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Denkmaler stürzen?

Interview
Historikerin zu Kolonial-Denkmälern 
"Debattieren, nicht stürzen"

Die Bielefelder Historikerin Christina Morina hält nichts davon, zweifelhafte Denkmäler einfach zu stürzen. Sie plädiert dafür, diese mit Informationen zu umrahmen.

Von Stefan Brams | NW

Auch das Otto-von-Bismarck-Denkmal in Hamburg wurde beschmiert. Bismarck wird rassistische Kolonialpolitik vorgeworfen. | © Jonas Klüter | NW


Frau Morina, in den USA, in Großbritannien und Belgien wurden in den Tagen nach der Ermordung von George Floyd immer wieder Denkmäler von Persönlichkeiten aus der Kolonialzeit gestürzt oder beschmutzt. Hat Sie diese Entwicklung überrascht?

Christina Morina: Bewegungen, die eine nachhaltige, fast schon revolutionäre Kraft entfalten wie jetzt in den USA, greifen oft gerade Symbole des alten Systems an, um durch deren Zerstörung den Umsturz auch bildlich sichtbar zu machen. Das können wir in vielen Epochen beobachten, daher ist das, was wir in den USA und auch in anderen Ländern gerade erleben, historisch gesehen nichts Überraschendes.

Wie bewerten Sie diese Aktionen?

Morina: Als Phänomen finde ich sie absolut nachvollziehbar. Als politischen Akt halte ich diese Aktionen für nicht wirklich sinnvoll, denn mit dem Verschwinden der Denkmäler verschwindet ja das Problem nicht – in diesem Fall der Rassismus. Ich halte es für angemessener, zweifelhafte Denkmäler im sprichwörtlichen und buchstäblichen Sinne von ihren Sockeln zu holen, sie neben diese zu stellen, neu einzurahmen und zu kommentieren. Und wenn es um heute von Menschen als offen verletzend wahrgenommene Objekte geht, dann gehören sie ins Museum, um dort ihren Kontext umfassender aufklären zu können. Aber ich halte nichts davon, die Denkmäler einfach zu zerstören.

Die Initiative „Berlin Postkolonial" spricht sich wie Sie gegen den Denkmalsturz aus und regt stattdessen an, Künstler die Denkmale verfremden oder durch die Kunst brechen zu lassen. Auch ein Ansatz für Sie?

Morina: Künstlerinnen und Künstler einzubeziehen, ist sicherlich ein zusätzlicher Ansatz, wobei die Kunst die nötige inhaltliche und gesellschaftliche Auseinandersetzung freilich nicht ersetzen, sondern diese spiegeln und ergänzen kann. Solche Debatten müssen umfassend und multiperspektivisch geführt werden – politisch, historisch, institutionell und gesellschaftlich.

Oft ist die Geschichte, die sich hinter einem Denkmal verbirgt, sehr komplex. Wollen Sie alle zweifelhaften Werke ins Museum bringen, um umfassend aufklären zu können?

Morina: Nein, es reicht oft schon, wenn man im Umfeld des Denkmals darüber aufklärt, dass sich hinter dieser Ehrung individuelles und staatliches Unrecht verbirgt, das nun hinterfragt und als solches anerkannt wird. So wird sichtbar, dass der Umgang mit der Vergangenheit ein lebendiger, wandelbarer Prozess ist, der die Gesellschaft immer wieder neu herausfordert.

Wann kann denn ein Denkmal auf keinen Fall stehen bleiben?

Morina: Generelle Grenzen zu ziehen, ist schwer. Wenn aber ein Symbol gegen das Grundgesetz und die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstößt, dann hat es im öffentlichen Raum nichts zu suchen und gehört höchstens ins Museum. Aber es gibt eben auch Grauzonen wie das Karl-Marx-Denkmal in Trier, das die chinesische Regierung gestiftet hat, oder das jetzt gerade von der MLPD in Gelsenkirchen aufgestellte Lenin-Denkmal. Auch über diese gehen die Meinungen weit auseinander. Umfassend zu thematisieren, wofür diese Denkmäler stehen, warum sie an einem bestimmten Ort stehen und wer sie gestiftet hat, sind Voraussetzungen dafür, dass sie Akzeptanz finden. Eine Gesellschaft sollte in jedem einzelnen Fall transparent aushandeln, warum ein Denkmal aufgestellt und wem eines gewidmet wird.

Die Zivilgesellschaft ist also gefragt?

Morina: Ja, aber nicht nur sie. Auch Politik, Behörden, Bürgerschaft einer Stadt, Unternehmen, Schulen und Universitäten sollten einbezogen sein. Denkmäler sollten Orte lebendiger Auseinandersetzung sein.

In vielen deutschen Städten stehen Bismarck-Denkmäler so auch in Bielefeld. Hier hat die Antifa gefordert, es zu beseitigen, weil Bismarck für die blutige deutsche Kolonialpolitik stehe. Andere verweisen dagegen auf seine Verdienste zum Beispiel in der Sozialgesetzgebung und der Einigung des Deutschen Reiches. Was tun mit zwiespältigen Persönlichkeiten wie ihm?

Morina: Das ist ein wichtiger Punkt. Geehrte sind oft zwiespältige Persönlichkeiten. Und den ihnen gewidmeten Denkmälern ist stets das Denken der Zeit eingeschrieben, in der sie jeweils entstanden. Wir sollten die Vielschichtigkeit der Personen und Denkmäler offen diskutieren und nicht das Denkmal ersatzlos entfernen, denn das beendet ja die Debatte in gewisser Weise. Dass diese nun auch in Bezug auf den deutschen Kolonialismus öffentlich noch stärker in Gang kommt, ist nur zu begrüßen, denn sie war hierzulande viel zu lange viel zu wenig geführt worden.

Warum ist die Debatte über den deutschen Kolonialismus bisher viel weniger intensiv betrieben worden als die über unsere NS-Vergangenheit? Auch damals wurden vom Deutschen Reich bereits Völkermorde begangen.

Morina: Ich denke, dass die NS-Verbrechen teilweise sicher die Verbrechen der Kolonialgeschichte so sehr überlagert haben, dass sie dadurch lange im Hintergrund blieben. Es ist dennoch denk- und kritikwürdig, dass die Folgen der deutschen Kolonialpolitik bei uns viel länger unbeachtet blieben als in anderen Ländern. Aber die Chance zur stärkeren öffentlichen Auseinandersetzung, zur Intensivierung und vor allem auch Wahrnehmung der wissenschaftlichen Forschung ist jetzt da.

Debattiert wird nicht nur über den Umgang mit Denkmälern, sondern auch, wie man mit Denkern wie zum Beispiel Immanuel Kant umgehen sollte, der ja auch einige rassistische Schriften verfasst hat wie „Von den verschiedenen Rassen der Menschen", „Bestimmung des Begriffs einer Menschenrasse" oder „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht". Gehört er auch vom Sockel gestürzt?

Morina: Diese Seite Kants wird ja schon länger thematisiert. Er ist eben nicht nur der große Moralphilosoph, sondern auch einer der Wegbereiter moderner Rassentheorien. Ich halte aber nichts davon, ihn deshalb einfach aus dem Aufklärungskanon zu werfen. Eher müssen wir zu einem Perspektivenwechsel bereit sein und uns viel stärker zum Beispiel der Frage stellen, was es mit Menschen damals und seither machte, die in seinen Schriften einer vermeintlich minderwertigen „Rasse" zugeordnet wurden, und wie sie darauf reagierten. Wir müssen die eurozentrische und diesem rassistischen Denken immer noch stark verbundene Perspektive auf unseren Kanon aufgeben. Da stehen wir noch ganz am Anfang.

Brauchen wir überhaupt noch Denkmäler?

Morina: Ja, denn auch über Denkmäler vergewissern sich Gesellschaften ihrer selbst, sie sagen viel darüber aus, wie sie verfasst sind und wahrgenommen werden wollen. Oft sind Debatten über Denkmäler in einer freien Gesellschaft ungeheuer spannend. Manchmal ist sogar die Debatte das eigentliche Denkmal.

Information
Zur Person

Christina Morina ist Professorin für Allgemeine Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte an der Universität Bielefeld.
Sie forscht und lehrt zur Geschichte des 19., 20. und 21. Jahrhunderts, insbesondere zu Krieg, Nachkrieg, Erinnerungskulturen und Demokratisierungsprozessen in Deutschland und Europa.
Jüngst veröffentlichte sie (gemeinsam mit N. Frei, F. Maubach und M. Tändler) das Buch „Zur rechten Zeit. Wider die Rückkehr des Nationalismus". Das Buch ist 2019 im Ullstein Verlag erschienen.


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tja - das ganze interview hätte man genauso - mit den gleichen antworten - auch mit mir führen können: es spiegelt haarklein meine meinung dazu... 

am besten gefällt mir der letzte satz: "manchmal ist sogar die debatte das eigentliche denkmal!"... denn in der debatte, in dem für und wider, bleibt die historie im direkten gespräch, sei es nun eine figur oder ein ereignis.

wenn irgendwo irgendwozu eine gedenkveranstaltung stattfindet, dann geschieht das in deutschland zumeist nach ganz bestimmten ritualen - zumeist entlehnt den beerdigungsfeierlichkeiten der konfessionen: zu beginn ein ernstes musikstück: meistens irgendwie "tragend", dann gibt es eins - zwei grußworte - dann eine längere wohlgestelzte rede zum erinnerungsanlass - dann eine kranzniederlegung oder die platzierung eines überdimensionalen teuren blumenstraußes mit schärpe, zumeist zu den klängen erneuter ernster klassischer musik, und dann das schlusswort irgendeines zufälligen amtsinhabers - und das alles unter den blitzlichtfotos der herbeibeorderten presseleute, und manche zaungäste nehmen das ganze mit ihren smartphones auf, um es irgendwo in einem sozialen netz hochzuladen und online zu stellen - und wenn das interesse vermeintlich über die lokalen grenzen hinausgeht, läuft auch noch vielleicht die video-kamera eines tv-senders für die "aktuelle stunde" oder die "lokalzeit" mit - und mit verhaltener wispernder stimme raunt ein reporter das jeweils wahrgenommene ins mikro, oder liest es von der "presseerklärung" des veranstalters ab - und zur tatsächlichen sendung wird das ganze dann zu einem beitrag von 1:30 min. zusammengestöpselt - un gutt is...

aber dann ist es das auch gewesen - und wenn man am nächsten tag einen bekannten fragt: "hast du gestern den beitrag zu ...'dingens da'... gesehen", sagt der, "nee - ich war da wohl just mit dem hund raus..."

eine ritualisierte variante dieser art von erinnern ist es auch, bei solchen gelegenheiten jeweils die vielen dutzend opfernamen mit brüchiger stimme von mehreren abwechselnden lesern vorzulesen: "arndfried appelt, alfred beierlein, gertrud brzinski, gottfried bullkötter usw. - bis xyz"... - aber am ende der 8-minütigen namensverlesung - direkt hinter "walter zimmermann", kann sich niemand mehr an "arndfried appelt" vom anfang der verlesung erinnern - denn namen sind "wie schall & rauch", sie verwehen im windhauch... - aber: "gut, dass wir mal drüber gesprochen haben" ...

und schon deshalb ist eine auch meinetwegen handfeste diskussion zum für und wider einer historischen person oder eines historischen ereignisses im hier & jetzt - oder eine diskussionsrunde im klassenraum der schule oder im unterricht per videokonferenz - in jedem falle wesentlich eindrücklicher - und vielleicht bleibt ein fitzelchen in den ventrikeln der teilnehmer haften oder brennt sich gar ein ...

mit denkmälern ist es also ganz ähnlich: nicht das daran vorbei- und vorübergehen bleibt haften, ein abbauen und umstürzen löst erst recht keine bleibende eindrückliche "auseinandersetzung" aus, sondern immer nur die authentische "wahrnehmung" - und dieses antike (nach-)"bewegen im herzen" ["... aber behielt alle diese worte und bewegte sie in ihrem herzen" (lk 2, 19)...] - und all diese komplizierten geschichten dazu kommunizieren - sich auf die google-recherche machen in wort & bild - und gar die eltern und (ur-)großeltern dazu befragen - und dieses "warum haben die da jetzt bei dem 'bismarck-denkmal' noch diese 'info-tafel' angebracht, die wir für die nächste geschichts-stunde abschreiben - 'und anschließend erörtern' sollen" ...: - aber genau das ist für mich gedenken & erinnern - und vielleicht die frage, ob man nicht zum nächsten ortsfest etc. vielleicht ein "theaterstück" zu dieser lokalen thematik miteinstudieren sollte ... - natürlich auch mit all den benötigen hintergrundinformationen dazu ...

er konnte sich nicht gut "vermarkten"

Das sogenannte Malerhaus in der Wistinghauser Schlucht sieht aus wie ein verwunschenes Schloss. Mittlerweile ist es zugewachsen und steht seit Anfang der 80er Jahre leer. | © Horst Biere
Ein verkannter Maler, den es einst nach Bielefeld zog

Der Expressionist Herbert Ebersbach übersteht das Konzentrationslager und die Vernichtung seiner Werke. Im sogenannten Malerhaus in Oerlinghausen schafft der Künstler erst spät großartige Bilder.

Von Horst Biere | NEUE WESTFÄLISCHE

Es muss der Schock seines Lebens gewesen sein, damals im Herbst 1934. Herbert Ebersbach, ein 32-jähriger Künstler, kommt nach einem Jahr aus dem Konzentrationslager Burg Hohnstein in Sachsen zurück nach Hause und stellt fest, dass seine Mutter und sein Bruder sein Werk, etwa 100 Bilder, verbrannt haben.

Die Nazis hatten den bekannten Expressionisten aus Dresden – als „entarteten Künstler“ und auch,
Herbert Ebersbach in den 50ern. Über mehrere 
Jahre hinweg bauen er und seine Familie das Haus 
zu einem Atelier um. 
Foto/Repro: Horst Biere - 
Quelle: Familie Ebersbach /NW

weil er mit den Kommunisten sympathisierte, – inhaftiert und schwer misshandelt. Nun, zurück aus dem Konzentrationslager, steht er vor dem Nichts. Sogar seine Familie hat sich gegen ihn gestellt.

Sechs Bilder gerettet

Sechs Bilder kann Herbert Ebersbach retten, mit ihnen zieht er nach Bielefeld, weil einige frühere Malerfreunde ihm dort eine Unterkunft besorgt haben. Der Bielefelder Bäckermeister Wilhelm Kölker gibt Ebersbach eine kleine Wohnung hinter seiner Backstube an der Breiten Straße. Mit ihm ist der Maler lebenslang freundschaftlich verbunden. Doch es geht auch künstlerisch wieder aufwärts, denn die Bielefelder Kunstszene und auch die Obrigkeit sind offenbar liberaler eingestellt und helfen Herbert Ebersbach, wieder Fuß zu fassen.

Der erste Erfolg stellt sich ein, als das Städtische Kunsthaus Bielefeld, aus dem später die Kunsthalle hervorging, seine „Sennelandschaft“ erwirbt. Die Senne scheint den Maler zu inspirieren, wohl auch, weil man ihm einen Raum zum Malen in einem Kotten auf dem Stauhof in Lipperreihe (heute ein Pferdehof) überlässt. Und auch privat geht es ihm wieder besser, in seinen Kunstkreisen lernt er die junge Elsa Dicke aus Brackwede kennen, die beiden heiraten kurz darauf. Drei Kinder sollten im Laufe der Jahre hinzukommen.

Bilder aus dem Kunsthaus entfernt

Selbst im eher freiheitlichen Bielefeld setzen sich die braunen Machthaber immer mehr durch und beginnen mit „Säuberungsaktionen“ in der Kunstszene. Aus dem Kunsthaus entfernt man nicht nur Ebersbachs „entartete“ Sennelandschaft, sondern auch Werke von Peter August Böckstiegel, Emil Nolde und Hermann Stenner. Mit Gelegenheitsarbeiten schlägt sich Herbert Ebersbach durch. Als man ihn während der Kriegszeit dienstverpflichtet, hat er es wieder mit Farben zu tun: Bei Benteler spritzt er Kanonen mit Nitrolacken an.

Gruppenausstellung in der Oetkerhalle


Der alte Oerlinghauser Segelflugplatz in der Heide. Das Gemälde zeigt die Fliegerkuppen im Hintergrund. | © Repro: Horst Biere / Quelle: Familie Ebersbach / NW


Beim Straßenbau und mit Feldarbeit verdient er sich in den kargen Nachkriegsjahren ein wenig Geld, um die Familie, die mittlerweile in Stieghorst wohnt, über Wasser zu halten. An der ersten Gruppenausstellung in der Oetkerhalle 1946 ist Herbert Ebersbach bereits mit Stillleben und ersten Landschaftsbildern vertreten. Der Einstieg in ein geordnetes bürgerliches Leben mit festem Einkommen gelingt aber erst viele Jahre später. Ab 1957 tritt Herbert Ebersbach als Kunsterzieher in den Schuldienst ein und unterrichtete bis zu seinem 65. Lebensjahr an mehreren Bielefelder Schulen.

Entlegener Kotten als Atelier

Einen der größten Schritte in seiner künstlerischen Entwicklung macht er, als er ein Atelier in der Wistinghauser Schlucht in Oerlinghausen findet. Von einem Bekannten wird Ebersbach auf den kleinen, versteckt gelegenen Sandsteinkotten aufmerksam gemacht, der auf dem Gebiet des Gutes Wistinghausen liegt.

Mit Theodor Haniel, dem Besitzer des Gutes, wird er sich schnell einig. Der Gutsbesitzer liegt offenbar – was Kunstgeschmack betrifft – auf der Eberbachs Wellenlänge. Kostenlos stellte Haniel ihm das verfallene Haus als Atelier zur Verfügung. Mit Hilfe seiner Familie renoviert Ebersbach über Jahre hinweg das Haus, in dem es aber nicht einmal Strom gibt.

Starke, expressive Farben beherrschen Eberbachs Werke. Seine Landschaftsbilder vom Teutoburger Wald und aus der Senne fanden große Beachtung. | © Repro: Horst Biere / Quelle: Familie Ebersbach / NW




„Die meisten seiner erhaltenen und bekannten Werke entstanden in dieser Atelierzeit, die etwa 1960 begann und bis 1982 dauerte“, sagt sein Sohn Ludwig Ebersbach, der heute in Lipperreihe lebt. Als „freundlichen, hilfsbereiten und gastfreundlichen Menschen“ beschreibt er seinen Vater, der allerdings nicht sehr kontaktfreudig gewesen sei. Oft fährt Ludwig Ebersbach von der Bielefelder Familienwohnung mit dem Fahrrad über Helpup und die Schotterstraße hinauf zu den Eltern in der Wistinghauser Schlucht.

In dem einsam gelegenen Haus muss viel improvisiert werden: „Unser Gas fürs Licht und zum Kochen bekamen wir in Flaschen aus der Eisenwarenhandlung Bremer in Oerlinghausen, fließendes Wasser gab es durch eine Leitung von der Sachsenquelle etwas oberhalb.“ Ludwig Ebersbach: „Aber der alte Kohleofen im Atelier strahlte Gemütlichkeit aus.“

Schubkarre voller Malutensilien

So muss man sich das wohl vorstellen: die Malutensilien in
der Schubkarre - hier als Motiv eines unbekannten
belgischen Malers (ebay)
Herbert Ebersbach zieht häufig mit einer Schubkarre voller Malutensilien in die Umgebung, zuweilen wird er von seiner Frau Elsa begleitet. Leuchtende Landschaftsbilder des Teutoburger Waldes und der Oerlinghauser Senne entstehen in der freien Natur, manchmal malt er seine Bilder im Atelier weiter.

Die Motive entwickelt er in expressionistischer Manier: Naturgemälde mit intensiver Farbprägung, manche Bäume zeigt er im Wandel der Jahreszeiten. Aber auch Blumenstillleben und Porträts bestimmen seine Malerei. In seiner Familie erinnert man sich an den Ausspruch des Künstlers: „Farben müssen leuchten und Brillanz haben.“

Ein Expressionist der zweiten Generation

1984 stirbt Herbert Ebersbach im Alter von 82 Jahren, ohne den großen Durchbruch geschafft zu haben. Vor etwa einem Jahrzehnt entdeckt die Kunsthistorikerin Christiane Reipschläger sein Werk und beginnt – auch mit Hilfe seiner Enkelin Juliane Klinksiek-Ebersbach – nach seinen etwa 400 Bildern zu recherchieren und sie zu katalogisieren.

Mit einer großen Ausstellung im Kunstmuseum Ahlen (Westf.) gelingt es Christiane Reipschläger im Jahre 2014 schließlich, das Gesamtwerk des Künstlers und vor allem seine Werke aus der Oerlinghauser Schaffenszeit, „zurück ins Licht der Öffentlichkeit zu holen“.

Sie beschreibt ihn in einem üppigen Bildband als „Expressionisten der zweiten Generation“ und fasst zusammen: „Herbert Ebersbach hätte gern mehr ausgestellt, aber er hatte kein Talent, sich selbst zu vermarkten. Doch er lebte für die Malerei.“

Dora, 1929 Öl auf Leinwand 135,1 x 125 cm
© Juliane Klinksiek-Ebersbach

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Wikipedia:

Herbert Ebersbach (* 9. November 1902 in Wildenfels; † 28. August 1984 in Bielefeld) war ein deutscher Maler und Vertreter des Expressionismus.

Leben

Ebersbach studierte in den 1920er Jahren an der Kunstakademie Dresden bei Otto Gußmann und Oskar Kokoschka und an der Kunstakademie Düsseldorf bei Heinrich Nauen und Heinrich Campendonk. Ebersbach war Mitglied der ASSO und der Dresdner Künstlervereinigung, 1932 schloss er sich der Dresdner Sezession 1932 an. Seine Lebensgefährtin war bis 1933 die Kunsthändlerin Hede Schönert.

1933 wurden Ebersbachs Werke von den Nationalsozialisten als „entartet“ eingestuft. Als Gegner des Nationalsozialismus kam er nach einer Durchsuchung seines Ateliers ins KZ Hohnstein, wo er rund 14 Monate lang inhaftiert war, bevor Freunde seine Freilassung erwirken konnten. Seine Familie hatte in dieser Zeit rund 70 (nach anderen Quellen 100 bzw. 150) seiner Ölbilder verbrannt, was er als Verrat empfand und nach der Entlassung 1934 zum Bruch mit der Familie führte. Ebersbach zog, nun quasi mittel- und wohnungslos, mit sechs geretteten Ölbildern im Gepäck von Dresden zu Freunden nach Bielefeld. Während des Zweiten Weltkrieges war er dienstverpflichtet. Nach 1945 nahm Ebersbach zum Broterwerb Aufträge für Wandbilder an und arbeitete als Kunsterzieher.

Werk

Das Gesamtwerk Ebersbachs umfasst ca. 400 Gemälde, Druckgrafiken und Zeichnungen, davon sechs, die vor 1933 entstanden. Die durchweg figurativen Motive sind von Blumenstillleben, Landschaften und Porträts bestimmt. Speziell die Gemälde aus der Schaffenszeit in den 1960er und 1970er Jahren sind von intensiver Farbigkeit und Ausdrucksstärke geprägt.

Viele seiner Werke entstanden in der Wistinghauser Schlucht am Tönsberg bei Oerlinghausen, wo ihm die Unternehmerfamilie Haniel auf ihrem Landgut ein Atelierhaus auf Lebenszeit zur Verfügung gestellt hatte. Die Kontakte zur Familie waren um 1954 entstanden.

Christiane Reipschläger, Burkhard Leismann (Hg.): Herbert Ebersbach. Transformation der Farbe. Verzeichnis der Gemälde, 2014,
ISBN 978-3-86206-349-9










es gibt immer noch interessante neu-entdeckungen in der westfälischen kunstszene um den expressionismus, oder vielleicht muss man ja auch inzwischen von den "expressionismen" sprechen. 

und diese biografie hier mutet ja in ihrem idyllischen teil schon ein bisschen an nach szenen aus dem van-gogh-film von julian schnabel, wo vincent sich mit breitkrempigen sonnenhut hinhockt draußen im stoppelfeld mit seiner reise-ausklappstaffelei und falthocker und leinwand - und das augenblicksmotiv malt, so wie er es sieht und festhält - und die sonne brennen lässt... 

ich kann mir jedenfalls herbert ebersbach lebhaft vorstellen, wie er mit der schubkarre fat ebenso über land schiebt, um das geeignete motiv in der wistinghauser senne oder im teutoburger wald zu finden - und das alles liegt ja direkt hier vor meiner haustür - und wenn ich aus dem wohnzimmer schaue, blicke ich zur oerlinghausener kirche und weiß rechts dahinter den flugplatz und davor eben diese wistinghauser senne mit dm alten idyllischen halbverfallenen gehöft, dass sich ebersbach mit seinen lieben zum atelierhaus aus- und umbaute.

ja - er konnte sich nicht so recht "vermarkten", wie das seine "ur"-ostwestfälischen malerkollegen seines genres konnten, die aber auch zum großen teil älter waren und hier an der werkkunstschule studiert hatten - und so den clan der "bielefelder moderne" bildeten, wie man das heutzutage manchmal einordnet.

schon 1907 wurde in bielefeld die handwerker- und kunstgewerbeschule gegründet. der lehrer ludwig godewols unterstützte künstler, die modern arbeiten wollten. sie fuhren 1909 ins osthaus-museum und 1912 nach köln, wo die sonderbund-schau viel von besagtem van gogh präsentierte und wo man studien betrieb. ebersbach war da noch zu jung, 5 und dann11 jahre alt. und zur „bielefelder moderne“ (1907-26) werden victor tuxhorn, georg tuxhorn, ernst sagewka, heinz lewerenz, hermann freudenau, wolfgang tümpel, alfred wiese, werner hagemeister und wilhelm schabbon gezählt - und außerdem natürlich peter august böckstiegel, der bereits als expressiver maler sein akademiestudium 1913 in dresden aufnahm, aber sich zeitlebens als „bauernmaler“ bezeichnete.

in diese "stadtbekannte" und fest ansässige phalanx als newcomer einzudringen, war für ebersbach bestimmt nicht einfach, denn bei aller freundschaft und kollegialität unter- und miteinander war in solchen künstlerkreisen natürlich auch konkurrenzdenken und sogar regelrechte intrigen und ignorierungen untereinander mit von der partie, denn sie waren natürlich alle miteinander mitanbieter auf dem kunstmarkt, und wollten aufträge bekommen und kohle verdienen - und den kollegen "ausstechen" mit dem eigenen entwurf.

der "arme" hungerkünstler war damals nicht nur sprichwörtlich, sondern ganz real - und er lebte zumeist von der hand in den mund - ohne große rücklagen - zumal ja solch eine kunstvermarktung wie heute mit den auktionshäusern und agenturen und den siebenstelligen summen überhaupt nicht zur diskussion standen.

der maler war noch eher ein handwerker, wie der wanderschuhmacher, der von haus zu haus zog und nach defektem schuhwerk fragte, oder der schrenschleifer. und alte bauersleut gönnten sich vielleicht mal einen künstlerischen wandschmuck zur goldenen hochzeit, oder wolletn den verstorbenen fleißigen großvater auf leinwand gebannt sehen, zum andenken.

ich werde zukünftig jedenfalls eine namensnennung "herbert ebersbach" irgendwo in der scene besonders aufmerksam registrieren - und mich auf den patt machen, um ihn in seinen werken zu begegnen - wenn "corona" es wieder zulässt.

das gedenken bewahren: martin luther king

Der Künstler Thomas Rother in seinem Atelier auf Zeche Zollverein





KÜNSTLER THOMAS ROTHER

Martin Luther King-Bild reist von Essen nach Amerika aus


Von Martina Schürmann | WAZ Essen


Das Kunstwerk des Essener Künstlers Thomas Rother (82) wird künftig im American Civil Rights Museum in Memphis ausgestellt. Wie es dahin kam.

Der Lebensweg von Thomas Rother hat schon viele ungewöhnliche Biegungen genommen. Wie der Mann aus dem Osten, geboren in Frankfurt/Oder, tief im Westen zum Bewahrer der Bergbaukultur wurde, ist so eine Neuanfang-Geschichte. Die Spuren dieser lebenslangen Aufbrüche bewahrt der Künstler, Zeitungsredakteur und Erinnerungs-Archivar, der seit seiner Jugend malt, Gedichte schreibt und Klanginstallationen baut, heute im „Kunstschacht Katernberg“ auf: eine Mischung aus Industriemuseum und Kumpel-Antiquariat, Wunderkammer und Möbel-Trödel, Wohnung und Werkstatt auf dem Essener Welterbe Zollverein.

Die kühnste Wendung aber wartet in dieser Woche auf den 82-Jährigen, wenn Thomas Rothers Kunstwerk „Neues Sternenbanner für Martin Luther“ mit dem Konterfei des Bürgerrechtlers ans American Civil Rights Museum in Memphis übergeben wird. Das Haus, 1991 unmittelbar am Ort des King-Attentates von 1968, dem Loretta-Motel, eröffnet, gilt heute als Amerikas führendes Museum der Bürgerrechtsbewegung. Dass es nun erstmals Platz für ein Kunstwerk aus dem Ausland macht, darf als kleine Sensation bewertet werden.

Thomas Rother schrieb Song nach dem Tod von Martin Luther King

Was aber verbindet einen Ruhrgebiets-Künstler mit dem charismatischen Führer der Afroamerikaner? „Viel“, sagt Rother, „Martin Luther King hat mich mein Leben lang begleitet.“ Als der Friedensnobelpreisträger im April 1968 ermordet wird, schreibt der streitbare Essener tief bewegt von den Ereignissen in Memphis seinen Song „Hab einen Traum“. Das Lied über den Glauben an eine freie Welt wird damals vom Duisburger Komponisten und Sänger Rolf Hucklenbruch vertont. 1970 wird sogar eine Single veröffentlicht, eingespielt von der „Duisburger Gospelgruppe“.




Rothers Bild von Martin Luther King. Er gab es nun als Schenkung an das Museum. 
Foto: Klaus Micke


Jahre später erscheint der Lied-Text in Rothers Buch „grenzen los“ - einer Sammlung mit heiteren, nachdenklichen und politischen Texten und Gedichten. Viele davon hat Rother selbst illustriert – den Gospel-Song nicht. Erst auf Nachfrage seines Herausgebers Frank Münschke kommt der unermüdliche Streiter aus dem Revier auf die Idee, ein „neues Sternenbanner für Martin Luther King“ zu entwerfen und die amerikanische Fahne mit dem Konterfei des Bürgerrechtlers zu verfremden.

Briefmarke gab Vorlage für Bild

Eine Fotografie will er dafür nicht verwenden, „viel zu profan“, sagt Rother. Er sucht ein Bild, „das der Würde dieses Mannes entspricht“. Und findet es irgendwann auf einer schwedischen Briefmarke. Der Blick Doktor Kings scheint darauf wie entrückt, „nahezu das Bild eines Propheten“, findet Rother. Er platziert das Porträt inmitten der Sterne, „als DER Stern für eine neue freie Welt“, und bearbeitet die Fahne farblich so, als wäre sie gründlich durch den Schmutz gezogen worden. Bloß kein falscher Amerika-Kult! Als die Arbeit im April 2018 anlässlich des 50. Jahrestages der Ermordung von Martin Luther King in der Bielefelder Nicolaikirche ausgestellt wird, ist die Aufmerksamkeit groß und der Plan bald geboren: Das Bild gehört nach Memphis!

Man muss schon ein Idealist sein und engagierte Fürsprecher haben wie Wolfgang Streitbörger, den deutschen Tourismus-Förderer für Memphis/Tennessee, um daran zu glauben, dass so ein Traum in Erfüllung geht. Am 6. Mai, Rothers 82. Geburtstag, ist das Sternenbanner in Memphis angekommen. Rother selber mochte zur feierlichen Übergabe nicht ins Zentrum des King-Gedenkens reisen, „meine alten Knochen machen das einfach nicht mehr mit“. Dafür hat sich Enkelin Yolanda Rother auf den Weg ins National Civil Rights Museum gemacht.

Für Museum steht Rothers Bild symbolhaft, wie King Künstler inspirierte

Dort soll Rothers Bild nun von der internationalen Wirkkraft Dr. Martin Luther Kings erzählen, von seiner Inspiration für andere Künstler und „ihren Einsatz gegen alle Formen von sozialer Ungerechtigkeit in der Welt“, sagt die amerikanische Museumsleiterin Noelle Trent. Rothers Sternenbanner zeige, „dass die Idee von Gleichheit und Bürgerrechten lebt und immer wieder wichtiger wird“, findet auch Memphis-Experte Wolfgang Streitbörger, der sogar das Auswärtige Amt und das Generalkonsulat von Atlanta als Unterstützer dieses „Herzblut“-Projekts begeistern konnte.

Und Rother selber versteht seine Mission künstlerisch wie politisch als höchst gegenwärtig: „Die Idee der gesellschaftlichen Vielfalt betrifft jeden von uns.“ Die transatlantische Kunstübergabe ist dabei wohl der persönliche Höhepunkt für einen Mann, der sich immer als Brückenbauer verstanden hat. Die naheliegenderen Zeichen für ein friedliches Miteinander der Völker sind seine „Grenzrosen“. Mehr als zwei Dutzend dieser Friedenssymbole aus Stahl wurden schon an Deutschlands Außengrenzen aufgestellt, weitere Grenzrosen sollen auch in Zukunft für mehr Einigkeit in Europa stehen. Thomas Rother hat den Traum von einer besseren Welt einfach nie aufgegeben.

  • Das American Civil Rights Museum in Memphis wurde in den 1990ern eröffnet. Die Ausstellung führt durch vier Jahrhunderte; sie beginnt 1619 mit der Sklaverei und den amerikanischen Bürgerkriegen. Sie erzählt vom gewaltlosen Widerstand der 1950er- und 60er-Jahre und von der späteren rechtlichen Gleichstellung der Schwarzen auch im Süden.
  • Der Rundgang endet im Lorraine Motel, wo Martin Luther King im April 1968 erschossen wurde.


Quelle: WAZ Essen, 15.05.2019

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Hommage an Martin Luther King 

Das Bild „Neues Sternenbanner“ des Essener Künstlers Thomas Rother wurde vom National Civil Rights Museum als Beispiel für die internationale Wirkung desFriedensnobelpreisträgers aufgenommen

Erstes deutsches Gemälde im Bürgerrechtsmuseum in Memphis


Das große Museum der US-Bürgerrechtsbewegung in Memphis hat erstmals ein Kunstwerk aus Deutschland in seine ständige Sammlung aufgenommen. Das Gemälde „Neues Sternenbanner“ des Essener Künstlers Thomas Rother, das anlässlich einer Gedenkveranstaltung im April vergangenen Jahres in einer Bielefelder Kirche ausgestellt war, zeigt eine verfremdete US-Fahne mit einem
grafischen Porträt Martin Luther Kings.

Rothers Bild habe einen intensiven Begutachtungsprozess durchlaufen müssen, betonte Kuratorin Noelle Trent. Das Museum sei beeindruckt von der künstlerischen Qualität der Arbeit, aber auch von Rothers Eintreten für Menschenrechte, Frieden und Gerechtigkeit über viele Jahrzehnte. Rother (83) arbeitet im Kunstschacht Zollverein in Essen auf dem Gelände der Zeche Zollverein.

Sein 2015 entstandenes Bild wurde in Memphis von seiner aus Berlin angereisten Enkelin Yolanda Rother übergeben.

„Martin Luther King begleitet meinen Großvater seit vielen, vielen Jahren“, sagte Yolanda Rother.

 Als Beleg brachte sie eine Original-Single des Liedes „Ich habe einen Traum“ mit, das Rother unmittelbar nach dem Attentat auf Martin Luther King 1968 mit dem Duisburger Komponisten Rolf Hucklenbruch veröffentlichte und das seinerzeit zu einem Hit der deutschen Kirchenmusik wurde.

Auch diese Schallplatte gehört jetzt zur Sammlung des Museums. Das National Civil Rights Museum steht seit 1991 an der Stelle in Memphis, an der Martin Luther King am 4. April 1968 ermordet wurde.



Bildübergabe: Museumsdirektorin Terri Lee Freeman (v. l.), Wolfgang Streitbörger (Verkehrsbüro Memphis Travel), Kuratorin Noelle Trent, Yolanda Rother, Enkelin des Künstlers. 
Foto: Memphis Travel


Neue Westfälische, 22.5.2019, Kultur/Medien

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ab und zu muss auch mal über etwas schönes leichtes aus der kultur berichtet werden. es ist doch einfach nur zum mitfreuen, wenn wir verfolgen können, wie diese arbeit zu martin luther king des essener künstlers thomas rother nun seinen weg nach memphis/tennessee ins "national civil rights museum" findet - untergebracht an ort und stelle, wo martin luther king am 4. april 1968 erschossen wurde.

und der 82-jährige thomas rother, der sich ja mindestens seit dem jähen tod mlk's - also seit über 50 jahren - mit diesem schwarzen bürgerrechtler und evangelischem pfarrer intensiv beschäftigt - findet somit noch zu seinen lebzeiten eine würdige beachtung seines werkes, seines schaffens und seiner verehrung.

ich weiß gar nicht, ob es in den usa registriert wird, inwieweit mlk hier in europa zumindest die "68er" mitbeeinflusst und geprägt hat -  und damit sicherlich noch die positiven reaktionen der vielen ehrenamtlichen und freiwilligen helfer zunächst beim eintreffen des flüchtlingsstroms 2015 - man vergisst und verdrängt das ja inzwischen gerne - die gespannte neugierhaltung auf das was da kommt - bevor dann die geballte und oft gewaltbereite ablehnung als reaktion etwas später von der "anderen seite der medaille" zurückkam...

all diese kämpfe - all dieses hin und her - all diese auseinandersetzungen gehörten vor über 50 jahren zum alltag der schwarzen bevölkerung in den usa - besonders dort in den südstaaten - und zum widerstand martin luther kings und seiner getreuen gegen diese gewalt - gegen diese ablehnung.

schon damals ging es ja nicht um den einzelnen schwarzen mitbürger, sondern um eine ablehnung der ethnischen vielfalt allgemein, des "andersseins" - ähnlich wie heutzutage hier in unserer aktuellen flüchtlingsfrage ... und von ca. 1.000.000 menschen, die hierherströmten, wurden vielleicht bis heute höchstens ca. 5.000 personen tatsächlich (!) straffällig - also vielleicht 5 promille ... - ca. 995.000 leben relativ unauffällig - mitten unter uns ...

dorothea buck, fast 102, kämpferin


Lebt heute in Hamburg: Dorothea Buck (fast 102), Überlebende der Nazi-Euthanasie -
S!|graphic nach einem Foto von Andrea Döring | NW



Kämpferin mit fast 102 Jahren

Porträt: Dorothea Buck wurde in Bethel zwangssterilisiert. Die Bundesverdienstkreuzträgerin stärkt
Patienten und entwickelt neue Psychiatriekonzepte

Von Andrea Döring

Bielefeld/Hamburg. Dorothea Buck, fast 102, Überlebende der Nazi-Psychiatrie, freut sich. Hellwach verfolgt sie das Tagesgeschehen. Die Tageszeitung liegt aufgeschlagen auf der Decke ihres Bettes in einem Hamburger Pflegeheim, das sie nur noch selten verlassen kann. Sie kann aber immer noch mitreden.

Beispielsweise über die Erste-Hilfe-Kurse für die Seele, die das Mannheimer Zentralinstitut für seelische Gesundheit (ZI) in Zukunft anbieten will. Wie die Erste-Hilfe-Kurse für den Körper, die fast jeder mindestens einmal im Leben absolviert, soll das Angebot bewirken, dass Menschen ihren Angehörigen, Freunden oder Kollegen mit seelischen Problemen nicht mehr hilflos gegenüberstehen.

Die neue Idee findet Buck gut. „Wichtig ist es aber, in diesen Kursen auf die Psychose-Seminare hinzuweisen“, meint sie. In Psychose-Seminaren können drei Gruppen von Menschen in sogenannten trialogischen Gesprächen auf Augenhöhe voneinander lernen, die Erkrankten, Angehörigen von Kranken sowie Fachkräfte aus der Psychiatrie oder aus anderen sozialen Berufen.

Zusammen mit dem Hamburger Psychologie-Professor Thomas Bock hat Buck den Trialog und die Psychose-Seminare erfunden, die mittlerweile in ganz Deutschland verbreitet sind.

Die aktuellen Behandlungskonzepte sind weit von dem entfernt, was Buck in verschiedenen geschlossenen Anstalten zur Zeit des Nationalsozialismus erlebte. Mit Dauerbädern, nassen Packungen, Fesselungen und Insulinspritzen versuchte man damals die Symptome zu kurieren, die man als rein körperlich verstand, berichtet Buck. Bei der großen Wäsche überfiel sie eine Eingebung: „Ein ungeheuerlicher Krieg wird kommen, ich bin die Braut Christi und ich werde einmal etwas zu sagen haben, die Worte kommen ganzvon selbst“, schildert sie das Geschehen, das sie in die Psychiatrie bringt.

Mit der Diagnose Schizophrenie, die als unheilbar galt, kam sie 1936 in die von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel in Bielefeld.
„Niemand sagte uns, wozu wir hier waren, und warum man uns gefangen hielt. Wir waren zur Untätigkeit gezwungen und ins Bett verbannt, obwohl wir körperlich gesund waren. Das löste die wildesten Ängste und Fantasien in mir aus“, schildert sie die Zeit in Bethel.



„Menschen, mit denen man nicht spricht, lernt man auch nicht kennen, nimmt man nicht als Menschen wahr. Die kann man töten“, analysiert sie scharfsinnig die Psychiatrie der Nazi-Zeit. Der Euthanasie entkommt sie, nicht jedoch der Zwangssterilisation. Nach dem Krieg arbeitet sie als Bildhauerin und Lehrerin für Kunst und Werken. Doch die Erfahrungen in der Psychiatrie, die auch später nur langsam überwunden werden, lässt sie nicht los, erzählt Bock in ihrem Arbeitszimmer voller Bücher.

An der Wand hängt ein Bild von einer Pusteblume. Auf ihrem Nachttisch steht ein Wasserglas mit zwei Löwenzahn-Blüten. Sie sind Buck wichtig. „Ist es nicht unglaublich? Hier im Glas entwickelt sich eine Pusteblume“, staunt sie über die Kraft der kleinen Pflanze, sich auszusäen. Ein gutes Bild auch dafür, wie Bucks Wirken die Psychiatrie verändert hat: „Das Wichtigste ist, dass man freundlich
miteinander redet, gerade mit den Menschen am Rande der Gesellschaft, den Psychose-Erfahrenen“, sagt Buck. „Man muss sie verstehen wollen. Sie haben etwas erfahren, was andere Menschen sich nicht einmal ausmalen können.“

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Bethels dunkle Geschichte
  • Die damals 19-jährige Dorothea Buck kam 1936 in eine geschlossene Abteilung Bethels. Sie wurde dort zwangssterilisiert.
  • So erging es auch mehr als 1.000 andere Patienten zwischen 1934 und 1945, die alle Opfer des Euthanasieprogramms der Nazizeit wurden.
  • Heute lebt Buck in Hamburg. Sie ist Ehrenvorsitzende des Bundesverbandes Psychiatrieerfahrener, einer deutschen Selbsthilfeorganisation.
  • 1997 erhielt sie für ihr Engagement für psychiatrieerfahrene Menschen das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

aus: NEUE WESTFÄLISCHE, Freitag 8.02.2019, Zwischen Weser und Rhein, S.5

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„Was nicht erinnert wird, kann jederzeit wieder geschehen, wenn die äußeren Lebensumstände sich entscheidend verschlechtern.“

am 27. januar 2017 wurde im bundestag an die opfer von „euthanasie“ und zwangssterilisation im ns-staat erinnert. in ihrer rede dazu sprach die autorin und "euthanasie"-forscherin sigrid falkenstein von dorothea buck und wiederholte das o.a. zitat.

dorothea buck ist mir in meiner erinnerungs-forschungsarbeit zum opferporträt meiner tante erna kronshage immer weiter anstoß und anschub, hat sie doch, sogar 5 jahre älter als erna, zwar nicht gleichzeitig aber nacheinander die gleichen schicksalsstationen durchlaufen, aber eben wie durch ein wunder die "euthanasie"-phasen überlebt mit selbstdisziplin, kreativität und power - und "glück" ...

dorothea bucks psychotische störungen äußerten sich in verschieden intensiven "schüben" - wo sie zwischendurch auch dank der obacht und aufsicht der sich kümmernden eltern (dorothea buck war das 4. von 5 kindern einer pfarrersfamilie) immer wieder entlassen werden konnte, eben weil sich ihr zustand jeweils wieder vollständig aufgeklart hatte.

aber so lernte sie 1946 bei einer erneuten psychose sogar die in ganz europa bekannte vielgerühmte von direktor dr. hermann simon entwickelte "arbeitstherapie" in der heilanstalt gütersloh kennen, in der ja auch erna von herbst 1942 bis herbst 1943 mit gartenarbeit und kartoffelschälen "betreut" wurde, und ehe sie von dort dann in den deportationszug ende 1943 - in den tod 100 tage später - aussortiert wurde...

frau buck fühlte sich in der arbeitstherapie wohler, weil der tag verging durch leichte aufgabenstellungen im haus oder in feld und flur. die in bethel hauptsächlich verordnete bettruhe und die behandlung als "kranke" behagte ihr überhaupt nicht - ihr kreativer geist suchte betätigung und anregung.

dorothea buck kam dank ihrer schubweisen psychotischen zustände an diesen auswahlverfahren zur deportation in den unweigerlichen gewaltsamen tod in einer der speziell ausgestatteten tötungsanstalten vorbei - doch nach ihrer vollständigen genesung engagiert sie sich nach dem krieg lebenslang für all die "euthanasie"-opfer, und beteiligt sich an der aufklärung dieser ca. 300.000-fachen massenmorde als authentische zeitzeugin der heute zweifelhaften behandlungsmethoden in der damaligen ns-psychiatrie.

diese lebensleistung bis heute insgesamt sowie ihre detaillierten einblicke als insiderin in die abläufe und oft abfälligen und unmenschlichen behandlungsmethoden in den psychiatrien jener zeit sind für die erforschung von einzelschicksalen von unschätzbarem wert.

was dorothea buck an von insulin-injektionen ausgelösten epileptischen schockanfällen als "therapie" der schizophrenie durchmachen musste, und was sie dazu erinnert, ist ja zeitgleich vom "therapeutischen nutzen" her übertragbar auf die damals schon etwas "moderneren" von "cardiazol"-injektionen [einem synthetisch hergestelltenen kampfer-medikament] ausgelösten krampfanfalls-serien, die an erna kronshage "zur beruhigung" angewandt wurden.

dorothea buck konnte darauf hinweisen, dass hier zumeist keine wissenschaftlichen erkenntnisse eine solche schockbehandlung anzeigten - man nahm ja "wissenschaftlich" nur an, dass ein "innerer spannungsabbau", als reaktion auf die schocks, sich gut und entlastend auf die akuten "schizophrenie-'zustände'" auswirkten - sondern dass es sich meist dabei ganz simpel um disziplinarische, oft von genervten stationsschwestern dem arzt vorgeschlagene maßnahmen handelte, um so auch den letzten individuell persönlichen selbstbehauptungs- und widerstandskern vollends zu brechen ...

während der epileptischen krämpfe erlebten die "behandelten", zumeist gegen ihren willen angeschnallt auf ihrer anfallsliege, unvorstellbare todesängste und traumatische erlebnisse und lichtblitze und andere nervliche "sensationen", die so gravierend waren, dass man sich rasch einer solchen "folter" entziehen wollte - oder unbedingt zu meiden suchte ...

ein damaliger sationsarzt brachte das auf den punkt: "wenn sie [die patienten] bockten, mussten wir schocken" ...

all diese erkenntnisse verdanken wir dorothea buck, die das alles ja mit wachem geist durchlebt und durchlitten hat und heute noch zum glück als betroffene mit fast 102 jahren erinnern und reproduzieren - und auch zu protokoll geben kann !!! - so tiefgreifend waren diese lebenseinschnitte ...

ich möchte dafür ganz schlicht "danke" sagen ...