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Befreiung des Stalag 326 - Stukenbrock

DAS AMERIKANISCHE PRESSEFOTO ZEIGT DEN TAG DER BEFREIUNG DES STALAG 326 IN STUKENBROCK-SENNE AM 2. APRIL 1945 DURCH DIE US-AMERIKANER. 2015 HAT BUNDESPRÄSIDENT JOACHIM GAUCK DEN AUFTRAG ERTEILT, DAS SCHICKSAL DER MENSCHEN AUS DEM ERINNERUNGSSCHATTEN ZU HOLEN. FOTO: ARCHIV DER GEDENKSTÄTTE STALAG 326 (VI K) SENNE



Das Ende des Grauens

Befreiung des Stalag 326 jährt sich zum 75. Mal

Von Monika Schönfeld | WB

Schloß Holte-Stukenbrock. Sie sahen aus wie von den Toten auferstanden: verwahrloste Männer, abgemagert, krank, schmutzig, gehalten wie Tiere. Was die Soldaten der zweiten US-amerikanischen Panzerdivision am 2. April 1945 am Rande des Truppenübungsplatzes in Stukenbrock vorfanden, ließ ihnen den Atem stocken. An diesem Tag wurde das größte Lager der Wehrmacht für sowjetische Kriegsgefangene und Verschleppte im Gebiet des damaligen Deutschen Reiches befreit.




In der Zeit zwischen 1941 und 1945 durchliefen etwa 300.000 Gefangene das „Stalag 326“ zur Musterung von Zwangsarbeit im Ruhrbergbau, auf Höfen und in Fabriken. Schätzungen zufolge starben bis zu 65.000 aufgrund der katastrophalen Lagerbedingungen, in dem nah gelegenen Lazarett Staumühle (Hövelhof, Kreis Paderborn) und den Arbeitskommandos. Die Toten wurden in Massengräbern einen Kilometer entfernt verscharrt – auf dem heutigen Sowjetischen Ehrenfriedhof.

Nach den Juden waren sowjetische Kriegsgefangene mit mehr als drei Millionen Toten die zweitgrößte Opfergruppe der Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg. Diese „vergessene Gruppe“ aus dem Erinnerungsschatten zu holen, ist der Auftrag, den vor fünf Jahren der damalige Bundespräsident Joachim Gauck erteilt hat. Er war zum 70. Jahrestag des Kriegsendes zur Gedenkveranstaltung in Stukenbrock und hat die erste der Stelen enthüllt, die die Namen der bisher knapp 16.000 identifizierten Toten tragen.

„Es gab einige Projektteams, die bereits in den 1990er-Jahren zu den sowjetischen Kriegsgefangenen geforscht haben. Im Expo-Jahr 2000 haben wir versucht, den Bekanntheitsgrad des Stammlagers aufzuwerten“, sagt Oliver Nickel, Geschäftsführer der Gedenkstätte Stalag. Während die Gräueltaten in Konzentrationslagern bekannt sind, weiß kaum jemand etwas über die Kriegsgefangenenlager. »Die Bedingungen in dem Lager haben sich eigentlich nicht sehr von denen in einem KZ unterschieden«, sagt Oliver Nickel. Auf dem Papier war das Stalag 326 (VI K) ein Kriegsgefangenenlager. Es unterstand nicht der SS, wie die Konzentrationslager, sondern der Wehrmacht. Es war auch kein Vernichtungslager, wie zum Beispiel Auschwitz, wo die Juden in die Gaskammern geschickt wurden. „Ich habe aber mit ehemaligen Gefangenen gesprochen, die sagten: ‚Was für die Juden Auschwitz war, war für uns Stukenbrock‘“, erzählt Nickel.

Seit 1996 gibt es die Dokumentationsstätte Stalag 326 im Arrestgebäude des ehemaligen Lagers, am Original-Schauplatz. Denn das Gelände des Stalag war nach dem Krieg zwei Jahre lang Internierungslager für Wehrmachtsoffiziere, von 1948 bis 1970 wurden die alten Baracken weiter genutzt, um hier Vertriebene aus den deutschen Ostgebieten aufzunehmen, später DDR-Flüchtlinge und Spätaussiedler. Das „Sozialwerk Stukenbrock“ wurde von verschiedenen Organisationen getragen, hatte Kinder- und Altenheime, Theater, Geschäfte und war damit eine Stadt innerhalb der Stadt. 1970 ist die Bereitschaftspolizei eingezogen, heute ist das Gelände „Polizeischule“ – der offizieller Name lautet Landesamt für Aus- und Fortbildung der Polizei und Personalangelegenheiten NRW. Die Hoheit der Polizei auf dem Gelände schützt die Gedenkstätte, macht sie aber auch schwer zugänglich.

Um die Gedenkstätte Stalag 326 zu einem internationalen Bildungs- und Begegnungsort zu entwickeln, hat sich nach dem Gauck-Besuch ein Lenkungskreis unter der Leitung des Landtagspräsidenten André Kuper gebildet. Das Land Nordrhein-Westfalen, die Landeszentrale für politische Bildung und der Landschaftsverband Westfalen-Lippe als obere Denkmalbehörde und Museumsträger wollen die kleine und bisher überwiegend ehrenamtlich geführte Gedenkstätte ausbauen. Der Förderverein der Gedenkstätte hat gemeinsam mit der Polizei und Privatleuten einen Fundus von Gegenständen wie Strohkörbchen und geschnitzten Holzlöffeln gesammelt, die die Kriegsgefangenen angefertigt haben, um sie gegen Brot zu tauschen. Es gibt Filmmaterial, Fotos, die der Lagerarzt gemacht hat, aber auch bei Bauarbeiten im Aushub gefundene Schuhe, Blechnäpfe, Löffel. Diese Fundstücke aus Ausgrabungen haben Archäologen des Landschaftsverbandes vergangenes Jahr dokumentiert.

Angelaufen ist die wissenschaftliche Aufarbeitung mit ei­nem Symposium und dem inzwischen dritten Workshop. Parallel ist eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben worden. Die Technische Hochschule OWL hat eine Synopse geliefert, Masterstudenten haben 2019 Ideen für ein Besucherzentrum auf dem Gelände vorgestellt. Das soll die denkmalgeschützten Gebäude (Arrestgebäude, Entlausung, Lagerkirche, Lagerstraße und Sozialwerksbaracken) und das historische Umfeld mit dem Bahnhof Hövelhof, dem Lazarett Staumühle, dem Russenpatt, der Waschstelle an der Ems mit dem Ehrenfriedhof sowjetischer Kriegstoter einbeziehen.

Bis zum 31. Juli soll der Antrag auf eine Anschubfinanzierung des Bundes gestellt sein. Bis Ende des Jahres geht es um eine neue Trägerstruktur, an der sich Stadt, Kreis, Land und Bund beteiligen, in der der Förderverein der Gedenkstätte aber einen festen Platz behalten wird.


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Text aus: WESTFALEN-BLATT, 01.04.2020, Seite 3

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auch im studien- und memorialblog für erna kronshage habe ich im abschnitt 7: "bomben auf senne II" (7-4) vom lager stukenbrock berichtet, weil ja im bahnhof kracks, direkt vis-á-vis dem bauernhof, auf dem erna kronshage lebte und arbeitete bis zu ihrer einweisung nach gütersloh, die russischen gefangenen manchmal mit den transportzügen ankamen - und dann zum lager marschieren mussten (ca. 15 kilometer) bzw. von dort zu ihren einsatzorten abfuhren oder ankamen - oder auch in der nachbarschaft auf höfen als zwangsarbeiter eingesetzt waren:
Ab dem 10.07.1941 bis zum Kriegsende wurde das Lager STALAG 326 (VI K) Senne in Schloß Holte-Stukenbrock mit vielen Tausend russischen Kriegsgefangenen belegt, die auch teilweise in der Landwirtschaft verstreut in der Senne und wahrscheinlich in der nahegelegenen Eisen- und Stahlgießerei Tweer am Krackser Bahnhof eingesetzt wurden. Fast täglich fuhren also Gefangenentransporte in Güterwagen der Reichsbahn auf den Gleisen des Bahnhofs Kracks in unmittelbarer Sichtweise am Mühlenkamp vorbei. 
Jedenfalls berichteten Zeitzeugen aus Senne II immer wieder von den "Marschkolonnen" der Gefangenen, von einzelnen Leichen, die am Rand der Schienen abgelegt wurden auf der Strecke der Sennebahn bis Hövelhof - und von verzweifelten Lebensmittelerbettelungen dieser zerlumpt und ausgemergelt daherkommenden jungen Männer, die zunächst dort im Lager in Erdhöhlen "hausen" mussten unter den unmöglichsten hygienischen Bedingungen die Seuchen und Verlausungen auslösten - fern jeder Bestimmungen der "Genfer Kriegskonvention".  
Ca. 65.000 tote Kriegsgefangene wurden von 1941-1945 auf dem Lagerfriedhof in Stukenbrock begraben - zum Teil in Massengräbern (Stichwort: "Blumen für Stukenbrock")...  
aus: erna-k-gedenkblog, Abschnitt 7 (7-4) (Bildquelle: ARCHIV DER GEDENKSTÄTTE STALAG 326 (VI K) SENNE)
"Für die Bevölkerung der Senne gehörten die Kriegsgefangenenzüge sehr bald zum Alltag und wurden kaum mehr registriert, da sie mit ihren Sorgen genug zu schaffen hatten. In der Erinnerung haftengeblieben sind nur noch die über das 'normale' Elend hinausgehenden Transporte der Jahre 1941/42 ..." (aus: Karl Hüser/Reinhard Otto | Das Stammlager 326 (VI K) Senne 1941-1945, Verlag für Regionalgeschichte Bielefeld, 1992 - S. 48). 
Der Anblick dieser gezeichneten jungen Männer hat in Erna Kronshage bestimmt nachgewirkt und ihr die Schrecken des Krieges zusätzlich traumatisch vor Augen geführt. Gleichzeitig stieg mit diesen Bildern auch die Angst um ihre Brüder, die als Soldaten an der Ostfront ihren Dienst versehen mussten...

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