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Rembrandt-Jahr: Auf der Suche nach der Seele

Rembrandt van Rijn

Eine Seele von Mensch

Er ist der prominenteste Holländer nach Arjen Robben: Vor 350 Jahren starb Rembrandt van Rijn. Seine Heimat ehrt den Maler mit Sonderausstellungen und einem Gedenkjahr. Wer war der Mann, der die Bibel bebilderte und der unsterblichen Seele Form und Farbe verlieh?

Von Raoul Löbbert

Ein Klischee der Kunstgeschichte besagt: Rembrandt habe die Seele gemalt, fand Bilder für all das, was unsterblich ist im Menschen – in jedem Menschen auf seine Art. Von der Sache mit der Seele abgesehen gibt es wenig, worauf sich die Nachwelt einigen konnte bei Rembrandt Harmenszoon van Rijn, dem holländischen Über-Maler des Barock. Die Romantiker fanden ihn romantisch, die Impressionisten impressionistisch, die Modernen modern. Der Schriftsteller Julius Langbehn erkannte in Rembrandt 1890 sogar den "deutschesten aller deutschen Künstler". Der niederländische Kulturwissenschaftler Johan Huizinga konterte während des Zweiten Weltkriegs: "Man kann Rembrandt nur aus Holland begreifen und Holland aus Rembrandt." Nun ja.

Unstrittig ist: Für das Holland des 21. Jahrhunderts ist Rembrandt nationaler Heiliger und Weltkulturerbe in Personalunion. Man schaut auf zu ihm, druckt seine Nachtwache auf Tassen, gedenkt seines 350. Todestags am 4. Oktober mit einem Rembrandt-Jahr für sich und die Touristen. Jeder Teilaspekt des Werks wird sonderausgestellt, jeder Fetzen Papier als Reliquie verehrt. Nur wie Rembrandt das gemacht hat mit der Seele, wie er etwas Form und Farbe gab, das gestalt- und zeitlos ist, weiß keiner so genau zu sagen. Selbst die klügsten Köpfe fühlen mehr, als dass sie wissen: Die Seele ist bei Rembrandt da. Nur wo?

Die Spur führt ins Gelobte Land, nach Emmaus. "Als er mit ihnen zu Tische saß", heißt es bei Lukas über die Begegnung des Auferstandenen mit zwei Jüngern, "nahm er das Brot, dankte, brach’s und gab’s ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen." Als Rembrandt 1629 den Moment der Erkenntnis malt, ist er Anfang zwanzig. Das Selbstbildnis mit Halsberge zeigt ihn im selben Jahr. Um sich männlicher zu machen, posiert Rembrandt in der Rüstung eines Kürassiers. Vergeblich. Er sieht aus wie ein Milchbubi mit Schmalzlocke.

Die Emmaus-Geschichte ist ein beliebtes Motiv. Schon Caravaggio und Rubens malten sie zwei Jahrzehnte zuvor. Doch während Jesus bei Caravaggio und Rubens unterm himmlischen Scheinwerfer in der Mitte des Geschehens hockt – bei Caravaggio mit oberlehrerhaft gerecktem Zeigefinger, bei Rubens mit verdrehten Augen und Leidensmiene – platziert Rembrandt Jesus an den Rand des Bildes. Eine Kerze hinter seinem Kopf beleuchtet spärlich die Silhouette des Erlösers. Lässig zurückgelehnt sitzt Jesus da und ist sichtlich froh, dass es diesmal nicht um ihn geht, sondern um den Jünger gegenüber. Dieser erinnert an Louis de Funès kurz vorm Explodieren: "Nein? Doch! Oh!" Die Augen sind aufgerissen, der Mund ein Strich, dazu Glatze und Gesichtsröte, ein Herzinfarktrisikopatient.

Rembrandts "Emmausmahl" von 1629 feiert die Frömmigkeit des einfachen Daseins. © The Yorck Project/Musée Jacquemart-André Paris




Rembrandt tut alles, um die Szene zu entheiligen: Als wäre nichts geschehen, werkelt im schummrigen Hintergrund eine Dienstmagd in der Küche. Jedem Riss in der Wand wird mehr Aufmerksamkeit gewidmet als dem grobkörnigen Personal des Evangeliums. So als wolle Rembrandt den Betrachter provozieren: "Du siehst keine Menschenseele? Schau richtig hin!" Wie die Persönlichkeit des Jüngers verschwindet hinter der Grimasse des Erschreckens, löst sich Jesus auf in Dunkelheit. Aber deshalb sind Jünger und Messias nicht Staffage. Im Gegenteil: Als Maler liebt Rembrandt dunkle Höhlen, schätzt das Zwielicht mehr als das Licht. Einige Interpreten erklären das mit Prägung in der Kindheit. Stunden und Tage verbringt Rembrandt als Sohn eines reichen Müllers angeblich im dunklen Bauch einer Kornwindmühle. So etwas bleibt nicht folgenlos.
Rembrandt liebt dunkle Höhlen,schätzt das Zwielicht mehr als das Licht.Ist er Mystiker oder liegt es an seiner Kindheitals Sohn eines reichen Müllers aus Leiden?
Eine weitere Möglichkeit: Rembrandt ist Mystiker. Mystiker suchen das Dunkel. So schreibt Dionysius der Kartäuser, ein holländischer Mystiker des 15. Jahrhunderts: "Und eben die allervortrefflichste, unermessliche, unsichtbare Fülle Deines ewigen Lichts wird die göttliche Finsternis genannt, in der, wie man sagt, Du wohnst", o Gott, "der Du die Finsternisse zu Deiner Zuflucht machst." Mystiker glauben, Gott verinnerlichen, ihn verdauen und ihm so ähnlich werden zu können im Diesseits. Von dieser Ähnlichkeit sieht man bei Rembrandt nichts. Der Jünger hat nichts Göttliches. Er ist und bleibt Louis de Funès.

Hier in einer Aufhellung des Schattens ist der Knieende deutlicher zu erkennen

"Schau richtig hin!" – Was auf den ersten Blick aussieht wie die ausgestreckten Beine des Erlösers, ist bei näherer Betrachtung die Silhouette eines Dritten. Wie ein Kind Geborgenheit sucht beim Vater, legt die Silhouette den Kopf in den Schoß des auferstandenen Christus. Wer ist das, was ist das? Der zweite Jünger des Evangeliums oder etwas anders? In seinem Rembrandt-Essay von 1916 schreibt der Soziologe Georg Simmel: Alle "religiösen Bilder, Radierungen, Zeichnungen" Rembrandts "haben nur ein einziges Thema: den religiösen Menschen". Ist der Schatten in Jesu Schoß also die fromme Seele, die sich hinter Louis de Funès versteckt, losgelöst vom Körper und doch vereint mit ihm im Bild?

Ist der Schatten
in Jesu Schoß
also die fromme Seele,
die sich versteckt,
losgelöst vom Körper
und doch vereint mit ihm im Bild?

Vielleicht liefert der Kontext die Antwort. Während Rembrandt das Emmausmahl konzipiert, zerfleischen sich in Deutschland Katholiken und Protestanten im Dreißigjährigen Krieg. Holland ist derweil eine Oase weltanschaulicher Indifferenz. Die Elite ist calvinistisch, große Teile der Bevölkerung katholisch, noch jedenfalls. Dazu kommen Mennoniten, Lutheraner, Juden. Man glaubt und lebt geräuschlos nebeneinanderher.

Nur als Jacobus Arminius an der Universität Leiden Calvins Prädestinationslehre verwirft und die Freiheit des Christenmenschen predigt, kommt es zum Streit: Arminius’ Remonstranten gegen die Contraremonstranten um Franciscus Gomarus.

Am Ende gewinnt Gomarus. Auf der Dordrechter Synode von 1618/19 wird die Lehre des Arminius verurteilt. Ein prominenter Leidener aber bleibt ihr und Arminius treu: Rembrandt Harmenszoon van Rijn.

Dennoch bekennt Rembrandt sich nicht öffentlich zum Remonstrantentum. Er ist angewiesen auf das Wohlwollen seiner calvinistischen Auftraggeber. Allerdings schwört er der Freiheit des Christenmenschen auch nicht ab. Sie findet sich überall in seinen Bildern. Auch im Emmausmahl. Was Rembrandt am religiösen Menschen interessiert, schreibt Simmel, ist die "Frömmigkeit des einfachen Daseins". Diese entziehe sich dem Dogma, der Eindeutigkeit und definiere die Menschen auf eigene Art.

So uneindeutig, widersprüchlich, diffus wie die Frömmigkeit des Alltags ist auch Rembrandts Bild der Seele: Er malt sie, ohne sich ein Bild von ihr zu machen, sie zu fassen, zu definieren. Denn das würde bedeuten, ihr Gewalt anzutun. Stattdessen verlagert er sie ins Niemandsland zwischen Glauben und Wissen, wo der Zweifel wohnt und kein Gesetz. In den Schatten.

Er malt die Seele,
ohne sich ein Bild von ihr zu machen,
sie zu fassen, zu definieren.
Denn das würde bedeuten,
ihr Gewalt anzutun.
Stattdessen verlagert er sie ins Niemandsland
zwischen Glauben und Wissen,
wo der Zweifel wohnt und kein Gesetz.
In den Schatten.

Auszug aus einem Artikel aus der ZEIT Nr. 29/2019 - Christ & Welt

diese detaillierte bild-betrachtung - eine betrachtung im wahrsten sinne des wortes - von raoul löbbert aus der "zeit"-beilage "christ & welt" - ist so fantastisch, dass ich sie hier unbedingt wiedergeben musste. 

ja - rembrandt hat auch einen malausdruck für die "seele" in jedem seiner bilder gefunden - als überzeugter remonstrant konnte er sie überall "verorten" - in der allgegenwart gottes: man findet sie als schatten einer halskrause über den augen bei der leichenobduktion in der "anatomie des dr. tulp", sie kniet in der nachtwache als saskia bzw. an deren gürtel hängend als ungerupftes huhn mit fein ausgearbeiteten klauen, zwischen all den porträts honoriger zahlend abgebilderter bürger einer schützengilde...: die seele - als ein ahnen nur - und ob sie rembrandt da angedeutet hat, wo wir sie heute hineininterpretieren oder doch noch ganz woanders...? 

dazu müssen wir seine werke jetzt im rijksmuseum aufsuchen und dortselbst geradezu detektivisch nach ihr fahnden. die "nachtwache" wird ja zur zeit aufwändig restauriert und untersucht - und wer weiß wieviel "seelen" dabei noch zutage treten ...

in real life

HAUPTPERSONEN DER »NACHTWACHE«: HAUPTMANN FRANS BANNINCK COCQ (LINKS) UND SEIN LEUTNANT WILLEM VAN RUYTENBURGH.


»Operation Nachtwache« beginnt
Experten in Amsterdam untersuchen und restaurieren Rembrandts berühmtestes Gemälde

Von Annette Birschel

Im Amsterdamer Reichsmuseum hat die »Operation Nachtwache« begonnen: die umfassende Untersuchung des berühmtesten Gemäldes von Rembrandt van Rijn (1606-1669). Am Montag begannen die Experten mit einem Scan des Gemäldes. Die Arbeiten finden vor den Augen des Publikums statt und sind live im Internet zu verfolgen.

Das 17 Quadratmeter große Gemälde wurde aus dem Rahmen genommen. Drumherum wurde ein gläserner Raum gebaut, in dem die Experten auf beweglichen Podesten arbeiten. »Es ist das vielseitigste und umfassendste Untersuchungs- und Restaurierungsprojekt des Gemäldes«, sagte der Museumsdirektor Taco Dibbits.

Jährlich besuchen mehr als zwei Millionen Menschen das Reichsmuseum, das die weltweit größte Rembrandt-Sammlung beherbergt. »Die Nachtwache« von 1642 ist ein Spitzenwerk Rembrandts, des Meisters von Licht und Schatten. Es zeigt die Amsterdamer Bürgerwehr, deren Kapitän Frans Banning Cocq seinem Leutnant gerade den Befehl zum Abmarsch gibt.

In der ersten Phase des Projekts soll das Bild mit den neuesten Techniken, Scannern, Lasern und Mikroskopen untersucht werden. Dabei erhoffen sich die Forscher auch Auskunft über den Schaffensprozess und die Farben, die Rembrandt benutzte. Das Bild soll dann auf der Basis der gesammelten Informationen restauriert – vor allem gesäubert – werden. An einigen Stellen sind Farben verwischt und ist das Bild von einer weißlichen Schicht bedeckt. Die »Operation Nachtwache« wird mindestens ein Jahr dauern; die Kosten werden auf drei Millionen Euro veranschlagt.

Rembrandt Harmenszoon van Rijn wird als einer der größten Künstler aller Zeiten verehrt. Der geniale Maler verlieh dem Goldenen Zeitalter, der Blütezeit seiner Heimat, besonderen Glanz. Vor 350 Jahren, am 4. Oktober 1669, starb er in Amsterdam – völlig verarmt. Er hatte mehr als 300 Werke geschaffen. »Die Nachtwache«, sein berühmtestes, malte er nicht nach der damaligen Konvention als Gruppenbild. Es wirkt vielmehr wie eine dramatische Momentaufnahme: Das Hündchen kläfft, die Männer zücken die Waffen – gleich werden sie ausrücken.

Die »Nachtwache« wurde zuletzt 1976 restauriert, als ein psychisch kranker Mann sie im September 1975 mit Messerstichen beschädigte. Einen weiteren Anschlag gab es im April 1990, als ein Mann Schwefelsäure auf das monumentale Gemälde spritzte. Ein Museumswärter eilte hinzu und schüttete demineralisiertes Wasser auf die Stelle, das die Säure neutralisierte. Großer Schaden wurde verhindert, doch die Attentate schockierten das ganze Land, denn Rembrandts Meisterwerk hat über seinen künstlerischen und kunsthistorischen Wert hin­aus auch eine symbolische Bedeutung: Es ist der Schatz der Niederlande.

1642 vollendete Rembrandt »Die Schützen vom Viertel II unter Leitung von Kapitän Frans Banninck Cocq«. Die stolzen Männer der Bürgerwehr ließen sich damals gerne abbilden. Die sogenannten Schützengemälde wurden zum Symbol für das Goldene Zeitalter, als die Holländer die Herren der Weltmeere und des Welthandels waren.

Für die großen holländischen Meister wie Rembrandt entwarf der Architekt Pierre Cuypers Ende des 19. Jahrhunderts eine »Kathedrale«: das Amsterdamer Reichsmuseum. Der Ort und die besondere Bedeutung des Gemäldes machten es aber auch schon immer attraktiv für Menschen, die mit einem Anschlag ein Zeichen setzen wollen, denn es ist wie ein Anschlag auf ein Heiligtum – erstmals Anfang Januar 1911, als ein arbeitsloser Seemann mit einem spitzen Schustermesser auf die »Nachtwache« einhackte.

Doch die »Nachtwache« hat schon ganz andere Dinge überstanden. Als das Gemälde 1715 ins neu erbaute Rathaus, den heutigen königlichen Palast, umziehen musste, standen die Stadtherren vor einem Problem. Es war damals etwa vier mal fünf Meter groß, viel zu groß für die vorgesehene Wand zwischen zwei Türen im neuen Rathaus. Kurzerhand griff man zum Messer und schnitt an drei Seiten einen Streifen ab - als wäre es eine Tapete.

Zu Rembrandts 350. Todestag stehen die Niederlande 2019 ganz im Zeichen des Meisters. Mit Ausstellungen und Rundgängen ehren Städte und Museen im ganzen Land den Maler und sein Werk. Prinzessin Beatrix eröffnete das Themenjahr »Rembrandt und das Goldene Zeitalter« Ende Januar im Mauritshuis in Den Haag.

aus: WESTFALEN-BLATT, Dienstag, 9.Juli 2019, S.20 Kultur/Fernsehen (dpa)

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ich habe gestern auf SPIEGEL-ONLINE zuerst von der untersuchung und restaurierung der "nachtwache" gelesen und habe dann spontan den link: https://www.rijksmuseum.nl/nl/nachtwacht angeclickt, der dort angegeben war.

und da konnte ich - inzwischen schon zum wiederholten male überhaupt sehen, wie locker die niederländer so etwas handhaben und betreiben: da wurde u.a. mit 3d-tricks dem gemälde im wahrsten sinne des wortes "zu leibe gerückt". und was andernorts vielleicht hinter einem großen vorhang oder sogar hinter einer aus holz gezimmerten verschalung stattfinden würde, nämlich die restaurierung und untersuchung des bildes mit allen modernen und digitalen infrarot- und röntgenbild-rafinessen, geschieht im rijksmuseum in einem davorgebauten  aufwändig errichteten höhenverstellbaren glas"aquarium", wo besucher und internet-zuschauer alle arbeiten wie in einem labor mitverfolgen können.

und die cleveren museumskuratoren haben direkt oben über dem life-bild einen kleinen schalter angebracht, wo man "tickets" zum besuch des museums "in real life" sofort buchen kann, um selbst mit dabeizusein, wenn die neugier dazu treibt.

also soviel geschäftssinn und offenheit würde ich mir andernorts und in ähnlichen situationen auch wünschen: zum beispiel könnten die elendigen und leidigen "nachtsitzungen" bei organisationen und regierungen ganz einfach offen life übertragen werden, denn es sind ja zumeist unsere "volksvertreter", die dort verhandeln - und dadurch ja vielleicht endlich mal zu normalen sitzungszeiten zwischen 09.00 und 18.00 uhr zurückkehren, oder auch besondere bauarbeiten an besonderen bauwerken könnten so "einsehbarer" angezeigt werden.

also - lass dir die liveübertragungen der restaurierungsarbeiten an der "nachtwache" nicht entgehen und suche vielleicht das museum auch direkt auf - es lohnt sich bestimmt - und ist vielleicht für manche auch spannender als eine ehrfürchtige meditative betrachtung mit anschließendem smartphone-foto aus der ferne über die köpfe der besuchermenge hinweg ... 

alle rembrandts

Alle Rembrandts
Amsterdamer Reichsmuseum zeigt den kompletten Bestand


RADLER VOR EINER DURCHFAHRT IM MÄCHTIGEN BAU DES AMSTERDAMER REICHSMUSEUM, AN DEM EIN PLAKAT FÜR DIE AUSSTELLUNG WIRBT.


Von Annette Birschel

Amsterdam (dpa). Es ist Rembrandtjahr, und das Amsterdamer Rijksmuseum packt groß aus. Es zeigt erstmals in seiner Geschichte »Alle Rembrandts« seiner Sammlung.

Ein Himmelbett, die Vorhänge sind zurückgezogen, eine junge Frau lehnt in den Kissen. Es ist Saskia, die Frau von Rembrandt van Rijn. Mit nur wenigen kräftigen Strichen skizzierte der Maler diese sehr intime Szene. Das war 1635, und so etwas hatte es in der Kunst noch nie gegeben.

Die kleine Zeichnung, kaum 20 Zentimenter groß, ist nun im Amsterdamer Reichsmuseum zu sehen. Nur wenige Meter entfernt hängen die berühmten imposanten Porträts von »Marten und Oopjen« – mehrere Quadratmeter groß. Groß und klein, berühmt und unbekannt hängen nebeneinander – und das ergibt eine verblüffende Harmonie. Gerade die Skizzen und Zeichnungen erlauben einen frischen Blick auf den Maler und sein Werk.

Vor 350 Jahren starb der große holländische Meister (1606-1669), und das Reichsmuseum packt ganz groß aus [click]. Es zeigt von morgen an (bis 10. Juni) »Alle Rembrandts« seiner Sammlung – und das ist die größte der Welt. 22 Gemälde, 60 Zeichnungen, 300 Drucke. »Von Rembrandt kann man eben nie genug bekommen«, findet der Direktor für Malerei des Museums, Gregor Weber. Der deutsche Kunsthistoriker hat ja recht. Und das liegt eben am Künstler selbst. »Er berührt uns, er erzählt menschliche Geschichten, er ist einer von uns.«

Zugegeben es sind sehr viele Werke, die alle ein sehr genaues Hingucken verdienten. Doch sie werden in einem intimen Rahmen präsentiert. Die kleinen Zeichnungen, flüchtigen Skizzen und detaillierten Drucke hängen in wundervoll ausgeleuchteten dunklen Räumen. Und dazwischen – sehr sparsam platziert – die großen, berühmten Gemälde.

Besucher schauen auf Rembrandts "Die Nachtwache". Das Amsterdamer Rijksmuseum zeigt bis Juni "alle Werke" aus der eigenen Sammlung. Die Ausstellung ist eine Hommage an den Maler, der vor 350 Jahren in Amsterdam starb. Fotos: Peter Dejong/AP/dpa - WB


Die Ausstellung zeigt, wie sehr das persönliche Leben des Malers mit seiner Kunst verknüpft ist. »Rembrandt war Beobachter und Geschichtenerzähler«, sagt Konservator Erik Hinterding. Zunächst beobachtete er vor allem sich selbst. Wir sehen 1628 einen leicht pausbäckigen jungen Mann mit wirrem Haar, die wachen Augen liegen im Schatten. Am Ende seines Lebens hängen diese Augen über dicken Tränensäcken in einem leicht aufgedunsenen Gesicht. Rembrandt als melancholischer Apostel Paulus (1661). Dazwischen entstanden fast unendlich »viele Selfies«, wie der Konservator witzelt. Mal streng, mal lachend – Rembrandt übte.

Auch seine Eltern standen Modell. Aber der Maler ging auch auf die Straße, zeichnete Bettler, Gaukler, Kaufleute. Er sei auch ein Chronist seiner Zeit gewesen, sagt Hinterding. »Schnappschüsse wie heute auf Instagram.«

Das große Geld und der Ruhm kamen durch die Aufträge der Reichen und Mächtigen. Rembrandt porträtierte sie meisterhaft. Selbst bei Gruppen wie »Die Nachtwache« stellte er jeden einzelnen als Individuum dar. Zusätzlich schuf er Dramatik mit Licht und Schatten und Vorder- und Hintergrund.

Schönheit interessierte den Maler nicht, sondern die Wirklichkeit. Gerade das Unvollkommene faszinierte ihn, Spuren in Gesichtern und auf Körpern. »Er suchte die Schönheit im Hässlichen«, sagt Taco Dibbits, Direktor des Reichsmuseums.

Auch mit seiner Technik ist Rembrandt revolutionär. Er hält sich an keine Regel. Erst setzt er noch feine Pinselstriche. Später greift er zum breiten Palettmesser und bringt damit die Farbe direkt auf die Leinwand, grob und expressiv. Er kratzt noch mit der Rückseite des Pinsels in die Farbe. Ausgerechnet bei dem so intimen Porträt der »Jüdischen Braut« sind die Farbbrocken so dick, dass man meint, sie könnten abbrechen.

»Rembrandt ist ein Rebell«, sagt Direktor Dibbits. Dafür zahlte er einen hohen Preis. Er starb völlig mittellos, und seine Kunst war längst aus der Mode: Zu dunkel, zu realistisch, zu hässlich. Kurz: Nicht sehr erhebend. Doch Kompromisse hätte er nie gemacht.

aus: WESTFALEN-BLATT, Nr. 38, Donnerstag 14.02.2019, Seite 21 - Kultur/Fernsehen




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manchmal kann auch ein an sich trauriger anlass zu einem super-event werden: vor 350 jahren starb rembrandt harmenszoon van rijn (* 15. juli 1606 in leiden; † 4. oktober 1669 in amsterdam) - bekannt unter seinem vornamen rembrandt. und da es eben im veranstaltungskalender nur so zu deichseln war, ist diese große schau am tatsächlichen todestag, dem 4. oktober schon wieder im magazin verschwunden - oder sie wird "wegen des überragenden erfolgs" einfach bis in den oktober verlängert - wer weiß ...

ansonsten werden vor der "nachtwache" die besucher dichtgedrängt in 5- bis 6-fach-reihen hintereinander stehen und nach dem obligatorischen handy- oder sogar selfie-foto weitergeschoben zum nächsten highlight - immerhin sind ja um die 22 gemälde, 60 zeichnungen und 300 drucke zu absolvieren: »von rembrandt kann man eben nie genug bekommen« ...

das ganze ist aber auch eingebunden in den internationalen harten wettbewerb der museen untereinander um besucher. denn 2019 wird gerangelt mit "100 jahre bauhaus" in deutschland, mit dem "jungen picasso - blaue und rosa periode" in der fondation beyeler in riehen/schweiz, mit "tizian und die renaissance" im städel-museum frankfurt, mit dem "dunklen nolde in der nazizeit" in berlin, mit großen "van-gogh-ausstellungen" in london und frankfurt , mit "edvard munch" ab herbst in düsseldorf und "van dycks schönen frauen", um nur einiges zu nennen (click insgesamt dazu z.b. auch hier - und hier) ... - hinzu kommen ja die jährlich wiederkehrenden kunstevents der "biennale ..." und die verschiedensten "art's ..." usw.

um auch nur einen hauch davon mitzubekommen müsste man sich irgendein ganzjähriges "euro-ticket" erstehen, und viel zeit - und viel geld ... - und hoffentlich ist dann so eine art-sightseeing-tour auch so nachhaltig, dass man sie hinterher für sich und für seine lieben noch reproduzieren kann und die tausenden von smartphone-knips noch einigermaßen einzuordnen vermag.

ich meine, und das ist ja die frage, ob man zu jedem infragekommenden "runden" gedenktag eines künstlers ein top-event deshalb kuratieren muss - und ob die immer gleich als "jahrhundert-ausstellungen" inszeniert werden müssen.

der alte kaufmanns-spruch heißt ja: "angebot und nachfrage bestimmen den preis" - aber ein überangebot oder eine kunst-inflation verführt zur oberflächlichkeit ... - von "kunstgenuss" bleibt dann kaum noch etwas übrig - nur der preis wird stimmen ... - aber kommen dann noch die erwarteten besucherzahlen ... ???

und nix für ungut - und chuat choan

foto: rijksmuseum