchern. An ihnen entzündet sich sein Kopf. Im Atelier stehen z. B. die zahlreichen Bände von Grimms Wörterbuch. Texte, Klänge und Bilder gehören für Kiefer zu einer Einheit.

Wie Menschen (und die Kunst, welche die Menschheit seit den Anfängen begleitet) beruht auf einem „Stau an Unwahrscheinlichkeiten“. Im Kosmos müssen drei Sonnen explodieren, damit die Materie entsteht, die wir in unseren Zellen täglich umhertragen. Noch unwahrscheinlicher war es, dass das Leben aus seinen Anfängen, über Katastrophen und Einschläge von Himmelskörpern hinweg, wie durch Nadelöhre den Weg durch die Krisen, die das Leben zeitweise fast ganz auslöschten, bis zu unserer Gegenwart fand. Mit diesen Zuständen und Rätseln der Evolution geht das Werk von Anselm Kiefer um.

Als junger Mann war Kiefer als Kellner tätig. Abends verspielte er in der Spielbank, was er verdient hatte. Neben dem Platz, an dem er arbeitet und jetzt berichtet, befindet sich eine Skulptur: Ein Hufeisen unter Glas, befestigt an einem seidenen Faden.

Wie malt man, dass sich die Götter der Antike derzeit aus der Ägäis entfernt haben? Wie würde man den Zentauren Chiron darstellen, von dem Hölderlins Gedicht handelt? Könnte man in Analogie zu Leonardo Da Vinci die Anatomie eines Kentauren skizzieren? An der Wand des Ateliers hängt das große Bild eines Gewässers. Auf das Bild ist ein Sperrgitter montiert. In der Mitte des Gitters zeigt sich ein Riss, durch den Riss fährt ein U-Boot. Das Sperrgitter stammt aus einem See bei Berlin und diente als Sperre, die Flüchtlinge aus der DDR am Überschreiten der Unterwassergrenze hindern sollte. Verblüffend ist die Nähe und Identität radikal verschiedener Erfahrungsbereiche in Kiefers Werk. Wissenschaft und Evolution, Geheimlehren (wie die des alchemistischen Dr. Fludd), Gegenwart, Geschichte, nur visuell fassbare Gebilde und literarische Texte, die von Ingeborg Bachmann über Hölderlin bis Heraklit zurück reichen, verbinden sich zu unverwechselbaren Einheiten. „Klugheit ist die Kunst, unter verschiedensten Umständen treu zu sein“. Das ist ein Satz Hölderlins, der sich ebenso auf die Antigone wie auf Sokrates bezieht. Anselm Kiefer prüft, ob man mit einem Bild auf solch einen Satz antworten kann.



ich stolpere hier jetzt wiederholt - plötzlich und wie aus dem nichts - über dieses intelligente und im ersten moment etwas verworrene dctp-gesprächs-/interview-video in youtube von alexander kluge mit anselm kiefer. 

es ist ein echtes postmodern anmutendes tv-dialogwerk, ganz im hypertextuellen patchwork-duktus tastend - aus aneinanergereihten assoziativen gesprächsfetzen und collagen - von der antike über das hier & jetzt bis in die allerfernste zukunft - das aber mit all diesen flocken einen großartigen wandteppich abbildet, ein in sich abgeschlossenes ganzes: mal albern, dann wieder sehr vorausschauend, ernst, hochanspruchsvoll, bewertend, abwertend, aufwertend - je nach dem...

kluges gespräch-intervies sind ein unabschließbares weiterspinnen ausgelegter fäden, ein rhizomatisch-ungerichtetes fortwuchern der gesprächsflocken im miteinander.

und das alles immer wieder untermalt von den im background startenden und landenden flugzeugen des flughafens orly ganz in der nähe des ateliers von anselm kiefer in croissy-beaubourg bei paris.

ich musste mich in diese springenden fakt-fassetten erst hineinhören, ehe ich es dann allmählich genießen konnte.

aber dieses video lief mir sicherlich nicht zufällig wie von geisterhand zugeführt über den weg, weil es schnipselartig auch z.b. die hier vor einigen tagen von mir wieder mal angerissenen und aufgefundenen fakten und wissenschaftsergebnisse zum "bauchhirn", "mikrobiom" und zu den milliarden minilebewesen im darm mit einflechtet und durchkaut - mit ähnlichen ergebnissen, wie ich sie angestellt habe ...

und das imponiert natürlich... - denn kluge und kiefer spielen schon in einer anderen liga ...

die jungen jahre der altmeister

mit diesem titelbild verweist "ART" auf die stuttgarter ausstellung


Kunst

Klebriger Stolz

In Stuttgart werden die Künstler Gerhard Richter, Anselm Kiefer, Georg Baselitz und Sigmar Polke zu Nationalhelden aufgepumpt. Sie sollen den Schatten der deutschen Geschichte überstrahlen.

Von Hanno Rauterberg | zeit [click]



Adrett und freundlich und vollkommen gegenwärtig: Sigmar Polkes Gemälde "Freundinnen" von 1965/66 © The Estate of Sigmar Polke, Cologne/VG Bild-Kunst, Bonn 2019


Das mit dem Weltruhm war anfangs nur ein Jux. So wie es mit der Kunst ein Jux war, meistens jedenfalls, und wie überhaupt damals, in den Sechzigerjahren, das Leben für Gerhard Richter und Sigmar Polke kaum anders auszuhalten war als auf dauerspöttelnde, herrlich blöde Weise. Für eine kleine Ausstellung in Hannover hatten die beiden eine Broschüre zusammengekleistert, die schickten sie ihrem Galeristen und schrieben, sie fänden, dieser "Katalog" sei "sehr gelungen", das werde ganz bestimmt "ein kulturpolitisches Ereignis ersten Ranges und von internationaler Bedeutung sein, richtungsweisend und progressiv. Ihre Galerie wird mit einem Schlag im Zenit der Kultursonne stehen ..." Nun ja, es sollte anders kommen, aber nicht sehr viel.

Ein halbes Jahrhundert später, am Donnerstag, den 11. April 2019, stand die Kultursonne dann nämlich sehr hoch, als im großen Saal der Staatsgalerie Stuttgart ein Mann die Bühne betrat, dessen Gesten und Worte stets so wohlgerundet sind, als sollte das ganze Land in ihm, diesem properen Menschen, jene Zufriedenheit finden, die es selbst nicht aufbringt. Es war Frank-Walter Steinmeier, der Bundespräsident, er war gekommen, um tatsächlich "ein kulturpolitisches Ereignis ersten Ranges" zu feiern. Gleich vier Künstler und ihr Frühwerk, neben Polke und Richter noch Anselm Kiefer und Georg Baselitz, wurden als "richtungsweisend und progressiv" besungen.

In dieser Hymne des Bundespräsidenten war viel von Verneigung die Rede, vom "unersetzlichen Beitrag" der Künstler, vom "Dank unseres Landes" und ganz zum Schluss, in stiller Ergriffenheit, auch davon, dass "wir stolz darauf sind, dass diese Kunst aus Deutschland ihren Weg in die Welt gemacht hat".

Stolz, sagten dann auch die anderen Redner an diesem frühen Abend, stolz seien sie natürlich ebenfalls. Und der Stolz sei überaus berechtigt, erklärte schließlich der Kurator Götz Adriani, denn seit Albrecht Dürer, seit Jahrhunderten also, habe die deutsche Kunst nie höher im internationalen Zenit gestanden als heute. Und das Beste: Gemeinsam mit der Kunst stehen auch wir, die Deutschen, nun im hellen Licht. Einst, sagte Adriani, habe der Tod als Meister aus Deutschland gegolten. Heute sei die Kunst ein Meister aus Deutschland.

Er sagte es wirklich so, er hat es auch im Katalog so geschrieben, mehrmals gleich, und zur Sicherheit steht es ebenfalls in der Pressemappe, damit bloß niemand die Botschaft dieser Ausstellung verpasse: dass die Todesfuge von Paul Celan, diese Erinnerung an die Schoah, verklungen sei und nun ein helleres Lied angestimmt, nein, längst in aller Welt gesungen werde, Deutschland, großes Künstlerland!

Vom Todes- zum Kunstweltmeister?

Niemand an diesem Abend, kein Bundes- und kein Ministerpräsident, keiner der Museumsleute schien das übermäßig seltsam zu finden. Auch Anselm Kiefer nicht, der als einziger der vier Künstler nach Stuttgart gekommen war, um sich ehren zu lassen, ohne aber selbst ein Wort zu sagen. Und so konnte Adriani, der große Um- und Neudeuter, seine Gedanken weiter entfalten, konnte schildern, wie piefig, verklemmt und geschichtsvergessen die Deutschen gewesen seien, bis am Ende das große "Kunstwunder" über sie kam. Ein Kunstwunder, das just jenen vier Künstlerhelden zu verdanken sei, die er, Adriani, nun zusammengeführt habe.

Mit Kiefer begann es 1988, mit dessen Ausstellungstournee durch die USA, dann folgten die anderen drei, die dort ebenfalls von sich reden machten – und auf diese Weise "das Schattendasein deutscher Kunst", so Adriani, überwanden und das der Deutschen gleich mit.

Wie genau man sich diese erlösende Verwandlung vom Todes- zum Kunstweltmeister vorzustellen habe, blieb in Stuttgart zwar im Vagen. Dass es aber gewiss an den Künstlern lag, dass es ihre "geschichtsbewusste und immer auch politisch zu verstehende Kunst" war, wie der Bundespräsident meinte, das klang aber immerhin plausibel. Diese Kunst, sagte Steinmeier noch, gehöre heute "zu unserer deutschen Seelenlandschaft" und habe damit "den Blick auf unser Land verändert und tief geprägt". Dann Applaus! Sekt! Zufriedenheit!

Schwelgen in der eigenen, überschäumenden Bedeutsamkeit

Einst hätten die vier Künstler, noch jung und verwegen, einen Abend wie diesen höhnisch johlend verlassen. Sie hatten nichts mit dem im Sinn, was ihnen jetzt, in einem Akt geschichtspolitischer Selbstverklärung, angetragen wurde. Keineswegs wollten sie sozialkritisch sein, keineswegs politisch, keine "Aufklärer", wie es in Stuttgart hieß. Ihre Kunst sollte kein Mittel eines irgendwie gesellschaftlichen Zwecks sein, denn davon, vom klebrigen Stolz des Staates, hatten zumindest drei von ihnen, Polke, Richter, Baselitz, mehr als genug. Sie waren der DDR entkommen, wo man größten Wert auf eine "immer auch politisch zu verstehende Kunst" legte – und also waren die Künstler emsig darum bemüht, jeden tieferen Sinn ins Lächerliche zu ziehen.

Nicht eine andere Welt, eher schon eine andere Kunst stand ihnen vor Augen, daraus machen die Künstler noch heute keinen Hehl. Im Katalog, der vor allem aus langen Interviews besteht, sagt Gerhard Richter: "Kritisch war meine Kunst nie." Georg Baselitz sagt: "Die Provokation, die ich meinte, betraf nur die interne kleine Welt des Kunstbetriebs." Ähnlich plädiert Anselm Kiefer für eine strikte "Trennung von Kunst und Politik". Und von Sigmar Polke, der vor neun Jahren starb, weiß man ebenfalls, dass er sich gegen jede Art von Indienstnahme sträubte. Egal wie sehr die Künstler nun heroisiert werden, sie selbst verstanden sich als Anti-Helden einer Anti-Kunst, niemandem verpflichtet als sich selbst.

Nichts von den Künstlern gelernt

Dennoch blieben sie Zeitgenossen, das belegen nicht zuletzt ihre Werke. In der Stuttgarter Ausstellung hängen sie auf sehr dichte, oft übermäßig gedrängte Weise, man sieht dort Kiefer, wie er in einer Performance den Hitlergruß entrichtet, man sieht Polke, der den Amüsierzwang der Nachkriegsdeutschen in lauter Pünktchen zerstieben ließ, man sieht Baselitz und seine zerlumpten Helden, Triebmenschen, so haltlos erregt wie die Kunst dieses Malers. Und Richter? Bei Richter taucht auf einem Bild, einem abgemalten Urlaubsfoto, sein Schwiegervater auf, ein Arzt, der zur SS gehörte und Menschen gegen ihren Willen sterilisierte.

Mit gehobenem Geschichtsbewusstsein, gar mit erinnerungspolitisch wertvoller Trauerarbeit hat das alles nichts zu tun. Bei seiner Bildauswahl, sagt Richter im Interview, habe er nicht zwischen Werbe- und Privatbildern unterschieden, einzig sei es ihm um das "Abgeschmackte und Epigonale" der Motive gegangen, um "die Banalität", denn allein so habe er sich "von einer im Dienste linker Politik stehenden Kunst" absetzen können. Überdies rückt seine glatte, alle Details verwischende Maltechnik das Bedeutungsvolle und das Bedeutungslose gleichermaßen in ein Jenseits der Geschichte. Alle Konkretion ist seinen Bildern entwichen. Es sind keine Zeugnisse, erst recht keine "politischen Ausrufezeichen", wie der Katalog meint. Wenn sich der frühe Richter überhaupt mit der Schoah befasste, dann mit ihrer Ästhetik: Er kombinierte pornografische Bilder mit den fotografierten Leichenbergen der Konzentrationslager, da er beides als voyeuristisch empfand (später verwarf er die Idee).

Auch Baselitz und Kiefer sind nicht gerade als Aufklärer bekannt, in ihren mal egomanisch-wühlenden, mal mythenreich-weihevollen Werken wird die deutsche Geschichte eher verklärt als erhellt. Dass die vier Künstler nun dennoch zu Lichtgestalten erhoben werden, die "etwas Urdeutsches" repräsentierten und als Vorkämpfer einer geläuterten Nation zu bestaunen seien, das kann man nur als krudes Missverständnis begreifen. Denn weit mehr als ihr später Erfolg verbindet diese sehr unterschiedlichen Maler ihr früher Zweifel: Zweifel am Sinn der Kunst, am Status der Künstler, an dem, was Malerei überhaupt noch sein könnte. "Das Zaudern, die Furcht vor dem Versagen – das bin ich." So sagt es Anselm Kiefer.

Vielleicht ist das die eigentliche Enttäuschung der Stuttgarter Ausstellung: Sie lernt nichts von den Künstlern. Sie gönnt sich keine Zweifel, kein Zaudern, erst recht keine anarchische Blödelei. Sie schwelgt in der eigenen, überschäumenden Bedeutsamkeit. Und verrät damit die Kunst, die sie rühmt.


  • Die Ausstellung "Die jungen Jahre der alten Meister" läuft bis zum 11. August; dann vom 13. September an in den Hamburger Deichtorhallen


vor lauter minderwertigkeitskomplexen ob früherer verfehlungen wird hier nun eine ausstellung gleich völlig überhöht und überkandidelt auf's "weltmeister"-podest gehoben. da war deutschland im fußball nun nach dem krieg 4 x weltmeister - und schon versucht man in diesen kategorien auch in der kunst ein ähnliches wettbewerbs-ranking zu suggerieren.

okay - baselitz-richter-kiefer-polke - das sind schon schwergewichte auch auf internationaler ebene, wenigstens wenn man ihre auktionserfolge dabei bewertet.

aber ein jeder dieser vier ist individualist geblieben - und von mannschafts"sport" war da höchstens etwas zu spüren, wenn ein galerist oder ein kurator alle vier mal zufällig zusammenbrachte - soviel haben diese nun nicht gemeinsam, dass sie etwa als deutsche "nationalmannschaft" auflaufen könnten.

auch sollte man sich hüten vor aller art "kulturnationalismus"... es gab schon einmal zeiten, als man "deutschsein" mit "beseeltem künstlertum" und "dichter und denker" gleichsetzte - aber dabei andere nationen abwertete, weil sie da "vom wesen her" nicht "heranreichten"...

alle vier hatten zu beginn immer große selbstzweifel, die sie anfangs nur mit spötteleien und viel schabernack aushalten konnten und wollten: da waren die drei aus der ddr: richter, baselitz und polke - polke war ja bereits 12-jährig in den westen gelangt, baselitz war in ost-berlin wegen „gesellschaftspolitischer unreife“ von der kunsthochschule geflogen, um in westberlin weiter zu studieren bei keinem geringeren als dem informel-künstler hann trier - und gerhard richter kam 1961 in den westen. einzig anselm kiefer war westdeutscher herkunft - und sein vater war ein spät anerkannter kunstpädagoge.

polke. "schwarze ecke"
und alle vier suchten ihre "visitenkarte" - ihren stil, denn sie wollten ja von ihrer kunst unverwechselbar leben: kiefer meditierte deutsche mythen und z.b. celan-gedichtzeilen mit ausgefallenen materialien nach (stroh - blei u.a.) - baselitz malte seine werke "auf den kopf", um eine ganz neue originelle betrachtungsweise zu erzeugen - richter fing im westen damit an, alte familien-kleinbildfotos aus der "agfa-box" vergrößert zu malen und durch eine eigenartige über-wischtechnik mit dem widdelquast zu verfremden und mit einer dadurch gewonnenen "aura"-schicht auszustaffieren und zu mythologisieren..., während sigmar polke stilistisch vielfach "zu hause" war - und oftmals fast satirisch-kabarettistisch arbeitete - z.b. ein heute sehr bedeutsames werk mit dem titel: "höhere wesen befahlen: rechte obere ecke schwarz malen! ..." - das heute auch als abstraktion eines hitler-porträts gesehen wird ... - polke hatte wohl von allen vieren am meisten "den schalk im nacken" - und nahm sich selbst nicht allzu ernst - hat aber
polke. kirchenfenster in zürich
auch mit viel selbstdisziplin beispielsweise ein großartiges kirchenfenster aus achatschnitten im "grossmünster zürich" als auftragsarbeit geschaffen.

bei aller genialen weltmeisterschafts-reife gab es bei allen vieren, aber auch durchhänger, die dann von publikum wohlwollend "übersehen" wurden.

alles in allem ist es eine interessante zusammenstellung der vier wohl bedeutsamsten künstler im nachkriegs-deutschland - mit viel genie und oft gleichzeitig auch viel selbstironie ... - einfach nur schön...