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Sichtbare Musik

aus: DIE ZEIT - CHRIST & WELT, Nr. 31 v. 23.Juli 2020 - unten mit Beethovens "Appassionata"-Musik -
gespielt von Igor Levit -



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Deutungen

Wie manch anderes Beethovensche Werk erfuhr die Appassionata seit ihrer Entstehung verschiedenste außermusikalische Deutungen. Die meisten bringen die „eruptiv herausbrechende Leidenschaft“ und „glanzvoll-dämonische musikalische Wirkung voll romantischer Virtuosität“ in Zusammenhang mit einem realen bzw. seelischen Sturm. Dabei berufen sie sich auf eine Bemerkung Beethovens zur Bedeutung von Op. 31/2 (Klaviersonate Der Sturm) und Op. 57 gegenüber seinem Sekretär und ersten Biographen Anton Schindler, in welcher dieser gesagt haben soll: „Lesen Sie nur Shakespeare’s ‚Sturm‘.“ Der Bezug zum Werk Shakespeares ist hierbei jedoch umstritten. Carl Czerny sieht ein im Meer bedrohtes Schiff, und Alfred Cortot sowie Joseph Pembaur sehen sogar Parallelen zwischen bestimmten Teilen der Sonate und einzelnen Figuren aus Shakespeares Theaterstück. Carl Reinecke, Vincent d’Indy, oder Ernst von Elterlein deuten das Werk psychologisch als einen „Seelensturm“, und bringen dies mit privaten unglücklichen Liebeserfahrungen Beethovens in Verbindung. Arnold Schering bringt die Sonate mit Teilen des Dramas Macbeth in Verbindung. Paul Badura-Skoda wiederum sieht in den „majestätischen Harmonien“ des zweiten Satzes eine Stimmung wie in Matthias Claudius Gedicht Der Tod und das Mädchen verwirklicht, während ihn die Coda des dritten Satzes an den Tanz auf der Heide von König Lear erinnert. Adolf Bernhard Marx interpretiert das Werk als „Aufschrei der Angst“ und „Sturm der Seele“, und Uhde schreibt:

  • „Unter den so verschiedenen Prozessen, die Beethovens Sonaten zum Inhalt haben, ist op. 57 die ‚Tragödie‘. Hier wird die Geschichte eines großen Willens geschrieben, der die bestehenden Verhältnisse verändern möchte, aber der Kampf führt nicht zur Befreiung.“


(aus: WIKIPEDIA "Kaviersonate Nr. 23 (Beethoven))


... und hier die gleiche Sonate in der Interpretation von Glenn Gould - mit einem wesentlich langsameren ersten Teil:

Rembrandt-Jahr: Auf der Suche nach der Seele

Rembrandt van Rijn

Eine Seele von Mensch

Er ist der prominenteste Holländer nach Arjen Robben: Vor 350 Jahren starb Rembrandt van Rijn. Seine Heimat ehrt den Maler mit Sonderausstellungen und einem Gedenkjahr. Wer war der Mann, der die Bibel bebilderte und der unsterblichen Seele Form und Farbe verlieh?

Von Raoul Löbbert

Ein Klischee der Kunstgeschichte besagt: Rembrandt habe die Seele gemalt, fand Bilder für all das, was unsterblich ist im Menschen – in jedem Menschen auf seine Art. Von der Sache mit der Seele abgesehen gibt es wenig, worauf sich die Nachwelt einigen konnte bei Rembrandt Harmenszoon van Rijn, dem holländischen Über-Maler des Barock. Die Romantiker fanden ihn romantisch, die Impressionisten impressionistisch, die Modernen modern. Der Schriftsteller Julius Langbehn erkannte in Rembrandt 1890 sogar den "deutschesten aller deutschen Künstler". Der niederländische Kulturwissenschaftler Johan Huizinga konterte während des Zweiten Weltkriegs: "Man kann Rembrandt nur aus Holland begreifen und Holland aus Rembrandt." Nun ja.

Unstrittig ist: Für das Holland des 21. Jahrhunderts ist Rembrandt nationaler Heiliger und Weltkulturerbe in Personalunion. Man schaut auf zu ihm, druckt seine Nachtwache auf Tassen, gedenkt seines 350. Todestags am 4. Oktober mit einem Rembrandt-Jahr für sich und die Touristen. Jeder Teilaspekt des Werks wird sonderausgestellt, jeder Fetzen Papier als Reliquie verehrt. Nur wie Rembrandt das gemacht hat mit der Seele, wie er etwas Form und Farbe gab, das gestalt- und zeitlos ist, weiß keiner so genau zu sagen. Selbst die klügsten Köpfe fühlen mehr, als dass sie wissen: Die Seele ist bei Rembrandt da. Nur wo?

Die Spur führt ins Gelobte Land, nach Emmaus. "Als er mit ihnen zu Tische saß", heißt es bei Lukas über die Begegnung des Auferstandenen mit zwei Jüngern, "nahm er das Brot, dankte, brach’s und gab’s ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen." Als Rembrandt 1629 den Moment der Erkenntnis malt, ist er Anfang zwanzig. Das Selbstbildnis mit Halsberge zeigt ihn im selben Jahr. Um sich männlicher zu machen, posiert Rembrandt in der Rüstung eines Kürassiers. Vergeblich. Er sieht aus wie ein Milchbubi mit Schmalzlocke.

Die Emmaus-Geschichte ist ein beliebtes Motiv. Schon Caravaggio und Rubens malten sie zwei Jahrzehnte zuvor. Doch während Jesus bei Caravaggio und Rubens unterm himmlischen Scheinwerfer in der Mitte des Geschehens hockt – bei Caravaggio mit oberlehrerhaft gerecktem Zeigefinger, bei Rubens mit verdrehten Augen und Leidensmiene – platziert Rembrandt Jesus an den Rand des Bildes. Eine Kerze hinter seinem Kopf beleuchtet spärlich die Silhouette des Erlösers. Lässig zurückgelehnt sitzt Jesus da und ist sichtlich froh, dass es diesmal nicht um ihn geht, sondern um den Jünger gegenüber. Dieser erinnert an Louis de Funès kurz vorm Explodieren: "Nein? Doch! Oh!" Die Augen sind aufgerissen, der Mund ein Strich, dazu Glatze und Gesichtsröte, ein Herzinfarktrisikopatient.

Rembrandts "Emmausmahl" von 1629 feiert die Frömmigkeit des einfachen Daseins. © The Yorck Project/Musée Jacquemart-André Paris




Rembrandt tut alles, um die Szene zu entheiligen: Als wäre nichts geschehen, werkelt im schummrigen Hintergrund eine Dienstmagd in der Küche. Jedem Riss in der Wand wird mehr Aufmerksamkeit gewidmet als dem grobkörnigen Personal des Evangeliums. So als wolle Rembrandt den Betrachter provozieren: "Du siehst keine Menschenseele? Schau richtig hin!" Wie die Persönlichkeit des Jüngers verschwindet hinter der Grimasse des Erschreckens, löst sich Jesus auf in Dunkelheit. Aber deshalb sind Jünger und Messias nicht Staffage. Im Gegenteil: Als Maler liebt Rembrandt dunkle Höhlen, schätzt das Zwielicht mehr als das Licht. Einige Interpreten erklären das mit Prägung in der Kindheit. Stunden und Tage verbringt Rembrandt als Sohn eines reichen Müllers angeblich im dunklen Bauch einer Kornwindmühle. So etwas bleibt nicht folgenlos.
Rembrandt liebt dunkle Höhlen,schätzt das Zwielicht mehr als das Licht.Ist er Mystiker oder liegt es an seiner Kindheitals Sohn eines reichen Müllers aus Leiden?
Eine weitere Möglichkeit: Rembrandt ist Mystiker. Mystiker suchen das Dunkel. So schreibt Dionysius der Kartäuser, ein holländischer Mystiker des 15. Jahrhunderts: "Und eben die allervortrefflichste, unermessliche, unsichtbare Fülle Deines ewigen Lichts wird die göttliche Finsternis genannt, in der, wie man sagt, Du wohnst", o Gott, "der Du die Finsternisse zu Deiner Zuflucht machst." Mystiker glauben, Gott verinnerlichen, ihn verdauen und ihm so ähnlich werden zu können im Diesseits. Von dieser Ähnlichkeit sieht man bei Rembrandt nichts. Der Jünger hat nichts Göttliches. Er ist und bleibt Louis de Funès.

Hier in einer Aufhellung des Schattens ist der Knieende deutlicher zu erkennen

"Schau richtig hin!" – Was auf den ersten Blick aussieht wie die ausgestreckten Beine des Erlösers, ist bei näherer Betrachtung die Silhouette eines Dritten. Wie ein Kind Geborgenheit sucht beim Vater, legt die Silhouette den Kopf in den Schoß des auferstandenen Christus. Wer ist das, was ist das? Der zweite Jünger des Evangeliums oder etwas anders? In seinem Rembrandt-Essay von 1916 schreibt der Soziologe Georg Simmel: Alle "religiösen Bilder, Radierungen, Zeichnungen" Rembrandts "haben nur ein einziges Thema: den religiösen Menschen". Ist der Schatten in Jesu Schoß also die fromme Seele, die sich hinter Louis de Funès versteckt, losgelöst vom Körper und doch vereint mit ihm im Bild?

Ist der Schatten
in Jesu Schoß
also die fromme Seele,
die sich versteckt,
losgelöst vom Körper
und doch vereint mit ihm im Bild?

Vielleicht liefert der Kontext die Antwort. Während Rembrandt das Emmausmahl konzipiert, zerfleischen sich in Deutschland Katholiken und Protestanten im Dreißigjährigen Krieg. Holland ist derweil eine Oase weltanschaulicher Indifferenz. Die Elite ist calvinistisch, große Teile der Bevölkerung katholisch, noch jedenfalls. Dazu kommen Mennoniten, Lutheraner, Juden. Man glaubt und lebt geräuschlos nebeneinanderher.

Nur als Jacobus Arminius an der Universität Leiden Calvins Prädestinationslehre verwirft und die Freiheit des Christenmenschen predigt, kommt es zum Streit: Arminius’ Remonstranten gegen die Contraremonstranten um Franciscus Gomarus.

Am Ende gewinnt Gomarus. Auf der Dordrechter Synode von 1618/19 wird die Lehre des Arminius verurteilt. Ein prominenter Leidener aber bleibt ihr und Arminius treu: Rembrandt Harmenszoon van Rijn.

Dennoch bekennt Rembrandt sich nicht öffentlich zum Remonstrantentum. Er ist angewiesen auf das Wohlwollen seiner calvinistischen Auftraggeber. Allerdings schwört er der Freiheit des Christenmenschen auch nicht ab. Sie findet sich überall in seinen Bildern. Auch im Emmausmahl. Was Rembrandt am religiösen Menschen interessiert, schreibt Simmel, ist die "Frömmigkeit des einfachen Daseins". Diese entziehe sich dem Dogma, der Eindeutigkeit und definiere die Menschen auf eigene Art.

So uneindeutig, widersprüchlich, diffus wie die Frömmigkeit des Alltags ist auch Rembrandts Bild der Seele: Er malt sie, ohne sich ein Bild von ihr zu machen, sie zu fassen, zu definieren. Denn das würde bedeuten, ihr Gewalt anzutun. Stattdessen verlagert er sie ins Niemandsland zwischen Glauben und Wissen, wo der Zweifel wohnt und kein Gesetz. In den Schatten.

Er malt die Seele,
ohne sich ein Bild von ihr zu machen,
sie zu fassen, zu definieren.
Denn das würde bedeuten,
ihr Gewalt anzutun.
Stattdessen verlagert er sie ins Niemandsland
zwischen Glauben und Wissen,
wo der Zweifel wohnt und kein Gesetz.
In den Schatten.

Auszug aus einem Artikel aus der ZEIT Nr. 29/2019 - Christ & Welt

diese detaillierte bild-betrachtung - eine betrachtung im wahrsten sinne des wortes - von raoul löbbert aus der "zeit"-beilage "christ & welt" - ist so fantastisch, dass ich sie hier unbedingt wiedergeben musste. 

ja - rembrandt hat auch einen malausdruck für die "seele" in jedem seiner bilder gefunden - als überzeugter remonstrant konnte er sie überall "verorten" - in der allgegenwart gottes: man findet sie als schatten einer halskrause über den augen bei der leichenobduktion in der "anatomie des dr. tulp", sie kniet in der nachtwache als saskia bzw. an deren gürtel hängend als ungerupftes huhn mit fein ausgearbeiteten klauen, zwischen all den porträts honoriger zahlend abgebilderter bürger einer schützengilde...: die seele - als ein ahnen nur - und ob sie rembrandt da angedeutet hat, wo wir sie heute hineininterpretieren oder doch noch ganz woanders...? 

dazu müssen wir seine werke jetzt im rijksmuseum aufsuchen und dortselbst geradezu detektivisch nach ihr fahnden. die "nachtwache" wird ja zur zeit aufwändig restauriert und untersucht - und wer weiß wieviel "seelen" dabei noch zutage treten ...