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Denkmaler stürzen?

Interview
Historikerin zu Kolonial-Denkmälern 
"Debattieren, nicht stürzen"

Die Bielefelder Historikerin Christina Morina hält nichts davon, zweifelhafte Denkmäler einfach zu stürzen. Sie plädiert dafür, diese mit Informationen zu umrahmen.

Von Stefan Brams | NW

Auch das Otto-von-Bismarck-Denkmal in Hamburg wurde beschmiert. Bismarck wird rassistische Kolonialpolitik vorgeworfen. | © Jonas Klüter | NW


Frau Morina, in den USA, in Großbritannien und Belgien wurden in den Tagen nach der Ermordung von George Floyd immer wieder Denkmäler von Persönlichkeiten aus der Kolonialzeit gestürzt oder beschmutzt. Hat Sie diese Entwicklung überrascht?

Christina Morina: Bewegungen, die eine nachhaltige, fast schon revolutionäre Kraft entfalten wie jetzt in den USA, greifen oft gerade Symbole des alten Systems an, um durch deren Zerstörung den Umsturz auch bildlich sichtbar zu machen. Das können wir in vielen Epochen beobachten, daher ist das, was wir in den USA und auch in anderen Ländern gerade erleben, historisch gesehen nichts Überraschendes.

Wie bewerten Sie diese Aktionen?

Morina: Als Phänomen finde ich sie absolut nachvollziehbar. Als politischen Akt halte ich diese Aktionen für nicht wirklich sinnvoll, denn mit dem Verschwinden der Denkmäler verschwindet ja das Problem nicht – in diesem Fall der Rassismus. Ich halte es für angemessener, zweifelhafte Denkmäler im sprichwörtlichen und buchstäblichen Sinne von ihren Sockeln zu holen, sie neben diese zu stellen, neu einzurahmen und zu kommentieren. Und wenn es um heute von Menschen als offen verletzend wahrgenommene Objekte geht, dann gehören sie ins Museum, um dort ihren Kontext umfassender aufklären zu können. Aber ich halte nichts davon, die Denkmäler einfach zu zerstören.

Die Initiative „Berlin Postkolonial" spricht sich wie Sie gegen den Denkmalsturz aus und regt stattdessen an, Künstler die Denkmale verfremden oder durch die Kunst brechen zu lassen. Auch ein Ansatz für Sie?

Morina: Künstlerinnen und Künstler einzubeziehen, ist sicherlich ein zusätzlicher Ansatz, wobei die Kunst die nötige inhaltliche und gesellschaftliche Auseinandersetzung freilich nicht ersetzen, sondern diese spiegeln und ergänzen kann. Solche Debatten müssen umfassend und multiperspektivisch geführt werden – politisch, historisch, institutionell und gesellschaftlich.

Oft ist die Geschichte, die sich hinter einem Denkmal verbirgt, sehr komplex. Wollen Sie alle zweifelhaften Werke ins Museum bringen, um umfassend aufklären zu können?

Morina: Nein, es reicht oft schon, wenn man im Umfeld des Denkmals darüber aufklärt, dass sich hinter dieser Ehrung individuelles und staatliches Unrecht verbirgt, das nun hinterfragt und als solches anerkannt wird. So wird sichtbar, dass der Umgang mit der Vergangenheit ein lebendiger, wandelbarer Prozess ist, der die Gesellschaft immer wieder neu herausfordert.

Wann kann denn ein Denkmal auf keinen Fall stehen bleiben?

Morina: Generelle Grenzen zu ziehen, ist schwer. Wenn aber ein Symbol gegen das Grundgesetz und die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstößt, dann hat es im öffentlichen Raum nichts zu suchen und gehört höchstens ins Museum. Aber es gibt eben auch Grauzonen wie das Karl-Marx-Denkmal in Trier, das die chinesische Regierung gestiftet hat, oder das jetzt gerade von der MLPD in Gelsenkirchen aufgestellte Lenin-Denkmal. Auch über diese gehen die Meinungen weit auseinander. Umfassend zu thematisieren, wofür diese Denkmäler stehen, warum sie an einem bestimmten Ort stehen und wer sie gestiftet hat, sind Voraussetzungen dafür, dass sie Akzeptanz finden. Eine Gesellschaft sollte in jedem einzelnen Fall transparent aushandeln, warum ein Denkmal aufgestellt und wem eines gewidmet wird.

Die Zivilgesellschaft ist also gefragt?

Morina: Ja, aber nicht nur sie. Auch Politik, Behörden, Bürgerschaft einer Stadt, Unternehmen, Schulen und Universitäten sollten einbezogen sein. Denkmäler sollten Orte lebendiger Auseinandersetzung sein.

In vielen deutschen Städten stehen Bismarck-Denkmäler so auch in Bielefeld. Hier hat die Antifa gefordert, es zu beseitigen, weil Bismarck für die blutige deutsche Kolonialpolitik stehe. Andere verweisen dagegen auf seine Verdienste zum Beispiel in der Sozialgesetzgebung und der Einigung des Deutschen Reiches. Was tun mit zwiespältigen Persönlichkeiten wie ihm?

Morina: Das ist ein wichtiger Punkt. Geehrte sind oft zwiespältige Persönlichkeiten. Und den ihnen gewidmeten Denkmälern ist stets das Denken der Zeit eingeschrieben, in der sie jeweils entstanden. Wir sollten die Vielschichtigkeit der Personen und Denkmäler offen diskutieren und nicht das Denkmal ersatzlos entfernen, denn das beendet ja die Debatte in gewisser Weise. Dass diese nun auch in Bezug auf den deutschen Kolonialismus öffentlich noch stärker in Gang kommt, ist nur zu begrüßen, denn sie war hierzulande viel zu lange viel zu wenig geführt worden.

Warum ist die Debatte über den deutschen Kolonialismus bisher viel weniger intensiv betrieben worden als die über unsere NS-Vergangenheit? Auch damals wurden vom Deutschen Reich bereits Völkermorde begangen.

Morina: Ich denke, dass die NS-Verbrechen teilweise sicher die Verbrechen der Kolonialgeschichte so sehr überlagert haben, dass sie dadurch lange im Hintergrund blieben. Es ist dennoch denk- und kritikwürdig, dass die Folgen der deutschen Kolonialpolitik bei uns viel länger unbeachtet blieben als in anderen Ländern. Aber die Chance zur stärkeren öffentlichen Auseinandersetzung, zur Intensivierung und vor allem auch Wahrnehmung der wissenschaftlichen Forschung ist jetzt da.

Debattiert wird nicht nur über den Umgang mit Denkmälern, sondern auch, wie man mit Denkern wie zum Beispiel Immanuel Kant umgehen sollte, der ja auch einige rassistische Schriften verfasst hat wie „Von den verschiedenen Rassen der Menschen", „Bestimmung des Begriffs einer Menschenrasse" oder „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht". Gehört er auch vom Sockel gestürzt?

Morina: Diese Seite Kants wird ja schon länger thematisiert. Er ist eben nicht nur der große Moralphilosoph, sondern auch einer der Wegbereiter moderner Rassentheorien. Ich halte aber nichts davon, ihn deshalb einfach aus dem Aufklärungskanon zu werfen. Eher müssen wir zu einem Perspektivenwechsel bereit sein und uns viel stärker zum Beispiel der Frage stellen, was es mit Menschen damals und seither machte, die in seinen Schriften einer vermeintlich minderwertigen „Rasse" zugeordnet wurden, und wie sie darauf reagierten. Wir müssen die eurozentrische und diesem rassistischen Denken immer noch stark verbundene Perspektive auf unseren Kanon aufgeben. Da stehen wir noch ganz am Anfang.

Brauchen wir überhaupt noch Denkmäler?

Morina: Ja, denn auch über Denkmäler vergewissern sich Gesellschaften ihrer selbst, sie sagen viel darüber aus, wie sie verfasst sind und wahrgenommen werden wollen. Oft sind Debatten über Denkmäler in einer freien Gesellschaft ungeheuer spannend. Manchmal ist sogar die Debatte das eigentliche Denkmal.

Information
Zur Person

Christina Morina ist Professorin für Allgemeine Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte an der Universität Bielefeld.
Sie forscht und lehrt zur Geschichte des 19., 20. und 21. Jahrhunderts, insbesondere zu Krieg, Nachkrieg, Erinnerungskulturen und Demokratisierungsprozessen in Deutschland und Europa.
Jüngst veröffentlichte sie (gemeinsam mit N. Frei, F. Maubach und M. Tändler) das Buch „Zur rechten Zeit. Wider die Rückkehr des Nationalismus". Das Buch ist 2019 im Ullstein Verlag erschienen.


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tja - das ganze interview hätte man genauso - mit den gleichen antworten - auch mit mir führen können: es spiegelt haarklein meine meinung dazu... 

am besten gefällt mir der letzte satz: "manchmal ist sogar die debatte das eigentliche denkmal!"... denn in der debatte, in dem für und wider, bleibt die historie im direkten gespräch, sei es nun eine figur oder ein ereignis.

wenn irgendwo irgendwozu eine gedenkveranstaltung stattfindet, dann geschieht das in deutschland zumeist nach ganz bestimmten ritualen - zumeist entlehnt den beerdigungsfeierlichkeiten der konfessionen: zu beginn ein ernstes musikstück: meistens irgendwie "tragend", dann gibt es eins - zwei grußworte - dann eine längere wohlgestelzte rede zum erinnerungsanlass - dann eine kranzniederlegung oder die platzierung eines überdimensionalen teuren blumenstraußes mit schärpe, zumeist zu den klängen erneuter ernster klassischer musik, und dann das schlusswort irgendeines zufälligen amtsinhabers - und das alles unter den blitzlichtfotos der herbeibeorderten presseleute, und manche zaungäste nehmen das ganze mit ihren smartphones auf, um es irgendwo in einem sozialen netz hochzuladen und online zu stellen - und wenn das interesse vermeintlich über die lokalen grenzen hinausgeht, läuft auch noch vielleicht die video-kamera eines tv-senders für die "aktuelle stunde" oder die "lokalzeit" mit - und mit verhaltener wispernder stimme raunt ein reporter das jeweils wahrgenommene ins mikro, oder liest es von der "presseerklärung" des veranstalters ab - und zur tatsächlichen sendung wird das ganze dann zu einem beitrag von 1:30 min. zusammengestöpselt - un gutt is...

aber dann ist es das auch gewesen - und wenn man am nächsten tag einen bekannten fragt: "hast du gestern den beitrag zu ...'dingens da'... gesehen", sagt der, "nee - ich war da wohl just mit dem hund raus..."

eine ritualisierte variante dieser art von erinnern ist es auch, bei solchen gelegenheiten jeweils die vielen dutzend opfernamen mit brüchiger stimme von mehreren abwechselnden lesern vorzulesen: "arndfried appelt, alfred beierlein, gertrud brzinski, gottfried bullkötter usw. - bis xyz"... - aber am ende der 8-minütigen namensverlesung - direkt hinter "walter zimmermann", kann sich niemand mehr an "arndfried appelt" vom anfang der verlesung erinnern - denn namen sind "wie schall & rauch", sie verwehen im windhauch... - aber: "gut, dass wir mal drüber gesprochen haben" ...

und schon deshalb ist eine auch meinetwegen handfeste diskussion zum für und wider einer historischen person oder eines historischen ereignisses im hier & jetzt - oder eine diskussionsrunde im klassenraum der schule oder im unterricht per videokonferenz - in jedem falle wesentlich eindrücklicher - und vielleicht bleibt ein fitzelchen in den ventrikeln der teilnehmer haften oder brennt sich gar ein ...

mit denkmälern ist es also ganz ähnlich: nicht das daran vorbei- und vorübergehen bleibt haften, ein abbauen und umstürzen löst erst recht keine bleibende eindrückliche "auseinandersetzung" aus, sondern immer nur die authentische "wahrnehmung" - und dieses antike (nach-)"bewegen im herzen" ["... aber behielt alle diese worte und bewegte sie in ihrem herzen" (lk 2, 19)...] - und all diese komplizierten geschichten dazu kommunizieren - sich auf die google-recherche machen in wort & bild - und gar die eltern und (ur-)großeltern dazu befragen - und dieses "warum haben die da jetzt bei dem 'bismarck-denkmal' noch diese 'info-tafel' angebracht, die wir für die nächste geschichts-stunde abschreiben - 'und anschließend erörtern' sollen" ...: - aber genau das ist für mich gedenken & erinnern - und vielleicht die frage, ob man nicht zum nächsten ortsfest etc. vielleicht ein "theaterstück" zu dieser lokalen thematik miteinstudieren sollte ... - natürlich auch mit all den benötigen hintergrundinformationen dazu ...