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erinnerungsarbeit durch und durch

Kriege und ihre Folgen werden im TAMdrei im interkulturellen Stück durch die Intensität der Darstellung sehr präsent. 
Foto: Tim Ilskens/Theater - NW u. WB




Das Recht auf Erinnerung

Parallele Welten im TAM-drei: Heldentaten oder Verbrechen?

Von Burgit Hörttrich | WB

Wieso hatte der Großvater keine Freude daran, mit den Enkeln zu spielen? „Das kommt vom Krieg“, sagt die Großmutter. Ist der Onkel ein Held, weil sein Name irgendwo in einem Dorf im Kosovo auf einem Kriegerdenkmal steht? Die Großmutter erzählt von den Haustieren und von selbst gestrickten Socken, wenn es um die Vertreibung aus der Heimat geht. Oder sie erzählen gar nichts vom Krieg, die Verwandten.

Gibt es ein Recht darauf, zu erfahren, was Eltern, Großeltern, Onkel, Cousins im Krieg erlebt haben? Dieser Frage sind 16 Bielefelder zwischen 17 und 56 Jahren mit kurdischen, türkischen, kosovarischen, deutschen, serbischen, bosniakischen, ägyptischen, italienischen, syrischen und russischen Wurzeln seit mehr als einem Jahr nachgegangen. Gemeinsam mit Schauspieler Omar El-Saeidi und Theaterpädagogin Martina Breinlinger haben sie daraus ein Stück gemacht. „Krieg.Erinnern“ wurde bei der Premiere im TAM-drei gefeiert – nach minutenlangem, betroffenem Schweigen.

Familienfotos von „früher“, angefangen vom Ersten Weltkrieg, aber auch Alltagsszenen aus vermeintlich glücklichen Zeiten, sind Anknüpfungspunkte für Fragen, um Geschichten zu erzählen, Erinnerungen auszutauschen. Durchaus lustige Geschichten, aber auch solche Fragmente, bei denen der Erzähler mitunter nicht so recht weiß, ob er das, was er da erzählt, selbst erlebt hat, gehört hat, es seiner Fantasie entspringt. Buchstäblich laufend, suchen die Protagonisten nach Wahrheit. Oder doch nach Antworten. Denn die, die sie mitunter bekommen, passen nicht so recht ins Weltbild.

Berichtet wird auch von Kriegen, die in der Allgemeinheit längst in Vergessenheit geraten sind, bei den Betroffenen aber tiefe Narben hinterlassen haben. Die einen wollen reden, jedes Detail ausbreiten, die anderen am liebsten vergessen, nicht „darüber“ sprechen. Darüber zum Beispiel, dass der Großvater im Konzentrationslager gearbeitet hat, darüber, dass man ja nichts gewusst hat. Es gibt Geschichten von Versöhnung. Oder zumindest Versöhnungsversuchen.

Da ist die Sorge, dass die erlebte Erinnerung mit Tätern und Opfern stirbt, dass nur noch Bücher und Fotos, Erzählungen aus dritter, vierter Hand zurück bleiben. Das seien dann „Momentaufnahmen, die kalt werden“. Die Stück-Collage schildert bewegend emotionale Berg- und Talfahrten, wenn Angehörige befragt werden, die Skrupel, die eigenen Verwandten zu „verhören“ und auch die Angst davor, Dinge zu erfahren, die man gar nicht wissen wollte, die nichts ins eigene Denkmuster passen.

Die Mitwirkenden Mohammad Alhammadi, Derya Bal, Edda Barteit, Luca Buxel, Marwan El Sayed, Merisa Ferati, Canip Gündogdu, Daniel Heinrih, Khani Hussein, Delia Kornelsen, Giacomo Monaca, Gaye Mutluay, Ingo Nie, Demokrat Ramadani, Baris Solmaz und Ayhan Turan spielten mit großen Engagement. Sie waren sie selbst und auch wieder andere, deren Schicksale ihnen sichtbar nahe ging.

Die Projektreihe Parallele Welten mit Laien und Künstlern des Theaters gibt es bereits seit 2012 - und erzeugt große Aufmerksamkeit. So wurde 2015 das Stück „Ehrlos“ für das Welt-Amateur-Theatertreffen in Monaco nominiert und zum Theatertreffen der Jugend eingeladen.

„Krieg.Erinnern“ ist zu sehen am 10., 12. und 13. Dezember im TAM-drei

WESTFALEN-BLATT | Montag, 9. Dezember 2019 | Seite 12: Bielefelder Kultur



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Kriege und der Blick zurück

Wie ist das mit den Erinnerungen? Welche Rechte hat man an denen der vorherigen Generationen? Und wenn sie sich erinnern, sind diese dann wahr? Oder sind sie nicht vielmehr immer subjektiv und selektiv?

Von Christiane Buuck | NW

„Krieg. Erinnern“ lautet der Titel des aktuelles Stücks in der Projektreihe „Parallele Welten“ des Theaters Bielefeld. Ein Jahr lang haben die Mitspieler zwischen 17 und 62 Jahren unterschiedlichster Herkunft mit Menschen aus verschiedenen Ländern gearbeitet, deren Erinnerungen aufgeschrieben und szenisch umgesetzt. Dabei ging es um die zentrale Frage, wie subjektiv und selektiv Erinnerungen sind. Können sie wirklich die Wahrheit abbilden?

Unter der Leitung von Theaterpädagogin Martina Breinlinger und Schauspieler Omar El-Saeidi hatten sich die Mitspieler mit kurdischen, türkischen, kosovarischen, serbischen, ägyptischen, italienischen, syrischen, russischen und deutschen Wurzeln ein Jahr lang mit diesen Fragen auseinandergesetzt und sie szenisch umgesetzt.

Bei der Premiere am Samstag im TAMdrei hatte die Aufführung bereits begonnen, als die Zuschauer sich ihre Plätze suchen. Auf dem Boden sitzend schauen sich die Spieler alte Familienfotos an und unterhalten sich darüber. Die Familien der Spieler sind größtenteils Opfer eines Krieges. Ein Teil ihres Lebens, an das sie bisher nicht erinnert werden wollten, wurde von ihren Kindern hinterfragt. Kriege und deren Folgen werden durch die Schilderungen sehr präsent in dem kleinen Theaterraum, die Barriere zwischen Darstellern und Zuschauern verschwimmt. Diese Nähe wirkt so manches Mal – insbesondere für die erste Reihe – fast beängstigend und bei der Bewegungs- und Gefühlsintensität, mit der die Darsteller präsent sind, berührt und entsetzt der Inhalt des Vorgetragenen das Publikum. Das Erlebte, die Ängste und das Grauen der Kriege bekommen Gesichter. Die Zuschauer verfolgen Diskussionen um Fragen wie „Was bedeutet es, Pazifist zu sein?“, „Was ist wahr?“ und nicht zuletzt auch die Frage nach der Schuld. In einer Clown-Maske setzt Canip Gündogdu dem entgegen: „Ich will nicht von Dingen sprechen, von denen ich keine Ahnung habe.“ Aber wie bildet man sich eine eigene Meinung, da doch Gedanken und Gefühle von Kindheit an gelenkt werden – im Elternhaus oder auch von den Medien ?

Nach der Premiere sind alle erleichtert, Mohammad Alhammadi gibt zu, große Angst vor dem Auftritt gehabt zu haben, doch: „Ich will, dass die Kriege aufhören!“ Alle haben Mut bewiesen und Großartiges geleistet an diesem Abend, gerade, weil sie auch ganz viel von sich selbst Preis gegeben haben. Die Zuschauer waren mehr als nachdenklich – dieses Stück, so grandios es auch ist, ist schwere Kost und wirkt noch sehr lange nach.

NEUE WESTFÄLISCHE | Dienstag 10. Dezember 2019 | S. 19: Lokales Bielefeld 

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genau die hier sich offenbarenden fragen und antworten und  wirklichkeiten und behauptungen und auch das eiserne beschweigen mancher zeugen, denen es die sprache verschlagen hat - das sind die themen einer zeitgemäßen erinnerungs- und gedenkkultur, so wie sie - vielleicht auch durch aktives rollenspiel - einer jungen generation vermittelt werden können, wenn die zeitzeugen selbst allmählich die bühne verlassen.

damit lässt sich dann in szene setzen, was jetzt auch noch von den traumatisierten selbst oder eben auch von kindern, enkeln und urenkeln und neffen und großnichten er-innert wird.

schon das wort er-innern - ist für mich jedenfalls die physische umkehrung des verinnerlichens - also sousagen die "schluckauf"- und "aufstoß"-variante verinnerlichter geschehnisse, die selbst erlebt oder durch verbale und auch nonverbale überkommene erzählungen in uns herumschwirren - und die sich "gehör" und "wahrnehmung" verschaffen wollen.

denn sie sind für alle menschen, egal welcher religiöser wurzeln, staatsangehörigkeit und hautfarbe und welchen geschlechts, egal welchen alters oder welcher sexueller orientierung, profilierende und beeinflussende fakten, die ein "lebenslänglich" in irgendeiner weise prägen.
Magnetresonanztomographie-
Aufnahmen eines menschlichen 
Gehirns

und damit das "herumschwirren" in uns, auf welcher art auch immer, nicht "überhand" nimmt und pathologische nuancen ausbildet, sollten wir das, was nach außen drängt, auch nicht einfach quasi "unverdaut" wieder herunterschlucken, sondern "ausspucken" im weitesten sinne: wir sollten uns endlich mal "um kopf & kragen reden", die "seele aus dem leib" reden, ja uns mal "auskotzen", sollten einfach losstammeln und das ausdrücken, was wir da vom uropa wissen, oder von der tante, oder was wir an mitteilungshemmnissen an der eigenen mutter beobachten können oder konnten.

das sind die spuren, die in jedem von uns gelegt sind - und die uns - direkt und indirekt - berühren und betreffen - von denen wir abhängig sind.

und solche "improvisations"-elemente auf den tatsächlichen "brettern, die die welt bedeuten", also im profesionellen theater, sollten vielleicht auch in schul-kursen und laienspielgruppen unter dieser prämisse ergründet, erarbeitet, dargestellt - und so zum allgemeinen erhaltenswerten kulturgut werden, da wo er-innerung "hautnah" gelebt und ausgelebt werden kann, damit sie tatsächlich verinnerlicht, integriert und zum gesunden bestandteil des ich wird.

es sind quasi stolpersteine, vor denen man nicht stutzt, um sie zu lesen - sondern innerlich gelegt, um genauso innerlich und tatsächlich im miteinander drüber zu stolpern...


jugendvolxtheater bethel in dem stück "ich will leben", 2018

noch ein beispiel dazu siehst du auch hier...